Beobachtung von Massenverteilung und Massenvariationen im System Erde mit den Satelliten CHAMP und GRACE Frank Flechtner Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ Sektion 1.2 Globales Geomonitoring und Schwerefeld
Inhalt Kurze Einführung in die Problematik der Schwerefeldbestimmung Ausgewählte Ergebnisse von Massenverteilung und Massenvariationen im System Erde für CHAMP und GRACE Aktuell: Reprozessieren der Daten (RL05) Stand der Missionen und Ausblick auf Nachfolgemission Zusammenfassung
Erste Erkenntnisse nach dem CHAMP-Start am 15. Juli 2000
Beulen und Dellen im Erdkörper (1) sondern ist in erster Näherung durch die Rotation um die Polachse abgeplattet. Der Radius dieses Rotationsellipsoides ist dabei am Äquator rund 21 km größer als an den Polen. b~6357km An der Oberfläche dieses Rotationsellipsoids wirkt aufgrund der Massenanziehung eine Gravitationsbeschleunigung in Richtung des Mittelpunkts von 9,81 m/s 2, die zum Pol hin auf 9,83 m/s 2 zunimmt. a~6378km Berücksichtigt man noch die der Erdanziehung entgegen gerichtete Zentrifugalbeschleunigung von 0,03 m/s 2 am Äquator, so ergibt sich eine breitenabhängige Schwerebeschleunigung (oder kurz Schwere) von 9,78 m/s 2 am Äquator. Schwerepotential V ist auf dem Rotationsellipsoid überall gleich: V 01 =W 01 /m = const. Man spricht von einer Äquipotentialfläche. Die auf solch einem Rotationsellipsoid wirkende Schwere nennt man Normalschwere und den Potentialwert Normalpotential.
Beulen und Dellen im Erdkörper (2) Die Masse der Erde ist aber nicht gleichmäßig verteilt! Im Innern ist der Erdkörper schalenförmig aufgebaut. An den Übergangszonen zwischen den Schalen vom Zentrum über den äußeren Erdkern und den Erdmantel bis zur Erdkruste gibt es unregelmäßig verteilte Dichtesprünge und innerhalb der Schalen einen variierenden Dichteverlauf. Durch diese Dichteanomalien weicht das tatsächliche Schwerefeld vom Normalschwerefeld eines Rotationsellipsoids ab!
Beulen und Dellen im Erdkörper (3) Die wahre Äquipotentialfläche der Erde (Geoid) ist gegenüber der Ellipsoidoberfläche deformiert und weist Beulen und Dellen mit Abweichungen von bis zu 100 m nach oben und unten auf (Geoidundulationen) und erinnert bei stark überhöhter 3D- Darstellung eher an eine Kartoffel.
Beulen und Dellen im Erdkörper (4) Auch die tatsächlichen Schwerewerte an der Erdoberfläche variieren um die Normalwerte des Rotationsellipsoids. Die Ausschläge, die als Schwereanomalien bezeichnet werden, erreichen maximal 200 mgal, das sind 2 x 10 3 m/s 2, also 200 Millionstel der Normalschwere. Geoidundulation eignen sich gut zur Darstellung der langwelligen Anteile des Schwerefeldes. Schwereanomalien eignen sich gut zur Darstellung der kurzwelligen Anteile des Schwerefeldes.
Störungsanalyse von Satellitenbahnen (1) Geoidundulationen und Schwereanomalien repräsentieren die unregelmäßige Struktur des Schwerefeldes entlang der Erdoberfläche und sind die gesuchten Größen, die in der Satellitengeodäsie aus der Analyse von Bahnstörungen erdumkreisender Satelliten gewonnen werden. Als Bahnstörungen werden die Abweichungen der Flugbahn von der Kepler- Ellipse bezeichnet, die der Satellit fliegen würde, wenn die Erde homogen aufgebaut wäre. Flugbahn muss also beobachtet werden (optisch, SLR, etc.)
Störungsanalyse von Satellitenbahnen (2) Zur Ableitung des Schwerefeldes aus den Beobachtungen wird die Bahn des Satelliten in einem raumfesten Bezugssystem numerisch integriert (bei CHAMP/GRACE z.b. jeweils 24 Stunden bzw. 15 Umläufe). Erforderlich sind Genäherte Anfangswerte für Ort und Geschwindigkeit des Satelliten zum Startzeitpunkt der numerischen Bahnintegration Störkräfte, die auf den Satelliten wirken, z.b. o gravitative Kräfte wie das Schwerefeld der Erde oder die Gezeitenkräfte von Mond, Sonne und Planeten o nicht-gravitative Kräfte wie der Hochatmosphärenwiderstand sowie Sonnenund Erdstrahlungsdruck. o Empirische Kräfte die z.b. pro Umlauf wirken (Temperatur etc.) Durch Variation der Anfangswerte für Ort und Geschwindigkeit des Satelliten erhält man für den Integrationszeitraum eine an die Bahnbeobachtungen am besten angepasste Bahn.
Störungsanalyse von Satellitenbahnen (3) Die Differenzen zwischen theoretischen und wahren Beobachtungen (Residuen) enthalten die Information über Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Erdschwerefeld und dem der Bahnberechnung zugrundegelegten Modell, sofern alle anderen auf den Satelliten wirkenden Kräfte fehlerfrei modelliert oder gemessen sind. Zeitvariable Gravitationspotential U ist dabei über Kugelfunktionskoeffizienten Clm/Slm parametrisiert (aber auch andere Ansätze (Energieerhaltung etc.) möglich) zonal Sektorial l=9 m=9 Tesseral l=16 m=9 Zonal l=6 m=0 Für CHAMP ergeben sich z.b. monatliche Gleichungssysteme aus ca. 600.000 GPS- Beobachtungen und 10.000 Unbekannten (Anfangselemente, Schwerefeld- oder Instrumentenparameter, )
Nicht-optimale Schwerefeldauswertung vor CHAMP Viele Satelliten in verschiedenen Bahnhöhen und Inklinationen Viele inhomogene Beobachtungen (SLR, optisch, PRARE, DORIS, ) auf nur kurzen Bahnstücken Lediglich Modellannahmen für nicht-gravitative Kräfte (Restatmosphäre, Sonnenstrahlung, Albedo)
Eine neues Zeitalter: Schwerefeldbestimmung mit CHAMP Erstmalige homogene Bahnverfolgung eines Satelliten mit Zentimetergenauigkeit im Sekundentakt durch GPS High-Low SST (Validation der GPSabgeleiteten Bahn mit SLR ) Erstmals Messung nicht-gravitativer Störbeschleunigungen Lage des Satelliten im Raum beobachtet mittels Sternensensoren Damit gelang es mit CHAMP zum ersten Mal, das Erdschwerefeld allein aus den Bahnstörungen eines einzigen Satelliten abzuleiten! RO-Antenna (backside) LRR (bottom)
Statisches Schwerefeld CHAMP: Anomalien Europa Pre-CHAMP: GRIM5S1 CHAMP
Zeitliche Variationen des Schwerefeldes aus CHAMP (RL04 Standards) CHAMP/GRACE CHAMP/GRACE
Die GRACE-Mission Gemeinsame US/D Mission mit Zwillingssatelliten Satelliten wurden auf der Basis von CHAMP durch Astrium GmbH gebaut Startrakete Rockot/Breeze (Plesetsk), Start 17. März 2002 Gemeinsamer wissenschaftlicher Betrieb zwischen JPL, CSR und GFZ Hauptziel ist die Bestimmung der zeitvariablen Anteile des Schwerefeldes (monatliche bis wöchentliche Auflösung) mit engem Bezug zu klima-relevanten Fragestellungen in Hydrologie, Ozeanographie oder Glaziologie
Messprinzip GRACE Grob gesagt: Zweimal CHAMP (GPS, ACC, SCA) plus low-low SST s = 220 50km σs = 10 µm bzw. σs/dt = 100nm/s!
Entwicklung Statische Schwerefelder Pre-CHAMP CHAMP GRACE GRACE + terr. 17
Eismassenänderung Grönland aus 6 Jahren GRACE Beschleunigung ca. 0.55mm Beitrag zum globalen Meeres- Spiegelanstieg GFZ RL04, August 2002 - August 2008, GIA corrected (Sasgen et al., GFZ, Sek. 1.5) 18
Beschleunigte Eismassenänderung Antarktis / Grönland 19
Monitoring des kontinentalen Wasserhaushalts 2006-2007 Courtesy: IGG Bonn
Monitoring des kontinentalen Eis-/Wasserhaushalts Courtesy: IGG Bonn
Schliessung der Wasserbilanz mit GRACE (Sub-)seasonal water storage variability in Central Europe From: Seitz et al., EPSL, 2008 ΔS(GRACE) Storage Change = Inflow (Precipitation) Outflow (Evaporation + Runoff)
Kalibration WGHM-Modell mit GRACE (1) Example: Amazon basin Drought 2005 Werth (GFZ) et al. (2009)
Kalibration WGHM-Modell mit GRACE (2) Changes in seasonal water storage variability of the calibrated WGHM relative to original model version mm Werth & Güntner (2009)
Meeresspiegelanstieg aus Altimetrie 15a Trend Global SL Rate = 3.1 (Nerem, 2009) 0.4 mm Jason-1 GRACE Global SL Trend Distribution Courtesy Esselborn, GFZ 25 25
Masse- und Volumenanteil am Meeresspiegelanstieg Measured by Altimeters Jason-1 Total Rate: 3.1 mm/yr Most of this Difference is due to melting ice Thermal Expansion: ~1.3 mm/yr Estimated change in volume due to thermal expansion Courtesy of Josh Willis, JPL Argo
Meeresspiegelbudget 2005-2009.5 Grace Trend(2005-2009.5) = 1.3 ± 0.8 mm/yr (Chambers, 2009)
Momentan: Reprozessierung der Missionsdaten
Veränderung Hintergrundmodellierung A priori Static Gravity Field Time-variable Gravity Field Currently: RL04 EIGEN-GL04C none New: RL05 EIGEN-51C Trend/Annual/ Semiannual Model derived from RL04 Secular Rates C 20, C 30, C 40, C 21, S 21 none Ocean Tides FES2004 EOT10a Atmospheric Tides S1, S2 Bode-Biancale 2003 Bode-Biancale 2003 Atmospheric and Oceanic Non-tidal Mass Variations AOD1B RL04 AOD1B RL04 Ocean Pole Tide Desai [2002] Desai [2002] Solid Earth & Pole Tides IERS2003 IERS2003 3 rd Body Ephemerides JPL DE403 JPL DE405 * * * * *
Verbesserung L1B Instrumentendaten
Verbesserung L1B Instrumentendaten Dichtere Akzelerometerparametrisierung 6-h Biases in R, A und C 6-h scale in A
SCA1B
Phasenzentrumskorrektur bei KBR1B: Verbesserung durch SCA1B Reprozessierung RL01 RL02 Antenna offset correction Courtesy Torsten Mayer-Gürr
Einfluss verbesserter KBR1B und SCA1B Daten reduction of spurious horizontal striping patterns KRA asc+desc (04/2008) RL04 RL05
GPS Prozessierung
GPS Prozessierung Comparison of GPS derived kinematic orbits - K-Band ranges 2007-03-01 [hour]
GPS Prozessierung Comparison of GPS derived kinematic orbits - K-Band ranges Improvements in the GPS processing - Phase wind-up 2007-03-01 [hour]
GPS Prozessierung Comparison of GPS derived kinematic orbits - K-Band ranges Improvements in the GPS processing - Phase wind-up - Empirical Phase Center Variations (PCV) 2007-03-01 [hour]
GPS Prozessierung Comparison of GPS derived kinematic orbits - K-Band ranges Improvements in the GPS processing - Phase wind-up - Empirical Phase Center Variations (PCV) - ambiguity resolving N 1 AB N 2 AB 2007-03-01 [hour]
GPS Prozessierung (Konstellationen) Reduction of 3D RMS w.r.t. IGS orbits
KBR1B Screening 1) No misinterpretation of KBR1B SNR recommendations 2) Trend, annual and semi-annual signal from RL04 3) Changed the KRR elimination criterion from 3-sigma to 5-sigma eliminated KRR observations (04/2008) RL04 RL05
GPS Phase und KRR prefit Residuen GPS phase (15%) K-band range rate (25%)
Fehlercharakteristik (spektral) für Testjahr 2008 formal errors significantly decreased calibrated errors closer to GRACE baseline (~25%): RL04 15 x baseline RL05 11 x baseline reduced striping: wrms of unfiltered solution in terms of geoid height w.r.t. static field is reduced (see next slide)
wrms (geoid height) wrt. EIGEN-GRGS.RL02 (ungefiltert n=120) Ca. 25% Reduktion! Aber Gesamtniveau immer noch deutlich zu hoch um direkt Auswerten zu können
Filterung der Schwerefelder Nachträgliche Filterung
wrms variability w.r.t. 2008 mean with DDK1 Filter (~530km) RL05 RL04 global land ocean RL04 2.8 5.1 1.4 RL05 3.0 5.5 1.4 wrms values in terms of EQWH [cm] w.r.t. mean of 12 months in 2008
wrms variability w.r.t. 2008 mean with DDK2 Filter (~340km) RL05 RL04 global land ocean RL04 3.3 6.0 1.7 RL05 3.5 6.4 1.6 wrms values in terms of EQWH [cm] w.r.t. mean of 12 months in 2008
wrms variability w.r.t. 2008 mean with DDK3 Filter (~240km) RMS variability w.r.t. mean with DDK3 filter (~240km) applied: RL05 RL04 global land ocean RL04 4.0 6.8 2.5 RL05 4.0 7.0 2.2 wrms values in terms of EQWH [cm] w.r.t. mean of 12 months in 2008
Dekorrelationsfilter (innerhalb der Prozessierung) Entwicklung und Test eines dedizierten Dekorrelationsfilters für GRACE KRR Daten: RL05 (v02) Retro-regressiver Filter reduziert spezifische Fehlercharacteristica der KRR Daten Vielversprechende Ergebnisse in Simulationsumgebung (EGU2010 poster )
Dekorrelationsfilter (innerhalb der Prozessierung) Beyond spherical harmonic degree ~50 (1/100 Hz) the filter can be designed according to the derivation theorem. For the longer wavelength's the spectral density of KBRR residuals has been considered and empirical suspension coefficients are fitted. Paper Gruber Ch. et al. under preparation. Left: response function as suspension to derivation theorem. Right: PSD of residuals with adopted filter (long wavelengths) before and after application of the filter.
wrms (geoid height) wrt. EIGEN-GRGS.RL02 (ungefiltert n=120) Bis EGU u.a. Kombination mit LAGEOS IERS2010 ITRF2008 Tägliche Schwerefelder als verbessertes Dealiasing im monatlichen Schwerefeld
Ausblick Satellitenmissionen
CHAMP Missionsende 19.9.2010 Letzte Passage über Weilheim am 19.9.2010 um 08:26 UTC (Bahnhöhe ~150km). CHAMP verglühte gegen Mittag über Kamchatka (aus NORAD Vorhersagen). Letzter FGAN Pass am 17.9.
GRACE Situation GRACE Missionsende ~2014/15 (Solaraktivität) Aber: Betrieb bereits mit einigen redundanten Teilen; am problematischten: Batterien Allgemeiner Konsens in der internat. wissenschaftlichen Gemeinschaft: Klimarelevante Zeitreihen müssen verlängert werden (mehrere Dekaden) ESA: bisher nur Studien (NG2) NASA: GRACE-2 ~ 2020+
Notwendigkeit und Realisierung GRACE-C GFZ/STI und JPL/NASA haben mehrere Machbarkeitsstudien seit 2008 durchgeführt Koordinierungsgespräche durch GFZ mit US-Partnern (Oktober 2009) und mit Deutscher Industrie (März 2010) zu möglichen Beiträgen zu GRACE-FO GRACE-C (Continuation) ausgewählt durch NASA ESD. Juli 2010: Beauftragung von JPL/Caltech durch NASA zum Design, Development und Launch von GRACE-C (Finales Budget wartet noch auf Bestätigung im US-Kongress). Wegen herausragender technologischer und wissenschaftlicher Kooperation ist wieder eine gemeinsame US/D Mission angestrebt (Satellitenbus wieder von Astrium). Finanzierungsantrag (Mai 2010) des GFZ im Rahmen des BMBF FONA-Programms für geplante deutsche Projektanteile (Startrakete, Technologieentwicklungen, Science) Erfolgreiche Technische Interface Meetings bei JPL (Juni), STI/Astrium (Juli), GFZ (November): Ready to Go für Nachbau mit Lessons Learnt from GRACE (Satelliten Astrium) plus deutschem LRI Add-on (Messgenauigkeit) plus Alternativorbit (räumliche Auflösung) Letzte 2 Monate: Zahlreiche Supportschreiben von Wissenschaft/Industrie an BMBF. Deadline von NASA Mitte Januar 2011
LRI Einbau auf GRACE-C
Alternativer GRACE-FO Orbit: Tiefer plus Pendel GRACE @ 473km Pendulum 25km @ 373km wrms=0.48mm 500 km Filter wrms=0.50mm 300 km Filter Pendelorbit: Höhere räumliche Auflösung Video von Basem Elsaka (IGG Bonn)
Zusammenfassung CHAMP und GRACE (und natürlich GOCE) haben die Bestimmung des statischen und zeitvariablen Schwerefelds revolutioniert! Zahlreiche Anwendungen mit Bezug auf klimarelevante Fragestellungen in Hydrologie, Ozeanographie, Glaziologie, Geophysik und Geodäsie. GRACE (und danach CHAMP) werden derzeit mit neuen Standards/Modellen reprozessiert. Freigabe erster Modelle nach EGU. CHAMP Missionsende 19.9.2010 (10-Jahresfeier am GFZ am 30.6). GRACE-Betrieb nur unter optimalen Bedingungen (Batterien!) bis 2014. Verlängerung/ Überbrückung der langwelligen (!) Variationen evtl. auch nur mit 1 GRACE-Satellit. Allgemeiner Konsens in der internat. wissenschaftlichen Gemeinschaft: Klimarelevante Zeitreihen von GRACE müssen verlängert werden (mehrere Dekaden): GFZ-Antrag bei BMBF/FONA im Mai 2010. Realisierung einer US/D GRACE-C Mission wartet auf Finanzierung.