Fremde, AsylwerberInnen und Kultur Geschlechtsspezifische Verfolgung im Flüchtlingsrecht (LV Recht Macht Geschlecht: Gender in multi/kultureller Perspektive [Dr. Elisabeth Holzleithner], SoSe 2005) Mag. Judith Putzer, MdUBAS, judith.putzer@ubas.gv.at I. Einleitung Unterscheidung: intern/extern vertriebene Personen AsylwerberInnen-Statistik des österreichischen BMI 1 UNHCR-Statistik 2 II. Rechtlicher Rahmen 1. VÖLKERRECHT a. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 3 (Genfer Flüchtlingskonvention): Art 1 (Definition des Begriffs Flüchtling ): A. Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck Flüchtling auf jede Person Anwendung: 1) Die in Anwendung der Vereinbarungen vom 12. Mai 1926 und 30. Juni 1928 oder in Anwendung der Abkommen vom 28. Oktober 1933 und 10. Februar 1938 und des Protokolls vom 14. September 1939 oder in Anwendung der Verfassung der Internationalen Flüchtlingsorganisation als Flüchtling gilt. [...] 1 http://www.bmi.gv.at/publikationen/ (zuletzt bes. am 29. 5. 2005, PDF, S. 8 Gliederung nach Geschlecht ). 2 http://www.unhcr.ch/cgi-bin/texis/vtx/statistics (zuletzt bes. am 29. 5. 2005, Link Asylum Trends ). 3 Verträge der Vereinten Nationen (Treaty Series) Band 189, S. 137; BGBl 1955/55. Zur Auslegung vgl. insbes. UNHCR, Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, www.unhcr.de, und UNHCR, Richtlinien zur geschlechtsspezifischen Verfolgung, www.unhcr.de. Fremde, AsylwerberInnen und Kultur (Mag. Judith Putzer, MdUBAS; 1.6.2005) 1
2) Die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will. [...] b. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 4 : Art 14 (Asylrecht): 1. Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen. 2. Dieses Recht kann jedoch im Falle seiner Verfolgung wegen nichtpolitischer Verbrechen oder wegen Handlungen, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, nicht in Anspruch genommen werden. c. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention) 5 : Art 3 (Folterverbot Refoulementverbot): Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. 4 Res der GV der VN 217 (III), 10. 12. 1948. 5 BGBl 1958/210 idgf. Fremde, AsylwerberInnen und Kultur (Mag. Judith Putzer, MdUBAS; 1.6.2005) 2
2. RECHT DER EUROPÄISCHEN UNION Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes 6 : Kapitel III (Anerkennung als Flüchtling), Art 9 (Verfolgungshandlungen): (1) Als Verfolgung im Sinne des Artikels 1A der Genfer Flüchtlingskonvention gelten Handlungen, die a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist. (2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten: a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Art 10 (Verfolgungsgründe): (1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes: [...] d) Eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung 6 ABl. L 304/12 vom 30. 9. 2004. Fremde, AsylwerberInnen und Kultur (Mag. Judith Putzer, MdUBAS; 1.6.2005) 3
teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Ausrichtung gründet. Als sexuelle Ausrichtung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten; geschlechterbezogene Aspekte können berücksichtigt werden, rechtfertigen aber für sich allein genommen noch nicht die Annahme, dass dieser Artikel anwendbar ist [...] Artikel 6 (Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann): Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von a) dem Staat; b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen; c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung [...] zu bieten. 3. NATIONALES RECHT Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl 1997 (AsylG) 7 : 7 (Asyl aufgrund Asylantrages): Die Behörde hat Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliegt. 7 BGBl I 1997/76 idgf; vgl dazu inbes www.asylum-online.at ( Asylrecht in Österreich ) Fremde, AsylwerberInnen und Kultur (Mag. Judith Putzer, MdUBAS; 1.6.2005) 4
III. Fallbeispiele 1. ZWANGSABTREIBUNGEN / ZWANGSSTERILISATION / EIN-KIND-POLITIK IN CHINA Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 209.261/23-II/04/01 vom 4. Jänner 2002 (China) Erkenntnis des VwGH 2001/20/0692 vom 14. Dezember 2004 (China) 2. FGM (FEMALE GENITAL MUTILATION) Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 220.268/0-XI/33/00 vom 21.3.2002 (Kamerun) Vergleich mit Rechtsprechung in Deutschland 8 : Kulturrelativismus-Argument? Staatlichkeit der Verfolgung? Asylrelevantes Merkmal? 3. FRAUEN IN MUSLIMISCHEN GESELLSCHAFTEN a) Frauensituation in Afghanistan Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates, Zl.227.252/8-X/28/03 vom 21.03.2003 Vergleich mit Rechtsprechung in Deutschland b) Befürchtete Steinigung wegen angeblichen oder tatsächlichen Ehebruchs (Iran) Erkenntnis des VwGH 2001/20/0256 vom 06.05.2004 Vergleich mit älterer Rechtsprechung Verfolgungscharakter allgemeiner Gesetze? Asylrelevantes Merkmal? 4. SEXUELLE GEWALT GEGEN FRAUEN Diskussion: Sind legistische Maßnahmen erforderlich, um Vergewaltigung als Asylgrund anzuerkennen? Internationales Strafrecht 9 UN-Spezialbericht zu Violence Against Women 10 8 Inke Jensen, Frauen im Asyl- und Flüchtlingsrecht. Baden-Baden (Nomos) 2003, S. 143 160. Fremde, AsylwerberInnen und Kultur (Mag. Judith Putzer, MdUBAS; 1.6.2005) 5
IV. Schlussfolgerungen 1. DIMENSION DER POLITISCHEN VERFOLGUNG ( DAS PRIVATE IST POLITISCH ) 2. DRITTWIRKUNG DER MENSCHENRECHTE 3. RICHTER SIND KEINE SUBSUMTIONSAUTOMATEN (GEBOT DER MENSCHENRECHTS- KONFORMEN INTERPRETATION DES FLÜCHTLINGSRECHTS) V. Anhang: 1. INTERNETQUELLEN ZUM INTERNATIONALEN, EUROPÄISCHEN UND ÖSTERREICHISCHEN FLÜCHTLINGSRECHT www.unhcr.ch www.unhcr.de www.ris.bka.gv.at www.asylum-online.at (mit zahlreichen weiteren Links) 2. LITERATURHINWEISE Gertrude Brauchart, Judith Putzer, Non-governmental and gender-related persecution in Austrian jurisprudence. In: Agents and Victims (Treatises on Migration and Refugee Problems, ed. R. Rosskopf), Berlin 2004, S. 103 116 Heaven Crawley, Refugees and Gender. Law and Process. Bristol (Jordan Publishing) 2001 Heaven Crawley, Trine Lester, Comparative analysis of gender-related persecution in national asylum legislation and practice in Europe. UNHCR (www.unhcr.de) 2004 Inke Jensen, Frauen im Asyl- und Flüchtlingsrecht. Baden-Baden (Nomos) 2003 Susan Kneebone, Women Within The Refugee Construct: Exclusionary Inclusion In Policy And Practice The Australian Experience. International Journal of Refugee Law (IJRL) 2005.17(7) Josef Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl. Kommentar. Wien (Orac) 1999 9 Vgl insbes das IStGH-Statut (U.N. Doc. A/CONF.183/9*), http://www.un.org/law/icc/statute/romefra.htm; Art 7 ( crimes against humanity ) 10 http://www.ohchr.org/english/issues/women/rapporteur/ Fremde, AsylwerberInnen und Kultur (Mag. Judith Putzer, MdUBAS; 1.6.2005) 6