Aspekte der Sprachförderung



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Claudia Neugebauer und Claudio Nodari Aspekte der Sprachförderung Bibliographischer Verweis: Neugebauer, C., Nodari, C. (1999): Aspekte der Sprachförderung. In: Gyger M., Heckendorn-Heiniman B.: Erfolgreich integriert? Fremd- und mehrsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz (S. 161 175). Bernischer Lehrmittel- und Medienverlag. Sumatrastrasse 1 CH-8006 Zürich Tel. +41 (0) 260 69 85 Fax +41 (0) 260 69 89 e-mail iik@iik.ch http://www.iik.ch

1. Einleitung Schulerfolg hängt massgeblich von der Sprachkompetenz ab. Diese Feststellung wird kaum mehr bezweifelt und kann heute definitiv als erwiesen betrachtet werden. 1 Mit Sprachkompetenz meinen wir primär die Fähigkeit, die Zweitsprache Deutsch in ihrer hochsprachlichen schweizerischen Variante 2 mündlich und schriftlich im schulischen Kontext und in allen Fächern zu verstehen bzw. alters- und stufengemäss zu gebrauchen. Auch die Studie der NW-EDK zur Integration anderssprachiger Kinder und Jugendlicher belegt die zentrale Bedeutung der Sprachkompetenz vor allem in folgenden Empfehlungen. Punkt 3. Intensive Förderung in der Zweitsprache ist unabhängig vom Einschulungsmodell unerlässlich. ( ) Für den Schulerfolg zählen andere sprachliche Kompetenzen als für die praktische Lebensbewältigung. Punkt 6. Der Deutschunterricht muss differenziert auf die unterschiedlichen Kompetenzen der Erst- und Zweitsprachlerner eingehen. ( ) Sprachunterricht umfasst mehr als das Fach Deutsch. Er findet in allen Fächern statt. Punkt 7. Für den Schulerfolg sollte die gesamte Sprachkompetenz ausschlaggebend sein, nicht nur einzelne Spezialfertigkeiten (Rechtschreibung, Fall-Endungen). Punkt 8. In der Schule sollte konsequent Standardsprache Deutsch gesprochen werden. Die Studie belegt auch, dass die Entwicklung der Erstsprache ebenfalls eine zentrale Rolle für den Schulerfolg spielt. Punkt 4. Schüler und Schülerinnen der zweiten und dritten Generation benötigen eine gezielte Förderung sowohl in Deutsch als auch in ihrer Erstsprache. Punkt 10. Die schulsprachliche Kompetenz in der Erstsprache hat eine grosse Bedeutung für schulische Grundfertigkeiten und für die Ausbildung einer stabilen bilingualen Identität und das damit verbundene Selbstbewusstsein. Die zentrale sprachdidaktische Frage ist, wie die Förderung der Erst- und Zweitsprache erfolgen kann denn Eines scheint klar zu sein: Mit den herkömmlichen Bewertungskriterien für Sprachkompetenz, vorab der schriftlichen Texte, welche Grammatik- und Rechtschreibefehler höher bewerten als Inhalt, Komplexität und Kohärenz, und mit dem daraus folgenden Unterrichtskonzept, das grammatikalische Formen und Strukturen ins Zentrum der Sprachförderstunden stellt und demzufolge grossen Wert auf das Einschleifen formaler Korrektheit legt, sind wir nicht weit gekommen und werden es auch nicht. Es nützt auch nichts, den Erstsprachunterricht (d.h. Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur) voll im Stundenplan zu integrieren, wenn auch dort fast ausschliesslich formale Korrektheit angestrebt wird. Für eine zeitgemässe Sprachförderung aller Schülerinnen und Schüler (deutsch- und anderssprachige) bedarf es eines neuen Umgangs mit sprachlichen Produkten der Lernenden. Dieser neue Umgang muss bei der differenzierteren Wahrnehmung von sprachlichen Leistungen ansetzen und auch die Praxis der Übertritte in eine höhere Schulstufe massgeblich beeinflussen. 1 R. Müller: Sozialpsychologische Grundlagen des schulischen Zweitspracherwerbs bei MigrantenschülerInnen. Reihe Sprachlandschaft Bd. 21, Verlag Sauerländer, Aarau 1997 2 Wie sagt man in der Schweiz? Wörterbuch der schweizerischen Besonderheiten Dudenverlag Mannheim 1989 Seite -2-

Es macht wohl keinen Sinn, die Sprachförderung lernergerecht und umfassend zu konzipieren, wenn beim Übertritt in die höhere Schulstufe ausschliesslich die perfekte Beherrschung von Teilfertigkeiten wie Rechtschreibung und grammatikalische Korrektheit massgebend sind. Übertrittskriterien werden übrigens auch von Lehrpersonen mitbestimmt. Ein neuer Umgang mit den mündlichen und schriftlichen Sprachproduktionen muss demnach unter den Lehrpersonen Fuss fassen und zu einer neuen Kultur der Sprachförderung führen. 2. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Sprachliche Produkte, d.h. gesprochene wie geschriebene Texte, können durch Schriftlichkeit oder durch Mündlichkeit geprägt sein. 3 durch Mündlichkeit geprägte Texte Charakteristika: zirkulare Argumentation Wiederholungen Gedankensprünge unvollständige Sätze grammatikalische Fehler unpräziser Wortgebrauch Füllwörter gesprochen Alltagsgespräche (erzählen, schildern, Smalltalk) Unterrichtsgespräche (darstellen, erklären, informieren, anweisen, erzählen) geschrieben Rollenspiel Hörspiel persönlicher Brief Kurzmitteilung Texte von Kindern gesprochen Sacherklärung Einführungen Stellungnahmen Vortrag Nachrichten geschrieben Sachtext Kommentar Zeitungstext literarischer Text Geschäftsbrief durch Schriftlichkeit geprägte Texte Charakteristika: lineare Argumentation wenige Wiederholungen keine Gedankensprünge vollständige Sätze grammatikalisch korrekt differenzierter, präziser Wortgebrauch keine Füllwörter Die sprachliche Entwicklung von Schülerinnen und Schülern verläuft zirkulär. Das Schreiben von Texten baut auf einer vorhandenen mündlichen Kommunikationsfähigkeit auf. Texte von Personen, die im Schreiben ungeübt sind, weisen Charakteristika der Mündlichkeit auf. Je mehr die Lernenden Texte bearbeiten (d.h. entwerfen, schreiben, reflektieren, überarbeiten), die zu Beginn durch Mündlichkeit geprägt sind, um so mehr lernen sie, präziser und kohärenter zu formulieren. Dank den Reflexionen über eigene Texte produzieren sie mit der Zeit Texte, die sich zunehmend den Anforderungen der Schriftlichkeit nähern. Je mehr schriftlichkeitsgeprägte Texte von den Lernenden geschrieben werden, um so präziser und kohärenter benützen die Lernenden die Sprache auch in Gesprächen. Die Vorstellung, dass Schüler lernen müssen, in ganzen Sätzen zu sprechen, ist ein Trugschluss. Niemand spricht in Alltagsgesprächen durchwegs mit ganzen Sätzen und ohne Fehler. Eher trifft zu, dass ein motivierender Schreibunterricht die Sprechfertigkeit entwickelt. 3. BICS und CALP Für die Produktion von mündlichkeitsgeprägten Texten sind in erster Linie grundlegende Kommunikationsfertigkeiten (Basic Interpersonal Communicative Skills = BICS) erforderlich. Solche grundlegende Kommunikationsfertigkeiten, wie sie im Alltag gebraucht werden, werden vor allem in der Primarschule gefördert. Die Kinder lernen schreiben und lesen, sie lernen zuzuhören, sie lernen auch, auf die Äusserungen anderer einzugehen usw. Neuzugezogene anderssprachige Kinder und Jugendliche müssen die Sprache des (schulischen) Alltags mündlich 3 Landläufig wird Mündlichkeit als Nominalisierung von mündlich verwendet. In der wissenschaftlichen Diskussion bezeichnet aber Mündlichkeit die Charakteristiken eines geschriebenen oder gesprochenen Textes, der nach den Kriterien der mündlichen Kommunikation produziert wurde (auch Parlando genannt). Umgangssprachlich kann Mündlichkeit umschrieben werden mit Sie schreibt, wie sie spricht, analog dazu Schriftlichkeit Er spricht wie gedruckt. Seite -3-

und schriftlich lernen. Der Deutschunterricht für Anderssprachige fördert in erster Linie diese Kompetenz. Mit zunehmendem Alter werden in der Schule auch kognitiv schulbezogene Sprachfähigkeiten (Cognitive-Academic Language Proficiency = CALP) verlangt. Bis etwa im 4./5. Schuljahr produzieren Kinder vorwiegend Texte, die durch Mündlichkeit geprägt sind. Die Kinder und Jugendlichen müssen spätestens in der Sekundarstufe I fähig werden, eine Geschichte zusammenzufassen, einen Kommentar nachvollziehbar zu formulieren, einen Vortrag vorzubereiten, einen Aufsatz kohärent zu strukturieren usw. Sie müssen aber auch lernen, einen komplexen Sachtext zu verstehen und den Sacherklärungen der Lehrperson zu folgen. Diese Fähigkeiten sind sprachunabhängig und müssen egal in welcher Sprache nur einmal gelernt werden. BICS = Basic Interpersonal Communicative Skills (Grundlegende Kommunikationsfertigkeiten) CALP = Cognitive-Academic Language Proficiency (Kognitiv-schulbezogene Sprachfähigkeiten) aus: P. Furrer; R. Müller (Hrsg.): Kinder aus der Türkei. Münchenbuchsee 1993, (zu beziehen beim Lehrmittel- und Medienverlag Kt. Bern) Wer in einer Sprache gelernt hat, Briefe zu schreiben, wird die dazu nötigen Fähigkeiten (Strukturieren, Gedanken linear formulieren, Ausführlichkeit usw.) auch in einer anderen Sprache nutzen können. Das gleiche gilt auch für andere Bereiche (z.b. einen längeren Zeitungsartikel verstehen, einen komplexen Handlungsablauf erklären, einen Vortrag verstehen, über Grammatik reflektieren, Wörter differenziert anwenden). Das Schema zeigt, dass CALP sowohl durch die Erst- wie auch durch die Zweitsprache gefördert werden kann. CALP kann aber auch nur durch die Erstsprache oder nur durch die Zweitsprache entwickelt werden. Für Zweisprachige ist es jedoch von Vorteil, wenn dies von beiden Sprachen aus geschieht. Die nachfolgenden Überlegungen gelten demnach in gleicher Weise für die Förderung der Erst- und der Zweitsprache. CALP spielt für den Schulerfolg eine Schlüsselrolle, denn die zentralen schulischen Lerninhalte verlangen Fähigkeiten vor allem aus dem CALP-Bereich (komplexe Sachverhalte und Abstraktes verstehen, kausale Zusammenhänge erkennen, komplexe Texte verstehen usw.). Gemäss unserer Erfahrung wird CALP in der Schule nicht systematisch aufgebaut, sondern eher vorausgesetzt. Kinder aus bildungsgewohnten Familien bringen denn auch CALP von zu Hause mit, Kinder aus bildungsfernen Familien bleiben benachteiligt. Seite -4-

Die folgende Darstellung zeigt, in welchen Sprachverarbeitungsbereichen BICS (im Schema weiss) genügen und wo mehrheitlich CALP (im Schema grau) erforderlich ist. Seite -5-

4. Anregungen zur Sprachförderung Selbstverständlich ist es nicht möglich, genau zu trennen, welche Aktivitäten und Übungen zur Förderung von BICS bzw. von CALP dienen. Es ist aber möglich, Aktivitäten und Übungen zu unterscheiden, die schwerpunktmässig eher BICS bzw. CALP fördern. Wesentlich ist dabei die Feststellung, dass in Lehrwerken und in der Unterrichtspraxis CALP-orientierte Aktivitäten und Übungen entweder ganz fehlen oder aber eher unreflektiert eingesetzt werden. Hörverstehen Förderung der kommunikativen Fähigkeiten im Alltag (BICS) In Hörtexten Informationen gezielt verstehen Die Lernenden erkennen bestimmte Informationen aus einem Hörtext. Sie isolieren bestimmte sprachliche Elemente aus dem Redefluss. Zahlen oder Wörter notieren bestimmte Begriffe ankreuzen, die in einem Hörtext vorkommen zählen, wie viele Male ein Wort vorkommt Einen Hörtext global verstehen Die Lernenden verstehen, worum es in einem Text (ab Tonband, Video oder mündlich vorgetragen) im Gossen und Ganzen geht, ohne dass jedes Wort verstanden wird. das Thema eines Dialoges verstehen eine Geschichte verstehen (ev. mit Hilfe von Bildern) kurze Hörspiele verstehen Einen Hörtext detailliert verstehen Die Lernenden verstehen alle Informationen genau und vollständig. In der Regel handelt es sich hier um kurze Texte. nach Diktat einfache Zeichnungen anfertigen (Zeichendiktat) Tätigkeiten ausführen, die eine andere Person formuliert (Total-Physical-Response-Methode) Aufforderungen verstehen Hörverstehen Förderung der kognitiv-schulischen Fähigkeiten (CALP) Einen Hörtext global verstehen Die Lernenden verstehen den Inhalt eines Hörtextes und erkennen textuelle Strukturen (Personen/Figuren, Handlungsorte, Handlungsabläufe, Meinungen der einzelnen Personen/Figuren usw.). In der Primarschule eignen sich dazu einfache Geschichten und Märchen, in der Sekundarstufe zunehmend auch Sachtexte. Bilder zur Geschichte in der richtigen Reihenfolge ordnen Stichwörter in der richtigen Reihenfolge ordnen Fragen zum Text formulieren Handlungsorte zeichnen Personen/Figuren aufzählen den Ablauf der Geschichte wiedergeben Leseverstehen Förderung der kommunikativen Fähigkeiten im Alltag (BICS) In Lesetexten Informationen gezielt verstehen Die Lernenden erkennen bestimmte Informationen in einem Lesetext. Lesespuren verfolgen Zahlen oder Wörter notieren eine bestimmte Information im Text verstehen Seite -6-

Einen Lesetext global verstehen Die Lernenden verstehen, worum es in einem Lesetext im Gossen und Ganzen geht, ohne dass sie jedes Wort verstehen. Comics verstehen längere Dialoge lesen und verstehen über den Inhalt einer Geschichte sprechen Einen Lesetext detailliert verstehen Die Informationen in kurzen Texten werden vollständig verstanden. kurze Dialoge verstehen Mitteilungen verstehen Kartengrüsse verstehen Leseverstehen Förderung der kognitiv-schulischen Fähigkeiten (CALP) Einen Lesetext global verstehen Die Lernenden verstehen den Inhalt eines Lesetextes und erkennen textuelle Strukturen (Personen/Figuren, Handlungsorte, Handlungsabläufe, Meinungen der einzelnen Personen/Figuren usw.). In der Primarschule eignen sich dazu Bilderbücher, einfache Geschichten und Märchen, in der Sekundarstufe können auch längere Texte, Sagen und Sachtexte eingesetzt werden. Bilder zur Geschichte in der richtigen Reihenfolge ordnen Stichwörter in der richtigen Reihenfolge ordnen Fragen zum Text formulieren zu den einzelnen Abschnitten Zwischentitel formulieren Handlungsorte zeichnen einen Teil einer Geschichte in eine diabolische Szenen umarbeiten den Inhalt einer Geschichte zusammenfassen Einen Lesetext detailliert verstehen Die Lernenden verstehen die Informationen in komplexen kurzen Texten vollständig. Rezepte verstehen und ausführen Spielanleitungen, Gebrauchsanweisungen usw. anwenden Sprechen Förderung der kommunikativen Fähigkeiten im Alltag (BICS) Reproduktives Sprechen Die Lernenden sprechen Wörter, Sätze oder Texte nach. Wortschatzübungen auswendig lernen von Gedichten und Dialogen sprechen nach Mustersätzen vorlesen Gelenktes Sprechen Die Lernenden sprechen Sätze oder Texte nach einem vorgegebenen Muster. Dialoge variieren Fragen nach einem vorgegebenen Muster beantworten (z. B. Warum? - weil) Wechselspiele (Redemittel stehen zur Auswahl) Sprechspiele verschiedenster Art Kommunikatives Sprechen Die Lernenden sprechen weitgehend selbständig. Sie reagieren auf Fragen und Bemerkungen anderer, sie erzählen von Erlebtem, sie äussern ihre Meinungen. Alltagsgespräche führen Seite -7-

Erlebnisse erzählen über Gefühle sprechen Sprechen Förderung der kognitiv-schulischen Fähigkeiten (CALP) Kommunikatives Sprechen Die Lernenden äussern sich nicht nur weitgehend selbständig, sie planen ihre Äusserungen auch bewusst. Texte nacherzählen sich für eine Stellungnahme vorbereiten (z.b. mit Notizen) rhetorische Mittel anwenden (persönliche Meinung, Sachinformation, Vermutung usw.) die Zuhörenden auf die wesentlichen Punkte in einer Stellungnahme, in einem Vortrag usw. hinweisen einen Vortrag halten Schreiben Förderung der kommunikativen Fähigkeiten im Alltag (BICS) Reproduktives Schreiben Die Lernenden schreiben Wörter, Sätze und Texte ab. abschreiben (von der Wandtafel, aus einem Buch usw.) schreiben nach Mustersätzen (z. B. in Grammatikübungen) Lückendiktate Kommunikatives Schreiben Die Lernenden verfassen Alltags- und Gebrauchstexte weitgehend selbständig. Kartengrüsse Einladungen Notizen Einkaufslisten Tages- oder Wochenprogramm Schreiben Förderung der kognitiv-schulischen Fähigkeiten (CALP) Gelenktes Schreiben Die Lernenden variieren einen vorgegebenen Text und nehmen dabei die Struktur des Textes wahr. Parallelgeschichten (Variation zu einer Geschichte) Zusammenfassungen schreiben nach einem bestimmten Muster ein Gedicht schreiben Kommunikatives Schreiben Die Lernenden planen die zu schreibenden Texte und überarbeiten die Texte gemäss den Rückmeldungen der Lehrperson und der Schülerinnen und Schüler. einen Text planen verschiedene Gestaltungselemente anwenden einen Text gemäss den Rückmeldungen überarbeiten Stellung nehmen zu eigenen Texten Seite -8-

Wortschatz Förderung der kommunikativen Fähigkeiten im Alltag (BICS) Den Grundwortschatz aufbauen Neuzuziehende Schülerinnen und Schüler müssen den schulischen Grundwortschatz so schnell als möglich lernen. Dies geschieht am effizientesten, wenn Wörter und Wendungen nicht als Einzelelemente gelernt, sondern in konkreten Handlungszusammenhängen (Situationen, Geschichten, Texte usw.) begegnet und verstanden werden. Das Kriterium für den Entscheid, ob ein Wort zum Grundwortschatz gehört, ist die Häufigkeit des Gebrauchs im schulischen Alltag. Wörter und Wendungen, die eher selten vorkommen, können im Unterricht erklärt werden, sollten aber nicht weiter geübt werden. die Lehrperson setzt neue Begriffe aus dem Grundwortschatz gezielt ein und erklärt sie in geeigneten Situationen die Lehrperson braucht die Begriffe häufig in geeigneten Situationen neue Begriffe visualisieren (beschriften von Objekten, Bild-Begriff) Listen mit den neuen Begriffen führen Wortschatz lernen Die Lernenden sollen auch unterschiedliche Techniken kennenlernen, mit denen Wörter gelernt werden können. Wörterkartei führen Wörter mit Hilfe von Tonkassetten lernen Wörterspiele (Memory, Domino usw.) Wortschatz benützen Lernpsychologisch ist es grundlegend, dass der gelernte Grundwortschatz auch immer wieder benützt wird. Schreibübungen, in denen ein Text nach einem bestimmten Muster geschrieben werden muss Geschichten schreiben, in denen bestimmte Wörter vorkommen müssen (Reizwörter) Sprechanlässe anregen, die sich auf zurückliegende Themen beziehen auf den korrekten Gebrauch von gelernten Wörtern achten Wortschatz Förderung der kognitiv-schulischen Fähigkeiten (CALP) Einen spezifischen Wortschatz einführen Neue Begriffe, die nicht zum Alltag gehören, können nur verstanden und gelernt werden, wenn die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, ihr bestehendes Wissen mit dem neuen Wissen zu verbinden. Dafür eignen sich Grafiken, Modelle, Schemen usw. Begriffe durch Umschreibungen erklären Begriffe mit Hilfe zweisprachiger Wörterbücher verstehen Wörter nach bestimmten Kriterien ordnen (Oberbegriffe, Wortfamilien u.a.) Wörter erklären durch Antonyme (schnell-langsam), durch Synonyme (Schultasche-Mappe), durch Skalen (eiskalt, kalt, lauwarm, warm, heiss, siedend/kochend) Definitionen selber erarbeiten Über Wörter reflektieren Die Reflexion über Wörter und deren Bedeutungen, über Wortbildungsregeln, über den Gebrauch usw. unterstützt einen bewussten und differenzierten Umgang mit dem Wortschatz. Wortfamilien bewusst machen Wortbildungsregeln kennenlernen Wörter in verschiedenen Sprachen vergleichen Herkunft von Wörtern erforschen Seite -9-

Grammatik Förderung der kommunikativen Fähigkeiten im Alltag (BICS) Reproduktive Grammatikübungen Die Lernenden schleifen mit reproduktiven Grammatikübungen bestimmte Formen und Strukturen ein. Die Antworten sind voraussagbar. Satzschalttafeln Konjugationsübungen Einsetzübungen Gelenkte Grammatikübungen Die Lernenden variieren vorgegebene Elemente. Die Antworten sind nicht immer voraussagbar. Sätze umformen Fragen nach einer bestimmten Struktur beantworten angefangene Sätze beenden Grammatik Förderung der kognitiv-schulischen Fähigkeiten (CALP) Grammatikalisches erkennen Die Lernenden nehmen in Texten bestimmte Formen und Strukturen wahr. In einem Text bestimmte grammatikalische Formen und Strukturen unterstreichen Gegenüberstellung von verschiedenen Formen Sätze analysieren Über Grammatik reflektieren Die Lernenden sollten angehalten werden, über Strukturen nachzudenken und die Regeln selbst zu formulieren. Wesentlich ist dabei, dass die von den Lernenden formulierten Regeln nicht von Anfang an vollständig sein müssen. Sie sollten vielmehr schrittweise ergänzt und umformuliert werden. Regeln suchen, überprüfen und formulieren Vergleiche mit Strukturen in anderen Sprachen herstellen Seite -10-