Die Restaurierung und Konservierung von audiovisuellen Datenträgern aus restaurierungsethischer Sicht



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Transkript:

Die Restaurierung und Konservierung von audiovisuellen Datenträgern aus restaurierungsethischer Sicht 1

Eine große Herausforderung ist der ethische Umgang mit Ton- und Bilddokumenten. Da es hier sehr weitgehende Möglichkeiten der Restaurierung bzw. besser der Veränderung gibt, liegt ein Hauptaugenmerk auf der Entwicklung und Weitergabe von ethischen Gesichtspunkten im Umgang mit diesen Datenträgern. Die Digitalisierung der Bestände, die nicht nur Schall- und Bildarchive sondern auch Sammlungen mit Audio- und Videokunstbändern betrifft, kann zur Zerstörung von wichtigen Bestandteilen der betroffenen Bänder führen. Oft erfolgt eine Digitalisierung nur nach den inhaltlichen Gesichtspunkten und vernachlässigt dabei die Erhaltung und Dokumentation des Datenträgers. Aus restauratorischer Sicht gehört dieser jedoch zum historischen Objekt zusammen mit seiner Nutzungsgeschichte und Patina dazu. Die Erläuterung der Standards und internationalen Richtlinien zum Umgang mit Kunstwerken, denen sich Restauratoren weltweit verpflichtet fühlen, sollen der Einstieg sein für den Versuch, dies auf audiovisuelle Datenträger zu übertragen. Momentan gibt es von restauratorischer Seite noch kaum Aussagen, wie mit diesen Dokumenten umgegangen werden soll. Anhand einiger Beispiele soll verdeutlicht werden, welche Fehler bei der Restaurierung von klassischen Archivalien in der Vergangenheit begangen wurden und welche Konsequenzen dies für die Objekte sowie Forschung und Wissenschaft hatte. Durch gutgemeinte Restaurierungen im Bereich der Archivalien- und Buchrestaurierung wurden in der Vergangenheit viele Spuren und damit Möglichkeiten für Wissenschaft und Forschung vernichtet. Diese Negativbeispiele sollten nachdenklich machen und zu besonderer Vorsicht beim Umgang mit den sensiblen Datenträgern mahnen und gleichzeitig verdeutlichen, warum klare und strenge Richtlinien für den Umgang mit audiovisuellen Datenträgern so wichtig sind. 2

Ethische Grundsätze in der klassischen Restaurierung reichen zurück bis ins Jahr 1752 (Marquis d Argens) Wichtigste Richtlinien: Charta von Venedig E.C.C.O. Berufsrichtlinien ICOM Code of Ethics international verbindlich für jede/n Restaurator/in jede/r Restaurator/in ist dazu angehalten, sich danach zu verhalten 3

Charta von Venedig (1964) bezieht sich hauptsächlich auf (Bau-) Denkmäler, aber auch auf Werke, die im Lauf der Zeit eine Bedeutung bekommen haben Präambel weist darauf hin, dass es unsere Pflicht ist (...) den nachfolgenden Generationen den vollen Reichtum an Authentizität zu übergeben als Ziele werden die Restaurierung, die Erhaltung des Kunstwerkes und die Bewahrung des geschichtlichen Zeugnisses genannt (Art. 3) 4

dazu gehört vor allem die Bewahrung seines überlieferten Zustandes und seiner Umgebung, weil das Objekt untrennbar mit seiner Geschichte verbunden ist, von der es Zeugnis ablegt (Art. 7) ebenso wird die Abtrennung einzelner Bestandteile vom Werk an die Bedingung geknüpft, dass es sich um die einzige Möglichkeit handelt, das Werk zu erhalten (Art. 8) zur Restaurierung bemerkt die Charta von Venedig im ersten Punkt, dass es sich hierbei um eine Maßnahme handelt, die Ausnahmecharakter besitzen sollte (Art. 9) 5

die Restaurierung dient allein der Erhaltung, Bewahrung und Erschließung der ästhetischen und historischen Werte des Objekts und die Restaurierung findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt (Art. 9) da eine Ergänzung immer den Stempel ihrer Zeit tragen wird deshalb müssen Elemente, welche fehlende Teile ersetzen sollen, (...) sich mit dem Ganzen harmonisch einfügen und vom Originalbestand unterscheidbar sein, damit die Restaurierung den Wert des Denkmals als Kunst- und Geschichtsdokument nicht verfälscht (Art. 12) 6

E.C.C.O. ( Europäische Vereinigung der Restauratorenverbände ) Berufsrichtlinien: das Tätigwerden als solches und die Materialien sollten einer künftigen Untersuchung, Behandlung oder Analyse nicht im Wege stehen ( II. Art. 9) Reversibilität: die Materialien sollten mit den Materialien des Kulturguts in Einklang stehen und sich möglichst leicht wieder entfernen bzw. rückgängig gemacht werden können ( II. Art. 9) eine Dokumentation über das Kulturgut sowie die Eingriffe sollte erstellt werden ( II. Art. 10) 7

Fazit: voller Reichtum an Authentizität Erhalt des überlieferten Zustandes, weil das Objekt untrennbar mit seiner Geschichte verbunden ist Abtrennungen nur dort, wo es für den Erhalt notwendig ist Restaurierung besitzt Ausnahmecharakter Restaurierung findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt Ergänzungen müssen vom Original unterscheidbar sein 8

Herkunft und Gründe aus Fehlern wird man klug Beispiele Reinigung von Büchern: im Falz von alten Handschriften enthaltener Staub kann mittels Analyse zur Herkunftsbestimmung des Buchs beitragen gereinigte Bücher enthalten diese Informationen nicht mehr Einschweißen von Papier zwischen Kunststofffolien: in den 1970ern zur Stabilisierung verwendet Kunststoff altert, wird spröde, vergilbt und bricht 9

Neubindung von alten Handschriften Informationen über Herkunft und Datierung gehen verloren Authentizität geht verloren Entfernen von Patina z.b. bei liturgischen Gegenständen Entfernung von Wachsflecken aus Handschriften, die zu liturgischen Zwecken in Kirchen verwendet wurden Reinigung von Griffspuren bei häufig benutzten Büchern Verlust der Authentizität und Spuren für Forschung und Wissenschaft (Nutzung nicht oder nur noch eingeschränkt nachvollziehbar) 10

Übertragung und Umsetzung: bestehende ethische Grundsätze aus anderen Bereichen der Restaurierung sind übertragbar Einschränkungen bei audiovisuellen Datenträgern Datenträger sind auf Transmitter (Hard- und/oder Software) angewiesen, dieser muss also zwingend in die Überlegungen mit einbezogen werden Lebenserwartung u.u. noch geringer als z.b. bei Büchern neue ethische Herausforderung für Restauratoren: Trennung von Träger und Inhalt möglicherweise notwendig 11

voller Reichtum an Authentizität: keine Datenreduktion bei der Digitalisierung keine Veränderung des Signals ( Retusche ) zukünftige Forschungen dürfen nicht beeinträchtigt werden Bewahrung überlieferter Zustand: Original/Master muss weiterhin aufbewahrt werden Label, Etiketten, Hüllenbeschriftungen sind historische Dokumente und müssen erhalten werden das Objekt selbst ist ein technischer Zeuge der Produktionsgeschichte 12

Abtrennung nur wenn zum Erhalt notwendig: Trennung von Träger und Inhalt nur wenn der Träger nicht mehr zu retten ist, die Kopie wird nur in diesem Fall zum neuen Original Abtrennungen müssen genau dokumentiert werden Restaurierung besitzt Ausnahmecharakter: Priorität: präventive Konservierung vor einer Restaurierung Schaffung eines optimalen Umfeldes zur Archivierung Schonung des Originals / seiner Substanz 13

Restaurierung findet ihre Grenze dort, wo die Hypothese beginnt: stammen Artefakte von mangelnder Qualität bei der Aufzeichnung? können Fehler eindeutig identifiziert werden? dürfen Drop-outs korrigiert werden? sind Signalveränderungen u.u. Folge der Entstehungs- und Nutzungsgeschichte 14

Ergänzungen unterscheidbar vom Original: ist dies bei der Signalbearbeitung realisierbar? Ziel der Bearbeitung ist es doch meistens, für den Hörer unhörbar zu bleiben Dokumentation: Bearbeitungsschritte müssen dokumentiert werden dazu gehören alle Angaben zum äußeren Zustand des Original-Trägers Reversibilität: alle Veränderungen und Arbeitsschritte sollten wieder rückgängig gemacht werden können 15

Fazit: Kopie bzw. Digitalisierung kann u.u. Authentizität zerstören: das ursprüngliche Hör- oder Seherlebnis wird verändert die Handhabung und Verfügbarkeit des Datenträgers wird verändert physikalische Besonderheiten gehen u.u. verloren beim Übergang der Information auf einen neuen Träger bleiben u.u. Informationen auf dem alten Träger zurück, die für die Authentizität wichtig sind 16

aus restauratorisch-ethischer Sicht sind die wichtigsten Forderungen: möglichst exakte Dokumentation der Bearbeitungsschritte Aufbewahrung des Originals für mögliche weitere Forschungen verlustfreie Übertragung der analogen Information auf einen neuen, möglichst haltbaren Datenträger sensibler Umgang mit den ungehobenen Schätzen in den audiovisuellen Archiven 17

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: weisser@restaumedia.de Weitere Informationen: www.restaumedia.de Literatur: Charta von Venedig http://www.denkmalpflege-mv.de/denkmalrecht/charta_von_venedig_dt.pdf Icom Code of Ethics http://icom.museum/ethics_rev_engl.html E.C.C.O. Berufsrichtlinien http://www.museeninbayern.de/pdf/literatur/ecco_berufsrichtlinien.pdf Katrin Janis http://www.restauratoren.de/pdf/vortragstext_katrin_janis.pdf 18