Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. Tatmuster und Entstehungszusammenhänge von Tötungsdelikten an Kindern Befunde aus einer bundesweiten Analyse von Strafverfahrensakten Monika Haug, KFN 1
Entwicklung in der Polizeilichen Kriminalstatistik Entwicklung der Opferziffern von vollendeten, vorsätzlichen Tötungsdelikten für 0-6jährige und 6-14jährige in der Bundesrepublik Deutschland Opfer pro 100.000 der jeweiligen Altersgruppe 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 0 bis unter 6 Jahre 6 bis unter 14 Jahre Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1995-2016, jeweils Tabelle 91 (einbezogene Delikte: Totschlag, Tötung auf Verlangen, Kindstötung (020000), Mord (010000) Vergewaltigung, sex. Nötigung mit Todesfolge (111500), sex. Kindesmissbrauch mit Todesfolge (131800) Körperverletzung mit Todesfolge (221000)); Bevölkerungsstatistik 1995-2016; eigene Berechnungen.
KFN-Forschungsprojekte zu Tötungsdelikten an Kindern Tötungsdelikte an Kindern <6 Jahre 6-13 Jahre Fragestellung Methode Typische Taten und deren Entstehungszusammenhänge Strafrechtliche Aufarbeitung Analyse von Strafverfahrensakten Untersuchungszeitraum 1997-2006 1997-2012 Untersuchungsgebiet BRD Anzahl Opfer(Opfer PKS) 535 (911) 192 (525) Anzahl TäterInnen* 354 169 * TäterInnen : Rechtskräftig verurteilte TäterInnen + Interviews mit TäterInnen + Interviews mit Fallbearbeitern Personen, die allein aufgrund von Schuldunfähigkeitfreigesprochen wurden Personen, die die Tötung des Kindes im Rahmen eines vollendeten erweiterten Suizids begangen, sich selbst also gleichzeitig mit dem Kind getötet haben 3
Verschiedene Formen von Tötungsdelikten an Kindern 4
Fallgruppen Fallgruppe <6Jin % (n=535) 6-13J in % (n=192) Neonatizid 37,2 0 Misshandlungstötung 25,6 4,2 Vernachlässigung 3,7 3,1 Erweiterter Suizid 12,7 51,6 Sexualdelikt 0 20,8 Akute psychische Erkrankung Zielgerichtete Tötung 6,2 2,1 6,2 14,1 Sonstige 8,4 4,1 Beschreibung Tötung unmittelbar nach der Geburt durch die leibl. Mutter Tötung durch aktive Misshandlung unterschiedlicher Art und Intensität (z.b. Schütteln) Tötung durch nicht ausreichende Versorgung mit Nahrung und/oder Flüssigkeit, bzw. Medikation Tötung vor vollendetem bzw. versuchtem Suizid des Täters/der Täterin Tötung erfolgt nach vorangegangenem Sexualdelikt an Opfer oder um sexuelle Handlungen an Opfer zu ermöglichen. Tötung ausgelöst durch schwere psychische Erkrankung (z.b. Psychose; nur Fälle ohne suizidale Komponente) Tötung zielgerichtet in klarer Tötungsabsicht, ohne dass eine der anderen Kategorien vorliegt Anders geartete Fälle ohne prägnante Gemeinsamkeiten(z.B. Kind Zufallsopfer) 5
Wer sind die Opfer? 6
T3 T4 Fallgruppen nach Opferalter 1997-2006 ohne Neonatizideund natürlicher Tod/ Unfall/ Sonstiges (n= 401) 140 120 100 80 60 40 20 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Alter Opfer zur Tat: Jahre Sexualdelikt erweiterter Suizid zielgerichtete Tötung Tötung psych. Erkrank. Vernachlässigung Misshandlung 7
Folie 7 T3 T4 Begriff Ausschöpfungsquote legt nahe, dass PKS richtig ist - das ist ja keineswegs klar Theresia; 26.09.2017 Was meinst Du mit Bruch Theresia; 26.09.2017
Fallgruppen nach Geschlecht 100 90 80 70 50,3 35,9 46,2 40,5 45,8 42,4 Angaben in Prozent 60 50 40 75,0 unbekannt weiblich männlich 30 20 47,7 64,1 53,8 59,5 54,2 57,6 10 25,0 0 Neonatizide (199) Misshandlung (145) Vernachlässigung (26) Tötung psych. Erkrank. (37) erweiterter Suizid (168) zielgerichtete Tötung (59) Sexualdelikt (40) 8
Wer sind die TäterInnen? 9
Täter-Opfer-Beziehung, Opfer < 6 J (n=354) 100 95,8 90 80 75 Angaben in Prozent 70 60 50 40 30 34,4 66,7 43,4 29,6 Biologische Mutter 20 10 0
Täter-Opfer-Beziehung, Opfer < 6 J (n=354) 100 90 80 29,2 25 Angaben in Prozent 70 60 50 40 30 20 10 95,8 35,2 34,4 66,7 75 50,9 43,4 59,3 29,6 Biologischer Vater Biologische Mutter 0 11
Täter-Opfer-Beziehung, Opfer < 6 J (n=354) 100 90 80 21,6 29,2 25 3,8 3,7 Angaben in Prozent 70 60 50 40 30 20 10 95,8 4,8 35,2 34,4 66,7 75 50,9 43,4 59,3 29,6 Sozialer Vater Soziale Mutter Biologischer Vater Biologische Mutter 0 12
Täter-Opfer-Beziehung, Opfer < 6 J (n=354) 100 90 80 4,1 4 4,2 1,9 3,8 21,6 25 29,2 7,4 3,7 Angaben in Prozent 70 60 50 40 30 95,8 4,8 35,2 66,7 75 50,9 59,3 Andere Sozialer Vater Soziale Mutter 20 10 34,4 43,4 29,6 Biologischer Vater 0 Biologische Mutter 13
Täter-Opfer-Beziehung, 6-13 J (n=166) 100 90 80 Angaben in Prozent 70 60 50 40 30 20 10 28,6 57,1 75,0 51,3 biol. Mutter 0 0 4,0 0,0 14
Täter-Opfer-Beziehung, 6-13 J (n=166) 100 90 Angaben in Prozent 80 70 60 50 40 30 20 10 14,3 28,6 42,9 57,1 75,0 46,3 51,3 32,0 biol. Vater biol. Mutter 0 0 4,0 0,0 15
Täter-Opfer-Beziehung, 6-13 J (n=166) 100 0,0 0,0 1,3 90 Angaben in Prozent 80 70 60 50 40 30 20 10 14,3 14,3 14,3 28,6 42,9 57,1 0,0 46,3 75,0 51,3 16,0 32,0 soz. Vater soz. Mutter biol. Vater biol. Mutter 0 0 4,0 0,0 16
Täter-Opfer-Beziehung, 6-13 J (n=166) 100 0,0 1,3 0,0 Angaben in prozent 90 80 70 60 50 40 30 20 10 28,6 14,3 14,3 14,3 28,6 42,9 57,1 25,0 0,0 46,3 75,0 51,3 48,0 16,0 0,0 32,0 100,0 Andere soz. Vater soz. Mutter biol. Vater biol. Mutter 0 4,0 0,0 17
Täter-Opfer-Beziehung, 6-13 J (n=166) 100,0 90,0 14,3 25,0 1,3 12 0,0 Angaben in Prozent 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 14,3 28,0 8,0 50 10,0 völlig unbekan nt flüchtig bekannt bekannt 20,0 35,0 10,0 verwandt 0,0 5,0 18
Entstehungszusammenhänge und Taten 19
Misshandlungen < 6 Jahre (n=137) 6-13 Jahre (n=8) Tatauslöser Längerfristige Misshandlungen? Tötungsart Kontakt zum Jugendamt? v.a. Überforderungssituationen Bei 29 % der Opfer 26% Schütteln 45 % Misshandlungen/ stumpfe Gewalt Bei 25 % derfälle, unterschiedliche Intensität Erziehung,Überforderung, Alkohol, Jugendgewalt 3 von 8 Fällen 3x Ertränken, je 2x stumpfe Gewalt/Misshandlung, 1x Erdrosseln 6 von 8 Fällen (SPFH, Vollzeitpflege, Sonstiges)
Vernachlässigungen < 6 Jahre (n=20) 6-13 Jahre (n=6) Tatauslöser Längerfristige Vernachlässigungen? Tötungsart Kontakt zum Jugendamt? - Medizinische Vernachl. - Nichtversorgung (Nahrung) ja Mangelnde Versorgung mit Flüssigkeit, Nahrung, Medikament In 10 Fällen(Gespräche, Hausbesuche, SPFH) OftÜberforderung mit Erkrankung des Kindes (medizinische Vernachl.) ja Oft medizinische Vernachl. In 2 Fällen (SPFH + Heimerziehung) 21
Erweiterte Suizide Tatauslöser Längerfristige Misshandlungen? Tötungsart < 6 Jahre (n=68) 6-13 Jahre (n=99) Überwiegend: Trennungskonflikt, z.t. psychische Erkrankung Nein 29 % Erstechen 19% Erdrosseln Je 12 % Ersticken/v. Brücke springen o.ä. 10 % Ertränken Trennungskonflikt (53 %) Psych. Störung (44 %) Nein 14 % Erstechen 20 % Erdrosseln 18% Ersticken 11 % Ertränken 10 % Erschießen Kontakt zum Jugendamt? In einem Fall Bei 15 Opferfamilien (SPFH, Erziehungsberatung, HE) Tatankündigung 45 % 41 % 22
Zusammenfassung Höchstes Risiko am Lebensanfang Gefährdungsformen verändern sich nach Alter Geschlechterverteilung Opfer insgesamt ausgeglichen, unterschiedlich nach Fallgruppen TäterInnen: bei < 6 Jahren: fast ausschließlich Eltern bei 6-13 Jahren: auch FremdtäterInnen Fallgruppen variieren in Tatauslösern und Tatablauf Verschiedene Hinweise auf evtl. Interventionsmöglichkeiten. Taten in ihrem Gefährdungspotenzial aber schwer zu erkennen. 23
Quelle: Zähringer, U. (2015). Rechtliche und strukturelle Rahmenbedingungen der Jugendhilfe im Kontext innerfamiliärer Tötungsdelikte an Kindern, S. 209 24
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: monika.haug@kfn.de Forschungsbericht zu Tötungsdelikten an 6-13jährigen Kindern veröffentlicht unter: http://kfn.de/wp-content/uploads/forschungsberichte/fb_134.pdf 25