Dramatisierung von Geschlecht durch Symbolik und sprachliche Metaphern. Auftaktveranstaltung RECC Deutsch Ilse Bartosch Linz,

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Transkript:

Dramatisierung von Geschlecht durch Symbolik und sprachliche Metaphern Auftaktveranstaltung RECC Deutsch Ilse Bartosch Linz, 12.02.2015

ÜBERBLICK Basics Gesellschaftliche und schulische Realitäten in Österreich Schule als Trainingsraum für Geschlechterhierarchie Schule als Experimentierraum für neue Entwürfe von Frau- und Mannsein 2

Alltagsrelevanz von Geschlecht? 3

Alltagsrelevanz von Geschlecht? Andrej Pejic Casey Legler 4

Alltagsrelevanz von Geschlecht Andrej Pejic Casey Legler 5

Alltagsrelevanz von Geschlecht Wir wollen Sicherheit über die Geschlechtszugehörigkeit unseres Gegenübers: Man muss Geschlecht laufend tun!

SEX - GENDER - GESCHLECHTER GENDER: das soziale Geschlecht Vorstellungen und Erwartungen, wie Frauen und Männer sind bzw. sein sollen. Wenn Unterschiede zwischen Frauen und Männern gemacht sind, können sie auch verändert werden. SEX: das biologische Geschlecht (medizinisch biologisches Klassifikationssystem : genetisches/gonadales/homonelles/morphologisches Geschlecht - 100% männlich oder weiblich gibt es nicht!) GESCHLECHTER: trennt Aspekte nicht statt Dichotomie Kontinuum: GESCHLECHTER_DIVERSITÄT Linz, 12.02.2015 7

Hat Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit abgedankt? Frauen sind formal gleichberechtigt! Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit hat abgedankt!? 8

EUROSTAT, 2012 EU Durchschnitt: 16,4 30 23,4 9

http://www.statistik.at/web_de/static/oesterreich._zahlen._daten._fakten_029266.pdf 10

Dr.in Ilse Bartosch Linz, 12.02.2015 11

Hat Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit abgedankt? Frauen sind formal gleichberechtigt, Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit hat abgedankt, wenn auch gleichzeitig herrschende Geschlechterstereotype mit weitreichenden Diskriminierungsfolgen wirksam bleiben. Gabriele Winker/Nina Degele (2010:10 12

Geschlecht strukturiert Chancen gesellschaftlicher Partizipation: gleiche Rechte gleiche Beteiligung an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen gesellschaftliche MACHT!

Empirische Daten: PISA 2006-2009-2012 GENDER (M/Ph: w! Lesen: m!)» Physikalische Systeme: Differenz 45 Punkte größte Asymmetrie weltweit zuungunsten der Mädchen» Lesen: Differenz 41 Punkte Asymmetrie zuungunsten der Burschen» Mathematik: Differenz 22 Punkte Vorsprung der Burschen gegenüber den Mädchen stieg zwischen 2003 und 2012 um 15 Punkte an (stärkste Zunahme in OECD) RACE/natio-ethno-kultureller Hintergrund CLASS/sozioökonomischer Status BODY (SEN)?

Geschlecht strukturiert Chancen gesellschaftlicher Partizipation: Geschlecht strukturiert Arbeit Gender-Pay-Gap, gläserne Decke, segregierter Arbeitsmarkt Familie- und Partnerschaft Karenzurlaubsregelungen, Halbe- Halbe, Hausfrauisierung der Arbeit, doppelte Vergesellschaftung der Frau Schule

Schule als Trainingsraum für Geschlechterhierarchie Unterricht Schule als organisationale Einheit Schulsystem 18

Diskriminierung von Mädchen im Physikunterricht.. ab der Oberstufe war mir klar // des is a Burschnfach, // weil die natürlich den // erstens von der, von der öhh Lehrerin das Feedback bekommen haben: Ihr seids die, mit denen ich reden kann, (tzz) // und ähm // die wollten natürlich dann immer auch Themen machen, die für mich auch nicht wirklich interessant war, wie // der Laser // und und und Autos // und und und ähh// Motoren,. / ähhm // und da hab ich ganz stark das Gefühl gehabt, dass ich da // dass wir rausgedrängt werden. (IntJo/Z130-158 Ausschnitte)

Heimlicher Lehrplan der Geschlechter: Subjektive Theorien von Lehrkräften Gesellschaftliche Ungleichheitsdiskurse Subjektive Theorien Filter für schul und unterrichtsrelevante Entscheidungen Normalitätsvorstellungen (defizitären) Zuschreibungen Fachliche Selbstverständlichkeiten 20

Wir hatten einmal eine Klasse mit sieben Mädchen und einem Buben. Das war furchtbar für den armen Buben und umgekehrt hatten wir drei Jahre vorher eine Klasse mit sieben Buben [G2/Abs. 120] und [G4/Abs. zwei 41] Mädchen, und für die zwei Mädchen war des sicher viel interessanter und viel spannender. 21

Heimlicher Lehrplan der Geschlechter: Metaphern & Symbole Symbolsystem des Alltagsdiskurses semantische Differentiale aktiv sachlich provokant hart stark nüchtern kühl wild passiv verspielt gefällig weich schwach verträumt gefühlvoll sanft 22

Sprachliche Symbole & Metaphern Beispiel: 1. Klasse Grundschule Nehmt rote und blaue Stifte heraus! Anna sagt zu Roman: Schau, das ist hier die Frau und das ist der Mann und zeigt dabei auf die rote und die blaue Seite ihres Stiftes. 23

Mit Burschen ist Physik leichter, weil die sofort selber alles hinterfragen und herausfinden wollen. Bei Mädchen ist es nicht so leicht, die brauchen mehr einen anwendungsorientierten Einstieg. Musik und tänzerische Bewegung wird von den Mädchen viel lieber [G2/Abs. 120] [G4/Abs. 41] angenommen. Da tun sich die Buben auch sehr schwer. 24

Schule ist nach den Geschlechterrevieren des Wissens organisiert Sprachen Human-& Sozialwissenschaften Biologie Kunst Physik Mathematik (Chemie) Technik 25

Arbeitsmarkt: Horizontale & Vertikale Segregation Mittleres Management MEDIZIN/ PFLEGE ERZIEHUNG SERVICE Management NATUR- WISSENSCHAFT TECHNIK HANDWERK 26

Heimlicher Lehrplan der Geschlechter: Metaphern & Symbole Werte Wünsche Symbolsystem des Alltagsdiskurses Befürchtungen Mythen Phantasien Geschlechterstereotype 27

Sprachliche Symbole & Metaphern Beispiel: 1. Klasse Grundschule Warum gibt es Eier zu Ostern? Joachim: Für uns! Mehrere Kinder: Zum Essen Jennifer: Ich mag Spiegeleier. Peter: Für Kinder Jennifer: Da ist ein Kind drinnen. 28

Sprachliche Symbole & Metaphern Beispiel: 1. Klasse Grundschule Kräuter säen und das Pflanzenwachstum beobachten Peter erklärt mit Gesten, wie die Pflanze aus seinem Bauch wächst. 29

Deutschunterricht Im JÖ-Heft nach Tieren suchen 1. Klasse NMS Anja meldet sich unaufgefordert zu Wort und ruft: Ich liebe Affen, die sind so süß! und kurz darauf blättert sie zur Mitte des Hefts und ruft: So ein geiles Poster! Auf dem Poster ist ein Affenkopf zu sehen, der seine Lippen zu einem Kussmund spitzt. 30

Deutschunterricht Aus einem Silbenrad Wörter mit tz herausfinden 1. Klasse NMS Eine Schülerin setzt sich näher zu Anja. Anja fragt: Frau Professorin, geht 'schutzlos'? Die Lehrerin bejaht. Anja fragt: Frau Professorin, gibt s 'flitzig'? Die Lehrerin sagt: Nein. Anja legt die Hand vor den Mund und lacht. 31

Symbolsystems der Wissenschaft & Symbolsystem des Alltagsdiskurses Symbolsystem der Wissenschaft (Physik MATHEMATIK) Werte Symbolsystem des Alltagsdiskurses Wünsche Befürchtungen Mythen Phantasien 32

Physikunterricht 3. Klasse AHS STUNDENWIEDERHOLUNG Der Lehrer fragt: Was wollten wir eigentlich messen? Die Schüler antworten: Leistung, Energie, Zeit, Der Lehrer fragt noch einmal: Welche Größe? Daraufhin die Schüler: Temperatur, Kilojoule pro Kelvin. 33

Physikunterricht 3. Klasse Muss ein Laser immer rot sein? Ein Bub wendet ein, dass bei der Blue Disc, die sein Vater hat, der Laser nicht rot sei. Es entsteht unter den Buben eine Diskussion über die Preise von Blue Discs und ihre Vorteile. Der Lehrer gibt die fachlichen Informationen dazu. Die Mädchen hören bei dieser Diskussion zu. 34

Physikunterricht 3. Klasse Die Frequenz des Wechselstroms beträgt 50 Hertz. Ein Schüler meint, dass sein PC aber mehr als 50 Hertz hätte. Der Lehrer erläutert, dass in diesem Fall die Frequenz für die Rechenfrequenz des PC steht. PC-Frequenzen wären aber viel höher. Schüler rufen Megahertz und Gigahertz. Der Lehrer meint, dass die Frequenz moderner PC s Gigahertz sei. Die alten PC s hätten noch mit einer geringeren Frequenz gearbeitet. Ein Schüler in der zweiten Reihe erklärt, dass sein Onkel ein altes Notebook hätte mit einem ganz dicken Bildschirm, der noch mit einer so geringen Frequenz arbeitet. 35

Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. 12. 1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Artikel 26 Quelle: http://www.ohchr.org/en/udhr/pages/ language.aspx?langid=ger (21.2.2012) 1. Jeder hat das Recht auf Bildung. 2. Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. 36

Recht auf volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit in der institutionalisierten Bildung! Schule sollte weniger ein gesellschaftlich initiierter Trainingsraum zur Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit sein,.. sondern ein Experimentier- und Chancenraum, für neue Entwürfe von Mann-Sein und Frau-Sein fernab von Geschlechterstereotypen! 37

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