TRAUMAPÄDAGOGIK IN DER FRÜHEN KINDHEIT

Ähnliche Dokumente
Das Verborgene zu Tage fördern. Psychoanalytischpädagogisches

Geflüchtete Kinder - Herausforderungen und Chancen kultureller Vielfalt in der frühen Bildung

Dr. Ludger Kotthoff Narben sexueller Gewalt. Psychische Folgen der Traumatisierung

Pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit unbegleiteten jungen Flüchtlingen

Arbeiten am Selbstkonzept

Partizipation als Korrekturerfahrung bei Trauma

Angebote von refugio stuttgart e.v.

Lässt sich Haltung lernen? Eine Auseinandersetzung mit den personellen Kompetenzen pädagogischer Fachkräfte

FLÜCHTLNGSARBEIT MIT VULNERABLEN ZIELGRUPPEN

Psychisch belastete Kinder und Jugendliche verstehen, sichern, stärken

Umgang um jeden Preis oder Neuanfang ohne Angst?

Sucht und Trauma. Die schwarzen Brüder

Krisenintervention bei akuter Traumatisierung und Krise Claudius Stein

Traumapädagogik als Pädagogik der Selbstbemächtigung von jungen Menschen Wilma Weiß

TRAUMATISCHE ERFAHRUNGEN VON FLÜCHTLINGSKINDERN UND JUGENDLICHEN

Psychische Erkrankungen als Familienerkrankungen

HANDREICHUNG ZU Es gilt allen Kindern Mut zu machen ihr Trauma zu bewältigen. Ihnen dabei beizustehen. Dies lohnt sich. Immer!

Posttraumatische Störungen bei Migrantinnen und Migranten

TRAUMA ALS PROZESSHAFTES GESCHEHEN

Zur Psychodynamik von Kindern, die Opfer und Zeugen von häuslicher Gewalt geworden sind

Gruppentherapie in der Traumabehandlung

Gewalterfahrungen und Trauma bei Flüchtlingen

Workshop 1 Zwischen: Du kannst mir gar nichts sagen und Lehrerinnen sind viel netter - Frauen in der Arbeit mit Jungen

Kinderarche Sachsen 6. Juni 2012 Fachtag Jugendgewalt. EVANGELISCHER ERZIEHUNGSVERBAND E.V. Dr. Björn Hagen

Begriffsbestimmung 13 Ausprägungen 14 Symptome und Folgen 15 Präventive Maßnahmen 16 Arbeitsbelastungen und Stress 17

Angehörige: Unterstützung oder Herausforderung

Grundbedingungen nach Jaspers (1965)

ICH, LIEBE UND TRAUMA IM PÄDAGOGISCHEN ALLTAG

Psychotherapie. noch einmal zur Erinnerung! Posttraumatische Belastungsstörungen

Ich bin mehr als mein Trauma Ressourcen bei traumatisierten Kindern sichtbar machen

Inhalt Autismusspektrumsstörung: Eltern verstehen hilfreich kommunizieren

Inhaltsverzeichnis XIII.

Forum Suchtmedizin Ostschweiz Regionalkonferenz Ost 14. August Sucht und Trauma. Dr. med. Thomas Maier

Ich lasse Dich gehen

Leitfaden. zur Erstellung eines Schutzkonzepts in katholischen Kindertageseinrichtungen der Diözese Augsburg. Stand 1/2015

Besonderheiten im therapeutischen Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen

Vernetzung in (Verdachts-)Fällen von sexualisierter Gewalt

Helfen Sie einem. anderen Kind, obenauf zu sein bewerben Sie sich für eine. Erziehungsstelle!

BINDUNGSREPRÄSENTANZEN BEI KINDERN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

Die Grundbedürfnisse des Kindes

Kleine Kinder im Heim Herausforderungen für den stationären Alltag

Workshop Gefahr erkannt-gefahr gebannt? Traumatisierung nach sexueller Gewalterfahrung

Fluchtwege, individuelle Fluchterfahrung und Verarbeitung. Psychosoziale und therapeutische Betreuung. Nationale EMN Konferenz 2014

Jahresbegleiter 2017 Der Gesund-Führen-Kalender - Leseprobe A

Wie Kinder und Jugendliche mit Notfällen umgehen

Wann und warum ist eine Fluchtgeschichte traumatisierend?

Dr. Barbara Preitler

Bedingungslose Liebe ist,

Ihr wollt die Wunden nicht sehen Wenn Jugendliche sich selbst verletzen

Trauma und Sucht Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung

Die Behandlung Suchtkranker mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung bzw. Traumafolgestörung Isabel Esch

Umgang mit traumatisierten Kindern und ihren Familien Wie kann pädagogisches Handeln zur Unterstützung von traumatisierten Kindern beitragen?


Vom mutigen und wohlwollenden Umgang mit der Scham in der therapeutischen Beziehung

Resilienz. Ein anderer Blick auf Verlustreaktionen. Aeternitas - Service - Reihe: Trauer. Aeternitas - Service - Reihe: Trauer

REFLemke

Angst und Atemnot in der Palliativpflege

Konzept zur Beziehungsarbeit stationärer Bereich

Traumatischer Stress. in der Familie. Das erstarrte Mobile. Traumatischer Stress? Traumatisierte Familien ZPTN

Die Bedeutung von Bindung in Sozialer Arbeit, Pädagogik und Beratung

Häusliche Gewalt und die Folgen für die Kinder

Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung - ein Einblick

Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern in Pflegefamilien - eine Alternative?

Weiterbildung Traumapädagogik

Wissen reduziert Angst

Traumasymptome. Schätzen Sie anhand der Zahlenskala ein, in welchem Maße sich Ihre Traumasymptome aufgelöst haben

Stabilisierung. Warum? 6/18/16 Institut für Traumabearbeitung und Weiterbildung

Gewaltprävention warum?

Zartbitter e.v. Sexuell grenzverletzendes Verhalten durch Kinder im Vor- und Grundschulalter. Ursula Enders Illustrationen: Dorothee Wolters

Grenzen in der Psychiatrie Aspekte der Grenzarbeit bei der Betreuung der Kinder und Jugendlichen an einer KJPP. Jaud Inge, Symposium Rosenhügel 2015

Kleine Impulse zum Schuljahresbeginn beziehungsfördernde Ideen für Schulleiterinnen und Schulleiter

BESCHÄDIGTE KINDHEIT Ein traumatherapeutischer Blick auf die komplexe Entwicklungsstörung nach Frühtraumatisierung

Martha C. Nussbaum: Emotionen als Urteil über Wert und Wichtigkeit

Wie kann pädagogisches Handeln zur Unterstützung und zur Selbstbemächtigung von traumatisierten Kindern beitragen?

Dialogische Haltung in Zusammenarbeit mit Eltern

Messung und Manipulation von Emotionen in effizienter Kommunikation

Intensive Short-Term Dynamic Psychotherapy (ISTDP) = intensive psychodynamische Kurzzeittherapie

Das Kind und ich eine Bindung, die stärkt

Wie ziehen Partners einander an?

Workshop 9. Sexueller Missbrauch in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe

Sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen

Was brauchen Eltern, die ihre Kinder schlagen?

Traumagerechtes Vorgehen in der systemischen Arbeit

Traumapädagogische Aspekte in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit sexualisierten Gewalterfahrungen

Das Schweigen der Kinder alkoholkranker Eltern

Pädagogik. Anja Winterstein. Essstörungen. Studienarbeit

Sabine Andresen. Mein Leben wird richtig schön! Kinder aus Hamburg-Jenfeld und Berlin-Hellersdorf

Traumatischer Stress in der Familie

Workshop: Flucht als traumatische Erfahrung eine Herausforderung für die Kindertagesbetreuung. 07. September 2016

Emanzipation und Kontrolle? Zum Verhältnis von Demokratie und Sozialer Arbeit

Fluchtgeschichten und ihre Folgen Umgang mit traumatisierten Kindern und ihren Eltern

LEBENSWEGE BEGLEITEN - BIOGRAFIEARBEIT.

Traumatische Erfahrungen und soziale Kompetenz: Herausforderungen und Chancen

Gestaltung der therapeutischen Beziehung

Unser Auftrag. ist der caritative Dienst für den Menschen als lebendiges Zeugnis der frohen Botschaft Jesu in der Tradition der Orden.

Wie Kinder auf traumatische Situationen reagieren. Pro Juventute Tagung 2013 B.Juen

Fachbereich Psychologie Psychiatrie Pädagogik. Traumapädagogik. Pädagogisch-therapeutische Hilfen für traumatisierte Kinder und Jugendliche

Transkript:

TRAUMAPÄDAGOGIK IN DER FRÜHEN KINDHEIT ZÜRICH, 24.03.2018 PROF. DR. DAVID ZIMMERMANN 1

FALLSKIZZE 2

VERSTEHEN? Wir müssen das Kind verstehen, bevor wir es erziehen. (Paul Moor, 1965, S. 15) Wir müssen die Interaktionsgeschichte verstehen, bevor wir hilfreiche Konzepte entwickeln können. Wir müssen das Nicht-Verstehen ertragen, um blinden Aktionismus zu vermeiden. 3

WAS IST EIN TRAUMA? Objektiver Anteil: Extremerfahrungen z.b. (sexualisierte) Gewalt z.b. emotionale Kälte Subjektiver Anteil Überwältigung Verinnerlichung von traumatischer Beziehungserfahrung Erleben und Verhalten Traumaassoziierte Angst, Not, Sehnsucht Nonverbaler Ausdruck über das Verhalten 4

TRAUMATISIERUNG ALS BEZIEHUNGSSTÖRUNG Traumatische Erfahrungen: primäre Beziehungen, existentielle Abhängigkeit Verinnerlichung & körpernahe Abspeicherung der Beziehungserfahrungen Unbewusste Reinszenierung der verinnerlichten Erfahrungen Vgl. u.a. Zimmermann, 2018 5

SEQUENTIELLE TRAUMATISIERUNG Vgl. u.a. Keilson, 1979; Becker, 2006; Zimmermann, 2016. 6

SUBJEKTLOGIK Die Kinder sind nicht unnormal, sondern sie reagieren völlig normal auf hoch gestörte Entwicklungsbedingungen. Vgl. u.a. Göppel, 2007; Herz & Zimmermann, 2015; Mack, 2002; Steinlin et al., 2015 7

ÜBERTRAGUNG UND GEGENÜBERTRAGUNG Erwachsene sind bedrohlich. Wenn ich apathisch bin, schütze ich mich. Ich verstehe nicht, was mit dir los ist. Du machst mich hilflos. Ich reagiere deshalb mit ständiger Aktivierung. 8

GOLDENE FANTASIE Ich suche Schutz und jemanden, der immer für mich da ist. Ich bin die (einzige) Person, die dich aus deinem Elend befreien kann. Vertraue mir, ich bin immer für dich da. Vgl. u.a. Cohen, 2004; Hirsch, 2004; Müller, Th., 2017 9

NÄHE UND DISTANZ So steht der Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängtem in ihm. (Bernfeld, 2013 [1927], 118). Sie müssen sich verwenden lassen, ohne selbst zu verwenden. (Trescher, 1990). 10

VERSTEHEN UND NICHT- VERSTEHEN: PRAKTISCH 11

FALLVERSTEHENSFENSTER 12

FALLVERSTEHEN: PAUL Frühe, wiederkehrende Verlusterfahrung Vermutung der sexualisierten Gewalt Mehrfache Aufenthalte in der KJP Ich benötige sichere Beziehungen Ich wünsche mir Grenzen, wo ich sie selbst nicht einhalten kann Ich habe Angst vor Übergriffigkeit, muss es deshalb hinterfragen. Ich möchte dich beschützen. Du verunsicherst mich. Ich möchte mit dir allein sein. Komm mir nicht zu nah. Beziehung, die hält und zumutet Anerkennung des realen Alters Körperliche Grenzsetzung der Erwachsenen ohne Beziehungsabbruch 13

FALLVERSTEHEN UND ENTLASTUNG 14

SICHERE ORTE Wie können pädagogische SeQngs so sicher wie möglich werden? Wie kann so viel Unsicherheit wie nötg ausgehalten werden? 15

SICHERE ORTE 1 2 Zuverlässige Beziehungen Kontinuität, Rituale, warmherzige Zuwendung Transparenz über die Dauer des Angebots Vermeidung von nicht vorbereiteten Abbrüchen 3 Räumliche Klarheit, Übersichtlichkeit Rückzugsorte 16

PÄDAGOGIK DES GUTEN GRUNDS Jedes Verhalten ist für das Kind subjektlogisch. Besonders stark beeinflussen Ängste, erlittene Not oder nicht gestillte Nähewünsche das Verhalten. Annahme des guten Grunds durch die Pädagog*innen entlastet diese, führt zugleich zu einer haltenden Beziehung. Die Haltung kann im Team geübt werden: xy macht das, weil. Mit 3-6-Jährigen kann die Annahme des guten Grunds auch umsichtig verbalisiert werden. 17

18 INSTITUTIONELLE RAHMUNGEN

BEDARFE VON FACHKRÄFTEN Bestätigung von Unsicherheit Anerkennung der Leistungen Flexibilität im Umgang mit Regeln 19

PROFESSIONELLE TRAUMAPÄDAGOGIK Pädagog*innen sind in der Arbeit mit hoch belasteten Kindern wirkmächtig, wenn: sie bereit sind, sich auf die spezifische Erlebenswelt einzulassen, wenn die strukturellen Bedingungen (z.b. Räume) ausreichend gut sind, die Pädagog*innen gut begleitet werden. 20

WAS FACHKRÄFTE NOCH BRAUCHEN 21

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Diskussion. 22