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Transkript:

Jewgeni Myschewski (ANg, 2000-197) * 10.4.1926 (Domysla/Ukraine), 20.6.2007 Arbeiter; 1942 Verhaftung wegen Sabotage; Deportation zur Zwangsarbeit; 1943 Fluchtversuch und Einweisung ins KZ Neuengamme; Außenlager Salzgitter-Drütte; April 1945 Evakuierung ins KZ Bergen-Belsen; 1946 Rückkehr in die Ukraine.

2 [Es] schlossen sich alle nach Nationalitäten in Gruppen zusammen, getrennt voneinander. Aber das Ziel war dasselbe: Überleben um jeden Preis! Deshalb war kein Platz für besondere Skrupel. Jewgeni Nikolajewitsch Myschewski. Bericht Einer von elf, in: Republik Krym, August 1998. (ANg)

3 Jewgeni Nikolajewitsch Myschewski wurde am 10. April 1926 in Domysla/Ukraine geboren. Weil in der Ukraine Hunger herrschte, wanderte seine Familie illegal auf die Krim aus, die damals zur Russischen Föderation gehörte. beendete die dritte Klasse, bevor er 1940 begann, in einem Schlachthof zu arbeiten, um seine große Familie zu unterstützen. Nach dem Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion wurde der Betrieb geschlos sen. Am 1. Januar 1942 besetzten deutsche Truppen die Stadt Feodossija. Wie viele Jugendliche war neugierig auf die neue Situation und die neue Macht, die in seinem Land herrschte, und hielt sich häufig auf der Straße auf. Im Januar 1942 wurde er von Deutschen wegen angeblicher Sabotage verhaftet.

4 Wir lagen herum, spielten überall. Oft nahmen wir Watte und zündeten sie mit Funken an und machten Lagerfeuer. Und einmal zündeten wir Watte an, schmissen sie ohne nachzudenken in einen Planwagen und gingen nach Hause. Eine Stunde später hörten wir es knallen. In dem Planwagen lag Munition. Überall hörte man: Partisanen! Partisanen! Unter uns war der Sohn des Dorfältesten gewesen; er hatte uns bei seinem Vater verpfiffen. Der Dorfälteste teilte den Vorgang dem Kommandanten mit, um seinen Sohn zu schützen. Am nächsten Morgen wurden mein Freund Fedia Sapsai und ich von der Polizei abgeholt. (, Interview, 2. 8.5.2000. ANg. Auch alle folgenden Zitate sind diesem Interview entnommen.) Nach mehreren Verhören lieferten die Deutschen Jewgeni Myschewski in ein Kriegsgefangenenlager ein. Einige Monate später wurde er zusammen mit anderen Kriegsgefangenen nach Deutschland verschleppt. In Osnabrück musste er in einem Schuhbetrieb arbeiten. Die Verhältnisse dort waren erniedrigend und unmenschlich. Eines Nachts

5 floh er mit vier älteren Kameraden, aber drei Tage später wurden sie verhaftet und in ein Osnabrücker Gefängnis gebracht. Dort wurden sie geschlagen. Zwei der Freunde wurden erhängt. Im Februar 1943 lieferte die Gestapo und die beiden anderen Kameraden ins KZ Neuengamme ein, wo sie die Häftlingsnummern 17400, 17401 und 17402 erhielten. musste unter anderem im Kommando Elbe Loren schieben. Ein Erlebnis im KZ Neuengamme hinterließ Spuren für sein ganzes Leben: Man scheuchte uns auf den Appellplatz. Der Blockälteste schrie: Raus auf den Appellplatz! Ich suche meine Mütze, so eine graue Mütze. Ich hierhin und dorthin, nirgends konnte ich sie finden. Draußen hörte ich schon die Schläge, denn wer zu spät kam, wurde mit dem Gummiknüppel geschlagen. Ich bin schnell raus. Dort fand ich ein Stück gelb-braunes Papier, das ich mir auf den Kopf legte. [ ] Er näherte sich der Kolonne. Ich stand in der vierten von fünf Reihen. Als der Lagerführer zu mir kam, schrie er: Was ist hier denn los? Er knallte mir den Stock auf den Kopf, ich bin umgefallen. Warum hat er mich nicht getötet? Hätte er doch mein Leid beendet.

6 Aus dem Hauptlager Neuengamme wurde Jewgeni Myschewski in das Außenlager Salzgitter-Drütte verlegt, wo er in den Stahlwerken Braunschweig der Reichswerke Hermann Göring arbeiten musste. Am 7. April 1945 brachte die SS ihn aus diesem Außenlager mit einem Bahntransport fort. Bei Celle überlebte er einen schweren Luftangriff und erreichte schließlich zusammen mit den übrigen Häftlingen zu Fuß das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Obwohl die alliierten Truppen sich schon in der Nähe befanden, war sein Leid noch nicht beendet. Im Lager war eine Epidemie ausgebrochen, und ich erkrankte an Typhus. Ich schlich mich in die Totenzone, zu den mit Laken zugedeckten Stapeln von Leichen. Der Geruch des Todes war uner träg lich. Ich wollte mich wärmer anziehen und passende Kleidungsstücke von den Leichen holen. Aber ich schaffte es nicht mehr, mich umzuziehen, ich fiel in Ohnmacht. Am 15. April 1945 wurde in Bergen- Belsen von britischen Truppen befreit. Nach einigen Monaten im Lazarett übergaben die britischen Behörden ihn an die sowjetischen Truppen.

7 über stand die Filtration des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Mit dieser Überprüfung wollte die sowjetische Regierung mögliche Kollaborateurinnen und Kollaborateure enttarnen. Die Rückkehrenden wurden pauschal verdächtigt, für den Feind gearbeitet zu haben und damit zur Verlängerung des Krieges beigetragen zu haben. Am 13. Januar 1946 kehrte nach Dschankoi auf der Krim zurück. Bis zu diesem Zeitpunkt war seine Familie davon ausgegangen, dass er als Partisan erschossen worden sei. In seiner Heimatstadt überstand er eine weitere Überprüfung. Einige Monate später wurde ihm eine Bemerkung in der Abendschule über seinen Aufenthalt in Deutschland zum Verhängnis. Dort hatte er die Pflege und die Behandlung, die er im britischen Lazarett erhalten hatte, gelobt. wurde zu zehn Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. Nach sieben Jahren und drei Monaten wurde er nach Stalins Tod endlich freigelassen. lebte mit seiner Frau, seiner Tochter und seinen Enkelkindern in Dschankoi. Er starb am 20. Juni 2007.

8 Karteikarte der Gestapo Osnabrück für. Wenn Zwangsarbeiter während der Flucht Kleidung oder Nah r ung stahlen, diente dies der Gestapo oft als Begründung, sie in ein KZ einzuliefern. (StA Osnabrück,Rep. 439, Nr.19)

9 (rechts) mit seinem Bruder Wassili kurz vor seiner Verhaftung im Januar 1942. (Privatbesitz ) mit seiner Frau und seinen beiden Kindern 1953. (Privatbesitz )

10 2002 schrieb Jewgeni Myschewski an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Er hatte das Buch zur Ausstellung in der Gedenkstätte Bergen-Belsen erhalten und glaubte, sich auf dem Titelfoto wiederzuerkennen: Perederiew gab mir ein Buch über Bergen-Belsen und meinte, ich würde mich dort finden. Als ich nach Hause gekommen war, habe ich die Fotos angeschaut und, mein Gott, mich auf dem Titelbild und auf Seite 11 erkannt. Diese Sperrzone, dann noch diese Jacke, die ich trage, ein Graben neben dem Zaun und weiter Stapel von verrottenden Leichen, viel zu viele. Verdammt, verdammt, wo ist Gott? Ich saß einer Agonie nah neben dem Durchgang und dem Graben, in den der Schlamm von Leichen hineinfloss. Titelfoto des Ausstellungskatalogs der Gedenkstätte Bergen- Belsen, erschienen 1990. Das Foto wurde am 17. April 1945, zwei Tage nach der Befreiung, von der britischen Armee aufgenommen. (IWM, BU 3728)

11

12 im Mai 2000 bei einem Besuch in Deutschland. (Privatbesitz )

13 und sein Enkelkind, 2003. (Privatbesitz )