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Transkript:

SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 AULA Manuskriptdienst (Abschrift eines Gesprächs) Gott plus Urknall = X Die Astrophysik und der Glaube (1) Es diskutieren: Professor Hans Küng * und Professor Harald Lesch * Redaktion: Ralf Caspary Sendung: Donnerstag, 13. Mai 2010, 8.30 Uhr, SWR 2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem kostenlosen Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Ansage: Mit dem Thema: Gott plus Urknall = X Die Astrophysik und der Glaube, Teil 1. Normalerweise gelten Naturwissenschaftler als strenge Agnostiker, wenn es um Metaphysik geht, um die Frage nach dem Anfang und Ende allen Seins, wenn es um Gott geht, halten sie sich lieber zurück. Sie berufen sich auf das Mess- und Darstellbare und scheuen die Spekulation wie der Teufel das Weihwasser.

2 Doch es gibt harte Naturwissenschaften, die gerade zu theologischen Gedanken herausfordern, zum Beispiel die moderne Astrophysik. Wenn es um den Urknall geht, um den Anfang unseres Universums, wenn es um dunkle Materie geht, um die Frage, ob es außerirdische Intelligenz gibt, dann zeigen sich neutral gesagt Berührungspunkt von Religion und Astrophysik, von Glauben und Wissen. Genau darum geht es in einer dreiteiligen Aula-Reihe, die heute beginnt. Wir haben einen Theologen und einen Astrophysiker gebeten, über dieses Thema zu reflektieren. Das Ergebnis ist ein lebendiges Gespräch über die Grenzen des Wissens, über den Glauben, über den Anfang allen Seins, über den Urknall und die Gesetze des Kosmos. Der Theologe ist Professor Hans Küng aus Tübingen, der Naturwissenschaftler ist Professor Harald Lesch aus München. Und der erste Teil beginnt mit dem Himmel. Hans Küng und Herr Küng, wir sitzen hier in einem Hörfunkstudio, es ist recht duster und eigentlich nicht der richtige Platz, um über den Himmel zu sprechen. Um über den Himmel zu sprechen, müssten wir in die freie Natur und einen Blick in den Himmel werfen, oder? Na ja, ich sehe durch das Fenster und da kann man sich natürlich fragen: Was ist der Himmel? Wenn ein Kind malt, malt es den Himmel normalerweise blau. Blau ist für lange Zeit die Farbe gewesen, hinter der man nichts vermutet hat außer eine andere, völlig andere Welt. Heute weiß man, dass das nicht der Fall ist. Jedes Kind weiß, dass die Weite unendlich ist, dass der Himmel kaum Grenzen hat und dass vor allem der Nachthimmel eine wundersame Welt eröffnet, die wir nicht durchschauen können. Wir können sicher nicht mehr, wie es die Bibel voraussetzt, in drei Stockwerken denken: Himmel, Erde, unter der Erde. Folglich können wir auch nicht sagen, wenn wir zum Beispiel an Weihnachten denken, es kommt einer vom Himmel auf die Erde. Das geht nicht mehr. Aber Sie müssen auch als Physiker sagen, der Himmel bleibt, allein schon ästhetisch gesehen, ein ungeheures Symbol, das Blau, die herrliche Farbe, der Glanz, und man fragt: Ist nicht doch irgendetwas anderes dahinter? Wenn ich in den Himmel schaue, gibt es zwei Varianten: Entweder werde ich gefragt: Harald, was ist da oben? Und damit werde ich als Astronom und Physiker angesprochen und soll erklären, was da oben ist. Wenn ich aber alleine bin oder mit meiner Liebsten in den Himmel schaue, dann sehe ich natürlich nicht nur den dunklen Nachthimmel und die Sterne, sondern möglicherweise steckt eine ganz starke emotionale Komponente hinter dem, was ich da sehe: das Geheimnis. Wahrscheinlich können wir gar nicht in den Himmel schauen ohne zu denken, da ist noch etwas dahinter.

3 Schon immer war der Himmel für die Menschen ein Symbol für etwas, das mehr ist als die Erde, etwas Trans-Empirisches. Und er ist natürlich auch heute noch eine Metapher für eine andere Welt. Wenn wir sagen: Vater im Himmel, meinen wir ja nicht, dass da oben auf einer Wolke oder irgendwo hinter dem Blau jemand sitzt. Aber wir wissen, es ist ein Hinweis auf eine andere Welt. Und da stellt sich die Frage: Gibt es diese Welt? Ihre Astrophysik hat uns in dieser Frage erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Das hat uns auch große Schwierigkeiten bereitet. Es ist ja nicht so, dass wir damit wirklich klar kommen. Aber da können wir später noch drüber reden. Was mich immer wieder wundert, Herr Küng: Wir Astronomen werden tatsächlich immer wieder gefragt: Glaubt ihr an Gott? immer. Weil wir diejenigen sind, die sich professionell mit dem auseinandersetzen, was über uns ist, also mit dem Himmel. Woher kommt das? Sie haben ja gerade gesagt, es ist nicht der Himmel über uns, von dem in der Bibel die Rede ist, während wir trotzdem bildlich den Himmel über uns meinen. Wie ist das zu verstehen? Der Himmel lädt natürlich ein zu fragen: Ist da etwas anderes hinter dieser sichtbaren Welt oder nicht? Die Frage ist nicht einfach mit der Physik zu beantworten, allerdings auch nicht einfach mit der Religion. Es ist zunächst einmal eine offene Frage. Aber klar ist: Wenn Leute zu Ihnen kommen, ist es nur ein Zeichen dafür, dass es sich um eine uralte Frage handelt: Woher kommt das Ganze? Was soll das alles? Der Himmel zeigt also das Ganze an, nicht nur einen Flecken Erde. Insofern ist der Himmel die Einladung, darüber nachzudenken, ob es etwas Meta-Empirisches gibt, wo Sie mit der Physik am Ende Ihrer Weisheit sind. Gibt es das oder gibt es das nicht? Und da möchte man natürlich wissen, ob gerade der Physiker den Mut hat seine Wissenschaft zu übersteigen. Wir haben in der Physik in der Zwischenzeit festgestellt, dass offenbar die Welt so einfach, wie man sie zum Beispiel vor 200 oder 300 Jahren gedacht hat, nicht ist. Zu Beginn der neuzeitlichen Wissenschaft nahm man an, das eine hängt mit dem anderen so eng zusammen, dass man direkt daraus eine Himmelsmaschine machen und quasi die Sterne vom Himmel holen kann. Das könne man vom Schreibtisch aus genau berechnen. Himmelsmechanik war der Begriff dafür. So ist es ja heute nicht mehr. Heutzutage sagt man eher, das Feststellbare, das Berechenbare ist nur ein Teil der Welt. Gerade das Wort das Ganze, das Sie gerade verwendet haben, führt meiner Ansicht nach zum Kern der Sache. Wenn man sich mit dem Ganzen beschäftigt, reichen die Naturwissenschaften nicht aus als Beschreibungsfeld. Die liefern ja nur das Faktenwissen. Der heutige Physiker ist längst nicht mehr so naiv zu meinen, die Atome seien die Wirklichkeit, denn er hat gemerkt, dass es noch kleinere Elementarteilchen gibt. Man hat festgestellt, dass die kleinsten Teilchen gar nicht darstellbar sind. Man gibt ihnen zwar Farben, aber sie haben keine Farben. Also man weiß auch als Physiker kaum, was eigentlich der Urstoff des Ganzen ist. Was Wirklichkeit ist, kann der Physiker heute auch nicht einfach erklären. Ob er nun rausgeht ins All, wo er auch an kein

4 Ende kommt, und das nach neuesten Entdeckungen noch unendlich viel größer ist, als man je dachte, oder ob er eindringt in die Materie des Mikrokosmos, umso weniger kann er sagen, mit was er es da eigentlich zu tun hat. Insofern stellt man sich die Frage, ob nicht am Ende Materie und Geist dasselbe sind usw. also sehr schwierige Fragen. Ich finde, es wäre von allen Seiten ein wenig Bescheidenheit angebracht, dass wir halt einen Großteil nicht wissen. Ich glaube, ich übertreibe auch nicht. Sie sagen ja selbst als Physiker, ungefähr vier Prozent konnten wir von der Materie des Universums bislang erkennen. Was fangen wir an mit den vier Prozent? Als Physiker würde ich natürlich sofort dagegenhalten und sagen: Lücken sind keine Gottesbeweise, das hat mit Gott überhaupt nichts zu tun. Lücken sind für uns eigentlich nur Anlass, weiter zu forschen. Nichtwissen wäre nicht ein Verbindungsglied zwischen Religion und Wissenschaft, sondern wäre vor allen Dingen für die Wissenschaft der Treibstoff, dass es immer weiter und weiter geht. Die Tatsache, dass ich 96 Prozent des Universums nicht erklären kann, bedeutet schlicht, ich habe noch viel vor mir, ich kann noch viel erforschen. Ich habe ja auch kein Wort von Gott gesagt. Genau. Ich bin Ihnen voll in die Falle getappt und habe Gott ins Spiel gebracht. Ich habe kein Wort von Gott gesagt, denn zunächst steht da mal ein ganz großes Fragezeichen und nicht Gott. Das ist ein Unterschied. Aber es ist insofern verständlich, dass Menschen Sie als Physiker fragen, was das Ganze soll, ob Sie an Gott glauben. Denn das Fragezeichen impliziert natürlich den Gedanken, wer für das Ganze verantwortlich ist, woher das Ganze kommt, wohin führt das Ganze, was ist das Ganze, was sind wir? Das sind elementare Fragen, die jeden Menschen betreffen. Deshalb kommt auch jeder Mensch zu Ihnen. In den letzten grob 500 Jahren gab es eine deutliche Veränderung des Begriffs Wahrheit. Am Anfang wurde Wahrheit nur durch die Kirche gedeutet. Später jedoch verlor die kirchliche Wahrheit eigentlich mehr und mehr an Gewicht. Denn als die Wissenschaften ihre Erkenntnisse in die Welt trugen von Wahrheit weiß die Wissenschaft ja nichts, umso uninteressanter wurde doch eigentlich die Frage nach Gott. Nun konnte man Zusammenhänge besser verstehen oder wenigstens erklären, ohne gleich eine Warum-Frage zu beantworten. Man kann zum Beispiel einen Zusammenhang erklären von der Welt des ganz Kleinen und der Welt des ganz Großen. Hat dabei die Religion insgesamt, zumindest im abendländischen Teil unserer Welt, nicht enorm an Bedeutung verloren? Hat die Wissenschaft Teile religiöser Inhalte nicht einfach okkupiert? Ja. Heute kann die Wissenschaft einen Großteil der Fragen beantworten, die früher der Mensch auf Gott zurückführte. Nehmen Sie die Meteorologie als ein triviales Beispiel. Niemand fragt heute mehr, ob Gott es morgen regnen lässt. Wir schauen

5 vielmehr den Wetterbericht an und glauben eigentlich den Wettervorhersagen obwohl wir auch nicht immer so sicher sind, dass die immer zutreffen. Dennoch bleiben Fragen, die mit der Wissenschaft nicht zu klären sind. Ich würde mal sagen, die Gottesfrage hat sich verschoben. Die Frage nach dem Sinn Ihres persönlichen Lebens ist wichtig geworden. Daran schließt sich natürlich auch die Frage nach dem Sinn des Kosmos an, die ist geblieben. Wenn Sie nach Hause kommen, können Sie nicht mit Ihren Kindern Formeln pauken, um ihnen den Sinn des Lebens zu erklären. Es sind existentielle Fragen, die bleiben werden. Ich brauche gar nicht die schwierigen Themen anzusprechen, zum Beispiel warum es Leid gibt, warum Unschuldige leiden müssen. Physik hin oder her wenn ein Erdbeben passiert wie in Haiti, will man zwar die Ursache wissen und bekommt auch eine Erklärung geliefert, aber der Sinn des Ganzen macht sie nicht begreiflich. Das Leid der Menschen ist groß und man fragt, schlicht ausgedrückt: Sind es die armen Teufel, die im Dreck verrecken oder kaum noch menschenwürdig leben können, ist das alles für diese Menschen gewesen, existierten sie nur, um zu leiden? Und wenn es sich um Tausende handelt, dann muss man zugeben, die großen Fragen der Menschheit sind immer noch offen. Ein gängiges Modell zur Erklärung des Leids ist: Es gibt einen Gott und Gott hat einen Menschen mit einem freien Willen geschaffen. Der kann sich also in Freiheit für oder gegen Gott entscheiden. Das geht aber nur in einer Welt, in der die Konsequenzen der Handlungen für den Menschen absehbar sind. Daraus folgt, es muss eine Welt sein, in der die Naturgesetze ganz fein aufeinander abgestimmt sind. Und deswegen sind Naturereignisse für uns möglicherweise Katastrophen, aber letztlich nur das Resultat von diesen aufeinander abgestimmten Naturgesetzen. Ein Erdbeben ist eben keine Strafe Gottes, sondern hat etwas mit einer plattentektonischen Bewegung zu tun. Nehmen wir das Erdbeben kürzlich in Chile: Ein Teil der Nazca-Platte ist unter dem südamerikanischen Kontinent versackt, dadurch hat sich der Erdkörper verändert, die Rotation der Erde hat sich messbar verändert, aber das ist keine Katastrophe im wissenschaftlichen Sinn. Aber für die Menschen ist das eine Katastrophe. Und zwar nicht nur für diejenigen, die es erleiden, sondern auch für die, die es mit ansehen müssen. Das Mitleiden gehört zum Menschsein. Nicht umsonst ist das Spendenaufkommen so hoch, es handelt sich um Millionenbeträge in einem Land wie dem unsrigen. Das ist das Mitfühlen, weil man denkt, das könnte auch uns getroffen haben. Und es bleibt die Frage nach dem Warum. Wenn man nur die tektonischen Verschiebungen anführt, dann erklärt das nicht das Leid der Menschen. Um noch auf das andere Thema zurückzukommen: Die Freiheit des Menschen könnte ja im Grunde auch auf das Gute ausgerichtet sein. Es gibt unendlich viele Optionen des Guten, warum muss das Böse einkalkuliert sein? Ich bin mir sicher: Die Physik löst nicht meine persönlichen Schwierigkeiten, die ich in meinem Leben habe, die ich habe, wenn ich die Gesellschaft und die Welt ansehe, die ich vielleicht auch mit meinen Mitmenschen habe. Wenn man Religion und Naturwissenschaften miteinander vergleicht, kann man den Eindruck gewinnen, die Naturwissenschaften und namentlich die Physik machen es

6 sich ja einfach, indem sie relativ einfache Aufgaben lösen. Es ist zwar wunderbar beeindruckend, was in den letzten Jahrhunderten an Erkenntnissen gesammelt wurde, wie diese auch in Technik umgesetzt wurden und den Wohlstand zumindest in manchen Teilen dieser Welt beeinflusst haben. Dennoch sind die Fragen, die von der Physik angegangen werden, recht einfach, denn es handelt sich oft um Inventurfragen wie: Was ist alles in der Welt, welche Sterne gibt es, welche Elementarteilchen usw. Aber zum Beispiel die Frage, was soll ich tun, kann von keiner Wissenschaft dieser Welt gelöst werden, zumal noch nicht mal klar ist, ob die Konsequenzen meiner Handlungen immer und auf Dauer gut sind oder ob sie nur kurzfristig gut sind und auf lange Sicht womöglich eine Katastrophe auslösen könnten. Vieles von dem, was zu unserem Leben gehört, hat bei den Naturwissenschaften eigentlich überhaupt keinen Platz. Und ist es nicht so, dass ein ganz starker Teil von uns, um nicht zu sagen der stärkste, natürlich von der personalen Existenz ausgeht? Ich bin da, ich spüre mich, ich spüre mich als etwas, was mit Hoffnungen, Visionen, Wünschen ausgerüstet ist. Und die Naturwissenschaften bearbeiten doch eigentlich das Äußere. Descartes hat das mal so formuliert: Es gibt etwas, was erkennt, und es gibt das Erkannte, die Dingwelt und die Welt der Person. Tut sich da nicht eine ganz wesentliche Kluft zwischen Religion und Wissenschaft auf? Ja, richtig. Eine weitere Schwierigkeit kommt noch hinzu: Sie können alle Fragen der Physik mit dem Experiment einerseits und mit der Mathematik andererseits beantworten. Seit Galilei, der die neue Naturwissenschaft begründet hat, sind viele Fragen vom Tisch gewischt worden. Er war der Ansicht, was das Fernrohr sagt, sei nicht zu widerlegen. Aber unsere existentiellen Fragen können nicht einfach durch ein Experiment oder durch Mathematik erledigt werden. Die berühren einen ganz anderen Bereich, da komme ich nicht einfach mit derselben mathematischen Methode weiter. Als Physiker können Sie rechnen, Sie können berechnen, aber Sie können zum Beispiel nicht berechnen, was der morgige Tag Ihnen bringt. Sie können den Dollarkurs von morgen nicht berechnen, Sie können nicht berechnen, was aus dem kolossalen Staatsdefizit, dass wir da gerade beschlossen haben, wird. Also die ganz großen Fragen sind nicht einfach der menschlichen Kalkulation überlassen. Und selbst wenn wir auf bestimmte Fragen Antworten gefunden haben, bleiben dennoch viele weitere Fragen offen wie: Was sollen wir tun, was dürfen wir tun. Kant hat ja als zweite große Frage benannt: Was sollen wir tun? Daran merken wir auch, dass nicht alles, was wir tun können, auch tun dürfen. Die moderne Naturwissenschaft hat uns ungeheure Möglichkeiten des Könnens gegeben, und wir müssen immer wieder fragen, was wir eigentlich dürfen. Das gilt für die Gentechnologie genauso wie für die Atomtechnik. Überall haben wir das Problem, wonach wir uns nun richten sollen. Wir können ja auch nicht einfach sagen, dass sollen die Wissenschaften unter sich ausmachen. Denn die Wissenschaft kann das nicht. Außerdem hat sie ja auch eine Überzeugung, ob sie nun ausgesprochen wird oder nicht. Ein Wissenschaftler wird nun, ob nun evident oder im Geheimen, für die Atomkraft sein oder dagegen, und wie er Experimente interpretiert, wird natürlich auch von seinen Überzeugungen abhängen. Welche Rolle wird Religion in Zukunft spielen? Die moderne Technik hat uns ja nicht nur enorm viele Chancen gebracht, sondern auch eine echte Krise: Probleme mit

7 dem Klima, in das wir ganz massiv eingegriffen haben, unsere Energie wird knapper, wir wissen nicht, woher in Zukunft unsere Energie kommen wird usw. Wir haben jede Menge globaler Probleme. Nun hat die Naturwissenschaft vieles in der Welt entzaubert, indem sie angefangen hat, alles zu erklären. Ist es nicht so, dass unsere moderne globale Krise eine Entzauberung dieser Entzauberung ist? Sind nicht gerade da Religion und religiöses Denken gefragt, wenn es darum geht, zu fragen: woher kommen unsere Werte, mit denen wir in Zukunft in einer immer komplexeren Welt noch einigermaßen rational handeln wollen? Zumindest ist heute sicher keine Wissenschaftsgläubigkeit mehr möglich wie noch vor ein paar Jahrzehnten. Erstens ist das, was die Wissenschaft sagt, oft umstritten, zweitens kann sie bestimmte Fragen nicht beantworten. Dazu gehören auch Fragen wie: Wann beginnt das Menschenleben, was ist eine menschliche Person, wie weit darf die Sterbehilfe gehen usw. Von Anfang bis Ende ist der Mensch konfrontiert mit Fragen, die die Wissenschaft uns stellt, aber nicht beantwortet. Deswegen ist eine wichtige Funktion der Religion, Antworten zu ermöglichen auf Fragen wie: woher kommt der Mensch oder wohin geht er, was ist sein Ziel, was ist für ihn wichtig, was soll er tun, was darf er tun, was ist die Instanz, vor der er sich zu verantworten hat, oder gibt es keine? Allein die Frage nach der menschlichen Verantwortung ist von immenser Bedeutung, wenn man sieht, welch riesige Verantwortung wir heute zu tragen haben, nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft, bis hinein in die Steuergesetzgebung oder jetzt in die Finanzpolitik, bei der wir ja auch an unsere Kinder denken müssen. Das sind Fragen ethischer und letztlich auch religiöser Dimension. Person ist in den Naturwissenschaften gar kein Begriff. Ich habe mir einmal im Zuge eines Vortrags über den Anfang der Welt und die Stellung des Menschen im Kosmos überlegt, ob ich als ich, als Harald Lesch, tatsächlich gewollt bin. Bin ich wirklich gemeint? Oder bin ich nur ein Rädchen in der riesigen Maschinerie des Universums? Sind das die beiden unterschiedlichen Perspektiven zwischen Wissenschaft und Religion? Wenn Sie nur das berücksichtigen, was Sie sehen können, dann sind Sie halt einer von sechs oder sieben Milliarden Menschen, und ob da einer mehr ist oder weniger, das bedeutet nichts. Wenn Sie jedoch, um einen Sprung zu machen, einen Vater im Himmel haben, wenn es einen Gott gibt, wenn es einen Schöpfer gibt, der eine Beziehung zu jedem einzelnen Menschen wünscht, dann sieht das natürlich anders aus. Eine der großen Aussagen auf der ersten Seite der Bibel lautet, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Eine Grundaussage, die jedenfalls bestimmt, warum er Person ist. Selbst wenn er aus dem Tierreich kommt, ist er nicht ein Abbild des Affen, sondern er ist eben gerade durch seinen Geist ein Abbild der letzten Wirklichkeit, die wir Gott nennen. Und das gibt dem Menschen eine ganz andere Würde. Insofern sagt auch die erste Seite der Bibel natürlich Dinge, die kein Astrophysiker sagen kann, zum Beispiel, dass es nur ein Prinzip gibt und nicht zwei. Es gibt nur ein Prinzip, und wir nehmen ja an, es ist ein gutes Prinzip. Das ist natürlich auch ein Glaubensanspruch.

8 Und wir wissen, was wir mit gut meinen? Ja, das wissen wir, weil für uns dieser Gott, wenn er Gott ist, der unendlich gute Gott ist und nicht ein Zwitter oder Janusbild. So gesehen haben wir Menschen nicht nur ein ganz anderes Gottesbild, sondern auch eine ganz andere Würde. Die Würde des Menschen ist unantastbar, sagen wir. Das ist zum Teil eine Folgerung der Aufklärung. Aber dieser Satz ist schon sehr viel früher begründet worden durch die biblische Aussage, dass der Mensch ein Bild Gottes ist und daher nicht beschädigt werden darf. Wenn es um Werte geht, ist also die Religion gemeint, wenn es um Messwerte geht, dann ist die Physik gemeint. Kürzlich habe ich einen Satz gelesen, den ich wunderschön fand: Zufall ist das Pseudonym Gottes, wenn er nicht selbst unterschreiben will. So kann man das sagen, aber im Grunde erklärt der Zufall nichts. (Teil 2: Sonntag, 16.05.2010, 8.30 Uhr, SWR2 Aula) ***** * Hans Küng, geboren 1928, studierte nach dem Abitur Philosophie und Theologie. 1954 wurde er ordiniert und bekam ein Jahr später das Lizenziat der Theologie. 1957 wurde er in Frankreich promoviert zum Dr. theol., 1960 wurde er ordentlicher Professor der Fundamentaltheologie an der Universität Tübingen. 1962 ernannte Papst Johannes der 23. ihn zum offiziellen theologischen Konzilsberater. 1963-80 war Küng ordentlicher Professor der Dogmatik und ökumenischen Theologie an der Universität Tübingen; nachdem ihm 1979 die kirchliche Lehrbefähigung entzogen wurde, schied er aus der Fakultät der Universität aus, blieb aber Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für ökumenische Forschung. Eine neue wichtige Aufgabe übernahm er als Präsident der 1995 gegründeten "Stiftung Weltethos". Wie kaum ein Theologe seiner Zeit bestimmte und bestimmt Küng die öffentliche Diskussion über Christentum, Kirche sowie andere religiös-theologische Probleme. Im Rahmen seiner Stiftung fordert er die Religionen dieser Welt dazu auf, in einen friedlichen Dialog miteinander zu treten, um sich auf ein gemeinsames Ethos zu besinnen. Bücher (Auswahl): Umstrittene Wahrheit Erinnerungen, Piper-Verlag. Was ich glaube, Piper-Verlag. * Harald Lesch lehrt theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; seine Forschungsschwerpunkte sind: Schwarze Löcher, Neutronensterne

9 und kosmische Plasmaphysik. Lesch ist Fachgutachter für Astrophysik bei der DFG und Mitglied der astronomischen Gesellschaft. Im Juni 2005 wurde ihm von der DFG der Communicator-Preis verliehen. Dieser persönliche Preis wird an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die sich in hervorragender Weise um die Vermittlung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse in die Öffentlichkeit bemüht haben. Seit 2008 moderiert er die Fernsehsendung Forschung aktuell. Bücher (Auswahl): - Kosmologie für Fußgänger. Goldmann-Verlag; - Big Bang. Zweiter Akt. Bertelsmann-Verlag; - Physik für die Westentasche. Piper-Verlag.