...IM SIEGEN SCHEN WURDEN DIE LEUTE BIS AUF DEN TOD GESCHLAGEN...

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...IM SIEGEN SCHEN WURDEN DIE LEUTE BIS AUF DEN TOD GESCHLAGEN... Historische Dokumente zum Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) in den Beständen des Stadtarchivs Siegen von Christian Brachthäuser, Stadtarchiv Siegen Einführung Die Einführung der Reformation Mitte des 16. Jahrhunderts, die Verbreitung des Calvinismus und die kirchliche Reorganisation der katholischen Obrigkeiten in Teilen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hatten viele Territorien und Gesellschaftsschichten in ganz Mitteleuropa zu Beginn des 17. Jahrhunderts in ein Pulverfass verwandelt. Frankreich versuchte sich etwa von der Umklammerung Habsburgs zu befreien, während Schweden und Dänemark ihre Vorherrschaft in der Ostsee zu etablieren versuchten. Die spanische Krone wiederum hatte sich bereits seit 1568 im Kampf gegen Aufständische in den niederländischen Provinzen befunden. Es verdient durchaus Beachtung, dass diese Ereignisse vor über vier Jahrhunderten im Kleinformat sogar die Grafschaft Nassau-Siegen berührten, obwohl das Siegerland kein Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) gewesen ist. Der Historiker Prof. Dr. Rainer S. Elkar spricht in diesem Zusammenhang von europäischen Dimensionen, die damals trotz provinzieller Abgeschiedenheit des Siegerlandes auf Landesherrschaft, Politik und Alltagsleben abfärbten. [1] Den Stein des Anstoßes dafür hatte ein umstrittener Übertritt zum katholischen Glauben im gräflichen Hause Nassau-Siegen geliefert. Anlässlich der Wiederkehr der dramatischen Geschehnisse nach dem verhängnisvollen Prager Fenstersturz vom 23. Mai 1618 und dem anschließenden Aufstand der protestantischen böhmischen Stände gegen die Rekatholisierung sollen daher unter Berücksichtigung historischer Dokumente in den Beständen des Stadtarchivs Siegen wichtige Stationen, Akteure und Abläufe des Religionskriegs nachgezeichnet werden. Die Konversion Johanns VIII. Graf zu Nassau-Siegen (1583-1638) im Jahr 1612 Nach Einführung des reformierten Glaubens in ihren Herrschaftsgebieten hatten sich die protestantischen Grafen zu Nassau in Siegen, Dillenburg, Beilstein und Diez an der Lahn als militärische Bundesgenossen der Niederlande im Kampf gegen die katholische Obrigkeit engagiert. Die Opposition gegen den spanischen Monarchen Philipp II. (1527-1598) hatte Wilhelm I. Prinz von Oranien und Graf zu Nassau-Breda (1533-1584) angeführt. Die Konversion Graf Johanns VIII. der Jüngere zu Nassau-Siegen (1583-1638), der sich im am 12. Dezember 1612 in Rom vor Papst Paul V. (1552-1621) zum Katholizismus bekannt hatte [2], bedeutete eine Zäsur in der bisherigen Hauspolitik und führte zu heftigen Kontroversen in der Familie. Johann quittierte 1618 sein Dienstverhältnis für die Republik der Vereinigten Niederlande und engagierte sich fortan an der Seite Spaniens. Die Ursache für den ungewöhnlichen Schritt ist in erster Linie wohl in der Bekanntschaft mit der streng katholischen Ernestine Yolanda Princesse de Ligne (1594-1663) zu suchen, die mit ihrer Sympathie für die Politik der spanischen Krone wohl starken Einfluss auf den Siegener Grafen ausgeübt haben wird. Die calvinistisch geprägte Verwandtschaft in Siegen, Dillenburg und Diez an der Lahn war weder von der Liaison noch vom Konfessionswechsel angetan. Johann sei jämmerlich durch das lose jesuitische gesindtlein verführet worden, so ein verständnisloser Vater über den bemerkenswerten Schritt seines Sohnes. [3]

Kontroversen und Konflikte um die Erbfolge Einen erneuten Konfessionswechsel in Siegen, das heißt der Gedanke an eine Restauration des Katholizismus im Siegerland, wollte der regierende Landesherr Graf Johann VII. der Mittlere mit aller Macht verhindern. Er sah sich jedoch mit dem Problem konfrontiert, dass er einerseits die Einwirkung des Papsttums in der reformierten Grafschaft Nassau-Siegen einzudämmen hatte, der Katholik Johann VIII. jedoch nicht gänzlich von einer Erbfolge ausgeschlossen werden konnte. Denn durch das frühe Ableben seines älteren Bruders Johann Ernst I. Graf zu Nassau- Siegen (1582-1617) war der Konvertit Johann VIII. gemäß der so genannten Primogenitur (Erstgeburtsrecht) erbfolgeberechtigt gewesen. Eine prekäre Situation, die in einem Machtkampf münden sollte. Am 8. Oktober 1613 hatte Johann VII. in einer Ergänzung zu einer ersten Testamentsfassung verfügt, dass die Siegener Bevölkerung ohne Annehmung oder Einführung der papistischen Irrthümer oder anderer in Gottes Wort ungegründeter Lehr und Ceremonien reformiert bleiben müsse und keiner des Stammes und Namens zur Succession und Regierung der ihm anererbten Land und Leute zugelassen werden soll, er erkenne und bekenne sich denn zu der Evangelischen Lehr und Religion und habe neben Beschwörung des Erbvereines auch gelobt und eidlich versprochen, die Unterthanen bei der jetzigen Zeit in allen dieser Grafschaft Kirchen und Schulen herrschenden wahren Religion unmolestirt bleiben zu lassen [...]. [4] Auch im zweiten Testament des regierenden Landesherrn vom 22. Dezember 1618 wurde unter expliziter Beibehaltung der Primogenitur formuliert, dass die geplante Einführung der katholischen Religion in der Grafschaft nicht umgesetzt werden dürfe. [5] Die konfessionellen Wirren und Vorboten des Dreißigjährigen Krieges rückten nun auch bedrohlich an Stadt und Land Siegen heran. Um allen Interessen seiner Erben im Kampf um die Nachfolge gerecht zu werden, erließ Johann VII. in seinem dritten und letzten Testament vom 3. Juli 1621 den Beschluss, dass die Primogenitur zugunsten einer Landesteilung aufgehoben werden solle. Wie eine im Stadtarchiv Siegen befindliche Druckschrift aus dem Jahre 1632 verdeutlicht, erhielt Graf Johann VIII. der Jüngere als Residenz das Obere Schloss zu Siegen, daneben das Amt Netphen, die im Haingericht Siegen befindlichen Pfarreien Rödgen und Wilnsdorf sowie die Dörfer Kaan, Bürbach, Volnsberg und Weidenau. Der zweite Stammteil war für dessen jüngeren Bruder Wilhelm (1592-1642) auserkoren worden, umfassend die Ginsburg sowie die Ämter und Kirchspiele Hilchenbach, Ferndorf, Krombach und die aus dem Amt Netphen ins Amt Ferndorf ausgegliederten Dörfer Kredenbach, Bottenbach und Buschhütten. Zusätzlich fielen ihm die Dörfer Ruckersfeld und Öchelhausen zu. Der dritte Stammteil war für die Söhne aus der zweiten Ehe Johanns VII. mit Margaretha Erbin zu Norwegen, Herzogin zu Schleswig-Holstein-Sonderburg (1583-1658) vorgesehen. Die Erbschaft der Grafen Johann Moritz (1604-1679), Georg Friedrich (1606-1674), Wilhelm Otto (1607-1641), Heinrich (1611-1652), Christian (1616-1644) und Johann Ernst II. (1618-1639) umfasste den Nassauischen Hof zu Siegen, darüber hinaus das Amt Freudenberg und aus dem Haingericht Siegen die Dörfer Eiserfeld (1623 allerdings wieder an den Katholiken Johann VIII. übertragen), Niederschelden, Seelbach, Trupbach und Klafeld. Der genaue Wortlaut und die Regularien wurden im Jahr 1632 in der Druckschrift Informatio juris & facti, die Nassau- Siegenische succession belangend zusammengefasst. [6] Im Oktober 1621 traf sich Johann VIII. der Jüngere mit seinem Bruder Wilhelm und seinem Halbbruder Johann Moritz in Siegen, um über das weitere Vorgehen in der kontroversen Angelegenheit zu beraten. Doch obwohl die Verfügungen für Johann VIII. inakzeptabel erscheinen mussten, unternahm er bis zum Ableben seines Vaters zunächst keine weiteren Schritte. Die komplizierten politischen Verhältnisse und Drangsale der Zivilbevölkerung hatten zwischenzeitlich auch die nassauischen Grafschaften in Siegen und Dillenburg erreicht. Sie erforderten die ganze Aufmerksamkeit der Landesherrschaft, um den eigenen Machtanspruch

zu sichern und Schaden von den bedrängten Untertanen abzuwehren. Nach dem Erfolg der katholischen Liga in der Schlacht am Weißen Berg im Jahr 1620 über protestantische böhmische Truppen unter Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596-1632) mussten sich auf Druck der siegreichen kaiserlichen Partei auch die nassauischen Grafschaften als ehemalige Parteigänger des nach Den Haag geflüchteten böhmischen Winterkönigs von der protestantischen Union lossagen. Künftig sollten sie sogar zum Unterhalt der katholischen Liga und der mit ihr alliierten Spanier unter dem militärischen Oberbefehl Generals Ambrosio Marqués de los Balbazes Spinola (1569-1630) beitragen. Dieser verhängte über die Grafen von Nassau ihres gewalttätigen Charakters wegen sogar beträchtliche Kontributionsgelder [7], die am 24. Februar 1621 vertraglich reglementiert wurden. Am 17. Februar 1621 hatten die Funktionäre Spinolas formuliert, dass die Grafen zu Nassau eine Summe in Höhe von 86.599 Gulden, 12 ½ Batzen und 37.114 Reichstaler, 7 ½ Batzen, zu zahlen hatten. Am 7. August 1621 beurkundete der Siegener Landesherr Johann VII., dass ihm seine Stadt Siegen und deren Bürgerschaft nebst sämtlichen Handwerksmeistern nach der unlängst von Spinola abgeforderten Brandschatzung und der bereits davor entrichteten Landund Kriegssteuern abermals die außergewöhnlichen Abgaben bewilligt habe. Von 1621 bis 1626 sollten jedes Jahr 1.000 Rädergulden Siegener Währung gezahlt werden. Noch am 8. März 1624 bekannte sein Sohn Johann VIII., dass ihm Bürgermeister und Rat der Stadt Siegen die Schatzung noch auf drei weitere Jahre bewilligt hätten, obwohl die Zahlungen durch das Ableben des Vaters eigentlich hinfällig geworden waren. Die landesherrliche Urkunde in den Beständen des Stadtarchivs Siegen dokumentiert den finanziellen Druck, der auf den Landesuntertanen im Siegerland lastete. [8] Das Beispiel aus dem nassauischen Idstein im Taunus zeigt deutlich, dass die Repressionen beileibe nicht nur monetärer Natur waren: Konnten die Dorfschaften die angesetzten Contributionen nicht entrichten, so wurden Menschen und Vieh eingesperrt und nicht zur Weide und Arbeit gelassen [...]; die Bürgermeister wurden mißhandelt und deren Wohnungen ausgeplündert. [9] Das Gezerre um die Umsetzung dieser Verpflichtung vergrößerte auch im Siegerland die Nöte der Zivilbevölkerung. Truppendurchmärsche, Versorgungsengpässe sowie Brandschatzungen marodierender Söldner bedrohten ganz Nassau. Selbst Johann VIII. empfahl ungeachtet aller konfessionellen Gegensätze seinem calvinistischen Vater, die auferlegten Kontributionszahlungen durch Verweis auf die Ärmlichkeit (!) des Siegener Herrschaftsgebietes zu mindern ( [ ] chez nour il n y a que des montagnes et de ronces, comme Votre Excellence la peu cognoistre en passant par l Almagne de ce coste la [ ]; sans avoir egard à la pauvrete du pais et du peuple, qui pour la pluspart ne sont que des charbonniers e bergers, si bien qu à grand peine peuvent ist gaigner pour le soustienement de leur vie le pain seulement, lequel ils sont encores contraincts d aller cerccer au pais de la Wetterau ; dt.: bei uns gibt es nur Gebirge und Dornensträucher, wovon sich Ihre Exzellenz bei einer Durchreise durch Deutschland überzeugen können [ ]; trotz der Armut von Land und Leuten, die überwiegend nur aus Köhlern und Hirten bestehen, die kaum ihr Brot haben, das sie zudem noch aus der Wetterau beschaffen müssen. ) [10] Beispiele aus Haiger, Dillenburg und aus dem südlichen Siegerland hatten allen Beteiligten eindringlich vor Augen gehalten, dass die eigene Bevölkerung oftmals ohnmächtig und schutzlos einer skrupellosen Soldateska ausgeliefert war. Diese Truppen aber hielten schlechte Mannszucht, weder Männer, noch Frauen waren vor diesen Unmenschen gesichert, die Weiber wurden in Gegenwart ihrer Männer genothzüchtigt, die Kindbetterinnen aus den Betten in die Wälder gejagt und die Männer furchtbar mißhandelt. Den Einwohnern wurde das Geld mit Gewalt gepreßt. [...] Im Burbacher Grund griffen die Leute aus Verzweiflung zu den Waffen und vertheidigten sich gegen diese Unmenschen. Im Siegen schen wurden die Leute bis auf den Tod geschlagen. Den Schultheisen von Ferndorf entkleideten sie völlig, jagten dessen Frau, eine

Kindbetterin von drei Tagen aus dem Bette in den Wald und nahmen der Familie alles Geld ab. Noch im Februar [1623] lagen in Siegen dreißig Männer wegen Mißhandlung im Hospital [...], weiß eine Chronik zu berichten. [11] Am 27. Juni 1623 erwirkte Johann VIII. ein Mandat des Kaisers Ferdinand II. (1578-1637). Darin wurde der Landesvater gegen Strafandrohung aufgefordert, die Aufhebung der Primogenitur zu revidieren, seinen Sohn Johann VIII. als allein erbberechtigt in Nassau-Siegen anzuerkennen und die Dreiteilung der ohnehin kleinen Grafschaft zu verhindern. [12] Nach einem Vergleich mit seinem Bruder Wilhelm, dem er das Amt Hilchenbach und Teile des Amtes Ferndorf abtrat, nahm er im Januar 1624 die Huldigung von Stadt und Land Siegen in Empfang. Sowohl Repräsentanten des Stadtmagistrats als auch die Untertanen in der Grafschaft betonten aber vor ihrem neuen Landesherrn, dass man die bisherige reformierte Konfession beibehalten wolle. Zunächst gab sich Graf Johann VIII. nach der Besitzergreifung in Religionsfragen auch tolerant und liberal. Zwar führte er mit Hilfe von Kölner Jesuiten die katholische Messe in Siegen wieder ein und verbot Schmähpredigten gegen den Katholizismus, jedoch blieb das reformierte Kirchenwesen zumindest bis 1626 noch weitgehend unangetastet. [13] Dann jedoch änderte sich die Situation auch im Siegerland schlagartig. Das Restitutionsedikt von 1626 Durch das Inkrafttreten eines Restitutionsedikts vom 6. Juni 1626 verschärften sich die religiösen Spannungen in Nassau-Siegen mit Ausnahme des Amtes Hilchenbach. Die Suspendierung reformierter Pfarrer und deren Ersetzung durch katholische Geistliche sowie die Gründung eines Jesuitenkollegiums in Siegen bildeten den Startschuss für eine rigorose Rekatholisierung des Siegerlands. Akatholische Gottesdienste durften in der Stadt Siegen fortan nicht mehr gehalten werden, lediglich in der Martinikirche wurden noch Taufen, Ehen und Beerdigungen ohne Predigt geduldet. [14] Der Initiator versuchte mit allen Mitteln, einen Bekenntniswandel seiner Siegerländer Untertanen zu erzwingen. Johann VIII. formulierte den Wunsch, [...] daß Unsere und Uns von Gott und von der Natur anvertrauete geliebte Unterthanen, ob sie wohl ein anders auß Mangel der Unterweissung wünschen wollen, in so großer Gefahr ihrer ewigen Seeligkeit sollen stecken bleiben, sondern vielmehr sie mit solchen Lehrern und Seelsorgern versehen, denen Wir selbst unser Gewissen zu vertrauen keine Scheu tragen. [15] Allein die bestürzte Bevölkerung verweigerte die katholischen Bildungs- und Predigtangebote, da viele Hausväter augenscheinlich nicht bereit waren, ihre Sprösslinge von katholischen Lehrern unterrichten zu lassen. Das Edikt von Johann VIII. stieß immer mehr auf Widerstand. Trotz rigider Strafandrohungen hielt ein Großteil der Bevölkerung noch am reformierten Glauben fest. Etliche Untertanen emigrierten aus dem Siegerland in die benachbarte, reformierte Grafschaft Nassau-Dillenburg. [16] In Anbetracht der gravierenden sozialen Missstände waren die Nöte des einfachen Volkes ohnehin viel existenziellerer Natur. In dieser unglücklichen Zeit, in der der Druck so schwer auf den Bewohnern des Landes lastete, wüthete auch noch die Pest auf eine Schrecken erregende Weise in beinahe allen Theilen des Landes. Sie war durch die ab- und anziehenden Soldaten schnell nach allen Seiten hin verpflanzt worden. In Dillenburg starben in zwei Monaten 246 Personen [...]. [17] Wohl auch aus diesem Grund kulminierte diese Protesthaltung nicht in einem bewaffneten Aufruhr gegen klerikale Obrigkeit und weltliche Macht. Ohnehin sollte sich die Situation der Protestanten nicht nur in der Grafschaft Nassau-Siegen durch den Kriegseintritt Schwedens im Jahr 1630 ändern. Auf dem Höhepunkt seines militärischen Vormarschs auf deutschem Boden leistete der schwedische König Gustav II. Adolf (1594-1632) am 14. Februar 1632 Rechtshilfe für die reformierte Linie Nassau-Siegens beziehungsweise für Johann Moritz. In einem Befehl des Monarchen an Ludwig Heinrich Graf zu Nassau-Dillenburg (1594-1662), der 1631 als Obrist in

den Dienst Schwedens getreten war, bestätigte er die Ansprüche der reformierten Siegener Grafen und wies Graf Ludwig Heinrich an, seinen Cousin in das Siegener Territorium einzusetzen nötigenfalls auch mit militärischen Mitteln. [18] Daraufhin besetzte der Dillenburger Landesherr die Stadt Siegen und bildete durch die Machtdemonstrationen eine wichtige Grundlage dafür, dass am 29. Februar 1632 auch Johann Moritz in Siegen eintreffen konnte, um hier die Erbhuldigung seiner Untertanen in Empfang zu nehmen. Doch es stellte sich heraus, dass die Bevölkerung durch diese Vorgehensweise in Verlegenheit gebracht wurde. Offen bekannte die Bürgerschaft, dass der Katholik Johann VIII. seit seiner Regierungsübernahme trotz des eingeführten Religionsedikts Sorge für die Grafschaft Siegen getragen habe. [19] Tatsächlich hatte der katholische Landesherr und zwischenzeitlich zu einem hochdekorierten Feldherrn in spanischen Diensten emporgestiegene Siegener Graf noch wenige Wochen vor seinem Tod per kaiserliches Dekret vom 10. Februar 1638 einen Schutzbrief ( Salvaguardia ) für Nassau-Siegen erwirken können. [20] Dieser Schutzbrief ist ein weiteres wichtiges Dokument aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, das im Stadtarchiv Siegen aufbewahrt wird. Die Datierung des Schriftstücks lässt bereits erahnen, dass die mit der Ausweisung der Patres und der Schließung des Jesuitenkollegs verbundene Wiederherstellung des reformierten Glaubensbekenntnisses unter Johann Moritz nur ein Intermezzo darstellen sollte. Nach dem Tod des Schwedenkönigs im Jahre 1632 und der Schlacht von Nördlingen im September 1634 hatte sich das Blatt wieder zugunsten der kaiserlichen Krone gewendet. Nach der Ratifizierung des so genannten Prager Friedens am 30. Mai 1635 war die Grafschaft Nassau-Siegen mit Ausnahme des Amtes Hilchenbach wieder an den Katholiken Johann VIII. gefallen. Not und Elend der Siegerländer Bevölkerung Die Schlachtfelder waren zwar weit weg. Aber auch die Siegerländer Bevölkerung hatte weiterhin die Folgen der Grausamkeiten und wechselnden Landesherrschaften zu spüren bekommen. Beispiel Krombach: Nach der Huldigung an Johann Moritz im Jahr 1632 waren kaiserliche Truppen und kölnische Bauern zurückgeschlagen worden. Ein katholisches Kommando fiel jedoch kurze Zeit später wieder in das nördliche Siegerland ein, mordete [...] undt nahm den Crombachern alles Vieh weg. [21] Ein Jahr später wurden die Bewohner sogar dafür zur Kasse gebeten, dass zwei berittene Söldner nicht (!) die Fenster des Schulgebäudes einschlugen: zweyen Reuttern müssen geben, das sie die fenster am schulhauß nit zerschlagen 10 Albus. [22] Mehr noch: Wegen der allgegenwärtigen Gefahrenlage musste hier Ende November 1634 der Körper einer verstorbenen Frau etliche tag unbegraben liegen bleiben. [23] Die Folge: Seuchen breiteten sich aus. Schwere Infektionskrankheiten wie die Pest oder die blutige Ruhr dezimierten ganze Ortschaften, die Überlebenden litten unter schweren Versorgungsengpässen. Ueberall herrschte eine unerträgliche Hungersnot, welche die Soldaten dadurch vermehrten, daß sie unter dem Prätert (Vorwand) der Kontribution (Kriegssteuer) alles Lebensmittel wegnahmen, und sich der arme Landmann, der nicht Hungers sterben will, nunmehr von Gras, Kraut und Wurzeln, dürren und grünen Laubblättern, ohne Brot, Salz und Schmalz ernähren musste. Um Pferdefleisch haben sich die Leute gerupft, geschlagen und gar gemordet, in Summa war eine solche Not, daß kein Mensch, so zu sagen, des anderen verschont, sondern mit Vorteil totschlugen und verzehrten, wusste der reformierte Pfarrer Völker aus Miehlen während des Dreißigjährigen Krieges zu berichten. [24] Die Wurzel allen Übels, aller ansteckenden Krankheiten, aller Viehseuchen, aller wütenden Ungewitter, allen Dahindarbens, suchte das Volk im Übernatürlichen bei Hexen und anderen vermeintlich obskuren Gestalten. Denunziantentum war an der Tagesordnung. War dann eine Gemeinde von einem solchen Unglück heimgesucht, dann konnten einzelne Personen bald verdächtig genug erscheinen, als ob sie dies durch ihre Zaubereien herbeigeführt hätten. [25] Bereits die

Nassau-Catzenelnbogische Policey-Ordnung von 1616 hatte den Tod durch Verbrennen angedroht, sollte der Nachweis eines Schadenszaubers erbracht werden können. Mit dem Tod durch Feuer oder Schwert sollten aber auch diejenigen bestraft werden, die von Gott abgefallen und einen Pakt mit dem Teufel eingegangen waren. [26] Zahlreiche Menschen fielen dem rigorosen Hexenwahn zum Opfer. Nicht uninteressant: Ein religiöser Gegensatz zwischen Katholiken und Protestanten lässt sich aus den Akten der Peinlichen Gerichtsbarkeit in Siegen nicht zwingend ableiten; es gibt keine Hinweise darauf, dass der Vorwurf der Hexerei gezielt gegen jeweils Andersgläubige eingesetzt wurde. [27] Eine wesentliche Änderung der politischen Verhältnisse im Siegerland trat dann im Jahre 1642 ein. Am 18. Juli verstarb der reformierte Graf Wilhelm zu Nassau-Siegen, ohne erbberechtigte Söhne zu hinterlassen. Dem Testament seines Vaters von 1621 zufolge hätte nun Johann Moritz in das Amt Hilchenbach einrücken sollen. Dieser hielt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in Brasilien auf. Zunächst versuchte die Witwe des 1638 verstorbenen Grafen Johann VIII. das Gebiet für sich zu beanspruchen. Die Bemühungen der strengen Katholikin Ernestine Yolanda, ihr Territorium im Sinne des Papsttums zu konfessionalisieren, waren offenkundig nicht erfolgreich. Noch 1642 haderte sie darüber, dass der mehre Theil ihrer Untertanen zu Siegen dem calvinischen Prädicanten anhange. [28] Neue Verhandlungen sollten daher Klarheit in der Sukzessionsfrage bringen. Kaiser Ferdinand III. berief im Jahre 1643 eine Kommission zur gütlichen Einigung der Streitigkeiten in Nassau- Siegen und lud die Parteien am 13. März 1643 zu Verhandlungen nach Köln ein. Per Dekret wurde die Arbeit der Kommission aber am 16. September 1644 ergebnislos eingestellt. [25] Die Lethargie auf diplomatischem Parkett verschlimmerte noch das Elend der breiten, geschröpften Masse. Im Februar 1643 ließ ein hessischer Major ganz einfach verkünden, dass die Bewohner der Grafschaft Nassau-Siegen zusätzlich zu den bereits aufgebürdeten Kontributionszahlungen an die kaiserliche Krone für ihn 200 Reichstaler abzuliefern hätte, dazu fünf Wagen Heu und vier Wagen Stroh für seine Garnison in der Freusburg. [29] Ein schwerer Schlag für die ohnehin völlig niederliegende Wirtschaft des Siegerlandes. Denn: In dem Siegenischen lag der Eisenhandel seit verschiedenen Jahren ganz still. Den Unterthanen entgieng hierdurch alle Nahrung, und dennoch wurden die Umstände für dieselben täglich schlimmer. [30] Zuvor war im Juli 1644 auch Johann Moritz aus Brasilien in die Niederlande zurückgekehrt. Zusammen mit seinen Brüdern Georg Friedrich und Heinrich begab er sich im Januar 1645 nach Siegen. Mit militärischer Gewalt nahm er widerrechtlich das Obere Schloss zu Siegen ein und ließ sich von Stadt und Land als regierender Landesherr des evangelischen Anteils huldigen. Doch selbst der zwischenzeitlich in Münster unterzeichnete Westfälische Frieden von 1648 brachte (noch) keine Besänftigung der verworrenen Verhältnisse im Siegerland. Religiöse Auseinandersetzungen selbst nach dem Westfälischen Frieden von 1648 Zwar bestätigte Kaiser Ferdinand III. im November 1649 das Testament von Johann VII. aus dem Jahr 1621, indem Johann Moritz den 2. und 3. Anteil der Erbschaft erhielt, während Johann Franz Desideratus den dritten Stammteil, das heißt das katholische Johannland, zugesprochen bekam [31], allerdings resultierte daraus nicht ein Ende der religiösen Zwistigkeiten. So musste Ernestine Yolanda zwischen 1645 und 1650 im Siegener Rathaus residieren, da die reformierte Linie Nassau-Siegen ihr und ihren Kindern das Obere Schloss mit Waffengewalt weiter vorenthielt. Von ihrer Logis war die Regentin dann auch wenig begeistert. In einem Schreiben an den Kurfürsten von Mainz am 16. September 1649 beklagte sie sich etwa darüber, dass sie sich allwo wegen Weigerung des Schlosses bis auf die heutige Stund auf dem Stadthaus zu meiner höchsten Incommodität aufhalten müsse. Diese Schmach kam der Dame wie ein Fegefeuer vor und sie wünschte sich sehnlichst, aus dieser Taverne befreit zu werden. [32] Noch im November 1650 kam es in dieser Sache zu tumultartigen Szenen in

Siegen. Nach wie vor herrschte tiefes Misstrauen in großen Teilen einer ausgezehrten Gesellschaft. Nach dem Ende des Sukzessionsstreits in Nassau-Siegen widmete sich eine eigens einberufene Reichskommission im Dezember 1650 vornehmlich der konfessionellen Spaltung der kleinen Grafschaft. Unter Berufung auf den Westfälischen Frieden verkünden die Subdelegierten der Kommission, dass der reformierten Linie Martinikirche und Nikolaikirche im Stadtgebiet Siegens zustehen solle, während die St. Johanniskirche den Katholiken ausgehändigt werden solle. Das Obere Schloss zu Siegen müsse ebenfalls der katholischen Linie zufallen. Trotz des Beschlusses ließ der reformierte Heinrich Graf zu Nassau-Siegen kurz vor dem Weihnachtsfest 1650 den zuvor errichteten Altar in der Johanneskirche beseitigen, die Kanzel für die Katholiken sperren und das Glockengeläut untersagen. Im Januar 1651 versuchte er sogar mit Gewalt, sich der vier Kirchspiele des ersten (katholischen) Stammteils Rödgen, Wilnsdorf, Netphen und Irmgarteichen zu bemächtigen. Die resolute Vorgehensweise des reformierten Repräsentanten erzürnte die katholische Linie ebenso wie die Abgesandten der Reichsstände in Nürnberg, die mit der Umsetzung des Friedensvertrags beschäftigt waren. [33] Heinrich wurde befohlen, die Ausschreitungen gegen den katholischen Glauben zu unterbinden und alle erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um die Gewalttätigkeiten zu beenden. [34] Nachdem auch der Besuch von Georg Friedrich Graf zu Nassau-Siegen im Mai 1651 in eigenmächtigen Ausschreitungen gegen Katholiken geendet hatte, forderte Kaiser Ferdinand III. die reformierten Grafen Johann Moritz, Heinrich und Georg Friedrich in einem Mandat vom 22. Juli 1651 auf, sich für die Gewaltexzesse zu verantworten. Georg Friedrich hatte für die Entfernung des Taufsteins der St. Johanniskirche zu Siegen verantwortlich gezeichnet und den Katholiken gedroht, ihnen nötigenfalls das Vieh verschleppen zu lassen, sollten sie sich je wieder bei einem katholischen Gottesdienst blicken lassen. Sogar das Obere Schloss zu Siegen ließ er belagern und die Drohung aussprechen, er werde die Residenz der katholischen Herrschaft in Brand schießen lassen, wenn die Jesuiten nicht umgehend die Stadt verließen. Katholische Gläubige sollen bei ihrer Abreise aus Siegen unter Hohn und Spott der Reformierten gar mit Kot und Steinen beworfen worden sein. [35] Der Rezess von 1651 als Beginn einer fragilen Koexistenz der Konfessionen Wenige Monate später konnten im November 1651 dann jedoch endlich die Verhandlungen zur Aufnahme eines dauerhaften Religionsfriedens aufgenommen werden. Am 11. Dezember 1651 kam schließlich ein Durchbruch zustande. Als Verhandlungsresultat wurde unter anderem festgehalten, dass die Siegener St. Johanniskirche (das ehemalige Gotteshaus des Franziskanerklosters) fortan als simultane Kirche von beiden Konfessionen genutzt werden solle. Martinikirche und Nikolaikirche wurden hingegen der reformierten Gemeinde reserviert. Nach dem ständigen Wechsel der Religionsverhältnisse in den vergangenen drei Jahrzehnten wurde mit dem Familienvertrag von 1651 die Basis für ein konfessionell zweigeteiltes Herrschaftsgebiet gelegt, das weitgehend den testamentarischen Bestimmungen Graf Johanns VII. von 1621 entsprach. Katholizismus und Protestantismus konnten sich von nun an konsolidieren, wenngleich die vereinbarte Doppelherrschaft in der Stadt Siegen bis zum Erlöschen der Dynastie Nassau-Siegen im Mannesstamm anno 1743 immer wieder zu politischen und religiösen Belastungen in dem Gebiet führen sollte. Auch wenn das Siegerland kein Kriegsschauplatz gewesen ist: Die wirklich Leidtragenden des dynastischen Ränkespiels waren wie in jedem Krieg die Zivilisten. Verarmt, drangsaliert und ausgeplündert. Daran vermochten auch keine landesherrlichen Schutzbriefe etwas ändern.

Quellenangaben: [1] Rainer S. ELKAR, Fürstliche Religion und soziale Existenz. Einige Bemerkungen zu Sozialstruktur, Konfessionswandel und Bildungsgeschichte in Nassau-Siegen während der Frühen Neuzeit, in: Studien zur Sozialgeschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hrsg. von Franklin Kopitzsch, Klaus J. Lorenzen-Schmidt und Heide Wunder. Hamburg 1977, S. 186-224, hier S. 198. [2] Karl WOLF, Die Konversion des Grafen Johann des Jüngeren von Nassau-Siegen. In: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung Bd. 76 (1965), S. 182-191. [3] Gerhard SPECHT, Johann VIII. von Nassau-Siegen und die katholische Restauration in der Grafschaft Siegen (Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte 4). Paderborn 1964, S. 28. [4] Heinrich von ACHENBACH, Geschichte der Stadt Siegen. I. bis VII. Teil [1. Bd.]. Kreuztal 1978. Ergänzter Nachdruck der Ausgabe Siegen 1894, S. 399. [5] Bernd STEINSEIFER, Das Jahr 1648 und seine Bedeutung für Nassau-Siegen. Der Westfälische Frieden im Siegerland. In: Siegerland. Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins e.v. Bd. 75/Heft 2 (1998), S. 101-117, hier S. 103. [6] Stadtarchiv Siegen (=StAS), Ergänzender Bestand, Karton Nr. 308 (Sukzession u.a. betr. Nassau-Siegen 1700). [7] Der Dreißigjährige Krieg und der Alltag in Westfalen. Quellen aus dem Staatsarchiv Münster. Red. Leopold SCHÜTTE (Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschungen 43). Münster 1998, S. 79. [8] StAS, Best. Urkunden, 7.8.1621. [9] E.F. KELLER, Die Drangsale des Nassauischen Volkes und der angrenzenden Nachbarländer in den Zeiten des dreißigjährigen Kriegs, seine Helden, Staatsmänner und andere berühmte Zeitgenossen. Gotha 1854, S. 72. [10] SCHÜTTE (wie Anm. 7), S. 84f. [11] KELLER, (wie Anm. 9) S. 35f. [12] STEINSEIFER (wie Anm. 5), S. 104. [13] Sebastian SCHMIDT, Glaube-Herrschaft-Disziplin. Konfessionalisierung und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dillenburg (1538-1683). (Forschungen zur Regionalgeschichte 50). Paderborn 2005, S. 224. [14] F.A. HÖYNCK, Geschichte des Dekanats Siegen, Bistum Paderborn. Paderborn 1904, S. 32. [15] ELKAR (wie Anm. 1), S. 207. [16] SCHMIDT (wie Anm. 13), S. 224f. [17] KELLER (wie Anm. 9), S. 65. [18] SPECHT (wie Anm. 3), S. 196f. [19] Ebenda, S. 199f. [20] StAS, Ergänzender Bestand Nr. 306 (Kasual-Drucke Nassau-Siegen 1743) [21] Paul HENRICH, Krombach im dreißigjährigen Kriege, in: Heimatgrüße 27 (1928), S. 209-211, hier S. 210. [22] Ebenda. [23] Ebenda. [24] H[einrich] GAMANN, Die Drangsale der Siegerländer während des dreißigjährigen Krieges, in: Heimatgrüße 30 (1928), S. 235-236, hier S. 236. [25] KELLER (wie Anm. 9), S. 135. [26] Bernd D. PLAUM, Hexenverfolgungen in Nassau-Siegen, in: Siegener Beiträge 9 (2004), S. 117-152, hier S. 120f. [27] Ebenda, S. 123. [28] DIE EVANGELISCHE KIRCHE IN NASSAU-ORANIEN 1530-1930. Festschrift zum Gedächtnis der Einführung der Reformation (1530) und des Heidelberger Katechismus (1580) in den Grafschaften Nassau-Dillenburg und Nassau-Siegen. Mit Beitr. von Heinrich Schlosser und Wilhelm Neuser. Bd. 1. Siegen 1931, S. 34 [29] J.H. von PFAU, Zur Geschichte der Nassauischen Lande während des 30-jährigens Krieges, veröffentlicht in den Dillenburgischen Intelligenz-Nachrichten der Jahre 1776 bis 1780 (im Bestand des Stadtarchivs Siegen), S. 101 [30] Ebenda, S. 103. [31] Andreas BINGENER, Alter Glauben und die Reformation. Nassau-Siegen im Zeitalter konfessioneller Gegensätze, in: Eiserfeld im grünen Kranz der Berge. Dokumentation zur 700jährigen Geschichte des ehemaligen Bergmannsdorfes. Bearb. von Horst G. Koch. Siegen 1992, S. 119-125, hier S. 121f. [32] ACHENBACH (wie Anm. 4), S. 475. [33] STEINSEIFER (wie Anm. 5), S. 109f. [34] Ebenda, S. 110. [35] HÖYNCK (wie Anm. 17), S. 56f.