Funktionelle Insulin-Therapie ( F I T )



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Transkript:

Medizinische Universitäts-Kinderklinik Prof. Dr. med. Primus E. Mullis Abteilungsleiter Pädiatrische Endokrinologie / Diabetologie & Stoffwechsel CH 3010 Bern Funktionelle Insulin-Therapie ( F I T ) 1. Einleitung Ziel der Insulinbehandlung beim Typ I Diabetiker ist eine Blutzuckereinstellung annähernd im Normalbereich, um so die Leistungsfähigkeit im Alltag zu verbessern und den diabetischen Spätkomplikationen möglichst vorzubeugen. Mittels FIT bezwecken wir, das fehlende Insulin möglichst physiologisch (= körpergerecht) und bedarfsgerecht einzusetzen (Fig. 1). Dazu ist ein gutes Verständnis über die Krankheitsmechanismen des Diabetes mellitus, aber auch über die genaue Wirkungsweise der verschiedenen Insulinarten, der Zusammensetzung der Ernährung (Diät) und des Einflusses von körperlicher Aktivität nötig. Daneben spielen noch viele weitere individuelle Faktoren wie Psyche, Krankheit, Stress, Alkohol, Menstruationszyklus etc. eine Rolle. Jedes Therapieschema hat seine Vor- und Nachteile, die Güte der Blutzuckereinstellung hängt weniger vom Therapie-Schema als davon ab, wie gut es durchgeführt wird. 2/3-Spritzen-Schema Vorteile nur 2-3 Injektionen pro Tag Theoretisch einfacher, weniger rechnen Weniger BZ-Kontrollen Nachteile Fixierte Essenszeiten und Essensmengen Kein Ausschlafen möglich Korrekturinsulin schwierig FIT Vorteile Flexibler Tagesablauf (z.b. Berufslehre) Flexible Essensmengen und Essenszeiten Ausschlafen möglich Nachteile Häufiges Spritzen (zu jedem Essen!) Mehr BZ-Kontrollen Eventuell Gewichtszunahme 1

Der ideale Zeitpunkt für die Umstellung auf FIT liegt im Adoleszentenalter, einem Zeitpunkt, wo der jugendliche Diabetiker die Verantwortung für seinen Diabetes selber übernimmt und mehr Flexibilität wünscht. Häufig ist dies auch der Zeitpunkt, wo die Diabeteseinstellung mittels Zwei- oder Dreispritzenschema dem Tagesablauf eines jugendlichen Diabetikers nicht mehr gerecht wird. Voraussetzung für die Umstellung auf FIT ist die Bereitschaft für: - eine konsequente und häufigere BZ-Kontrolle (5-8x pro Tag), - mindestens 4 Insulinapplikationen pro Tag - ein genaues, schnelles und vorausschauendes Anpassen der Insulinmengen Bin ich dazu bereit? 2. Grundlagen der FIT Unser Körper benötigt für sein reibungsloses Funktionieren (auch ohne Mahlzeiten) ständig eine gewisse Menge Insulin, den sogenannten Grund- oder Basisbedarf. Dieser Basisbedarf beträgt ca. 35-50% der gesamten Insulinmenge pro Tag. Daneben wird im Körper des Nicht-Diabetikers bei jeder Mahlzeit das zusätzlich benötigte Insulin (50-65% der gesamten Insulinmenge pro Tag) automatisch aus der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) ausgeschüttet. Nach deren Aufspaltung im Verdauungstrakt und Weitertransport im Blut werden so die zugeführten Zuckerarten (Kohlenhydrate) in Form von Glukose in die Zelle aufgenommen, und der Blutzucker (BZ) bleibt innerhalb eines eng regulierten Bereiches stabil. Mittels FIT sollen diese physiologischen Insulinspiegel im Tagesverlauf möglichst nachgeahmt werden. Die Werkzeuge, die uns dazu zur Verfügung stehen sind: Basisinsulin (Depotinsulin) Essensinsulin (schnellwirkendes Insulin) Korrekturinsulin 35-50 % der Tagesmenge 50-65 % der Tagesmenge individuelle Anpassung Mittels schnellwirkendem Insulin kann eine schnelle Korrektur des punktuell erhöhten Blutzuckers erreicht werden. FIT-Schema z.b. mit Lantu (blau) und Novorapid (orange) 2

3. Kennzeichen der Insulinarten und ihrer Wirkungsweisen 3.1. Insulinarten Grundsätzlich wird unterschieden zwischen: - Langwirkende Insulin-Analoga: z.b. Lantus, Levemir mit einem flachen, gut vorhersagbarem, bis zu 24 Stunden anhaltenden Profil. Langwirkende Insulin-Analoga werden bevorzugt abends injiziert, können in speziellen Situationen aber auch morgens gespritzt werden. - Verzögerungsinsuline, Depotinsuline: z.b. Insulatard (Novo Nordisk), Huminsulin Basal (Lilly), milchige Lösungen, auch NPH-Insulin (Neutral-Protamin-Hagedorn) resp. Zinkinsulin genannt, mit einem dynamischen Wirkprofil: Wirkungseintritt nach ca. 90 Minuten, Wirkungsmaximum nach 4 8 Stunden, Wirkungsdauer bis zu 14 und mehr Stunden je nach Dosis. NPH-Insuline werden zweimal täglich morgens zwischen 7 und 8 Uhr und abends vor Bettruhe zwischen 21 und 23 Uhr gespritzt. Sie sollen nicht mit Insulin-Analoga in einer Spritze gemischt werden. http://www.pharma-aventis.de/mc/diabetologie/lantus/index.php?id=5 - Schnellwirkende Insuline: z.b. Actrapid (Novo Nordisk), Huminsulin Normal (Lilly) auch Normal- oder Regularinsulin genannt. Sie sollen nicht mit Insulin-Analoga in einer Spritze gemischt werden. - Ultraschnellwirkende Insulin-Analoga: z.b. Novorapid (Novo Nordisk), Humalog (Lilly) Synthetische Humaninsulin-Analoga sind künstlich hergestellte Insulin- Imitationen, die so wirken wie wenn es Insulin wäre (also analog zu Insulin), obwohl die chemische Struktur nicht mehr genau gleich ist, wie beim Insulin. Wenn diese subkutan gespritzt werden, erfolgt eine unmittelbare Aufnahme ins Blut und damit eine sehr rasche Wirkung analog wie Insulin am Insulinrezeptor. Das Wirkungsprofil von Ultraschnellwirkenden Insulin-Analoga unterscheidet sich von Normalinsulinen wie folgt: - Der Wirkungseintritt erfolgt schon nach ca. 10 Minuten, nicht erst nach 30 Minuten. - Die maximale Wirkung ist grösser (ca. 2x), früher (Spitzenwirkung nach 30-60 gegenüber 60 120 Minuten) und kürzer (Wirkdauer maximal 3 Std. gegenüber 4-6 Stunden). - Die Gesamtwirkung (Fläche unter der Kurve) ist jedoch identisch wie beim Actrapid. D.h. es braucht nicht mehr oder weniger schnellwirkendes Insulin. - - - Die maximale Wirksamkeit ist bei Ultraschnellwirkenden Insulin-Analoga ist nicht dosisabhängig wie bei Normalinsulinen. 3

3.2 Insulinwirkungsweisen Die Geschwindigkeit, mit der die Insulinwirkung nach dem Spritzen eintritt, ist abhängig von: - Ort der Insulinapplikation (z.b. je besser die Durchblutung und/oder je dünner die Fettschicht am Injektionsort, desto schneller die Insulinwirkung) - Insulinmenge (kleine Insulinmengen werden schneller resorbiert, und ihre Wirkung hält weniger lang an als bei grösseren Mengen!; Ausnahme: Wirkungseintritt und -dauer bei Ultraschnellwirkenden Insulin-Analoga nicht von Menge abhängig!) - weitere Einflussfaktoren vgl. Tabelle: Faktoren, die die Insulinresorption beeinflussen Resorption schneller langsamer subkutane Fettschicht dünn dick Temperatur warm kalt Bewegung + - Massage (lokal) + - Körperlage liegen stehen 3.3 Charakteristika und Wirkungsprofil der für FIT verwendeten Insuline - Basalinsulin: Lantus (Aventis) oder Levemir (Novo Nordisk) Annähernd flaches Wirkungsprofil über 24 Stunden. Wenn die Injektion immer zur gleichen Tageszeit (Abweichung maximal 1 Stunde) geschieht, fällt die Wirkung nie ab! Es besteht also weder ein Wirkungseintritt, noch eine Wirkungsmaximum. - Essens-/Korrekturinsulin: Novorapid (Novo Nordisk), Humalog (Lilly) Wirkungseintritt: 15-30 Min. Wirkungsmaximum: 30-120 Min. Wirkungsdauer: 2 (-3) Std. Besonderes: Wirkungsdauer nicht dosisabhängig! Schnellerer Wirkungseintritt (Cave: Hypo!), deshalb Spritz-Essabstand wie z.b. bei Actrapid nicht mehr notwendig, vielmehr gilt folgende Faustregel: BZ > 12 mmol/l Essensinsulin spritzen, 15 Min warten, dann essen BZ > 8 mmol/l Essensinsulin zuerst spritzen, dann essen (kein Warten!) BZ 4-8 mmol/l meist spritzen und sofort essen, eventuell nach individueller Erfahrung! BZ < 4 mmol/l zuerst essen, 15 Minuten nach Essensbeginn Spritzen (nicht vergessen!) 4

4. Diät unter FIT Auch unter FIT ist das Einhalten einer abgewogenen Diabetesdiät resp. einer bestimmten Kalorienmenge für eine gute Langzeiteinstellung wichtig. FIT erlaubt aber, die Essenszeiten und Essensmengen flexibler zu gestalten. Der individuelle Diätplan muss während der FIT-Umstellung mit der Ernährungsberatung neu festgelegt werden. Grundsätzlich fallen die Zwischenmahlzeiten weg, nur wenn abends ein NPH-Insulin gespritzt wird, darf der Spätimbiss ohne Essensinsulin eingenommen werden. Zu jeder Zwischenmahlzeiten muss die entsprechende Menge Essensinsulin gespritzt werden. Einzig Sportwerte können ohne Essensinsulin gegessen werden. Häufig werden diese aber zu grosszügig eingenommen. Der Bedarf an Essensinsulin richtet sich bei einer ausgewogenen Mahlzeit vor allem nach den kohlenhydrathaltigen (KH) Werten. Dabei gilt weiterhin: 10 g KH entsprechen einem Wert. Folgende Werte werden als KH-Werte mitgezählt: Brotwerte (BW), Milchwerte (MW), Obstwerte (OW) und seltener kohlenhydratreiche Gemüsewerte. Grundsätzlich sollte der erfahrene Diabetiker unter FIT seinen Bedarf an Essensinsulin pro KH-Wert (d.h. pro 10 g Kohlenhydrate) zu den verschiedenen Mahlzeiten am Tag kennen und auch regelmässig überprüfen. (vgl. Berechnungsbeispiele) Ein Vorteil unter FIT ist sicher die flexiblere Gestaltung des Menueplans (z.b. ungeplante Spaghetti-Party unter Injektion von zusätzlichem Essensinsulin!). Bei zusätzlichen KH- und Fettwerten drohen jedoch eine ungewollte Gewichtszunahme und eine Erhöhung der Blutfettwerte. 5. Körperliche Aktivität Eine regelmässige sportliche Aktivität ist für eine gute Glukoseverwertung und damit optimale Diabeteseinstellung wichtig. Die Anpassung des Insulins vor und nach dem Sport ist auch unter FIT entsprechend den individuellen Erfahrungen notwendig (zusätzliche KH-Werte und/oder Reduktion der Insulinmenge). Siehe Merkblatt Diabetes und Sport! 6. Berechnung der Insulinmengen unter FIT Grundlage der Berechnung der Insulinmenge unter FIT bilden der vorbestehende Insulinbedarf (ca. 0.8-1.2 E/kg KG/Tag) und die KH-Werte aus dem neu gestalteten Diätplan. 5

6.1 Basalinsulin Menge: 35-50% des Tagesbedarfes. Bei NPH-Insulin aufgeteilt in 2 Dosen, morgens unmittelbar nach dem Aufstehen (ca. 7-8 Uhr) und abends vor Bettruhe (ca. 21-23 Uhr). Bei langwirkenden Insulin-Analoga eine Dosis bevorzugt am Abend. Das Basalinsulin soll immer zur gleichen Tageszeit (d.h. +/- 30 Minuten gespritzt werden!). Um den Insulin-Grundbedarf festzustellen, führen wir während der FIT-Umstellung im Spital einen sogenannten Fastentag durch. D.h. der Diabetiker darf ausnahmsweise einen ganzen Tag lang nichts essen, spritzt jedoch am Morgen und/oder am Abend wie üblich sein Verzögerungsinsulin (Depot- oder Basalinsulin). Steigen die Blutzuckerwerte am Fastentag über 15 mmol/l an, so wird schnell wirkendes Insulin nachgespritzt. Die so erhaltene Gesamtinsulinmenge an diesem Tag entspricht dem Basalbedarf. Praktische Probleme: Da der basale Insulinbedarf von der körperlichen Aktivität abhängt und sich der Diabetiker am Fastentag häufig nur wenig bewegt, muss die Basalinsulinmenge im Verlauf häufig noch weiter angepasst werden. Dies kann nur zuverlässig geschehen, wenn der Blutzuckerverlauf während einer Nüchternphase, wo weder Essensinsulin noch Korrekturinsulin wirken verfolgt wird. In der Regel ist dies in der Nacht zwischen 3 und 7 Uhr der Fall; tagsüber müssen dafür Mahlzeiten gezielt übersprungen werden. Nachts besteht eine relative Insulinresistenz, der Insulinbedarf steigt nach 3-4 Uhr drastisch an (Dawn-Phänomen = Phänomen der Morgenröte). Die üblichen NPH-Verzögerungsinsuline haben ihre Hauptwirkung zu Beginn des Wirkmaximums, d.h. knapp vor dem Mittagessen resp. in der ersten Nachthälfte. Somit besteht die Gefahr einer nächtlichen Hypoglykämie, wenn das Basalinsulin vor Bettruhe erhöht wird, mit dem Ziel, den Morgen-BZ zu senken. 6.2 Essensinsulin 50-65% des Tagesbedarfs (= Tagesbedarf minus Basalinsulin) aufgeteilt in 3 und mehr Injektionen, entsprechend dem Kohlenhydratgehalt der 3 Hauptmahlzeiten und eventueller Zwischenmahlzeiten. Allgemein besteht am Morgen eine relative Insulinresistenz, weshalb der Körper am Morgen mehr Insulin pro 10 g KH benötigt. Wie kontrolliere ich, ob die Essensinsulindosis stimmt? Wenn die KH-Werte richtig abgewogen wurden und die Essensinsulindosis korrekt gespritzt wurde, muss der BZ 2.5 Stunden nach der Essensinsulininjektion < 10 mmol/l und gegenüber dem BZ vor dem Essen um nicht mehr als 3-4 mmol/l angestiegen sein. Beispiel: Der Jugendliche benötigte 44 E Insulin/Tag. 6

Basisinsulin: Essensinsulin: 35-50% = 20 E = 2 x 10 E NPH-Insulin oder 16 E eines Lantus oder Levemir abends. Wegen des flacheren Profiles der Insulin-Analoga müssen diese etwas tiefer dosiert werden. 50-65% = 24 E Kohlenhydrate: 160 g/tag gemäss Ernährungsplan, also 16 KH- Werte 24 E : 16 KH-Werte = 1.5 E / KH-Wert (durchschnittlich) Nun kann entsprechend verteilt werden. Da der Körper wie erwähnt morgens eine gewisse Insulinresistenz hat, muss in diesem Beispiel zum Frühstück mehr (z.b. 2.0 E / KH-Wert) und ab dem Mittag weniger (z.b. 1.25 E / KH-Wert) als oben berechneten 1.5 E / KH-Wert Essensinsulin gespritzt werden. Frühstück: Mittagessen: Abendessen: 50 g Kohlenhydrate ( = 5 KH-Werte) 10 E (5 x 2.0 E = 10 E) 50 g Kohlenhydrate ( = 5 KH-Werte) 6 oder 6.5 E (5 x 1.25 E = 6.25 E, gerundet 6 oder 6.5 E) 60 g Kohlenhydrate ( = 6 KH-Werte) 7.5 E (6 x 1.25 E = 7.5 E) 6.3 Korrekturinsulin Zwischenmahlzeiten müssen zusätzlich mit Essensinsulin abgedeckt werden: Znüni / Brunch: Bezogen auf obiges Beispiel 1.5 1.75 E / KH- Wert Zvieri : Bezogen auf obiges Beispiel 1.0 E / KH-Wert nach Abendessen: Bezogen auf obiges Beispiel 0.5 1.0 E / KH- Wert. Die häufigeren Injektionszeitpunkte und die konsequenten BZ-Kontrollen vor und nach dem Essen erlauben es, schneller auf zu hohe BZ-Werte zu reagieren und entsprechend mit schnellwirkendem Insulin resp. mit Novorapid oder Humalog zu korrigieren. Das Korrekturinsulin dient also der raschen Blutzuckersenkung aus dem überhöhten Bereich in den Zielbereich von 3.5-6 mmol/l vor dem Essen. Im Durchschnitt wurde ermittelt, dass 1 E raschwirkendes Insulin den BZ bei einem totalen Tagesinsulinbedarf von ca. 50 Einheiten um 2 mmol/l senken kann (gilt für den Bereich von 8-12 mmol/l). Grosse individuelle Unterschiede sind bekannt. Mittels des individuellen Korrekturfaktors wird die notwendige Korrekturinsulinmenge berechnet. 7

(Referenz?!) Berechnung: Bei Korrekturen wird auf einen BZ von 8 mmol/l gezielt. Ein BZ von 15 mmol/l vor dem Essen liegt also um 7mmol/l zu hoch; bei einem Korrekturfaktor von 2 mmol/l / E müssen entsprechend 3.5 E rasch wirkendes Korrektur-Insulin gespritzt werden. Die Formel lautet also: (BZ [mmol/l] 8 mmol/l) / Korrekturfaktor [mmol/l/e] Wegen des schnelleren Wirkungseintritts von Novorapid und Humalog soll die Korrekturinsulinmenge in der Regel abgerundet werden. Achtung: Die volle Wirkung des rasch wirkenden Insulins kann erst 2.5 bis 3 Stunden nach dem Spritzen beurteilt werden. So sollte kein Korrekturinsulin gespritzt werden, wenn die letzte Injektion nicht länger als 2.5 Stunden zurückliegt (Für Actrapid gilt: Nachspritzen frühestens nach 3-4 Stunden). Bei Korrekturen später als 18:00 Uhr (bis ca. Alter von 10 Jahren) beziehungsweise 2100 Uhr (bei Jugendlichen) sollte nur die Hälfte der üblichen Korrektur-Dosis verabreicht werden. Bei einem BZ > 12mmol/l vor Bettruhe sollte also 50% der üblichen Korrekturmenge gegeben werden, damit der Blutzucker nicht nachts während mehrerer Stunden zu hoch ist. Nachts wird in der Regel nicht nachgespritzt. Sollte die Wirkung beschleunigt werden, ist die Injektion in den Bauch oder intramuskulär vorzunehmen. Merke: Für Novorapid und Humalog sollten die Essensinsulin- und Korrekturinsulinmengen bei der Berechnung eher abgerundet werden, bis dem Diabetiker die individuelle Reaktionsweise bekannt ist. Diese kann auch je nach Tageszeit unterschiedlich ausfallen. Beim Frühstück soll die Korrekturinsulinmenge eher aufgerundet werden, da der Körper am Morgen deutlich mehr Insulin benötigt. 8

6.4 Beispiele a. Bei einem BZ > 10 mmol/l wird nachgespritzt. Bei einem BZ von 14 mmol/l müssen bei einem Korrekturfaktor von 2 mmol/l/e 3 Einheiten schnellwirkendes Insulin nachgespritzt werden (Rechne: BZ 14-8 = 6 mmol/l zu hoch, 6:2 = 3 E zu spritzen) b. Vor dem Essen werden Essensinsulin und ev. notwendiges Korrekturinsulin zusammen addiert und als schnellwirkendes Insulin gespritzt. Ein Diabetiker berechnet z.b. jeweils 2 E/KH-Wert beim Frühstück, er möchte 2 BW und einen OW essen, der morgendliche BZ liegt bei 16mmol/L. Er muss total 10 E schnellwirkendes Insulin vor dem Frühstück spritzen und vor dem Essen ca. 15 Minuten warten. Rechne: Essensinsulin 3 x 2 E = 6 E Korrekturinsulin BZ 16-8 = 8 mmol/l zu hoch, 8 : 2 = 4 E, (total: 6 + 4 = 10 E) 6.5 Korrekturhohlenhydrate Treten Hypoglykämien auf, so werden sie mit den schnellwirkenden Korrekturkohlehydraten (Traubenzucker, Orangensaft) korrigiert (keine Brotwerte!). Auffällig ist, dass Hypoglykämien häufig übertherapiert werden. Daher ist der individuelle Bedarf genau zu berechnen. Mit folgendem Schema sollte begonnen werden. BZ 2.5 4 mmol/l 5-10 g Traubenzucker resp. 1 dl Orangensaft < 2.5 mmol/l 10-20 g Traubenzucker resp. 2 dl Orangensaft ACHTUNG: Erneute Blutzuckerbestimmungen 1/2-1 Stunde nach Einnahme der Korrektur-KH (ausser wenn Hypoglykämie unmittelbar vor Mahlzeit) Bei einem knappen BZ unmittelbar vor einer Mahlzeit (z.b. BZ 3.6mmol/l) und gutem Befinden (das heisst keine Hypoglykämie-Symptome) sollen keine Korrekturkohlenhydrate eingenommen werden, stattdessen sofort mit den schnellwirkenden Kohlenhydraten die Mahlzeit beginnen und erst 15 Minuten nach Essensbeginn spritzen nicht vergessen! 6.6. Urinkontrollen Auf die Urinkontrollen sollte nicht verzichtet werden. Sie können auf Hyoglykämien hinweisen. Die Ketone (Aceton) im Urin sind positiv (violett) wenn ich einen Insulinmangel habe (Ketoazidose!), wenn ich eine länger andauernde Hypoglykämie hatte oder wenn ich meinem Körper zu wenig Energie zuführe (Fasten, Krankheit). 9

Wann: - Erster Morgenurin, um Verlauf während der Nacht beurteilen zu können (nächtliche Hypos?) - wenn Blutzucker > 17 mmol/l (Frage: Ketonurie, Entgleisung?) 7. Wie läuft es praktisch 7.1 Blutzuckerbestimmungen 7-8 Blutzuckerbestimmungen sind zu Beginn notwendig! Wann: - nüchtern - 2.5 Stunden nach dem Frühstück - vor Mittagessen - 2.5 Stunden nach dem Mittagessen - vor dem Abendessen - 2.5 Stunden nach dem Abendessen, (eventuell identisch mit Bettruhe) - vor Bettruhe - nachts um 03 00 Uhr Später kann auf 4-5 Blutzuckerbestimmungen / Tag gewechselt werden. Ziel: - vor Essen 3.5-6 mmol/l - 2.5 Stunden nach Essen < 10 mmol/l und nicht um mehr als 3-4 mmol/l angestiegen - vor dem Schlafen 5-8 mmol/l Die magischen 3 Ziffern 8 mmol/l Bei Korrektur immer auf einen BZ von 8mmol/l zielen. Dein Korrekturfaktor ist......mmol/l/e Um die richtige Korrekturinsulinmenge zu berechnen rechnest du also: (BZ [mmol/l] 8 mmol/l) / Korrekturfaktor [mmol/l/e] Ausnahme: Am Abend spät und nachts! 10 mmol/l 2.5 Stunden nach Injektion des Essensinsulins sollte der BZ unter 10 mmol/l sein. Falls dein BZ 2.5 h nach der Injektion des Essensinsulines > 12 mmol/l, muss Korrekturinsulin gespritzt werden. 12 mmol/l Ab einem BZ von 12 mmol/l oder höher lohnt es sich immer eine Korrektur vorzunehmen. Dies gilt für jede Tageszeit, ausser vor Bettruhe/nachts. 10

Meine Essensinsulinmengen: Frühstück:... E / KH-Wert Znüni oder Brunch:... E / KH-Wert Mittagessen:... E / KH-Wert Zvieri :... E / KH-Wert Abendessen:... E / KH-Wert Nach Abendessen:... E / KH-Wert Mein Basisinsulin: Ich spritze um... Uhr... E... und um... Uhr....E... Fussnote: In diesem Skript wird die männliche Form zur besseren Lesbarkeit verwendet, die weibliche Form ist in jedem Fall aber mitgemeint. 2004/ Dr.Vuissoz / Dr. Meinhardt / Dr. Flück / Prof. Mullis Mkb. FIT 11

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