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Das Ende der Stille Die ersten acht Jahre seines Lebens verbrachte Julian Tschammer nahezu abgeschottet von der akustischen Welt: Kaum ein Ton oder ein Wort drangen zu ihm durch. Dann setzten Mediziner dem extrem hörgeschädigten Jungen ein Cochlea-Implantat ein. Mit dem künstlichen Hörorgan begannen die stummen Bilder um ihn herum zu klingen. Die Geschichte eines Einwanderers ins Reich der Töne Stille. Kein Laut, kein Wort, kein Geräusch. Julian Tschammer kennt diese absolute Ruhe. Er hat sie gespürt, schon viele Stunden, Tage und Wochen in seinem Leben. Stille, das ist wie ein Vorhang, der auf mich drückt, sagt er. Ein Vorhang, durch dessen dicken Stoff lange Zeit kaum Stimmen und Geräusche hindurchdrangen. Als Julian 1988 auf die Welt kommt, ahnen seine Eltern zunächst nicht, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Erst sechs Wochen nach seiner Geburt werden Jitka und Wolfgang Tschammer misstrauisch. Egal, ob sie ihren Sohn sanft ansprechen oder die Autotür zuschlagen: Er zeigt keine Regung, keinen neugierigen Blick, kein erschrecktes Schreien. Bei einem Hörtest wird eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit festgestellt. Die winzigen Haarzellen in Julians Ohren, die akustische Informationen an den Hörnerv weiterleiten, sind bis auf wenige abgestorben. Die Ärzte versuchen es mit Hörgeräten, und tatsächlich nimmt der vier Monate alte Junge damit etwas wahr. Er registriert Stimmen und Laute, allerdings unter großer Anstrengung. Der Erfolg macht Jitka und Wolfgang Tschammer Mut: Sie entscheiden, ihren Sohn lautsprachlich zu erziehen. Nicht, weil sie die Gebärdensprache der Gehörlosen gering schätzen, sondern weil sie Julian möglichst viele Wege in der Welt der Hörenden offen halten wollen. Zudem fürchten sie, dass er in Windeck-Dattenfeld isoliert werden könnte. Im rheinischen 2400-Seelen-Nest, in dem sie leben, kennen sie niemanden, der die Gebärdensprache beherrscht. Für die Familie beginnt eine mühevolle Zeit. Die Eltern kommentieren jeden Handgriff, jede Aktion, um Julian mit der Lautsprache vertraut zu machen. Oft müssen sie Wörter und Sätze geduldig wiederholen, damit ihr Sohn sie versteht. Was er nicht mit den Ohren aufnimmt, liest er von ihren Lippen ab. Er lernt, mit den Augen zu hören. Schließlich fängt er selbst an zu sprechen: Nicht Papa oder Mama, Banane ist sein erstes Wort. Jetzt kann er sagen, was er am liebsten isst. Mit vier Jahren kennt der Junge so viele Wörter wie die meisten hörenden Kinder seines Alters. Zwei Jahre später ist er sogar so weit, dass ihn die Eltern in eine

reguläre Grundschule schicken. Am Anfang geht alles gut. Doch im Laufe der Zeit nimmt Julians ohnehin geringes Resthörvermögen dramatisch ab. Obwohl die Lehrerin direkt in ein Mikrofon spricht, das seine Signale an die Hörgeräte sendet, kann er dem Unterricht akustisch kaum noch folgen. Heute, rund zehn Jahre später, ist Julian praktisch taub. Wenn ein Düsenjet direkt über das Haus flöge, würde ich ein weit entferntes Brummen wahrnehmen sagt der 18-Jährige. Jeden Morgen zucken Lichtblitze von einem speziellen Wecker durch sein Zimmer, und manchmal vibriert auch noch das Mobiltelefon unter dem Kopfkissen. Nur so wacht er pünktlich auf. Kurz danach erwacht Julian ein zweites Mal, diesmal aus der Stille. Dazu befestigt er eine münzgroße flache Spule hinter seinem rechten Ohr, die über ein Kabel mit einem kleinen Kästchen verbunden ist. Dann betätigt er einen Schalter und hört mit einem Mal, was um ihn herum passiert. Es ist kein Superhörgerät, das die Laute überträgt, sondern ein künstliches Sinnesorgan, ein so genanntes Cochlea-Implantat (CI): Ein Klangprozessor außerhalb des Körpers wandelt die Töne der Umwelt in elektrische Signale um. Anschließend sendet er sie über die Spule durch die Haut an das Implantat. Von dort werden die Impulse über Elektroden in der Cochlea, der Schnecke im Ohr, an den Hörnerv weitergeleitetund schließlich im Gehirn verarbeitet. Seit 1996 trägt Julian das CI in sich. Damals, als er acht Jahre alt war, haben es ihm die Ärzte in der Medizinischen Hochschule Hannover eingesetzt. Sechs Wochen musste die Wunde hinter dem Ohr heilen, dann wurde das Gerät eingeschaltet. Plötzlich entdeckte Julian Geräusche, die er nie zuvor bemerkt hatte, sagt seine Mutter Jitka Tschammer. Er kratzte beim Essen mit der Gabel über den Teller und lauschte erstaunt und begeistert dem Quietschen. Doch das Leben in der akustischen Welt mit seinem Krachen, Pfeifen, Kreischen und all den anderen ungewohnten Geräuschen funktionierte nicht auf Knopfdruck. Ich geriet schlagartig von der Stille ins Hören und fand das zu Beginn alles sehr befremdlich, sagt Julian. Wenn Menschen mit mir sprachen, konnte ich nichts verstehen. Alles klang so metallisch und unnatürlich. Obwohl die Technik in den vergangenen 20 Jahren leistungsfähiger geworden ist, arbeitet sie längst nicht so präzise wie der menschliche Körper. Im gesunden Ohr reizen rund 25 000 Haarzellen den Hörnerv und erzeugen so ein Klangbild mit feinsten Nuancen. Beim CI stehen dafür nur bis zu 22 Elektroden zur Verfügung. Das ist etwa so, als würde ein Pianist nicht mit zehn Fingern, sondern mit zwei Fäusten spielen und statt einer Taste immer fünf gleichzeitig anschlagen. So entsteht ein klirrender, unsauberer Ton. CI-Träger können selbst diese groben Klangprofile erkennen aber dafür müssen sie ausdauernd trainieren.

Ob sie schließlich mit dem Gerät Lautsprache verstehen können, hängt nicht allein von ihrem Fleiß ab. Menschen nehmen Klänge zwar mit den Ohren auf, doch diese werden im Gehirn verarbeitet. Und das kann die dafür zuständigen neuronalen Netze nur im Kindesalter entwickeln. Besonders wichtig sind dabei die ersten vier Jahre. Deshalb werden CIs heute schon bei Kleinkindern ab etwa fünf Monaten implantiert. Für erwachsene Gehörlose, die nie Lautsprache wahrgenommen haben, ist ein CI weitgehend nutzlos. Denn ihr nicht entwickeltes Hörzentrum kann mit den Signalen nichts anfangen. Ertaubt ein Mensch erst, nachdem er sprechen gelernt hat, kann sich eine Implantation hingegen im hohen Alter noch lohnen. Weil Julian als Kleinkind die Lautsprache mühsam erlernt hatte, waren die Basisnetze in seinem Hirn gelegt. Allmählich gelang es ihm mit Hilfe des CI, Gesprächen immer besser zu folgen. Gleichzeitig trainierte er das Sprechen. Zunächst arbeitete er mit einem Logopäden an seiner Aussprache, später schickten ihn seine Eltern zu einem Gesangslehrer. Mit dessen Unterstützung lernte Julian, mit seiner Stimme zu spielen. Bis dahin hatte ich monoton wie ein Computer gesprochen, erzählt er. Jetzt entdeckte ich, dass ich mich mit der Stimme bewegen konnte wie ein Tiger tief, majestätisch und langsam oder hoch und schnell wie ein kleiner Spatz. Noch immer kommen Julians Worte etwas verwaschen und abgehackt über die Lippen, und die Satzmelodie klingt einförmiger als bei einem Hörenden. Vermutlich wird er die versäumte Lautsprachentwicklung nie ganz aufholen. Doch auch so kann er sich ohne große Schwierigkeiten in der akustischen Welt verständigen. So gut, dass er sich mittlerweile als Teil von ihr empfindet. Hören, das ist für ihn Alltag geworden. Und dieser unterscheidet sich kaum von dem seiner normal hörenden Freunde. Begeistert erzählt Julian, wie er im Winter auf Trickskiern und im Sommer mit einem Mountainbike die Berge hinunterrast; wie er mit Freunden Rollenspiele am PC spielt. Und wie er etwas genießt, das er ohne CI niemals entdeckt hätte: die Musik. In seiner Sammlung stehen HipHop-Alben von Cypress Hill neben Rock- CDs von Nickelback. Gespräche und Musik, das ist das Wertvollste, das mir das CI gebracht hat, sagt Julian. Ich kann die Instrumente zwar nicht unterscheiden, aber ich erkenne die Melodien und kann sie auch nachsingen. Nicht jeder kommt mit dem CI so gut zurecht. Manche scheitern an der Lauterkennung, andere berichten von fehlerhaften Implantaten, die mehrmals ausgetauscht werden mussten.und selbst wenn alles funktioniert, bleibt bei manchen das Gefühl, zwischen den Welten der Hörenden und der Gehörlosen zu wandeln und nirgendwo anzukommen.

Auch Julian ist wegen seines Implantats jahrelang drangsaliert worden. Und das ausgerechnet am Gymnasium, auf das er sich so gefreut hatte. Als dort die ersten Arbeiten geschrieben wurden und Julian gute Zensuren bekam, argwöhnten auf einmal einige Mitschüler, dass ich begünstigt werde, weil ich zum Beispiel Diktate in einem separaten Raum schrieb. Zwei Jahre lang ertrug der Schüler Hänseleien und sogar Prügel. Dann begann er mit Jiu-Jitsu und legte eines Tages den Anführer der Mobber-Clique nach dessen Angriff aufs Kreuz. Danach haben die mich nicht mehr körperlich attackiert. Doch die Hänseleien gingen weiter. Als ich mich beim Klassenlehrer beschwerte, hatte ich zwei Wochen Ruhe. Dann fing es wieder an. Erst in der achten Klasse endete das Mobbing, nachdem Julians Freunde dem neuen Klassenlehrer von den Schikanen erzählt hatten. Er hat meinen Mitschülern ein paar Tage darauf einen englischen Satz vorgespielt, wie ihn ein CI-Träger hört, erzählt Julian. Keiner hat etwas verstanden und da haben die anderen erst begriffen, dass ich trotz des Geräts nicht so höre wie sie. Julian wird das immer dann klar, wenn er an die Grenzen der Technik stößt. Meist passiert das in Gruppengesprächen oder auf dem Pausenhof. Da höre ich oft nur ein Stimmengewirr, weil das CI im Unterschied zum menschlichen Ohr nicht eine bestimmte Klangquelle herausfiltern kann. Im Unterricht benutzt er ein Richtmikrofon, um möglichst wenig Störgeräusche einzufangen. Manchmal wird mir bewusst, wie abhängig ich von der Technik bin, sagt Julian. Als ich einmal die Ersatzakkus für den CI-Prozessor zu Hause vergessen hatte und nichts mehr gehört habe, bin ich panisch geworden. Trotz all dieser Einschränkungen hat er nie an der Entscheidung seiner Eltern für das CI gezweifelt. Ich bin dankbar, dass sie mir das alles ermöglicht haben. Julian weiß, dass er ohne die Förderung seiner Eltern nicht so weit gekommen wäre. Wenn es klappt, macht er im nächsten Jahr Abitur. Und dann? Vielleicht gehe ich ein Jahr nach England oder Kanada, sagt er. Und danach möchte ich studieren, eventuell Biomedizin, und später in der Forschung arbeiten. Möglicherweise könnte er dann im eigenen Interesse tätig werden. Denn nicht ohne Grund haben sich seine Eltern damals nur für eine Operation am tauben Ohr rechts entschieden und das linke mit dem minimalen Hörrest unangetastet gelassen. Julian: Vielleicht wird man einmal mit Hilfe der Genforschung die Taubheit beheben können. Dann möchte ich auch eines Tages ganz normal hören. stern Gesund leben 4/06 Torben Müller 2006