Akkordlehre ganz konkret Band 1 INFO-Datei 3

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Übung zu Vorlesung 1: Tonbenennung und Notenschrift 1. Übertragen Sie folgendes Beispiel in moderne Chornotation. 2. Bestimmen Sie die Töne.

Transkript:

INFO-Datei 3 Seite 1 Akkordlehre ganz konkret Band 1 INFO-Datei 3 Der lange Weg zu unserem modernen Tonsystem Inhalt: 1. Die moderne Stimmung der Tasteninstrumente... Seite 1 2. Reine Stimmung nach der Folge der Teiltöne (Obertöne)... Seite 2 3. Das Tonsystem des Pythagoras... Seite 4 4. Mitteltönige Stimmung... Seite 5 5. Das Wohltemperierte Klavier... Seite 5 6. Gleichschwebende oder gleichstufige Stimmung... Seite 7 Die moderne Stimmung der Tasteninstrumente In der modernen, gleichstufigen Stimmung ist die Oktave (Schwingungsverhältnis 1:2) in zwölf absolut gleiche Schritte unterteilt. Der Faktor, mit dem man die Frequenz eines Tones multipliziert, um die Frequenz des Nachbartones zu erhalten, ist Um Verstimmungen genau messen zu können, unterteilt man den Halbtonschritt in 100 Schritte, cent genannt.

INFO-Datei 3 Seite 2 Ein Ton, der um 20 cent zu hoch oder zu tief gestimmt ist, klingt schon deutlich falsch. Auf Stimmgeräten kannst du ablesen, um wie viel ein Ton von der gewünschten Stimmung abweicht. Stellt man alle Töne der Oktave in ihrem Verhältnis zum tiefsten Ton in cent dar, ergibt sich folgendes Bild: Ich kann also sagen: Ein Ganztonschritt misst 200 cent, oder: Eine Oktave misst 1200 cent. Diese Darstellung macht es uns besonders leicht, abweichende Stimmungen miteinander zu vergleichen (vgl. die folgenden Abschnitte). Diese gleichstufige Stimmung wird heute fast ausschließlich gebraucht. Sie ist aber nicht naturgegeben. Sie bildet keineswegs die idealen Schwingungsverhältnisse der Intervalle ab (siehe zum Vergleich den folgenden Abschnitt über die reine Stimmung), sondern sie ist nichts als ein sehr praktischer Kompromiss und der Endpunkt einer langen historischen Entwicklung. Erst nach 1750 setzte sie sich gegen andere Varianten der Stimmung durch. Bevor wir ihre historischen Vorläufer kennen lernen beginnend mit Pythagoras, will ich aber zum Vergleich zeigen, in welchen Zahlenverhältnissen sich die natürlichen Verwandtschaften der Intervalle zeigen, wie man sie in der sogenannten Teiltonreihe findet. 2. Reine Stimmung nach der Folge der Teiltöne (Obertöne) Die moderne Physik konnte experimentell die Klangverwandtschaften belegen, die von den Musikwissenschaftlern der vorangegangenen Jahrhunderte nur mathematisch abgeleitet werden konnten. Der Physiker Hermann v. Helmholtz hat um 1850 die Teiltöne eines Klanges experimentell nachgewiesen. Teiltöne (oder Obertöne) sind die Töne, deren Frequenz das Zweifache, Dreifache, 4fache... des Grundtones betragen. Durch Vergleich dieser Teiltöne können wir die Zahlenverhältnisse der wichtigsten Intervalle leicht ablesen:

INFO-Datei 3 Seite 3 Nehmen wir als Beispiel die große Terz: Wir finden sie im Verhältnis von c (8. Teilton) zu e (10. Teilton). große Terz = c (8fache Grundfrequenz) zu e (10fache Grundfrequenz) = 8 :10 = (gekürzt) 4 :5 Entsprechend lassen sich die meisten grundlegenden Intervalle finden und abmessen: kleine Terz = e zu g = 10 :12 = (gekürzt) 5 :6 große Sexte = g zu e = 6 : 10 = 3 :5 usw. Aus vielen Gründen ist es aber leider nicht möglich, aus diesen reinen Klangverwandtschaften ein funktionierendes Tonsystem zu konstruieren. Ein ganz nahe liegendes Beispiel: Es gibt in dieser Tonkette zwei verschiedene Ganztonschritte! Nämlich: Ganztonschritt c zu d = 8 :9 Ganztonschritt d zu e = 9 :10 Wie die heutige Stimmung von diesen reinen Intervallen abweicht, kannst du aus der folgenden Darstellung absehen: Wollte man in so einer reinen Stimmung mit allen chromatischen Zwischenstufen und in allen Tonarten spielen, bräuchte man statt einer normalen Tonkette ein dicht verzweigtes Tonnetz mit vielen feinmaschigen, mikrotonalen Ton-Nuancen. Schon 1774 rechnete der Mathematiker Leonhard Euler aus: Etwa 50 verschiedene Tonstufen pro Oktave wären nötig, um das annähernd zu realisieren. Aber fangen wir noch einmal ganz vorne in der Geschichte an. Die Forscher des Altertums konnten noch nicht mit feinen Messmethoden arbeiten. Die ersten Tonberechnungen gehen auf den griechischen Mathematiker und Philosophen Pythagoras zurück.

INFO-Datei 3 Seite 4 3. Das Tonsystem des Pythagoras Der große Mathematiker und Philosoph Pythagoras versuchte zu beweisen, wie sich die Harmonie des Weltgebäudes im Ebenmaß der Zahlenverhältnisse widerspiegelt, - egal ob es sich um Planeten handelte, um rechtwinklige Dreiecke oder um die Töne der Musik. Er experimentierte mit dem Monochord (von griech. mono = eins, chorda = Saite), d.h. einem Instrument mit einer einzigen Saite, deren Länge er systematisch verkürzte (halbe Saitenlänge = eine Oktave höher = doppelte Frequenz). Er ermittelte dabei: Schwingungsverhältnis der Oktave: 1 : 2 Schwingungsverhältnis der Quinte: 2 : 3 Schwingungsverhältnis der Quarte: 3 : 4 Weitere Schwingungsverhältnisse wies Pythagoras nicht nach. (Wahrscheinlich wäre es mit dem Monochord noch gar nicht möglich gewesen, exakt die Lage der Teiltöne 8, 9, 10... nachzuweisen.) Die übrigen Töne ermittelte er stattdessen durch Verkettung von Quint- bzw. Quartschritten: Durch seine Berechnungen schuf er ein gleichmäßig konstruiertes Tonsystem: Jeder Ganztonschritt hat dabei das Frequenzverhältnis 8 : 9, jeder Halbtonschritt das Verhältnis 243 : 256. Bereits hundert Jahre nach Pythagoras hatten einige seiner Schüler abweichende Berechnungsmodelle entwickelt, die in Europa zur Zeit der Frührenaissance wiederentdeckt wurden. Das ganze Früh- und Hochmittelalter hindurch jedoch galten in Europa die Berechnungen des Pythagoras als unbestrittenes Gesetz. Fehlerfaktor 1: Syntonisches Komma reine Quinten kontra Terzen Pythagoras Tonsystem hat jedoch einen großen Nachteil: Nach Lehre des Pythagoras gilt die Terz nicht als Konsonanz. So sah es denn auch die Musiklehre das ganze Mittelalter hindurch. Nur Oktave, Quarte, und Quinte durften konsonant genannt werden. Es war aber nicht nur eine Frage der Bezeichnung. Tatsächlich hatten die Terzen in der pythagoräischen Stimmung einen scharfen, hässlichen Klang. Wenn man nachrechnet, stellt man fest, dass sie auch deutlich vom natürlichen

INFO-Datei 3 Seite 5 Schwingungsverhältnis (4 : 5 für die große Terz) abweichen. Die Terz, die man erhält, wenn man (etwa von c ) vier Quinten abmisst (zum e ) und von dort aus zwei Oktaven abwärts rechnet (zum e ), hat keineswegs das Zahlenverhältnis 4 : 5. Man kommt vielmehr auf das Verhältnis 64 : 81, und der Vergleich zeigt: rein klingende Terz: 4 : 5, erweitert 64 : 80 pythagoräische Terz: 64 : 81 Abweichung (syntonisches Komma) 80 : 81 Den Unterschied zwischen der reinen Terz und der pythagoräischen Terz nennt man syntonisches Komma (80:81, das entspricht etwa 14 cent). Das ganze europäische Früh- und Hochmittelalter hindurch war es kein Problem, der Stimmung des Pythagoras zu folgen: Die Musik benutzte keine Terzen. Erst gegen Ende des Mittelalters drängten die Musiker immer mehr dazu, Dreiklänge zu benutzen, also die Zusammenklänge Grundton Terz (groß oder klein) Quinte. Jetzt konnte man sich nicht mehr damit abfinden, dass große und kleineterz Dissonanzen sein sollen; und eine Neubewertung und Neuberechnung der Intervalle wurde gesucht. Gefragt war eine Stimmung, die einen Kompromiss fand zwischen reinen Terzen einerseits und gut klingenden Quinten andererseits. 4. Mitteltönige Stimmung Das Bedürfnis nach gut klingenden Terzen zwang zu einem Kompromiss. Nun wussten die Instrumentenbauer bereits: Wenn ich ein Intervall ein kleines bisschen verstimme, nimmt es der Hörer immer noch als sauber wahr. Daher ist es möglich, systematisch alle Töne so zu verstimmen, dass jede der Quinten c g, g d, d a, a e eine Idee zu klein ist: Damit hat man den Fehlerfaktor des syntonischen Kommas auf die vier Quinten verteilt (dabei wird jede nur um etwa 3,5 cent verstimmt) und erhält eine Terz c e mit sauberem Schwingungsverhältnis. Von diesem Gedanken ausgehend, verstimmte man daher in der mitteltönigen Stimmung die meisten Quinten so, dass die wichtigsten Terzen rein klingend benutzt werden konnten. Übrig blieb eine einzige Quinte, die als so genannte Wolfsquinte eine Dissonanz darstellte. Diese mitteltönige Stimmung, im Jahr 1523 erstmalig erwähnt, war die verbreitete Stimmung in Renaissance und frühem Barock. Dann stieß man aber auch bei dieser Stimmung an die Grenzen. Als das Bedürfnis wuchs, in vielen verschiedenen Tonarten zu spielen, war der nächste Fehlerfaktor im Weg: Das so genannte pythagoräische Komma. Fehlerfaktor 2 Das pythagoräische Komma oder: gis ist nicht gleich as Ihr kennt alle das Bild vom Quintenzirkel, wie er in jedem Lehrbuch steht: Von c geht es lauter Quinten aufwärts, und wie durch ein Wunder landet man zum Schluß wieder bei C. Das stimmt aber ursprünglich gar nicht. Schon einer der Schüler von Pythagoras hat berechnet: Gehe ich von C zwölf Quinten aufwärts, lande ich bei einem Ton, der sich von C deutlich hörbar unterscheidet (in cent ausgedrückt, beträgt der Unterschied etwa 23 cent).

INFO-Datei 3 Seite 6 Unser heutiges Denken im Quintenzirkel geht von der Voraussetzung aus, man könne erniedrigte Töne (=ges) und erhöhte Töne (=fis) gleichsetzen (so genannte enharmonische Verwechslung). Das war aber ursprünglich absolut nicht der Fall! Im Gegenteil seit man in stärkerem Maße mit Kreuzen und Been arbeitete, war bekannt, dass die Oktave nicht zwölf, sondern siebzehn verschiedene Töne enthalten muss, nämlich diese: d& c( e& d( g& f( a& g( b a( c d e f g a h Als erster gab im Jahr 1412 Prosdocimus de Beldemandus in seinem tractatus de contrapuncto diese Ordnung der Töne an; den Unterschied zwischen den jeweils beieinanderliegenden versetzten Tönen nennt er chroma. (das entspricht dem pythagoräischen Komma). Wie behalf man sich in der Praxis? Ganz einfach man durfte nicht zu viele Kreuze oder Been verwenden. Zwei Been konnte man problemlos verwenden (be und es), ebenso zwei Kreuze (fis und cis). Aber bei der verbleibenden schwarzen Taste musste man sich bereits entscheiden: Stimmt man sie als gis, kann man in A-Dur spielen (drei Kreuze), stimmt man sie als as, kann man in Es-Dur spielen (drei Been). Entweder oder: Beides geht nicht (zumindest nicht auf Tasteninstrumenten. Streichinstrumente konnten die Tonhöhe durch verändertes Abgreifen leicht verändern, und auch heute greift jeder Konzertgeiger das fis eine Idee höher als das ges ). Instrumentenbauer versuchten eine Lösung. Aber die Tastatur, bei der die Tasten für es/dis und für gis/as in zwei kurze Tasten geteilt sind, (siehe Foto) setzte sich nicht durch, was ich aus meiner Keyboarder-Praxis nur sehr begrüßen kann. Quelle: wikipedia Gab es denn ein Musiksystem, das es erlaubte, rein klingend in allen Tonarten zu musizieren? Die Mathematiker des 18. Jahrhunderts nahmen sich das Problem vor, allen voran Leonhard Euler. Er schlug 1774 ein Tonsystem vor, das pro Oktave etwa 50 verschiedene Tonstufen hatte: Neben den oben gezeigten 17 Tönen auch noch (ein etwas höheres c, d, e...) sowie c, d, e als etwas tiefere Töne c, d, e...

INFO-Datei 3 Seite 7 5. Das Wohltemperierte Clavier Für die praktischen Musiker was das natürlich keine so prickelnde Lösung. Eine andere Idee bekam daher immer mehr Gewicht: Schon in der mitteltönigen Stimmung wurden ja die Quinten temperiert, d.h. geschickt in ihrer Stimmung verfälscht. Wie wäre es, wenn man noch konsequenter temperiert und den Ferhlerfaktor des chroma, also des pythagoräischen Kommas gleichmäßig auf alle (oder jedenfalls fast alle) Quinten verteilt? Seit etwa 1500 wurden vor allem in Italien solche temperierten Stimmungen erprobt und diskutiert. Der Italiener Joseffo Zarlino gibt bereits 1588 (in seiner Veröffentlichung Sopplimenti musicali) drei Arten an, die Oktave direttamente in 12 parti o semituini eguali e proportionati zu teilen. (Riemann, S. 336) In Deutschland wurden diese wohltemperierten Stimmungen erstmals durch Andreas Werckmeister (1645 1706), Organist in Halberstadt publiziert (Musikalische Temperatur, 1691). Johann Seb. Bach hat diese Stimmung benutzt, um sein Wohltemperiertes Clavier zu schreiben: Eine Sammlung von 24 Präludien und Fugen in jeder der 12 Dur- und 12 Molltonarten jeweils ein Präludium und eine Fuge. Erstmals war es möglich, in jeder der Tonarten zu spielen. In Werckmeisters wohltemperierter Stimmung waren noch nicht alle Tonschritte gleich. Es wurden 11 Quinten temperiert, die zwölfte war als Wolfsquinte misstönig. Noch hatten daher die verschiedenen Tonleitern einen abweichenden Klangcharakter, da die Tonschritte der Intervalle leicht von einander abwichen. Komponisten wie Bach haben diese Klangunterschiede in ihren Kompositionen bewusst benutzt, indem sie etwa die dissonante Wolfsquinte als düsteren Effekt einsetzten. 6. Gleichschwebende oder gleichstufige Stimmung In der gleichschwebenden oder gleichstufigen Stimmung sind solche Unterschiede beseitigt. Alle Halbtonschritte sind hier exakt gleich: 1/12 der Oktave = = 100 cent Schon Zarlino (1588) und Werckmeister (1691) führten diese Stimmung als Sonderfall zwischen anderen Möglichkeiten der Temperatur auf. Längere Zeit gab es gegen diese Stimmung Einwände wegen stimmtechnischer Probleme. Außerdem gab es den Vorbehalt, dass die Einebnung aller Intervallunterschiede den verschiedenen Tonarten ihre charakteristischen Klangeigenschaften raubt. Diesen Einwand erheben die Freunde Alter Musik bis heute. Noch in der Zeit nach 1760 arbeitete der Klavierbauer und Schüler Bachs Johann Philipp Kirnberger daran, andere Arten der Temperierung zu entwickeln. Inzwischen hat sich die gleichstufige Stimmung fast ausnahmslos durchgesetzt. Literatur: Die historischen Grundtatsachen sind in jedem Lehrbuch der Musikgeschichte zu finden. Für die Details der Berechnungen der verschiedenen Musiksysteme habe ich die folgenden Seiten von wikipedia, der freien Enzyklopädie zu Rate gezogen: cent, pythagoräisches Komma, reine Stimmung, Mitteltönige Stimmung (von dort stammt auch das Foto des italienischen Cembalos), Wohltemperierte Stimmung, Pythagoräische Stimmung.