Prozessanalyse der Speisenanforderung Typische Probleme und Chancen einer EDV-Unterstützung Frieda Kaiser, B.Sc. Gudrun Hübner-Bloder Thomas Schabetsberger Elske Ammenwerth Reinhold Haux Korrespondenzadresse: Private Universität für Medizinische Informatik und Technik Tirol Innrain 98 A-6020 Innsbruck Frieda Kaiser, B.Sc, Gudrun Hübner-Bloder, Thomas Schabetsberger, Elske Ammenwerth, Reinhold Haux Prozessabläufe in Krankenhäusern sind sehr komplex und deswegen nicht immer leicht zu analysieren und zu evaluieren. Die Komplexität kommt daher, dass an diesen Prozessen viele verschiedene Berufsgruppen (Ärzte, Pflegekräfte, Patienten, Verwaltung) Anteil haben und umfassende Entscheidungen treffen müssen. Informationen müssen von diesen Personengruppen über verschiedene Kommunikationsmedien weitergeleitet werden. Prozesse im klinischen Umfeld sind häufig von erheblichen Problemen begleitet (Heathfield). Zur Lösung dieser Probleme ist eine genaue und zielgerichtete Prozessanalyse einschließlich Darstellung der verschiedenen Schwachstellen notwendig Einleitung Schlüsselwörter Speisenanforderung EDV Prozessanalyse UML-Modellierung Die Speisenanforderung ist eines von vielen Beispielen komplexer Prozesse in Krankenhäusern. Die Speisenanforderung involviert viele klinische Mitarbeiter (Pflegekräfte, Diätassistentinnen, Transportdienste, Küchenpersonal, Personal des Verpflegungsbüros usw.), Patienten sowie auch viele Bereiche des Krankenhauses (Stationen, Verpflegungsbüro, Küche, usw.). Typische Probleme bei der Speisenanforderung umfassen die Kommunikationsflüsse zwischen den verschiedenen Abteilungen und Berufsgruppen, sowie die allgemeine Dynamik der Organisation. Diese Probleme erfordern eine genaue Analyse des Systems, um Schwachstellen zu ermitteln und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Im Rahmen eines Praktikums des Master Studienganges Medizininformatik der Privaten Universität für Medizinische Informatik und Technik Tirol (UMIT) wurde das Speisenanforderungssystem im Landeskrankenhaus des Universitätsklinikums Innsbruck (Teil der Tiroler Landeskrankenanstalten Ges.m.b.H. (TILAK)) evaluiert. In den Einrichtungen der TILAK wird die Speisenanforderung für stationäre und ambulante Patienten bisher mit Hilfe von papierbasierten Belegen auf Basis von Orga-Card (Orga-Card) durchgeführt. Täglich werden auf den ca. 80 Stationen in den 20 Kliniken des Universitätsklinikums Innsbruck ca. 1800 Essen bestellt. In Zukunft soll das papierbasierte System durch ein EDV-gestütztes Speisenanforderungssystem abgelöst werden, welches eventuell Teil des klinischen Arbeitsplatzsystems HNA Millennium der Firma Cerner (Cerner) sein könnte, das derzeit flächendeckend am Universitätsklinikum Innsbruck eingeführt wird. Das EDV-gestützte Speisenanforderungssystem soll eine direkte Schnittstelle zum Küchensystem (Einkauf, Lagerhaltung) erhalten. Dieses arbeitet auf Basis von SAP. Das neue System soll auch eine Komponentenwahl der Speisen zukünftig ermöglichen. Dabei war unklar, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit das EDV-gestützte Speisenanforderungssystem (entweder mit oder ohne Komponentenwahl) erfolgreich eingeführt werden kann. Insbesondere waren die bisherigen komplexen Abläufe (also die Aktivitäten und die beteiligten Personen) bei der Speisenanforderung nicht ausreichend genug bekannt. PFLEGEINFORMATIK 7 PR-INTERNET 4/03
Abstract Processes in the clinical environment are often very complex, and are therefore difficult to analyse and evaluate. One example of a complex process in the clinical environment is the process of ordering and delivering meals to patients. Within the scope of the Master program of the University of Health Informatics and Technology, Tyrol (UMIT), a project was carried out to analyse the patient meal ordering and delivery process of the Innsbruck University Medical Centre. The system analysis was intended to find weaknesses in the current process, and come up with possible solutions to rectify these weaknesses. Various tools were used to visualize the process including the UML technique to draw current state and desired state diagrams. The outcome of this analysis showed that there are various software products on the market which could support meal ordering and delivery, however, a more global solution to rectify weaknesses would be to simply adapt and develop current systems to existing needs. KONKRET SOLLTE AUF FOLGENDE PROBLEME EINGEGANGEN WERDEN: P 1: Es bestehen Unklarheiten bezüglich der derzeitigen Abläufe durch die Orga-Card unterstützte Speisenanforderung. P 2: Es ist unklar, wie die diversen Abläufe abgeändert werden können bzw. abgeändert werden müssen, damit ein EDV-gestütztes Speisenanforderungs- System unter Berücksichtigung der Komponentenwahl erfolgreich eingeführt werden kann. Das Ziel des Projekts war eine klare, zielgerichtete Analyse des Speisenanforderungssystems der Universitätskliniken Innsbruck durchzuführen, es zu bewerten, und Prozessverbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Konkret waren die Ziele des Projekts folgendermaßen beschrieben: Z 1: Ziel ist es, Abläufe bei der derzeitigen papierbasierten Speisenanforderung (Orga-Card System) im Detail zu beschreiben (Ist-Zustand). Aufgrund derspeziellen Abläufe auf verschiedenen Stationen sollen drei unterschiedliche Stationen sowie auch die Anforderung von Diätessen betrachtet werden. Z 2: Ziel ist es ein Konzept für die notwendigen Änderungen der in Z 1 analysierten Abläufe bei einer EDV-Unterstützung der Speisenanforderung zu erstellen (Soll-Zustand). Im folgenden werden die wesentlichen Ergebnisse der Studie dargestellt. Insbesondere wird auf die typischen Schwachstellen des komplexen Prozesses der Speisenanforderung eingegangen. Ausführliche Erläuterungen finden sich im Projekt-Abschlussbericht (Hübner-Bloder). Methoden und Werkzeuge Zur Planung der Prozessanalyse Speisenanforderung wurde die 5-Stufen Methode zur Vorgehensplanung (Gegenstand und Motivation Problemstellung Zielsetzung Fragestellung Arbeitspakete) verwendet (Haux). Zur Erstellung der Systemanalyse auf den ausgewählten Stationen, dem Verpflegungsbüro, der Küche und der EDV-Abteilung haben wir das Pflegepersonal, die Diätassistentin, die Mitarbeiter des Verpflegungsbüros, Mitarbeiter der Küche und Mitarbeiter der EDV-Abteilung mit teils offenen, teils geschlossenen Interviewleitfäden befragt. Zur Patientenbefragung verwendeten wir einen geschlossenen Fragebogen. Die erhobenen Daten sowie die Beobachtungen, die wir auf den Stationen, im Verpflegungsbüro und in der Küche machen konnten, stellten wir in einem UML-Geschäftsprozessmodell (Ist- & Sollkonzept) sowie in einer durch Kreativitätsmethoden erstellte Schwachstellenanalyse dar. An Software kamen für die Textverarbeitung und Tabellenkalkulation MS Word und MS Excel, zur Modellierung der Geschäftsprozesse MS Visio sowie zur Erstellung des Netzplanes und des Gantt-Balkendiagramms MS Project zur Anwendung. Ergebnisse Die Analyse des Ist-Zustandes ergab das in Abb. 1 dargestellte Modell. Dabei sind eine Reihe von Problemen bei der bisherigen Orga-Card-basierten Speisenanforderung erkennbar geworden. Nachfolgend möchten wir einen Teil der insgesamt 20 Schwachstellen aus unserer Ist-Analyse (Abb. 1) aufzeigen. PFLEGEINFORMATIK 8 PR-INTERNET 4/03
Abb. 1: Ausschnitt aus dem Ist-Modell der konventionellen Speisenanforderung. Die Blitze in dem Modell stellen Schwachstellen des derzeitiges Prozess dar. Modellierung mittels UML. PFLEGEINFORMATIK 9 PR-INTERNET 4/03
Schwachstelle 2.1. Der Menüplan für eine Woche, der vom Patienten ausgefüllt wurde, wird von Mitarbeitern des Pflegepersonals auf die Orga-Card übertragen. Hierbei können Fehler bei der Übertragung auftreten (falsche bzw. manchmal auch keine Speisenauswahl, Patientenetikett wird nicht ordnungsgemäß aufgeklebt oder vergessen). Schwachstelle 6.1. Die Orga-Cards werden durch den Hol- und Bringdienst in das Verpflegungsbüro gebracht. Daraufhin werden die Karten manuell nach Mittag- und Abendessen je nach Station sortiert und in einer Karten-Box eingeordnet. Diese Tätigkeit ist sehr zeitintensiv und auch mit Fehlern behaftet, da Karten leicht vertauscht werden können. Schwachstelle 8.1. Bei Diätessen oder Sonderanforderungen muss die Diätassistentin mit der betroffenen Station in Kontakt treten, um die Speisenfolge zu besprechen. Handelt es sich um normale Diätanforderungen, so können sie auf einer eigenen Diät- Orga-Card bestellt werden. Auf Sonderwünsche der Klassepatienten kann meist aus Zeitgründen nicht eingegangen werden. Schwachstelle 9.1. Für spezielle Diäten oder Sonderanforderungen (z.b. Wünsche von onkologischen Patienten) muss die Diätassistentin auf die jeweilige Station gehen, um die Speisenfolge mit dem Patienten bzw. der betreuenden Krankenschwester zu besprechen. Diese Tätigkeit ist für die Diätassistentin sehr zeitaufwändig, da die Patienten nicht immer auf der Station anzutreffen sind, weil sie sich oft bei Untersuchungen oder in Therapien befinden. Schwachstelle 30.1. Falls eine Mahlzeit nicht rechtzeitig bestellt werden kann, weil der Patient erst später aufgenommen wurde, und die Karten bereits in der Küche sind, muss jemand von der Station in die Küche gehen, um eine Mahlzeit für den Patienten zu holen. Dies ist für das Pflegepersonal sehr zeitaufwändig. Aufgrund der Ist-Analyse (Abb. 1) wurde geprüft, ob organisatorische Änderungen ausreichen würden, um Schwachstellen des bisherigen Systems zu beseitigen, und auch ob die Einführung einer Komponentenwahl möglich wäre. Beides war nicht der Fall. Aus diesem Grund wurden nun die Möglichkeiten einer EDV- Unterstützung intensiver geprüft. Insbesondere wurde untersucht, inwieweit sich die Abläufe bei einer EDV-Einführung ändern bzw. verbessern lassen könnten. Abbildung 2 zeigt die prinzipielle Änderungen bei einer EDV-Unterstützung. Zu Erkennen ist eine deutliche Reduktion der Schwachstellen sowie eine deutliche Straffung der Abläufe. Für Innsbruck wäre zum einen die Anpassung des HNA-Millennium in Kombination mit SAP ein mögliches Zukunftsszenario. Dabei könnte die bestehende Infrastruktur nahezu unverändert benützt werden (Homogenität zu den bestehenden Systemen bleibt gewährleistet), die notwendigen Adaptierungen könnten zum Teil vom EDV-Personal des Hauses durchgeführt werden, und es könnte auf bereits gut geschultes Personal zurückgegriffen werden. Zu erwähnen bleibt jedoch, dass die Speisenanforderungsmasken im HNA-Millennium nur relativ unflexibel gestaltet werden können und Änderungen im Menüplan gleichfalls Änderungen in der Speisenanforderungsmaske erfordern würden, was zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeuten würde. Weitere Lösungen für Innsbruck bestehen im Ankauf von spezialisierten Softwarepaketen für die Speisenanforderung und deren Verarbeitung, wie sie z.b. von der Fa. Orga-Card angeboten wird. Diese bieten zum Teil all-in-one Lösungen (Anforderung und Verarbeitung der Anforderung) und entsprechende Schnittstellen zur Einbindung bestehender Systeme (Einkauf, Lagerhaltung, Verrechnung). PFLEGEINFORMATIK 10 PR-INTERNET 4/03
Abb. 2: Das Soll-Modell der EDV-gestützten Speisenanforderung. Der Blitz in dem Modell stellt eine Schwachstelle dar, die nicht gelöst werden konnte. Modellierung mittels UML. PFLEGEINFORMATIK 11 PR-INTERNET 4/03
Literatur Cerner. Webseiten der Cerner- Corporation. http://www.cerner. com/default.asp; Juni 2002. Haux, R., Lagemann, A., Knaup, P., Schmücker, P., Winter, A. Management von Informationssystemen, Analyse, Bewertung, Auswahl, Bereitstellung und Einführung von Informationssystemkomponenten am Beispiel von Krankenhausinformationssystemen: B.G. Teubner Stuttgart; 1998. Heathfield, H., Hudson, P., Kay, S., Mackay, L., Marley, T., Nicholson, L., Peel, V., Roberts, R., Williams, J.: Issues in the multi-disciplinary assessment of healthcare information systems. Assessment of Healthcare Information Technology & People 12(3), 1999, 253-75. Hübner-Bloder, G., Schabetsberger, T., Kaiser, F., Fuchs, M. Abschlussbericht des Projekts Prozessanalyse Speisenanforderung. Innsbruck: Private Universität für Medizinische Informatik und Technik Tirol; WS 2001/2002. Orga-Card. Webseiten der Orga- Card Corporation. http://unternehmen. monster.de/okartgde/; Juni 2002. TILAK. Tiroler Landeskrankenanstalten-Gesellschaft m.b.h. www.tilak. at; Juni 2002. UMIT. Private Universität für Medizinische Informatik und Technik, Tirol. www.umit.at; Juni 2002. Diskussion und Ausblick Da Pflegepersonal, Mitarbeiter des Verpflegungsbüros, der Küche, der EDV-Abteilung und der Diätassistenz miteingebunden und befragt wurden, kann das entstandene Modell als relativ umfassend betrachtet werden. Anhand der vorliegenden Ergebnisse und Geschäftsprozessmodelle erscheint uns der Ist-Zustand der Speisenanforderung sehr arbeitsintensiv und fehlerbehaftet. Das Konzept eines möglichen Soll-Zustandes zeigt, dass eine EDV-basierte Lösung viele Vorteile durch Verbesserung der Kommunikationsflüsse und Eliminierung von Fehlerquellen bringt. Voraussetzung für den Erfolg einer Umstellung auf EDV ist die ausreichende Schulung der betroffenen Mitarbeiter. Bei der Umsetzung gibt es mehrere Möglichkeiten. Einerseits wäre die Adaptierung und Erweiterung bestehender Systeme möglich, andererseits gibt es am Markt auch große Softwareprodukte, die die gewünschten Anforderungen erfüllen. Im Sinne einer möglichst homogenen Systemlandschaft wäre es empfehlenswert, mit bestehenden Mitteln zu arbeiten. Die tatsächliche Umsetzbarkeit des erstellten Soll-Konzeptes in die Routine ist jetzt in Folgeprojekten näher zu untersuchen. Welche der Lösungsvorschläge am Ende umgesetzt wird, liegt in der Entscheidungsfindung der Klinik- bzw. EDV-Leitung. Danksagung Wir bedanken uns sehr herzlich bei den Auftraggebern der Prozessanalyse (Dr. G. Lechleitner, Mag. P. Babist), bei allen Mitarbeitern der Innsbrucker Universitätsklinik, die uns bei der Durchführung der Analyse unterstützten, sowie bei einem weiteren Mitglied des Projektteams (Dr. M. Fuchs). PFLEGEINFORMATIK 12 PR-INTERNET 4/03