Entwicklung der Pflegevorsorge in Österreich mehr als ein Kostenfaktor Ulrike Famira-Mühlberger Vortrag im Karl-Renner-Institut, 1120 Wien 15. November 2017
Herausforderung demografische Entwicklung 1 15.11.2017
Demografische Herausforderung Entwicklung der Personen im Alter von 85 und mehr Jahren 600.000 500.000 400.000 Personen 300.000 200.000 100.000 0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Q: WIFO auf Basis von Statistik Austria, Bevölkerungsprognose 2016 (Hauptvariante) sowie realisiertem Wert für die Bevölkerung im Jahresdurchschnitt 2016. Werte ab 2017: Prognose. 2 15.11.2017
Demografische Herausforderung Anstieg Anzahl Personen im Alter 85+ in % bis 2050 W: 152% N: 193% B: 174% ST: 175% K: 167% O: 212% S: 220 % T: 244% V: 253% 3 15.11.2017
Demografische Entwicklung Deutliche Zunahme der Hochaltrigkeit Starkes Ost-West-Gefälle Stärkste Anstiege in Vorarlberg, Salzburg, Tirol Geringste Steigerungsraten in Wien, Burgenland, Steiermark Entwicklung in Städten tendenziell weniger drastisch (Migration) 4 15.11.2017
Demografische Herausforderung Demografische Entwicklung in Österreich 2015-2075 Auf 100 Personen im Alter von 20-64 bzw. 50-64 Jahren entfallen x Personen im Alter von 65+ bzw. 85+ Jahren 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 29,8 18,5 31,3 19,2 12,2 11,8 5,0 5,5 35,1 20,9 14,2 6,3 40,7 23,3 18,2 6,9 46,0 25,4 21,3 7,5 48,7 26,5 23,6 8,7 50,1 27,1 27,8 10,3 51,9 27,9 34,2 53,3 54,5 54,9 54,7 54,3 28,3 28,7 28,8 28,7 28,6 40,6 39,2 40,0 40,9 41,8 11,5 11,8 11,7 11,9 12,1 12,4 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0 5,0 0,0 Anteil der Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung in % Rückgang der informellen Pflege: Steigende Frauenbeschäftigung Mehr Singlehaushalte unter Älteren Weniger Kinder 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 2065 2070 2075 Abhängigenquote (65+/20-64*100) Intergenerationelle Unterstützungsrate (85+/50-64*100) Anteil 65+ Anteil 80+ 5 15.11.2017
Österreichs Pflegesystem im internationalen Vergleich 6 15.11.2017
Österreichs Pflegesystem im internationalen Vergleich Hohe Verbreitung der informellen Pflege in Österreich Versorgungsgrad mit professionellen Pflegediensten unterdurchschnittlich (mobil wie stationär) Höheres Gewicht auf Geldleistungen statt Sachleistungen Ö bei Gesamtausgaben für Pflege im Mittelfeld der europäischen OECD Länder 7 15.11.2017
Pflegebetten in europäischen OECD-Ländern im Vergleich Betten je 1.000 EinwohnerInnen ab 65 Jahren (2015) 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 8 15.11.2017
Gesamtausgaben für Pflege in europäischen OECD Ländern Private und öffentliche Gesamtausgaben in % des BIP (2015) 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 (Teil-)Stationär Häuslich 9 15.11.2017
Projektionen künftiger Ausgaben 10 15.11.2017
Determinanten der Ausgaben für Pflegedienstleistungen In den WIFO-Projektionen berücksichtigte Bestimmungsfaktoren Ausgaben für Pflegedienstleistungen Demografische Faktoren Nicht demografische Faktoren Änderungen der Bevölkerungsstruktur Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, Änderung in den Haushaltsstrukturen Entwicklung des Gesundheitszustandes Kostensteigerungen 11 15.11.2017
Determinanten der Ausgaben für Pflegegeld In den WIFO-Projektionen berücksichtigte Bestimmungsfaktoren Projektionen Pflegegeld Ausgaben für Pflegedienstleistungen Demografische Faktoren Nicht demografische Faktoren Änderungen der Bevölkerungsstruktur Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen, Änderung in den Haushaltsstrukturen Entwicklung des Gesundheitszustandes Kostensteigerungen 12 15.11.2017
Daten und Projektionsmethode: Pflegegeld Daten: Daten Pflegegeldbeziehende nach Alter, PG-Stufe, Bundesland (BMASK) Daten Bevölkerung 2015 und Bevölkerungsprognose nach Alter und Bundesland Berechnung: Berechnung der Pflegeprävalenzen Hochrechnung der Pflegeprävalenzen mit der Bevölkerungsprognose (=Demografieszenario) Berücksichtigung bessere Gesundheit: Verschiebung der Pflegeprävalenzen um ein Lebensjahr im Jahr 2025 und 2040 13 15.11.2017
Datenbasis Projektion: Pflegedienstleistungen Daten: Pflegedienstleistungsstatistik 2015 (Anzahl PflegedienstleistungsempfängerInnen je nach Art der Pflegedienstleistung, PG-Stufe, Bundesland) Daten Pflegegeldbeziehende nach Alter, PG-Stufe, Bundesland (BMASK) Daten Bevölkerung 2015 und Bevölkerungsprognose nach Alter und Bundesland 14 15.11.2017
Projektionsmethode: Pflegedienstleistungen Berechnung: Verknüpfung Daten Pflegedienstleistungsstatistik und Daten Pflegegeldbeziehende (iteratives Randlösungsverfahren, RAS- Algorithmus) Information über Anzahl Pflegedienstleistungsbeziehende nach Pflegedienstleistung, Bundesland, Altersgruppen, Pflegestufen Hochgerechnet mit Bevölkerungsprognose nach BL Berücksichtigung bessere Gesundheit (wie PG) Berücksichtigung Rückgang informelle Pflege (Annahme: im Jahr 2012 70% informelle Pflege, seither -0,2PP pro Jahr) Berücksichtigung Kostensteigerungen +2% real pro Jahr 15 15.11.2017
Projektionsergebnisse öffentliche Ausgaben Kostenentwicklung (real zu Preisen 2015) Ausgaben Mrd. Anstieg seit 2015 Pflegegeld (Bund) 2015 2,5 2025 2,8 +12% 2050 4,2 +67% Pflegedienstleistungen (Länder und Gemeinden) 2015 2,0 2025 2,9 +48% 2050 9,0 +360% 16 15.11.2017
Projektionsergebnisse Pflegedienstleistungen in den Bundesländern Öffentliche Ausgaben der Länder und Gemeinden (prozentuelle Steigerung gegenüber 2015) 2025 2050 W +42 +316 NÖ +53 +396 BGL +45 +383 STMK +47 +354 KTN +48 +357 OÖ +49 +407 SBG +56 +388 T +60 +424 VBG +63 +427 Ö +48 +360 17 15.11.2017
Einschränkung der Ergebnisse Keine Prognosen, sondern Projektionen des Status quo unter bestimmten Annahmen Nicht berücksichtigt 24-Stunden-Betreuung Bundesländerspezifische Veränderung des Versorgungsgrades Künftige Politikmaßnahmen Abschaffung Pflegeregress Künftige Migrationsbewegungen (d.h. von den Bevölkerungsprognosen von Statistik Austria abweichende) Nur öffentliche Aufwände der Leistungserbringung nach Abzug privater Beiträge 18 15.11.2017
Volkswirtschaftlicher Impact der Pflege- und Betreuungsdienste 19 15.11.2017
Volkswirtschaftlicher Impact der Pflegedienste Nicht nur Kostenseite betrachten Ausgaben generieren direkt und indirekt Wertschöpfung, Beschäftigung, Steuereinnahmen, SV-Beiträge Erstmalige Modellierung der volkswirtschaftlichen Effekte professioneller Pflegedienste für Österreich 20 15.11.2017
Direkte, indirekte und induzierte Effekte 21 15.11.2017
Regionales Wirtschaftsmodell ASCANIO Verflechtungen zwischen Wirtschaftssektoren auf Ebene der österreichischen Bundesländer 9 Bundesländer + Rest der Welt Grundlegende Strukturinformation basiert auf Input-Output- Tabelle (Statistik Austria) des Jahres 2011 63 Güter bzw. Wirtschaftssektoren Endnachfrage (privater & öffentlicher Konsum, Investitionen, Exporte) Ergänzt um wirtschaftstheoretische Verhaltensgleichungen zu privatem Konsum (in Abhängigkeit von Einkommen und Preisen) Faktornachfrage nach Arbeit, Kapital u. Vorleistungen (in Abhängigkeit von Löhnen, Preisen, Produktionsmengen, Zinsniveau) Preisbildung Löhne u. Produktionspreise (von diesen hängen alle weiteren Preise ab) 22 15.11.2017
Regionales Input Output Modell ASCANIO Modellstruktur 23 15.11.2017
Modellinputs Ausgabenstruktur der Dienstleister Daten von drei überregional agierenden Dienstleistern Übermittlung detaillierter Einnahmen- und Ausgabenstruktur Getrennt für mobilen und stationären Bereich Effekte hochgerechnet mit Gesamtausgaben und Gesamtbeschäftigung laut Pflegedienstleistungsstatistik 2015 auf Ebene der Bundesländer Daten zu teilstationären Dienste, stationärer Kurzzeitpflege, alternative Wohnformen dem stationärem Bereich zugeordnet 24 15.11.2017
Geschätzte Gesamteffekte Direkte, indirekte und induzierte Effekte der Pflegedienste Direkte Effekte (öffentliche + private Ausgaben) Wien Österreich Ausgaben 1,2 Mrd. 3,4 Mrd. Beschäftigte (Köpfe) 17.500 64.300 Gesamteffekte Wien Österreich Wertschöpfung 1,8 Mrd. 5,9 Mrd. Steueraufkommen 331 Mio. 1,1 Mrd. SV-Abgaben 429 Mio. 1,3 Mrd. Beschäftigte 28.500 115.000 Effekte alternativer Mittelverwendung unberücksichtigt! 25 15.11.2017
Schlussfolgerungen 26 15.11.2017
Handlungsfelder Zielgerichtete Steuerung notwendig Ca. 50% der Männer und 2 von 3 Frauen der Baby-Boomer - Generation der 1960er Jahre werden mindestens 85 Jahre alt Nachfrageanstieg in stationärer Pflege durch Ausbau alternativer Betreuungsformen dämpfen bzw. verzögern Zeitlich nachgelagerter, deutlicher Ausbau stationärer Pflege erscheint jedoch unausweichlich Bevorstehendem Arbeitskräftemangel entgegenwirken(!) (neue Organisationsmodelle in der mobilen Pflege?) 27 15.11.2017
Handlungsfelder Strategie mobil vor stationär? Politischer Grundsatz mobil vor stationär richtig und wichtig Verlagerungspotential scheint allerdings gering Gesundheitszustand entscheidend für Wahl der Pflegeform Eindeutiges Ergebnis von Dienstleister-Befragung (Firgo Famira- Mühlberger, 2014) und statistischen Auswertungen auf Basis von SHARE-Daten (Firgo et al., 2017) Kosteneinsparungen marginal im Vergleich zum Anstieg durch Demographie (Firgo Famira-Mühlberger, 2014) Ausbau alternativer & teilstationärer Betreuungsformen besonders wichtig Neue Organisationsformen für mobile Pflege? Rolle der 24-Stunden-Betreuung? 28 15.11.2017
Handlungsfelder Potentiale für Effizienzsteigerung nutzen Gesundheitssystem (vgl. gesunde vs. gesamte Lebenserwartung) Harmonisierung der Leistungsstandards der Bundesländer Art & Umfang des geförderten Angebots Tarife & finanzielle Belastung Qualität (Auslastung, Personalschlüssel, ) Ausbau Case- & Care-Management Föderale Strukturen begünstigen Ineffizienzen Föderale Strukturen wirken wohlfahrtssteigernd, wenn dadurch Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften Leistungs- bzw. Datentransparenz sowie Mobilität der Bevölkerung ist Grundvoraussetzung Wettbewerb Im heimischen Pflegesystem jeweils nicht gegeben Intransparente Datenlage und mangelnde Vergleichbarkeit Erschweren Lernprozess durch Best-Practice-Beispiele 29 15.11.2017
Beispiel Datenproblematik 250,0 Bruttoausgaben je Leistungseinheit absolut 15,5 Wachstumsrate der Bruttoausgaben je Leistungseinheit 200,0 13,5 Kosten absolut 2015 in 150,0 100,0 50,0 Veränderung p.a. 2012/15 in % 11,5 9,5 7,5 5,5 3,5 Mobile Dienste Stationäre Dienste 1,5 0,0 B K N O S ST T V W Ö -0,5 B K N O S ST T V W Ö Q: Pflegedienstleistungsstatistik 2015; WIFO-Berechnungen. 30 15.11.2017
Erfolgsbedingungen für Reformen Diskussion und Umsetzung von Einzelmaßnahmen nicht zielführend Langfristige Strategie jenseits kurzfristiger Gegenfinanzierungsmaßnahmen notwendig Eingebettet in breite Diskussion über das österreichische Abgabensystem (v.a. durch Abschaffung Pflegeregress) 31 15.11.2017
Vielen Dank für Ihr Interesse Ulrike.Famira-Muehlberger@wifo.ac.at 32 15.11.2017
Modellinputs Direkte Effekte laut Pflegedienstleistungsstatistik 2015 Bruttoaus -gaben [Mio. ] Stationärer Bereich 1 ) Beschäftigte Nettoausgaben [1.000 [Mio. ] Köpfe] Beschäftigte [1.000 VZÄ] Bruttoausgaben [Mio. ] Mobiler Bereich Nettoausgaben [Mio. ] Beschäftigte [1.000 Köpfe] Beschäftigte [1.000 VZÄ] BGL 72,0 33,6 1,1 0,9 10,1 8,7 0,5 0,3 KTN 190,8 104,5 2,7 2,2 29,0 26,0 1,6 0,8 NÖ 374,4 188,5 5,7 4,8 90,2 58,7 4,4 2,9 OÖ 381,6 182,8 7,4 5,6 72,5 37,3 2,3 1,3 SBG 114,1 58,5 2,9 2,2 23,1 21,2 1,2 0,7 STMK 436,0 247,5 7,5 5,4 68,3 39,3 2,7 1,2 T 163,2 83,8 3,9 2,9 42,3 31,1 1,7 0,8 VBG 100,7 58,9 1,9 1,3 25,8 11,9 2,1 0,2 W 983,2 601,6 9,9 8,6 230,7 152,3 4,9 3,8 Gesamt 2.815,9 1.559,8 43,1 33,9 592,1 386,5 21,2 11,9 Quelle: Pflegedienstleistungsstatistik 2015. Ohne Case- und Care-Management 1 ) Stationärer Bereich inkl. teilstationäre Dienste, alternative Wohnformen und stationäre Kurzzeitpflege. Bruttoausgaben öffentliche und private Ausgaben; Nettoausgaben Ausgaben der Länder und Gemeinden abzüglich privater Beiträge und sonstiger Einnahmen. 33 15.11.2017