SEITE 1 Horch,was kommt von draußen rein? Obwohl Deutschland der zweitgrößte Fernsehmarkt der Welt ist, haben Publikumserfolge wie Bauer sucht Frau, Deutschland sucht den Superstar und Germanys Next Topmodel meist ausländische Vorbilder. In Europa kommen Innovationen vor allem aus Großbritannien, den Niederlanden und Skandinavien weil die Sender dort risikobereiter sind und die Produzenten von vornherein an der Verwertung beteiligt werden. Text: Peer Schader, Berlin Illustrationen: Büro Linientreu
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 2 * Als Big Brother um die Jahrtausendwende bei RTL 2 für Aufsehen sorgte, war die Show fürs holländische Publikum bereits ein alter Hut. Pop Idol hatte seine Premiere in Großbritannien, bevor Dieter Bohlen der Sendung als Deutschland sucht den Superstar seinen Stempel aufdrückte. Und während Sat.1 sich von der holländischen Gameshow Deal or no deal schon wieder verabschiedet hat, erfreut sich das Spielprinzip in Panama, Griechenland und der Ukraine noch größter Beliebtheit. Nicht nur bei deutschen Sendern ist es üblich, sich für neue Programme im Ausland inspirieren zu lassen. Noch immer spielen in den USA entwickelte Ideen dabei eine wesentliche Rolle allerdings hat Europa stark aufgeholt. Das Publikum bekommt davon meistens gar nichts mit, weil man einer Sendung selten ansieht, wo sie erfunden wurde. Aber irgendwo muss die Kreativität ja herkommen. Rob Clark, President of Global Entertainment beim Produktionsriesen Fremantle Media, sagt: Es gibt drei Voraussetzungen: ein Umfeld für kreative Entwicklungen, in dem es auch mal erlaubt ist, zu scheitern, risikobereite Sender und eine liberale Auslegung der Rechteverwertung. Ein weiterer Grund für die Vorbildfunktion der europäischen Märkte heißt John de Mol und hat leider gerade keine Zeit, um Interviews zu geben. The guy is so busy!, schreibt Thomas Notermans, Sprecher von de Mols Firma Talpa TV, per Mail. Um de Mols Einfluss auf unser Fernsehen zu begreifen, reicht aber auch ein kurzer Blick in die Geschichte. Testmarkt Holland Gemeinsam mit Joop van den Ende gründete der Niederländer 1994 die Firma Endemol, die ihr kreatives Potenzial ganz offensichtlich nicht für die Namensfindung verschwendete und stattdessen in die Entwicklung neuartiger Fernsehformate investierte, die bis heute um die Welt gehen ( Big Brother, Deal or no deal, Wipeout ). Nach dem Verkauf an die spanische Telefónica im Jahr 2000 ist de Mol heute wieder an Endemol beteiligt, kümmert sich selbst aber vor allem um die Geschäfte bei Talpa, wo allein 20 Mitarbeiter mit der Kreativarbeit beschäftigt sind. Die funktioniert noch ganz ähnlich wie früher: neue Formate werden erst im holländischen Fernsehen getestet, dann international angeboten. Ende November zeigte RTL in Deutschland eine Adaption des Talpa-Formats Dating in the Dark. Die Niederländer sind sehr aufgeschlossen für Neues, der Geschmack des Publikums ist international.wenn es bei uns gut läuft, funktioniert es überall, erklärt Talpa-Sprecher Notermans. Das hat in den 60er- und 70er-Jahren schon der Plattenindustrie geholfen: Neue Alben amerikanischer Bands wurden zuerst in den Niederlanden veröffentlicht, um zu sehen, wie sie ankommen. Dass das mit dem Fernsehen heute ähnlich läuft, liegt auch daran, dass sich die Sender nicht scheuen, mitzumachen. Notermans sagt: Bei uns ist der Mut zum Risiko ausgeprägter als in größeren Märkten. Das führt dazu, dass mehr neue Formate auf Sendung gehen und die Produzenten viel mehr ausprobieren können. In diesem Jahr durfte auch das Publikum Vorschläge für TV-Lab-Sendungen einreichen. Das ist eine gute Sache für öffentlich-rechtliches Fernsehen und einer der Gründe, warum es Public Broadcasting überhaupt gibt, erklärte Ned3-Channel-Manager Roek Lips dem Branchendienst c21media.net. 2008 startete der öffentlich-rechtliche Kanal Ned3 das Projekt TV Lab, bei dem eine Woche lang völlig neue Formate Ideen aus Großbritannien: The X Factor (oben) und The Million Pound Drop laufen in Deutschland bei Vox ( X Factor ) und beim ZDF ( Rette die Million! )
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 3 ANZAHL EXPORTIERTER FORMATE: GROSSBRITANNIEN FÜHRT FRAPA Report 2009, Untersuchungszeitraum 2006 bis 2008
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 4 Erfolgreicher Export: Schlag den Raab (unten), Adaptionen in Großbritannien ( Beat the host ) und Schweden ( Vem kan slå Filip och Fredrik ), oben gezeigt wurden, um von einem Panel ausgesuchter Zuschauer bewertet zu werden. Inzwischen ist das TVLab fester Bestandteil des wöchentlichen Programms. Die Produktionsfirmen begreifen das als Chance, Formate zu testen, die sie sonst vielleicht gar nicht auf den Sender bekommen würden, sagt Andrea Bernsdorf, die als Head of Format Research bei Pro Sieben Sat.1 im Blick hat, welche ausländischen Programme für die Sendergruppe interessant sein könnten. In diesem Jahr durfte auch das Publikum Vorschläge für TV-Lab-Sendungen einreichen. Das ist eine gute Sache für öffentlich-rechtliches Fernsehen und einer der Gründe, warum es Public Broadcasting überhaupt gibt, erklärte Ned3-Channel-Manager Roek Lips dem Branchendienst c21media.net. 2006 wagte der WDR im Sommerprogramm ein ähnliches Experiment mit zwölf Pilotsendungen,von denen immerhin zwei bis heute überlebt haben: Das NRW-Duell und Der Große Finanz-Check. Dennoch blieb die Sonderprogrammierung eine einmalige Angelegenheit. Bernsdorfs Kollege Bernhard Sonnleitner, ebenfalls bei Pro Sieben Sat.1 für Format Research verantwortlich, erklärt: Der deutsche TV-Markt bewegt sich in einem anderen ökonomischen Umfeld: Die gesetzten Standards und der wirtschaftliche Druck auf die Sender sind groß und hemmen die Experimentierbereitschaft eher als in kleineren TV-Märkten. Deutsche Produktionen auf hohem Niveau Dabei ist es gar nicht so, dass in Deutschland nicht experimentiert würde. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der exportierten Formate deutlich gestiegen. Fremantle-Worldwide- President Clark sagt: Deutsche Produktionen haben ein außerordentlich hohes Niveau.Wenn die Sender den kreativen Prozess unterstützen und bereit sind, Erfolge mit den Produzenten zu teilen, wird es auch in Deutschland ein Break-out -Format geben, das weltweit erfolgreich ist. Woher genau eine Idee beim Fremantle-Konkurrenten Endemol stammt, lässt sich manchmal gar nicht mehr so genau bestimmen. Das Unternehmen ist in 26 Ländern aktiv, die Entwicklung neuer Formate funktioniert über einen Austausch im Global Creative Team der acht wichtigsten Dependancen. Die Frage, aus welchem Land ein Format kommt, ist heutzutage nicht mehr entscheidend, sagt Marcus Wolter, Geschäftsführer von Endemol Deutschland. Die beste Idee nützt nichts, wenn man sie nicht am Markt durchsetzt. Nur erfolgreiche Programme auf dem Schirm sind echte TV-Innovationen. Es muss sich nur irgendwann mal einer trauen, etwas zu senden, das noch in keinem anderen Land ein Publikumshit war. Genau das setzen die deutschen Sender aber häufig voraus. Die Zahlen der Produzenten-Organisation FRAPA (Format Recognition and Protection Association) sind deutlich: Bei der Anzahl exportierter Formate liegt Deutschland im FRAPA Report 2009 mit 21 im Untersuchungszeitraum 2006 bis 2008 nur im Mittelfeld. Die Niederlande verzeichnen 35, Skandinavien mit Schweden, Norwegen und Dänemark kommt auf 40. Skandinavien ist ein relativ kleiner Markt und im Norden fast isoliert vom Rest Europas das hat Produzenten und Sender immer schon dazu gezwungen, besonders kreativ und effizient zu arbeiten, sagt Sara Goldensohn, Head of Development Program beim schwedischen Kanal 5. Vielleicht gibt es auch den Bedarf, unseren europäischen Nachbarn zu erklären,wie man im Norden so lebt. Vor allem bei Reality-Shows sind die Skandinavier stark. Die Survivor -Vorlage Expedition Robinson wurde 1997 in Schweden entwickelt, um die Jahrtausendwende sorgten
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 5 FORMATE, DIE DEN CRASHTEST IN DER HEIMAT ÜBERSTEHEN, KÖNNEN WELTWEITE PUBLIKUMS-HITS WERDEN.
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 6 The Farm (2010 von RTL adaptiert) und 71 Degrees North für Aufsehen, eine Art Dschungelcamp in eisiger Kälte. Im Herbst zeigte ITV in Großbritannien eine englische Version, was für die skandinavischen Entwickler quasi einem Ritterschlag gleichkommt. Denn die Briten liegen bei der Entwicklung neuer TV-Formate seit Jahren uneinholbar vorne. 146 Exporte verzeichnet der FRAPA Report 2009 im Untersuchungsraum mehr als in den zuvor genannten Ländern zusammen. Die USA als schärfster internationaler Konkurrent kommen auf 87 Formatexporte. Die Gründe für den Erfolg der Briten sind hauptsächlich organisatorischer Natur: Ähnlich wie in den Niederlanden und Skandinavien gibt es mit öffentlichen Geldern finanzierte Sender, die gute Programme machen und die kommerziellen Konkurrenten zum Mutigsein zwingen, sagt Rob Clark von Fremantle Media. Mit der Produzentenvereinigung PACT hat die Kreativindustrie auf der Insel außerdem einen Fürsprecher mit starkem Einfluss auf die Politik. Im 2003 in Kraft getretenen Communications Act ist festgeschrieben, dass die Firmen einen wesentlichen Teil der Rechte an den von ihnen erdachten Formaten behalten und selbst verwerten können, etwa in der internationalen Vermarktung. In Deutschland wird das gerade erst mühsam erstritten. Dazu haben die Sender die Vorgabe, einen bestimmten Anteil ihrer Produktionen an unabhängige Produzenten zu vergeben. Das erhöht die Risikobereitschaft, Neues auszuprobieren und kommt dem weltweiten Bedarf an neuen Ideen entgegen. Auch das Tempo, in dem Formate von einem Land zum nächsten wandern, erhöht sich. Der Markt des Formathandels ist in den vergangenen Jahren viel globaler geworden, sagt Jens Bujar, Creative Director bei Grundy Light Entertainment ( Das Supertalent ), das zu Fremantle Media gehört. Das liegt unter anderem an der unmittelbaren Verfügbarkeit der Inhalte im Internet. Früher hat der Schwede dem Indonesier auf der Fernsehmesse MIP in Cannes gezeigt, was er für eine tolle neue Show hat. Heute ist ein Format, sobald es in einem großen Land gut läuft, innerhalb von Minuten verkauft. Weltweiter Erfolg für Zufallstreffer Als RTL Anfang September Endemols 101 Wege aus der härtesten Gameshow der Welt zeigte, war das (inzwischen bereits abgesetzte) Vorbild 101 Ways To Leave A Gameshow bei der BBC gerade mal ein paar Wochen alt. Inzwischen ist es in fünf Länder verkauft. Mit The Million Pound Drop, das bei Channel 4 seit dem Frühjahr läuft, feierte Jörg Pilawa als Rette die Million erst kürzlich seine ZDF-Premiere. Die Lizenzrechte wurden bisher in acht Ländern vergeben. Ein Produzent ist dennoch gut beraten, Formate zunächst im eigenen Markt zum Erfolg zu führen und erst im Anschluss an die globale Verwertung zu denken, sagt Endemol- Deutschland-Chef Wolter. Weltweite Hits lassen sich nicht planen. Im Endeffekt besteht die Herausforderung für deutsche Produzenten auch gar nicht so sehr darin, um jeden Preis mit den Ländern zu konkurrieren, die in der Formatentwicklung den Ton angeben.wichtig ist vor allem, Adaptionen für den deutschen Markt den lokalen Gewohnheiten des Publikums anzupassen, damit die Zuschauer auch einschalten. Wolter sagt: Ein neues Format aus Holland kann eben nicht einfach eins zu eins ins deutsche Fernsehen transferiert werden. Jeder Markt hat andere Gesetze, jeder Markt hat eine andere Kultur. Mit dem Taxi um die Welt: Cash Cab (Großbritannien, ITV1) war Vorbild für Quiz Taxi (kabel eins).
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 7 VORBILD FÜR LÄNDLICHE ANNÄHRUNGSVERSUCHE BEI BAUER SUCHT FRAU IST THE FARMER WANTS A WIFE.
HORCH, WAS KOMMT VON DRAUSSEN REIN? SEITE 8 Die Chancen, dass die Dominanz der drei führenden europäischen Märkte Großbritannien, Niederlande und Skandinavien in nächster Zeit gebrochen werden kann, hält Fremantle-Worldwide-President Clark ohnehin für gering: Das Bild an der Spitze wird sich in den kommenden fünf Jahren nicht wesentlich verändern. * Die weltweit erfolgreichsten Formatexporte (2006 2008)* Titel Start Premierenland Deutsche Adaption? Wenn es in Holland gut läuft, funktioniert es überall : Die Adaption des Talpa-Formats Dating in the Dark (oben) lief im November bei RTL. 1 vs 100 2000 Niederlande Einer gegen 100, RTL (2002) America s Got Talent 2006 USA Das Supertalent, RTL (2007) Are you Smarter than a Fifth Grader 2007 USA Das weiß doch jedes Kind!, Sat.1 (2007) Big Brother 1999 Niederlande Big Brother, RTL 2 (2000) Cash Cab 2005 UK Quiz Taxi, Kabel 1 (2006) Deal or no Deal 2000 Niederlande Der Millionen-Deal/Deal or no Deal, Sat.1 (2004) Family Feud 1976 USA Familien-Duell, RTL (1992); 5 gegen 5, RTL 2 (2006) Hole in The Wall (Nokabe) 2006 Japan Pop Idol / Idols 2001 UK Deutschland sucht den Superstar, RTL (2002) Power of 10 2007 USA Power of 10,Vox (2008) Strictly Come Dancing 2004 UK Let s Dance, RTL (2006) The Biggest Loser 2004 USA The Biggest Loser; Pro Sieben (2009), Kabel 1 (2010) The Farmer Wants a Wife 2001 UK Bauer sucht Frau, RTL (2005) The Singing Bee 2007 USA Singing Bee, Pro Sieben (2008) WhoWants to Be a Millionaire? 1998 UK Wer wird Millionär?, RTL (1999) * bezogen auf Anzahl der Adaptionen und Episoden Quelle: FRAPA/eigene Recherche