Profitest BMC Teammachine SLR 01
Text Marcel Wüst Fotografie Marco Felgenhauer Das BMC-Design ist technisch, eigenwillig und polarisierend. Doch wer wie Marcel Wüst länger auf der Teammachine SLR 01 unterwegs war, fängt an, die Leistung hinter der Optik zu schätzen und das Rad zu mögen. ZUM ANGEWÖHNEN
Profitest Die schweizerische Profimaschine zeigt ein eigenständiges Design. DIE ANEKDOTEN VON DEN STREUSALZ- NACHBESTELLUNGEN NOCH IM APRIL STIMMTEN EXAKT MIT DEM BILD ÜBER- EIN, DAS DIE STRASSEN ABGABEN. In der Garage des radsportaffinen Hotels Melodia del Bosco in Badia/ Südtirol hatte die Procycling-Redaktion insgesamt fünf Räder für mich bereitgestellt. Bei vier geplanten Tagen, in denen wir auch noch die Fotos produzieren mussten, roch das quasi nach ganz viel (Fahr-) Spaß und eben auch nach ganz viel Arbeit. Ich hatte die Qual der Wahl und wählte die Räder meist aufgrund der montierten Übersetzungen aus das BMC hatte mit 52/36 eine Semi-kompakt-Variante der Shimano Dura-Ace montiert, und so nutzte ich den Boliden des gleichnamigen Teams auch für eine semischwere Tagestour mehr zum Präfix semi später. Was mir sofort weniger gefiel, war der Lenker beziehungsweise dessen Breite. Ich hatte das Gefühl, als säße ich auf einer Harley; zunächst einmal ist daran ja nichts verwerflich, aber dass sich das Fahrrad somit etwas träge anfühlte, hatte ich gleich in der Abfahrt vom Hotelparkplatz zur Hauptstraße bemerkt und das waren gerade mal 150 Meter. Dass es sich um einen bei dieser Rahmengröße eher normal dimensionierten 44er handelte, zeigt mir, dass ich durch die vielen Jahre der schmalen Sprinterlenker wohl etwas an Einfühlungsvermögen verloren habe Vom Parkplatz ging es bergauf, zunächst moderat, denn der Campolongo ist von der Nordseite gerade mal am Ortsausgang von Corvara etwas steiler, ansonsten eher ein Rollerberg im Vergleich zu dem, was die Dolomiten sonst noch im Angebot haben. Der erste Eindruck vom BMC war eine gute Steifigkeit. Dazu gesellte sich ein angenehmer Fahrkomfort, der auf den vom Winter ramponierten Straßen genau richtig kam die von den Einheimischen zum Besten gegebenen Anekdoten von den Streusalznachbestellungen noch im April stimmten exakt mit dem Bild überein, das die Straßen abgaben. Auf der Abfahrt vom Campolongo ließ ich das Gas richtig stehen und erreichte Arraba mit einer guten Minute auf den zweiten Fahrer unserer Gruppe auch einer, der früher mal ein guter Radrennfahrer gewesen war, aber ich hatte es in Anbetracht des ersten Eindrucks dann doch wissen wollen, wie schnell man ein Rennmotorrad mit einem Harley-Lenker eine solche Abfahrt hinunterma növrieren kann. Hier zeigte sich, dass es eben doch auf den Rahmen und auf den Fahrer ankommt, wenn man schnell und dennoch sicher eine Abfahrt mit Maximaltempo bewältigen will. Der Geradeauslauf war super, die spät gezogenen und sehr bissi- 82 Procycling oktober 2013
BMC Teammachine SLR 01 Gelungen: der hintere Zugaustritt. Diese Verstrebung hat BMC bekannt gemacht. gen Dura-Ace-Bremsen verzögerten das Rad auch in allerletzter Sekunde noch so sicher, dass ich ohne Probleme mit der maximal möglichen Kurvengeschwindigkeit die Kehren meisterte, ohne dass der Rahmen Anlass zur Sorge gegeben hätte. Mitverantwortlich für die grandiose Verzögerung war sicher auch die Tatsache, dass die Dura-Ace-24-Carbon-Laufräder eine Alu-Flanke zeigten, die die heut zutage auf Carbon mögliche sehr gute Bremsleistung noch einmal zu toppen vermochte. Zu den GP 4000S aus dem Hause Conti muss ich wohl nichts mehr sagen sagenhaft, diese Reifen Inwiefern das optisch eigenwillige BMC- Design, besonders im Bereich der Verbindung von Sitz- und Oberrohr, dazu beitragen konnte, dass man sich supersicher, aber eben nicht bretthart durchgeschüttelt auf der Teammachine fühlte, ist schwierig zu beurteilen wichtig ist meines Erachtens, dass beides der Fall ist. Wie ein Hersteller diese Aufgabe löst, ist ihm selbst überlassen dass es bei der Hochwertige 3T- Anbauteile runden die Team machine ab. Einen gewissen Flex kann man auch von der flachen, breiten Sattelstütze erwarten. Die stabile Gabel sticht akkurat in jede Kurve hinein. Technische Daten Extrem breit bauende Rahmenrohre sorgen für die große Tretlagersteifigkeit. Rahmen BMC Teammachine SLR 01, 56 cm Komponenten Shimano Dura-Ace 11 Laufräder Shimano Dura-Ace C 24 Bereifung Continental Grand Prix 4000 S, 23 mm Vorbau ARX Team 3T, 120 mm Lenker Ergosum Team, Carbon, 44 cm Sattelstütze BMC Carbon, 15 mm Versatz Sattel Fizik Arione, carbon rails Gabel BMC, full carbon Gewicht ca. 7 kg Preis 6.999 Euro Kontakt www.bmc-racing.com Procycling oktober 2013 83
Profitest Der Lenker ist normal breit, doch unser Sprinter fährt aus Gewohnheit schmalere Exemplare. Sieben Kilo Gesamtgewicht mit stabilen Faltreifen-Laufrädern das macht sich beim Klettern bemerkbar. BMC-Version immer sofort ins Auge fällt, ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits sieht der Kunde, dass sich der Hersteller bei der Konstruktion des Rahmens Gedanken gemacht hat, die andere wohl nicht hatten, zum anderen ist es aber gerade in diesem Segment leistungsfähiger und nicht gerade erschwinglicher Rennrädern so, dass die Optik eine entscheidende Rolle spielt gefallen oder nicht gefallen, das ist hier die Frage. Mir jedenfalls gefiel, wie ich bergab alle Mitfahrer meiner Gruppe versägte, und in Arraba wartete ich auf mein kleines Peloton. Eigentlich war die Sella Ronda für alle geplant, aber nach kurzer Überlegung, die beim Erspähen einer recht dunklen Wolkenwand über dem Passo Pordoi einsetzte, klinkte ich mich aus und rollte zunächst weiter ins Tal, um dann über den Falzarego und den Valparolapass wieder zum Hotel zu fahren semi-kompakt, semischwer, dachte ich mir, denn von der Südseite ist der Falzarego zwar schwerer als von Cortina aus, aber dennoch immer im einstelligen Bereich, was die Steigungsprozente angeht. Bis zum Abzweig glitt ich eher entspannt dahin und genoss die grandiose Landschaft, da es endlich mal nicht wie beim Giro um das Zeitlimit ging. Außerdem fand ich das Rollverhalten meines Testrades sehr angenehm ob es nun an der BMC-eigenen Verbindung von Sitz- und Oberrohr lag, an den zunächst flachen und dann im oberen Bereich fast dreieckigen Sitzstreben oder aber an der BMC-Carbon-Sattelstütze mit 15 Millimeter Offset, das vermochte ich nicht klar zu deuten. Vermutlich eine Kombination aus allem, gepaart mit dem guten Gefühl, in den Dolomiten Rad zu fahren Als die Straße wieder anstieg und auch die Sonne zurückkam, freute ich mich über einen entspannten Ritt mit grandioser Aussicht, vor allem im oberen Teil der Strecke. Die mechanische Variante der aktuellen Dura-Ace gab wie erwartet keinerlei Anlass zum Meckern, alles fluppte perfekt die sanften Wechsel der Gänge auf den hinteren Ritzeln sind weiterhin die Benchmark im Radsport. 84 Procycling oktober 2013
Auch das relativ geringe Gesamtgewicht von knapp sieben Kilogramm machte die Tort(o)ur, die ich aus dem Giro kannte, zu einer schönen Ausfahrt. Gelegentliche Beschleunigungen, meist kurz, bevor ich einen anderen Radtouristen überholte, quittierten meine Teammachine mit augenblicklichem Vortrieb und meine Beine mit dem unerfreulichen Schmerz, den ich bergauf so oft erleiden musste. Dieser dauerte hier allerdings nur mehrfach ei - ne Minute und nicht immer wieder eine Stunde oder mehr. Wäre der Lenker zwei Zentimeter schma ler gewesen, dann hätte ich die Semi-kompakt für eine semischwere Tour mit tollen Aussichten und ohne Regen. Hallo Radsportler, nehmt eure Plattfüße doch bitte mit nach Hause. Kleiner Tipp: kann man auch reparieren Teammachine glatt als das für mich perfekte Rad bezeichnen können, denn sitzpositionstechnisch passte wirklich alles. Obwohl ich am Anfang nicht unbedingt ein Freund der eigenwilligen Rahmengestaltung seitens der BMC-Ingenieure war, bemerkt man sie ja gar nicht, wenn man mit dem Rad unterwegs ist. Somit spürt man während der Touren eher, wie steif das Rad im Tretlagerbereich ist, und auch die Fahrstabilität des Steuerrohres im Zusammenspiel mit der Gabel lässt keine Wünsche offen vor allem im Vergleich mit anderen Rahmensets aus der World- Tour hat die Teammachine gegenüber vielen Herstellern einen gewissen Vorteil in der Komfortwertung des hinteren Rahmendreiecks. Die natürlich innenverlegten Züge machten das Gefährt dann auch optisch schnell, wobei mir vor allem der Zugaustritt am hinteren Schaltwerk gefiel. Der hintere Bremszug, der in einer engen Kurve im Steuerrohr verschwindet, war ein wenig kurz geraten. Zwar waren die Fahreigenschaften nicht eingeschränkt, aber der Lenkeinschlag war etwas begrenzt und somit war, vermutlich nach ein paar Transporten, die Bremszughülle schon zu Schaden gekommen. Auf den letzten Kilometern auf dem Weg zur Passhöhe wurde es dann doch etwas kühler und die gerade für den Sommer so typischen Gewitterwolken zogen heran. Nach dem Abzweig nach links über den Valparolo blies mir ein starker Wind ins Gesicht und ich war froh, als ich das letzte, steile Stück zur Passhöhe in der Mondlandschaft passiert hatte. Die letzte Abfahrt in Richtung Badia war dann in gewisser Weise ein Rennen gegen Petrus. Der Regen lag zwar in der Luft, aber er kam dann doch nicht. Die Teammachine brachte mich nach einer weiteren rasanten Abfahrt wieder zurück nach Badia, wo einzig und allein die gut 15 Prozent steile Rampe zum Hotel auf mich wartete mit Kette links und so wenig Druck auf dem Pedal wie möglich kurbelte ich über den flachen Parkplatz in die perfekt ausgestattete Radwerkstatt, wo das BMC dann neben seinen anderen Highend-Carbon-Kollegen verschnaufen durfte. Ich bekam die Pasta Ciclista, ein hei - ßes Bad und abends ein hervorragendes Abend essen, denn am nächsten Tag sollte ein weiteres Rad mit mir auf Dolomiten- Tour gehen Procycling oktober 2013 85