HTA-Erfahrungen und Visionen des Bundes Dr. med. Maya Züllig, MPH Leiterin Sektion Med. Leistungen stv. Leiterin Abteilung Leistungen SNHTA-Präsidentin INAHTA-Vorstandsmitglied 1
Health Technology Assessment (HTA) Systematische Bewertung kurz- und langfristiger Konsequenzen medizinischer Prozesse und Verfahren Ausrichtung auf Entscheidungsfindung Multidisziplinärer, umfassender Ansatz Vorgegebener korrekter Prozess Systematische Recherche und Zusammenstellung der verfügbaren wissenschaftlichen Informationen Wirksamkeit und Kosten-Wirksamkeit einer Intervention Wissenschaftlicher nachvollziehbarer Report 2
Health Technology Assessment (HTA) Zielgruppe/Anwendende Entscheidungsträger Zielbevölkerung Bevölkerung/ Bevölkerungsgruppen Anwendungskontext Kostenübernahme, Investition, Regulation Methoden Systematische Übersichten, Metaanalysen, klinische Studien, ökonomische Evaluation, ethische, sozio-kulturelle, organisatorische, rechtliche Analysen Unterschied zu Evidence Based Medicine, Guidelines-Entwicklung, Parlamentarischer Technologiebewertung 3
Health Technology Assessment (HTA) Form Inhaltliche Komponenten, Umfang, Zeitdauer, Analysetiefe, Vollständigkeit Abhängig von Entscheidungskontext Fragestellung, Durchführungszeitpunkt, formale Anforderungen, verfügbare Evidenz Bearbeitung einer fokussierten Fragestellung unter Berücksichtigung von Primär- und Sekundärstudien in 6 Monaten 4
Nationaler HTA- Kontext 5
Nationaler Entscheidungskontext Nationales Rückvergütungssystem (KVG) Kantonale Versorgungssysteme Geteilte Verantwortung Keine budgetären Eckwerte Fehlen von klaren Bezugsgrössen und Massstäben 6
Definition Leistungskatalog Rahmen durch KVG vorgegeben Umfassende, zweckmässige medizinische Versorgung Antragssystem für die Aufnahme neuer Leistungen Im gesetzlich vorgegebenen Rahmen Entscheidungsinstanzen stützen sich auf drei beratende Fachkommissionen Massgebliche Kreise entweder als ständige Mitglieder oder auf Einladung vertreten Impuls zur Entwicklung erfolgt durch Basis Gesetzlich vorgegebener und breit abgestützter Entscheidungsfindungsprozess 7
Kategorie Entscheidungsinstanz Leistungserbringer Verordnung/ Liste Leistungen KLV / Anhang 1 KLV Mittel und Gegenstände Beratende Fachkommission KVV Bundesrat Eidg. Leistungs- und Grundsatzkommission Anhang 2 KLV (MiGeL) Analysen Anhang 3 KLV (AL) Konfektionierte Arzneimittel Eidg. Arzneimittelkommission Magistralrezepturen SL Anhang 4 KLV (ALT) Eidg. Departement des Innern Eidg. Departement des Innern Eidg. Departement des Innern Bundesamt für Gesundheit Eidg. Departement des Innern Eidg. Leistungs- und Grundsatzkommission Eidg. Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände Eidg. Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände Eidg. Arzneimittelkommission
Leistungsvoraussetzungen Wirksamkeit (effectiveness) Nutzen und Schaden bzw. Netto-Nutzen in reproduzierbar Weise in klinischen Studien nachgewiesen Im Schweizer Anwendungssetting bestätigt Zweckmässigkeit (usefulness) Eignung unter Berücksichtigung von Nutzen und Schaden Erforderlichkeit Zumutbarkeit Verhältnismässigkeit des Mitteleinsatzes Wirtschaftlichkeit (efficiency) Angemessener Einsatz im Einzelfall vorausgesetzt Gleichzeitige Betrachtung von Nutzen und Kosten unter Berücksichtigung der Kostenfolgen (direkte Kosten) WZW-Kriterien 9
Leistungsvoraussetzungen Massgebend für: Bestimmung und Überprüfung einzelner Leistungen oder ganzer Leistungsbereiche (Art. 32 KVG) Beschränkungen der Menge und Indikationen sowie Festsetzung von Qualitätsanforderungen Einsatz der Mittel im Einzelfall (Art. 56 KVG) Angemessenheit Makro- und Mikroebene Sicherstellung des zielgerichteten Mitteleinsatzes im solidarisch finanzierten Zwangsversicherungssystem 10
HTA-Erfahrung bei med. Leistungen 11
Entwicklung HTA-System Teilnahme EUR-ASSESS (1994-1997) Beitritt EuroSan, INAHTA, ISTAHC (ab 1997) Herausgabe Handbuch zur Standardisierung der medizinischen und wirtschaftlichen Bewertung neuer medizinischer Leistungen (1998) Initiierung Schweizerisches HTA-Netzwerk SNHTA (1999) Ärztliche und chiropraktorische Leistungen, die WZW-Kriterien nicht ohne Weiteres erfüllen 12
Evaluation HTA-System Eingang Antrag Vorstellung an nächster Kommissionssitzung 3 4 Kommissionssitzungen / Jahr 134 Anträge in Filemaker pro-datenbank 1.1.1996 31.5.2002 90 Leistungen mit Übernahme-Entscheid (75%) 44 Leistungen mit ausstehendem Übernahme-Entscheid 15% Rückstellung durch Kommission (1 2 Jahre pendent) 1 2 ½ Jahre von Antragseinreichung bis Übernahme-Entscheid (Median: 1 Jahr) Kategorien von Antragstellenden Begründungen 13
Anpassungen HTA-System Striktere Qualitätsvorgaben Konsequentere Literatursuche Zusätzliche medizinische und ökonomische Peer Reviews Angepasste Einreichungsfristen Mehrkosten und vordergründige Verlangsamung des Prozesses zugunsten von Qualität und Tempo in der Entscheidungsfindung 14
Zweistufiges Antragsverfahren Meldeformular Antragsformular Raster und Anleitung Erstellung aller erforderlichen Informationen Methodische Vorgaben für Informationssynthese Modularer Aufbau Teile sind für alle Arten von medizinischen Leistungen identisch, andere spezifisch Komparativer Ansatz Darstellung von WZW im Vergleich zur heutigen Praxis ( Komparator ) Frühzeitige Einschätzung von WZW einer Innovation 15
Heutiges HTA-System Zusammenfassung und standardisierte Beurteilung durch BAG Internationale Netzwerke Euroscan, INAHTA, EUnetHTA JA, EuSANH Ev. externe Literaturreview SNHTA oder internationale Netzwerke Ev. externe ökonomische Review SNHTA oder internationale Netzwerke Bewertung durch beratende Fachkommission Standardisierter vorgegebener Entscheidungsfindungsprozess 16
HTA-Terminologie Assessment: Informationssynthese Transparente, nachvollziehbare Beurteilung (Antrag + Review durch Einheit) Appraisal: Empfehlung Bewertung unter Berücksichtigung der regionalen / nationalen Rahmenbedingungen durch Fachkommission Decision: Entscheid Verordnungsanpassung durch Eidg. Departement des Innern (EDI) : or ( ) or 17
Review des HTA-Systems Inspektion «Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» Umgang mit Innovationen flexibel und differenziert Antragsprinzip sachorientiert und vergleichsweise rasch Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Januar 2009 Stärkung der Voraussetzungen des Vertrauensprinzips Beibehaltung des Antragsprinzips 18
Zwischenbilanz Schlankes, innovationsfreundliches, prozessorientiertes HTA-System Antragsprinzip Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Netzwerken Rechtssicherheit im Vordergrund Grenzen des aktuellen Systems: Bei fehlender Antragstellung Durch fehlende Prioritätensetzung Bei fehlender Kooperation zur Evaluation innovativer Leistungen Durch fehlende Implementierung in der Praxis 19
Visionen des Bundes 20
Nationale HTA-Landschaft Verein Medical Board von GDK, FMH, SAMW Appraisal-orientiert Projekt SwissHTA von santésuisse / Interpharma Verbindliche Kriterien HTA-Weiterentwicklung gemäss GPK-Empfehlungen Zwei angenommene Motionen zur Schaffung einer nationalen HTA-Agentur Konzeption einer nationalen HTA-Strategie unter Federführung des Bundes 21
Weiterentwicklung Leistungskatalog Garantierter Zugang zu Innovationen wo für Behandlung einer Krankheit sinnvoll Ständiger Prozess der Ausgestaltung welche Leistungen sind zu finanzieren Umfassender Leistungskatalog Kritik gegen unangemessene Leistungen in Einzelfällen Erhöhung der Qualität und Angemessenheit der Leistungen ohne ungerechtfertigte Ausdünnung 22
Herausforderungen Bund / Fachkommissionen Überprüfung einzelner Leistungen oder ganzer Leistungsbereiche insbesondere auf Kosten-Wirksamkeit (HTA) Revision der Tarife (AL und ALT), Preise (SL) und Höchstvergütungsbeträge / HVB (MiGeL) Publikation von Assessment-Berichten Leistungserbringer Entwicklung von Definitionen und Practice Guidelines Versicherer Weiterentwicklung der Wirtschaftlichkeitsprüfung Tarifpartner Weiterentwicklung der Tarifvereinbarungen Versicherte bzw. Patienten Information und Eigenverantwortung 23
Vision des Bundes Nationale HTA-Strategie Gezielter Einsatz von Leistungen und Ressourcen Kriterien für HTA-Programm, Früherkennung fraglicher Leistungen, Überprüfung bestehender Leistungen Konsens zu Umgang mit innovativen Leistungen, wo WZW noch nicht abschliessend beurteilbar ist Aufgaben und Pflichten von Leistungserbringern und Herstellern, Patienten und Versicherern Intensivierte Versorgungsforschung als Basis zur Weiterentwicklung des Leistungskatalogs 24
Vision des Bundes Konsens um Auftrag und Umfang der sozialen Krankenversicherung (KVG) Solidarisch finanzierte, qualitativ hochstehende und zweckmässige medizinische Versorgung Transparente Informationen zur Ermöglichung einer bewussten Wahl Informationsplattform zu Qualität, Best practice, etc. Koordination der geteilten Verantwortung Nationale Rückvergütung und kantonale Versorgung 25
Schlussfolgerung Wenn alle ihre Eigenverantwortung kennen und wahrnehmen, brauchen wir keine Rationierung maya.zuellig@bag.admin.ch 26
Quellen Handbuch zur Antragstellung auf Kostenübernahme bei neuen oder umstrittenen Leistungen: http://www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/00263/0 0264/04853/index.html?lang=de Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Januar 2009: http://www.parlament.ch/d/dokumentation/berichte/berichte- aufsichtskommissionen/geschaeftspruefungskommission- GPK/berichte-2009/Documents/gpk-brief-br-2009-01-26-d.pdf Stellungnahme des Bundesrats vom 24. Juni 2009 auf die Empfehlungen der GPK-N im Rahmen der erwähnten Inspektion: BBI 2009 5649 27