TRAUMAPÄDAGOGIK IN DER FRÜHEN KINDHEIT ZÜRICH, 24.03.2018 PROF. DR. DAVID ZIMMERMANN 1
FALLSKIZZE 2
VERSTEHEN? Wir müssen das Kind verstehen, bevor wir es erziehen. (Paul Moor, 1965, S. 15) Wir müssen die Interaktionsgeschichte verstehen, bevor wir hilfreiche Konzepte entwickeln können. Wir müssen das Nicht-Verstehen ertragen, um blinden Aktionismus zu vermeiden. 3
WAS IST EIN TRAUMA? Objektiver Anteil: Extremerfahrungen z.b. (sexualisierte) Gewalt z.b. emotionale Kälte Subjektiver Anteil Überwältigung Verinnerlichung von traumatischer Beziehungserfahrung Erleben und Verhalten Traumaassoziierte Angst, Not, Sehnsucht Nonverbaler Ausdruck über das Verhalten 4
TRAUMATISIERUNG ALS BEZIEHUNGSSTÖRUNG Traumatische Erfahrungen: primäre Beziehungen, existentielle Abhängigkeit Verinnerlichung & körpernahe Abspeicherung der Beziehungserfahrungen Unbewusste Reinszenierung der verinnerlichten Erfahrungen Vgl. u.a. Zimmermann, 2018 5
SEQUENTIELLE TRAUMATISIERUNG Vgl. u.a. Keilson, 1979; Becker, 2006; Zimmermann, 2016. 6
SUBJEKTLOGIK Die Kinder sind nicht unnormal, sondern sie reagieren völlig normal auf hoch gestörte Entwicklungsbedingungen. Vgl. u.a. Göppel, 2007; Herz & Zimmermann, 2015; Mack, 2002; Steinlin et al., 2015 7
ÜBERTRAGUNG UND GEGENÜBERTRAGUNG Erwachsene sind bedrohlich. Wenn ich apathisch bin, schütze ich mich. Ich verstehe nicht, was mit dir los ist. Du machst mich hilflos. Ich reagiere deshalb mit ständiger Aktivierung. 8
GOLDENE FANTASIE Ich suche Schutz und jemanden, der immer für mich da ist. Ich bin die (einzige) Person, die dich aus deinem Elend befreien kann. Vertraue mir, ich bin immer für dich da. Vgl. u.a. Cohen, 2004; Hirsch, 2004; Müller, Th., 2017 9
NÄHE UND DISTANZ So steht der Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängtem in ihm. (Bernfeld, 2013 [1927], 118). Sie müssen sich verwenden lassen, ohne selbst zu verwenden. (Trescher, 1990). 10
VERSTEHEN UND NICHT- VERSTEHEN: PRAKTISCH 11
FALLVERSTEHENSFENSTER 12
FALLVERSTEHEN: PAUL Frühe, wiederkehrende Verlusterfahrung Vermutung der sexualisierten Gewalt Mehrfache Aufenthalte in der KJP Ich benötige sichere Beziehungen Ich wünsche mir Grenzen, wo ich sie selbst nicht einhalten kann Ich habe Angst vor Übergriffigkeit, muss es deshalb hinterfragen. Ich möchte dich beschützen. Du verunsicherst mich. Ich möchte mit dir allein sein. Komm mir nicht zu nah. Beziehung, die hält und zumutet Anerkennung des realen Alters Körperliche Grenzsetzung der Erwachsenen ohne Beziehungsabbruch 13
FALLVERSTEHEN UND ENTLASTUNG 14
SICHERE ORTE Wie können pädagogische SeQngs so sicher wie möglich werden? Wie kann so viel Unsicherheit wie nötg ausgehalten werden? 15
SICHERE ORTE 1 2 Zuverlässige Beziehungen Kontinuität, Rituale, warmherzige Zuwendung Transparenz über die Dauer des Angebots Vermeidung von nicht vorbereiteten Abbrüchen 3 Räumliche Klarheit, Übersichtlichkeit Rückzugsorte 16
PÄDAGOGIK DES GUTEN GRUNDS Jedes Verhalten ist für das Kind subjektlogisch. Besonders stark beeinflussen Ängste, erlittene Not oder nicht gestillte Nähewünsche das Verhalten. Annahme des guten Grunds durch die Pädagog*innen entlastet diese, führt zugleich zu einer haltenden Beziehung. Die Haltung kann im Team geübt werden: xy macht das, weil. Mit 3-6-Jährigen kann die Annahme des guten Grunds auch umsichtig verbalisiert werden. 17
18 INSTITUTIONELLE RAHMUNGEN
BEDARFE VON FACHKRÄFTEN Bestätigung von Unsicherheit Anerkennung der Leistungen Flexibilität im Umgang mit Regeln 19
PROFESSIONELLE TRAUMAPÄDAGOGIK Pädagog*innen sind in der Arbeit mit hoch belasteten Kindern wirkmächtig, wenn: sie bereit sind, sich auf die spezifische Erlebenswelt einzulassen, wenn die strukturellen Bedingungen (z.b. Räume) ausreichend gut sind, die Pädagog*innen gut begleitet werden. 20
WAS FACHKRÄFTE NOCH BRAUCHEN 21
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussion. 22