Elmar Gruber - 70 Jahre Ein Interview mit dem Mitbegründer der Zeitschrift Begegnung und Gespräch

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Transkript:

Elmar Gruber - 70 Jahre Ein Interview mit dem Mitbegründer der Zeitschrift Begegnung und Gespräch

Elmar Gruber Mit 70 Jahren blickt man auf ein langes Leben zurück. Was war und ist Ihr wichtigstes Anliegen? Mein wichtigstes Anliegen ist immer noch, selber aus dem Glauben leben zu können. Zugleich will ich Menschen helfen, dass der Glaube auch für sie zur tragenden und heilenden Kraft wird. Glaube ist damit nicht etwas im Leben, sondern das Leben selbst. Schon von Kindheit an hatte ich die für mich große Erkenntnis: Wenn es Gott gibt, dann muss er irgendwie zu er-spüren sein. Es macht wenig Sinn, auswendig lernen zu müssen, dass es einen Gott gibt. Und dann muss man so tun, als ob es ihn gäbe, und vielleicht gibt es ihn dann doch nicht. Das war mir zu wenig und machte mich misstrauisch. Wie kamen Sie dazu, Menschen Kraft und Lebenshilfe zu geben? Es war zuerst meine eigene sensible Lebenssituation mit einer Sehnsucht nach einem gnädigen Gott und nach absoluter Geborgenheit. Dann machte ich zusätzlich folgende Erfahrung: Wenn man versucht, diesen Gott, an den man selbst glaubt, anderen zu zeigen, dann erfährt man ihn persönlich in gewaltiger Weise. Das ist die typisch biblische Situation: Glaube wird erst im Weitergeben so richtig lebendig. Hatten Sie früher ein anderes Gottesbild als heute? Mein Lebensweg war ein gewaltiger Wandel. Ich habe ein drohendes und Angst machendes Gottesbild erlebt und erlitten. Damals war eine ganz andere Zeit. Aber am tiefsten Punkt meines Lebens ist mir aufgegangen, dass Gott ganz anders, dass er die absolute Liebe ist, dass er bedingungslos und unverlierbar alle Menschen liebt. Im Leben ist das Leid als Lernprozess nicht auszuklammern. Jesus wehrt sich auch gegen Petrus, wenn dieser zu ihm sagt: Das Leid sei fern von dir. Wer dem Menschen weismachen möchte, es gäbe Glück ohne Leid, der betrügt ihn um Gott. Das ist satanisch. Doch nachdem ich selber tiefes Leid erfahren habe, gibt es dem, was ich anderen von Gott erzähle, eine tiefe Glaubwürdigkeit. Werden Sie in Ihrem Glauben gelegentlich auch unsicher? Ich meine, dass jeder Glaube immer wieder in eine Prüfung kommt. Das nennt Martin Buber Gottesfinsternis. Augenblicke der Gottnähe kann man nicht festhalten. Es gehört zum Wesen menschlichen Erlebens und menschlicher Erfahrung, dass die entscheidenden Wirklichkeiten nur augenblickshaft erlebt werden können. Dann hängt es von mir ab, wie ich damit umgehe: gläubig oder konsumhaft, festhaltend oder bereit zum Loslassen, um wieder offen zu sein für neueres, tieferes Erleben. Welche Höhen und Tiefen hatten Sie in Ihrem Leben? Augenblicke der Identität und des Erfülltseins sind für mich Höhepunkte. Und da hatte ich viele in meinem Leben. Der Tiefpunkt war, als ich an Gott verzweifelt bin und bei aller Verzweiflung nur noch gewusst habe: Es muss einen anderen Gott geben als den strafenden und vernichtenden. Es gab damals das fürchterliche Gebet, das auch heute noch manchmal gesprochen wird: Ich muss sterben, ich weiß nicht

wann, ich weiß nicht wo, ich weiß nicht wie, nur das weiß ich, wenn ich in einer Todsünde sterbe, bin ich verloren auf immer und ewig. Dieses Gebet hat bei mir Angst ausgelöst bis zur Neurose, bis zur Magersucht. Und gerade in der Umkehrung erlebte ich die Befreiung: Ich muss sterben, ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wo, ich weiß nicht wie, nur das weiß ich: Wo immer, wie immer ich sterbe - auch durch Selbstmord - ich falle immer in die offenen Arme eines barmherzigen Gottes, der mich ganz versteht, auch wenn ich mich selber nicht mehr verstehe. Was sind Sie eigentlich? Priester, Seelsorger, Pfarrer, Psychologe, Mystiker? Ich kann mich in all diesen Prädikaten finden und auch wieder nicht. Wenn ich es kurz sagen müsste: Ich komme vom Schauen; also bin ich Mystiker. Die Wahrheit muss man zuerst einmal erschaut, erlebt und erfahren haben. Die Theologie folgt später. Sie ist die Reflexion, die notwendig ist, aber sie ist nicht das Primäre. Wenn ich von Gott rede, muss ich möglichst erlebnisnah erzählen. Der andere muss das ebenso erlebnismäßig erschauen, was ich ihm mitteilen möchte. Nie möchte ich einen Menschen zum Glauben bringen. Mein Wunsch ist es, dass ein Mensch selbst diesen Glauben findet, der im Grunde über alle Probleme hilft. Ebenso würde ich mir eine Theologie wünschen, die von dem Wort Joh 13, 35 ausgeht: Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt und das über alle Grenzen hinweg. Da wäre noch viel zu machen, eine Religionspädagogik und eine Theologie der Liebe zu entwikkeln. Kommt damit nicht auch der Absolutheitsanspruch des Christentums auf den Prüfstand? Ja, ich glaube, dass ich diesen gerade dadurch festlege. Die letzte absolute Wahrheit kann nur die absolute Liebe sein. Sie ist bedingungslos, unverlierbar und grenzenlos. Sie ist sozusagen das zutiefst Christliche, aber auch das absolut Menschliche. Darum kann ich auf der menschlichen Basis mit allen über das absolut Christliche reden. Ich werde nie einem Moslem sagen: Du bist letztlich doch ein anonymer Christ. Er wird zu Recht antworten: Ich bin ein waschechter Moslem! Aber ich werde meinem moslemischen Freund sagen: Wir haben das gleiche Prinzip. Der all-erbarmende Gott hat keine Grenzen; eigentlich lebst Du genau von dem, was für uns Christen biblisch und dogmatisch in Christus verkörpert ist. Hindernisse, Mauern, Gitter: Ich bin eingesperrt, - aussichtslos. Ist dieser all-erbarmende Gott noch ein gerecht richtender Gott? Hier spüre ich die meisten Widerstände bei meinen Mit- Christen: Wenn ich versuche zu zeigen, dass wir die Hoffnung haben, dass alle Menschen gerettet werden, dann sehe ich gleich- Ich wachse trotzdem bis ich anstoße

Der Anstoß weckt ungeahnte Kräfte: Ich komme durch. zeitig, dass die Unbarmherzigkeit des Menschen ein ganz starkes Hindernis für den eigenen Glauben ist. Ja, wo bleibt die Gerechtigkeit? Für Hitler, für Stalin müsste man doch die Hölle irgendwie fordern! Das ist eine Aufweichung und Verharmlosung des Christentums! Das angenommene Hindernis wird mein Halt und meine Stütze Bei solchen Äußerungen wird immer sichtbar, dass Menschen diesen Schritt, der eigentlich im Vaterunser ganz einfach ausgedrückt ist, überhaupt noch nicht erfasst haben: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Da bete ich auch, dass Gott dem vergibt, dem ich vielleicht noch nicht vergeben kann. Und dann sind wir beim Wesen des Christentums. Gott erwartet von uns, dass wir allbarmherzig werden wie er - Feindesliebe eingeschlossen. Von "Aufweichung" und "Verharmlosung" kann da keine Rede mehr sein. Sind die Menschen heute weniger offen für Gott, oder lehrt die Kirche Dinge, die den heutigen Menschen nicht mehr erreichen? Ich habe die Überzeugung, dass der Mensch, der nichts mehr vom Lebenssinn und von Gott wissen will, im Grunde genommen eine tiefe Sehnsucht in sich trägt. Es ist leider richtig, dass vielfach von der Kirche nicht an der Stelle die Antwort gegeben wird, wo die Fragen entstehen. Ich beginne meine Rede über Gott als Rede über den Menschen und seine Sehnsucht. Es gibt die erfüllten Augenblicke im Leben eines Menschen, die ich deute. Und da sage ich: Mein Glaube - Gott - ist das, was uns glücklich macht; das, was z.b. auch in einem Gespräch hilft. Oft sagt jemand zu mir: Sie haben mir sehr geholfen! Dann kann ich nur sagen: Ich war es nicht; ich habe mir nur Zeit genommen; ich habe Ihnen nur erzählt von diesem Gott, von dem ich subjektiv sagen kann, er trägt mein Leben. Wenn Sie sagen, Ihnen ist geholfen worden, dann ist es eben wieder ein Gottesbeweis, dass der, der mir hilft, auch Ihnen hilft. Beruht der Glaube nicht auf der Lehre der Kirche? Nach der Erklärung "Dominus Iesus" hat ein junger Mann zu mir gesagt, dass er froh darüber sei. Jetzt wisse er endlich, dass er den wahren Glauben habe. Darauf habe ich ihm geantwortet: Du glaubst an die Theologen noch mehr als an Gott. Ich glaube an Gott, und das ist die Erfüllung meiner Sehnsucht. Dann erst kommt die theologische und kirchliche Reflexion, die wohl ebenso sein muss. Aber auch die muss wieder interpretiert werden. Wie stehen Sie zur kirchlichen Dogmatik? Die Reflexion unseres Glaubens, brauchen wir, weil wir ja Menschen mit Vernunft sind. Aber die Frage ist, was das Primäre und was das Sekundäre ist.

Wenn ich einem Menschen primär mit Dogmen, mit festen Lehrsätzen, Gott nahe bringen möchte, ist es teuflich. Dann ist nicht mehr die Liebe zu spüren, sondern nur mehr das Recht-haben-wollen. Genau da wird der Glaube zerstört! Das biblische Wort Die Wahrheit wird euch frei machen! (Joh 8, 32) hat ein Gegenstück: Die Wahrheit wird euch fertig machen! Entscheidend ist, ob die Wahrheit aus der Liebe kommt oder aus dem Rechthaben-wollen mit systematischer Stimmigkeit. Ich würde es als einen Fehler erachten, wenn man Probleme, die nur mit vergebender Liebe gelöst werden können, dogmatisch lösen möchte. Das wäre so, als würde ich einem Verhungernden ein Kochbuch geben. Der Verzweifelte braucht die Erfahrung des Angenommen- Seins. Wer sich die absolute, die vergebende Liebe zum Lebensprinzip macht - aber bitte zu allen Menschen - der gehört innerlich zu der einen wahren Kirche. Auch das ist für mich wichtig: Es gibt kein Heil an Christus vorbei. Das meint: Kein Mensch kommt ohne den Glauben an die absolute Liebe - wie sie von Christus gezeigt und bezeugt wird - zum Heil. Würde ich sagen, dass nur die Getauften in den Himmel kommen, dann müsste ich ja an einen Gott glauben, der mindestens 80 Prozent der Menschen in die Hölle steckt. Das ist absurd! Sind Ihre Ansichten von der Bibel gedeckt und welche Bedeutung hat sie für Ihren Glauben? Ich kann die Bibel im Sinne eines strafenden und eines all-erbarmenden Gottes interpretieren. Mir wird oft der Vorwurf gemacht: Du machst dir deinen Glauben selber! Du legst die Bibel so aus, wie du sie brauchst! Dann antworte ich: Jeder wird die Bibel nach seinem eigenen Vorverständnis, nach dem Gottesbild auslegen, das er selber hat. Wenn jemand von meinen Freunden sagt, dass sein Glaube auf der Bibel beruhe, dann antworte ich: Mein Glaube beruht auf der Erfahrung der Liebe und findet in der Bibel seine Bestätigung. Letzteres ist für mich gewiss auch ein wichtiger Grund für meinen Glauben. Gerade darin liegt die Herausforderung im Umgang mit ihr! Viele Gruppen und Sekten beweisen, was man mit der Bibel alles anstellen kann. Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zum evangelischen Glauben? Ich habe im dogmatischen Bereich keine Schwierigkeiten, weil für mich Dogmatik nicht im Vordergrund steht. Das überlasse ich anderen. Wo Menschen nicht nur meine evangelischen Freunde - erken- Das Leben ist stärker als das Hindernis; es bringt mich zur Entfaltung nen, dass Gott die Liebe ist, sind sie sofort Bruder und Schwester - über alle Grenzen hinweg. Welchen Rat geben Sie einem konfessionell verschiedenen Paar, das zu Ihnen kommt? Wenn ich so direkt gefragt werde, kann ich nur antworten: Die beiden müssen selber wissen, wie sie sich entscheiden wollen. Ich kann ihnen nur helfen, eine in den heutigen Möglichkeiten angemessene Form der Trauung zu finden. Aber im Letzten ist hier die Selbständigkeit des Glaubens gefordert. Ich hätte den Wunsch, dass zwischen evangelischen und katholischen Christen schon mehr Gemeinsamkeiten wären. Gemeinsamkeiten kann man nicht verfügen, selbst wenn man manchmal ungeduldig werden möchte. Unsere Zeit-

Ich komme zur Blüte, zur Hochzeit meines Lebens schrift Begegnung und Gespräch will diesem Miteinander dienen. Andererseits, wenn jemand in seinem Gewissen Wege gehen muss, die nicht mehr vom Buchstaben des Gesetzes abgedeckt sind, ist es eine unerhörte Chance zur Freiheit, eine Chance zu einem persönlichen Glauben, der viel stärker und tragfähiger ist als ein Glaube, der bis in den letzten Buchstaben von der Institution abgedeckt ist. Fruchtbar werden: Das Leben selbst und seinen Sinn erfahre ich im Weitergeben Sie haben sehr viele Bücher geschrieben. Welches würden Sie als Ihr wichtigstes Werk bezeichnen? In dem Buch Mein Leben entdecken steckt wohl mein ganzes theologisches und seelsorgerliches Konzept. Es ist ein Kursbuch. Das zweite Buch betrifft die Symbole und heißt Bilder in mir. Oft werde ich gefragt, was ich in den vielen Büchern geschrieben habe. Ich antworte dann: Immer dasselbe. Es sind immer Variationen über die absolute Liebe. Meine Bücher sind als Anregung gedacht, dass der Leser selber Gott entdecken möge. Vielleicht kommen sie deshalb so gut an. Dennoch gibt es auch Leute, die mit meiner Sprache nichts anfangen können. Das muss ich einräumen und zugestehen. Viele sagen, dass sie durch meine Bücher zu eigenen Einfällen kommen. In meinem jüngsten Buch Sonntagsgedanken mache ich wieder einmal deutlich, dass jede Seite in der Bibel eine neue Seite eines unendlichen Liebesbriefes Gottes an den Menschen ist. Als Student habe ich mir das nie vorstellen können, gerade bei dem sehr trockenen Exegese-Studium, das wir hatten. Symbole und Symbolsprache sind Ihr "Markenzeichen". Welche Bedeutung hat das Symbolische für Sie persönlich? Der Pädagoge Johann Michael Sailer redet sehr positiv von Einbildung. Vormals war dieser Begriff für mich etwas Negatives. An C.G. Jung ist mir dann aufgegangen, dass der Mensch mit den Bildern lebt, die er über seine Sinne in sich aufnimmt. Nur so können Begeisterung und das, was den Lebenssinn ausmacht, erst im Menschen aufbrechen. Für mich war diese Einheit von innen und außen, die der Mensch in Zeichen, Bildern und Symbolen erfährt, methodisch der entscheidende Weg, um von Gott und von der menschlichen Wirklichkeit in einem Atemzug zu reden. Haben Sie ein Lieblingssymbol, ein Symbol, das für Sie ganz besonders wichtig ist? Wenn ich so nachdenke, dann ist eigentlich jedes Symbol, an das ich denke, ganz wichtig, vielleicht ist aber mein Lieblingssymbol doch das Schaf, das Lamm, das Lamm Gottes - seine Füße tragen mich heim. In den letzten Jahren wurde gerade in der Begegnung mit vielen Menschen, die verzweifelt waren, der kleine Luftballon mit dem ihn umschließenden großen zum Symbol für den allumfassenden Gott. Seine Liebe umfasst alles. Es gibt

keine objektive Gottlosigkeit. Subjektive Gottferne kann sein, aber objektive Gottlosigkeit gibt es nicht. Man könnte auch das Wasser nennen, das alles umhüllt, aber mit der Luft geht s eben auch. Von allen Seiten umgibst Du mich und hältst Deine Hand über mir. (Ps 139,5) Das ist ein gewaltiges Symbol. Bei mir drückt es sich im doppelten Luftballon aus. In der Natur finden Sie sehr viele Symbole, die Sie auf Glaubens- und Gotteserfahrungen übertragen. Goethe hat einmal gesagt: Alles Irdische ist nur ein Gleichnis. Das meint: Alles Geschöpfliche ist eine Stelle, wo ewige Wirklichkeiten, die man nicht mehr direkt darstellen kann, zur Erfahrung gelangen können. Meine Bildfolge vom Holunderstrauch hat z. B. ein sehr großes Echo gefunden. Da lässt es sich deutlich machen: Ein Mensch erfährt in seinem Leben, dass er nicht mehr weiter kommt. Und nun sieht er, dass der Holunderstrauch doch durch das Gitter wächst, das vorher sein größtes Hindernis war. So kann ihm der Holunderstrauch den Impuls vermitteln: Warum solltest du nicht auch durch-wachsen? Warum solltest du nicht auch weiter können? Warum sollte dein schwächster Punkt nicht gerade auch dein stärkster sein? Wenn so etwas geschieht, dann ist da für mich ein Wirken Gottes durch seine Geschöpfe erkennbar. Auf diese Weise kann eigentlich jedes Geschöpf für mich zum Sakrament im weitesten Sinn des Wortes werden. Sie entdecken auch in der Sprache des Menschen verborgene Weisheiten und heilende Wegweisung. Auch hier sind Sie ein aufmerksamer Beobachter. Sprache ist geronnenes Erleben (L. Klages). Wenn ich die Sprache auf-taue - ich verwende oft Bindestrich und Anführungszeichen dann komme ich auf die Ursubstanz, und es wird lebendig, was im Wort geronnen ist. Antworten Sie bitte auf die folgenden Stichworte mit einer kurzen Bemerkung! Himmel Hölle Helmut Kohl Papst Umweltverschmutzung Joseph Kardinal Ratzinger Eugen Drewermann Hans Küng SPD CSU Sterben Tod Vollendung in Liebe Grenzenloser Ärger, Verlust der Identität Niemand ist vollkommen Notwendigkeit des Dialogs Verantwortungslosigkeit dem Schöpfer gegenüber Er war mein großer Lehrmeister Faszinierende Begabung prophetischer Blick Ohne Gott keine Sozialität Ohne Werte kein Leben Hinübergehen, Loslassen Vollendung

Ein Strahl der Hoffnung dringt durch jedes Hindernis: Trau dich leben! Vielleicht können folgende Beispiele das verdeutlichen: Wenn alles gleich gültig ist, dann ist nichts mehr gleichgültig. Oder: Man muss viel durchstehen bis man sich durchsetzen kann. Oder: Humor ist das Einzige, das man ernst nehmen muss im Leben. Und alles andere muss man mit Humor nehmen. Ernst und Humor sind zwei Gegensätze, die im Grunde genommen eins sind. Humorvolle Menschen sind sehr ernste Menschen. Ernste Menschen sind meist humorvoll. Was könnten Sie jeden Tag beten? In Deinen Händen ruhet mein Geschick, auch heute. Wenn Sie Ihr Leben noch einmal leben könnten, was würden Sie anders machen? Diese Frage wird mir oft von Kollegen gestellt, die in ihrem Beruf frustriert sind; sie sagen dann: Wenn Du wieder auf die Welt kommst, dann wirst du sicher auch wieder Pfarrer. Dann sage ich: Ja, aber mit mehr Vertrauen und weniger Angst! Elmar Gruber Geb. 24. Mai 1932 in Prien, lebt seit 1932 in München Abitur am Theresiengymn. 1951 Phil.-theol. Hochschule Freising 1957 Priesterweihe Kaplan, Jugendseelsorger, Religionslehrer Seit 1964 Pfarrer im Schulreferat der Erzdiözese München und Freising Aufgabenbereiche: Praktische Religionspädagogik; Ausbildung, Fortbildung, Lehrerseelsorge Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter: Herder-Verlag: Glauben macht Freude Gott - da ist was dran Und finde mich in dir Don Bosco-Verlag: Gott vertrauen - befreites Leben Zeit ist dir gegeben Mein Leben entdecken Bilder in mir Sonntagsgedanken (3 Bände) Impulsstudio bei Don Bosco: Sinn des Lebens (Diamditation) Mit Hindernissen leben (Diamditation) Brot und Wein (Tonbild) Haben Sie Angst vor dem Sterben, vor dem Tod? Nein, jetzt nicht. Wenn er kommt, hoffe ich auch keine zu haben. Wem würden Sie gern einmal die Hand schütteln und wem ganz kräftig die Meinung sagen? Dem würde ich gerne die Meinung sagen, der die christliche Botschaft benützt, andere zu verurteilen und hinzurichten. Und jedem, der sagt, dass wir alle mit ewiger Liebe geliebt sind, würde ich gerne die Hand schütteln. Glaube muss einfach sein, sonst ist er nicht lebbar. Begegnung und Gespräch - online: http://www.religionsunterricht.de (alle Ausgaben seit Nr. 113) Das Interview führte Redaktionsmitglied Siegfried Kratzer. Verantwortlich: Elmar Gruber, Berchemstr. 25, 80686 München Siegfried Kratzer, Religionspädagogisches Zentrum 91556 Heilsbronn Dr. Rudolf Kleinöder, Ackerlänge 9a, 92318 Neumarkt Dr. Leo Hermanutz, Erzb. Ordinariat, Postfach 330360, 80063 München Gestaltung: Christoph Ranzinger, Pauckerweg 5, 81245 München.