Aktuelle Aspekte der patellofemoralen Instabilität



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Transkript:

Stiftung zur Förderung der Arthroskopie ARTHROSKOPIE AKTUELL Aktuelle Aspekte der patellofemoralen Instabilität

Autor: Dr. med. Arno Schmeling Sporthopaedicum Berlin Oranienburger Strasse 70 13437 Berlin www.sportopaedicum.de Abkürzungen: CT....................Computertomographie MRT...............Magnetresonanztomographie MCL.........Mediales Collateralband/Seitenband MPFL.........Mediales Patellofemorales Ligament MPML.......Mediales Patellomenisceales Ligament TD.........................Trochleadysplasie TTTG...Tibial Tuberosity Trochlear Groove Distance (Tuberositas tibiae Trochleäre Grube Distanz) VMO...................Vastus medialis obliquus

Aktuelle Aspekte der patellofemoralen Instabilität Dr. med. Arno Schmeling Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung............................................................4 2. Anatomie und Biomechanik des Patellofemoralgelenkes......................4 2.1 Der statische Faktor: die Trochlea.........................................5 2.2 Der passive Faktor: der mediale patellofemorale Komplex.....................5 2.3 Der aktive Faktor: die Quadricepsmuskulatur...............................6 2.4 Wechselspiel der einzelnen Faktoren......................................7 3. Patellofemorale Instabilität: die Risikofaktoren..............................7 3.1 Trochleadysplasie......................................................7 3.2 Das mediale patellofemorale Ligament (MPFL)..............................7 3.3 Das laterale Retinakulum................................................8 3.4 Patella alta...........................................................8 3.5 Patella Tilt und Patella Shift.............................................9 3.6 TTTG-Abstand/Q-Winkel.................................................9 3.7 Familienanamnese.....................................................9 3.8 Zusammenfassung: Risikofaktoren der patellofemoralen Instabilität...........9 4. Diagnostik...........................................................10 4.1 Klinische Untersuchung................................................10 4.2 Konventionelle Bildgebung.............................................11 4.3 Schnittbildgebung.....................................................11 5. Therapieoptionen bei patellofemoraler Instabilität..........................12 5.1 Konservative Therapie.................................................12 5.2 Operative Therapie....................................................13 5.2.1 Primäre Naht des medialen patellofemoralen Komplexes....................13 5.2.2 Anatomische Rekonstruktion des MPFL...................................14 5.2.3 Trochleaplastik.......................................................17 5.2.4 Mediale Raffung......................................................19 5.2.5 Laterales Release.....................................................19 5.2.6 Medialisierung der Tuberositas tibiae.....................................20 5.2.7 Patellofemorale Instabilität bei offenen Wachstumsfugen...................20 6. Komplikationen/Revisionseingriffe.......................................21 7. Arthrose bei Patellofemoraler Instabilität.................................23 8. Schlussbetrachtung...................................................24 9. Literatur.............................................................25

1. Einleitung In den letzten Jahren ist für den Bereich des Patellofemoralgelenkes ein enormer Wissenszuwachs sowie die Entwicklung neuer Operationsverfahren zu verzeichnen. Jüngere biomechanische Studien ermöglichen eine genauere Analyse der Ursachen der patellofemoralen Instabilität und führen zu neuen Therapieansätzen. Der Begriff Patellofemorale Instabilität subsummiert die Begriffe Patellaluxation, Patellasubluxation und die generelle patellofemorale Instabilität [1]. Die Inzidenz der patellofemoralen Instabilität wird mit 7-49 pro 100.000 Einwohner angegeben [7, 75]. Sie macht bis zu 11% der muskuloskeletalen Symptome aus, die in der Praxis gesehen werden, ebenso 16%-25% aller Verletzungen von Läufern. Das weibliche Geschlecht zeigt eine höhere Inzidenz [57]. Für die suffiziente Therapie der patellofemoralen Instabilität bedarf es einer genauen Kenntnis der multiplen, miteinander in Wechselwirkung stehenden Risikofaktoren und der Pathomechanismen bzw. der Pathomorphologien, die zur Patellaluxation führen können. Für die individuelle Beurteilung ist insbesondere die genaue Kenntnis der klinischen Untersuchungsmethoden sowie einer validen bildgebenden Diagnostik von essentieller Bedeutung. Das hier vorliegende Heft soll Ihnen den aktuellen Stand der Pathophysiologie sowie neuerer Entwicklungen der operativen Behandlungsmöglichkeiten der patellofemoralen Instabilität aufzeigen. Hauptaugenmerk liegt hier vor allem auf der anatomischen Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligamentes (MPFL-Rekonstruktion), die in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung gewinnt und immer flächendeckender angewandt wird. In unserer Arbeitsgruppe führen wir bei entsprechender Indikation die MPFL-Rekonstruktion ca. seit dem Jahre 2000 mit sehr gutem Erfolg durch, wobei die hier vorgestellte Operationstechnik das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung darstellt. Ebenso wird hier die Möglichkeit der direkten Korrektur der Trochlea - die Trochleaplastik - vorgestellt, die in vielen Fällen eine kausale Therapie darstellt. Diese sollte jedoch wegen der größeren Invasivität und vorhandenen Lernkurve nicht unkritisch flächendeckend angewandt werden, sondern Einzelfällen bzw. erfahrenen Operateuren vorbehalten sein. Zuletzt sei auf die Möglichkeit des isolierten Oberflächenersatzes des Patellofemoralgelenkes hingewiesen, der insbesondere dann sinnvoll sein kann, wenn es aufgrund einer bestehenden Dysplasie bzw. chronischen Patellaluxation bereits zu einer schmerzhaften Patellofemoralgelenksarthrose gekommen ist. Aufgrund der komplexen Interaktion der einzelnen, immer unterschiedlich ausgeprägten Risikofaktoren ist eine individuelle Analyse des Einzelfalles von essentieller Bedeutung. So sollen hier die verschiedenen stabilisierenden Faktoren, die geeigneten bildgebenden Verfahren und verschiedene operative Techniken vorgestellt werden, die die verschiedenen Risikofaktoren berücksichtigen, um eine möglichst physiologische Kinematik im Patellofemoralgelenk wiederherstellen zu können. 2. Anatomie und Biomechanik des Patellofemoralgelenkes Das Verständnis der funktionellen Pathoanatomie und Biomechanik des Patellofemoralgelenkes ist Grundvoraussetzung für das Verständnis der Patellaluxation und deren Therapieansätze. Grundsätzlich unterscheidet man drei Faktoren, die die patellofemorale Gelenkführung bestimmen und miteinander in Wechselwirkung stehen (Abb. 1): - die aktiven Stabilisatoren (Muskeln) - die passiven Stablisatoren (Kapsel und Bänder) - die statischen Faktoren (knöcherne Gelenkgeometrie) aktive Stabilisatoren statische Stabilisatoren passive Stabilisatoren Abbildung 1: Stabilisierende Faktoren der patellofemoralen Gelenkführung In voller Extension steht die Patella proximal des Sulcus trochleae. Bei beginnender Beugung - also noch in strecknaher Position - steht nur der distale Anteil der Patella mit dem proximalen Anteil der Trochlea in Kontakt. Hier bestimmen die medialen patellofemoralen Weichteile und Zugkräfte zunehmend die mediolaterale Translation. Während die mediolaterale Translation der Patella strecknah in erster Linie von dem medialen patellofemoralen Komplex limitiert wird, gewinnt dann bei zunehmender Beugung die patellofemorale Gelenkgeometrie (Trochleamorphologie) an Bedeutung, da die Patella nun zunehmend in den Sulcus trochleae eingleitet [49, 47]. Mit Eintauchen der Patella in die Notch, ab einer Flexion über 60, haben dann auch die aktiven Faktoren eine stabilisierende Rolle. Eine zentrale Rolle für die Gelenkstabilität bei diesem Bewegungsablauf spielt jedoch das exakte Eintauchen der Patella in den Sulcus trochleae in strecknaher Position [91]. In strecknaher Position von 0-40 Beugung bestimmen maßgeblich zwei Faktoren die mediolaterale Translation der Patella [39]: 4

- die statischen Faktoren: die knöcherne Geometrie des Gleitlagers, insbesondere die Kongruenz von Patella und Trochlea, die maßgeblich durch die Trochleamorphologie bestimmt wird [26, 69, 72, 110] und - die passiven Faktoren: der mediale patellofemorale Kapselbandkomplex [38, 52, 121]. dass der Sulcus trochleae bei einer Trochleadysplasie deutlich medialer liegt, was zu einer erhöhten Lateralisierungstendenz der Patella führt. Zudem zeigt sich der mediale Kondylus verkürzt, was im Bereich zwischen medialem und lateralem Kondylus zu einer lateral abgeflachten Trochleafacette führt und die eigentliche Trochlea mit Knochen ausgefüllt ist (Abb. 2) [55]. Die Kombination dieser zwei Faktoren bestimmt somit das Ausmaß der Gelenkstabilität in strecknaher Position. Die aktiven Faktoren der Quadricepsvektor haben hingegen in strecknaher Position wenig Einfluss auf die patellofemorale Stabilität. 2.1. Der statische Faktor: die Trochlea Für Knie mit einer normal konfigurierten Trochlea konnte gezeigt werden, dass in den Beugegraden von 30-100 die Führung der Patella durch den Sulcus trochleae den Effekt der stabilisierenden Weichteile überwiegt [53]. Ebenso konnten Ahmed und Duncan zeigen, dass die mediolaterale Translation hauptsächlich von der Interaktion der patellofemoralen Kontaktflächen kontrolliert wird [2]. Die retropatelläre Morphologie scheint eher eine Rolle bei der Kontrolle der patellären Rotation zu spielen. Von 30-100 wid die Patella vor allem durch den Sulcus trochleae stabilisiert. In strecknaher Position hingegen - bei geringer patellofemoraler Kontaktfläche - bestimmen maßgeblich die medialen patellofemoralen Weichteile und Zugkräfte die Patellatranslation. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass die statischen und passiven Stabilisatoren bei verschiedenen Beugegraden einen unterschiedlichen Anteil der patellofemoralen mediolateralen Translation ausmachen. Während die Patellatranslation in strecknaher Position vom medialen patellofemoralen Komplex limitiert wird, gewinnt bei zunehmender Beugung die patellofemorale Gelenkgeometrie an Bedeutung und dominiert zunehmend. Erst ab einer Flexion von ca. 60, wenn die Patella in die Notch eintaucht, stabilisieren auch die aktiven Faktoren die Patella. Der Einfluss des aktiven Quadricepsvektors scheint jedoch insgesamt einen untergeordneten Effekt auf die patellofemorale Stabilität zu haben [36, 35]. In strecknaher Position wird die Patella durch den medialen patellofemoralen Komplex stabilisiert. Bei zunehmender Beugung dominiert dann die knöcherne Gelenkgeometrie (Trochlea). Im Falle einer dysplastischen Trochlea findet sich eine abgeflachte oder sogar konvexe Trochlea mit einem verminderten Sulcuswinkel [22, 27, 86]. Hing et al. konnten zudem zeigen, Abbildung 2: Trochleadysplasie abgeflachte bis konvexe Trochlea mit aufgehobenem Sulcus trochleae 2.2 Der passive Faktor: der mediale patellofemorale Komplex Das Ligamentum patellofemorale mediale ist der primäre Stabilisator der Patella gegen laterale Translation in strecknaher Position [4]. Nach Warren und Marshall wird die mediale Anatomie des Kniegelenkes in drei Schichten eingeteilt [126]: - Die erste Schicht wird durch das oberflächliche mediale Retinakulum definiert. Dies verläuft von distal von der anteromedialen Tibia nach proximal an die distale Patella. Die Fasern des medialen tibialen Ligamentes verlaufen senkrecht zu diesem Retinakulum. - In der zweiten Schicht verläuft das mediale patellofemorale Ligament (MPFL), zusammen mit dem oberflächlichen Anteil des medialen Kollateralbandes (MCL). Das MPFL inseriert am medialen Drittel der Patellakante und verläuft dabei an den medialen Femurkondylus [52, 93, 126]. Für die genaue femorale Insertion des MPFL finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben. Die aufwendigsten topographischen Studien führte Nomura durch. Er beschrieb den femoralen Insertionspunkt des MPFL dorsocranial des medialen Epikondylus, etwas postero-caudal des Tuberkulum adduktorium (Abb. 3) [80]. Zudem existieren Faserzüge zwischen dem anterioren Anteil des MPFL und der Sehne des Muskulus vastus medialis obliquus (VMO), dem wichtigsten aktiven Stabilisator gegen die laterale Patellatranslation [80, 76, 79, 84, 93]. 5

Extension Flexion Abbildung 3a (nach [116]) und 3b (aus [80]): Die Anatomie des medialen patellofemoralen Ligamentes (MPFL) Abbildung 4: Verlauf der Muskelfasern des Vastus medialis obliquus (VMO) bei verschiedenen Beugegraden - In der dritten Schicht findet sich das Ligamentum patellomenisceale (MPML), eine Ansammlung von Fasern im Bereich der medialen Begrenzung des Hoffa schen Fettkörpers, die am inferioren medialen Patelladrittel münden, direkt distal des MPFL [20, 28]. Der Anteil der verschiedenen medialen Strukturen gegen die laterale Patellatranslation wurde von einigen Arbeitsgruppen an Knien mit physiologischer Geometrie untersucht [14, 28, 52, 97, 20]. Dabei wurden die stabilisierenden medialen Strukturen sequentiell durchtrennt. In allen Studien zeigte sich, dass das MPFL den größten Anteil gegen die laterale Patellatranslation ausmacht. Je nach Studie betrug dieser Anteil zwischen 40% und 81%. An 10 Kadaverknien untersuchte Nomura den Einfluss des MPFL und des oberflächlichen Retinakulums gegen die Patellalateralisierung. Es wurde eine konstante lateralisierende Kraft von 10N erzeugt und die Patellalateralisierung in 20 und 120 Beugung gemessen. Hier führte die isolierte Durchtrennung des MPFL in beiden Beugegraden zu einer massiven Zunahme der Patellalateralisierung, eine isolierte Rekonstruktion des MPFL normalisierte diese wieder. Das Ligamentum patellofemorale mediale (MPFL) ist der primäre Stabilisator der Patella gegen die laterale Translation in strecknaher Position. 2.3 Der aktive Faktor: die Quadricepsmuskulatur Der Kraftvektor des VMO verläuft so, dass er einer Patellalateralisierung bei aktiver Kontraktion sowie bei passivem Muskelwiderstand entgegenwirken kann. Dennoch ist der Einfluss der Muskelkräfte auf die patellofemorale Führung noch nicht eindeutig geklärt. So variiert die Ausrichtung des VMO- Vektors mit zunehmender Flexion (Abb. 4). Erst ab einer Flexion ab 60 kann dieser eine stabilisierende Wirkung in der Transversalebene entwickeln, die in 90 am größten ist. Ab diesem Beugegrad gleitet die Patella jedoch schon in die Notch ein und ist somit nicht mehr von muskulären Einflüssen abhängig, auch nicht bei Vorliegen einer dysplastischen Trochlea [2, 36, 54]. Zudem konnte Farahmand in einer biomechanischen Studie zeigen, dass die patellofemorale Führung in Beugegraden zwischen 15 und 75 nicht von physiologischen Muskelkräften beeinflusst wird [36]. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Trochleamorphologie physiologisch war und somit die aktiven Stabilisatoren ab 15 überwiegt. Andererseits konnte Hautamaa in 30 Flexion zeigen, dass die Applikation von 25 N auf den zentralen Anteil der Quadricepssehne eine messbare Reduktion der Patella - translation bewirkt [52]. Dieser Effekt kann jedoch eher auf einen daraus resultierenden erhöhten patellofemoralen Anpressdruck zurückgeführt werden, als auf eine transversale Stabilisierung, da die Größe und Richtung von Gelenkkompressionskräften die artikuläre Kinematik beeinflusst [88]. Die patellofemorale Kinematik kann daher muskulär durch eine Zunahme der Gelenkreaktionskräfte oder direkte lateralisierende oder medialisierende Kraftvektoren beeinflusst werden. Somit kann, je nach Gelenkstellung, die Patella durch die muskulären Kraftvektoren aus der Trochlea hinaus- oder hineingezogen werden. Bewirkt die Quadricepsaktivität ein rasches Eingleiten der Patella in die Trochlea, ist die laterale Translation vermindert und die Gefahr einer Luxation reduziert. Führt sie jedoch die Patella von der Trochlea weg, so kann dies bei fehlender lateraler trochleärer Begrenzung oder insuffizientem medialen Patellahalteapparat zu einer Dislokation führen. Zu bedenken ist jedoch, dass, selbst wenn die Muskeln in grösserer Gelenkflexion so ausgerichtet sind, dass sie die Patella in der Trochlea zentrieren, diese aktiviert werden müssten, denn der Faserverlauf alleine verhindert keine Lateralisierung. Eine Aktivierung resultiert in Gelenk - kompressionskräften, die eine ligamentäre Laxizität kompensieren können. Es ist daher auch möglich, dass die Generierung grosser Gelenkkompressisons kräfte teilweise für die Entwicklung degenerativer Verän derungen am Gelenkknorpel nach Eingriffen am Streckapparat durch einen Tuberositasversatz maßgeblich ist [6, 21, 67]. Eine Anteromedialisierung des VMO sollte in diesem Zusammen - 6

hang kritisch gesehen werden, da eine Verstärkung der passiven Stabilität im entspannten Zustand keine Wirkung hat und es bei Aktivierung zu nicht vorhersagbaren Veränderungen kommt. Zusammenfassend bleibt zu erwähnen, dass der Effekt der aktiven Stabilisatoren einen inkonsistenten Effekt auf die patellofemorale Kinematik hat. Sie können eine unphysiologische Gelenkbeweglichkeit sowohl verursachen als auch verhindern, abhängig von Größe und Richtung des resultierenden Kraftvektors im Verhältnis zum insuffizienten Bandapparat [85]. Es ist zu bedenken, dass das Alignement des Streckapparates bestimmt, ob eine Aktivierung des Quadriceps die Patella in die Trochlea führt oder aus dieser herauszieht. In diesem Kontext muß auch die distale Aufhängung des Streckapparates gesehen werden. 2.4 Wechselspiel der einzelnen Faktoren Eine Patella kann bei physiologischen und intakten statischen und passiven Stabilisatoren nicht luxieren [38, 52, 121]. Zudem findet sich keine Angabe, dass ein Malalignement egal wie ausgeprägt zu einer Luxation führt, ohne dass die passiven Stabilisatoren verletzt oder hypoplastisch, oder die statischen Stabilisatoren pathologisch verändert sind. Zudem kann nach Noyes eine Patella auch dann als instabil betrachtet werden, wenn die Muskelzüge so ausgerichtet sind, dass sie einer Lateralisierung entgegenwirken [82]. So scheinen also die passiven und statischen Faktoren bei der patellofemoralen Instabilität eine dominierende Rolle zu spielen, die Rolle des Alignementes des Streckapparates ist wohl eher zweitrangig. Slope), die Trochlea ist daher nicht nur vermindert konkav, sondern häufig flach oder gar konvex (Abb. 2). Diese Pathomorphologie wurde immer im Zusammenhang mit rezidivierenden Patellaluxationen diagnostiziert. Déjour et al. beschrieben als erste das sog. Crossing Sign auf einer streng seitlichen Röntgenaufnahme, auf der beide posterioren Kondylen genau übereinander liegen [27]. Dieses beschreibt den Schnitt des tiefsten Punktes der Trochlea mit dem prominentesten Punkt der lateralen Kondyle und weist auf eine Trochleadysplasie hin. Die Erhebung der Trochlea repräsentiert dabei den Überstand der proximalen Trochlea im Verhältnis zum anterioren Cortex des lateralen Femurkondylus. Diese kann an der Schnittstelle die Konfiguration eines Spornes oder einer Schanze zeigen, was das Fehlen eines Sulcus trochleae in diesem Bereich verdeutlicht (Abb. 5 und 6). Dejour et al. beschreiben eine Trochleadysplasie bei 85% aller Patienten mit rezidivierenden Luxationen [27]. Abbildung 5: Das Crossing Sign (aus [27]): Beurteilung der Lage der lateralen Trochlea zur lateralen Kondyle anhand eines streng seitlichen Röntgenbildes mit übereinanderprojizierten dorsalen Kondylen. Je weiter distal der Schnittpunkt liegt, desto höher der Schweregrad der Trochleadysplasie (Typ I-III). 3. Patellofemorale Instabilität: die Risikofaktoren Aufgrund der genannten Faktoren, die alle in Wechselwirkung die Patellastabilität beeinflussen können, ist es offensichtlich, dass die patellofemorale Instabilität multifaktoriell bedingt ist. Um im klinischen Alltag zu einer individuellen Analyse und schließlich Therapieentscheidung zu gelangen, werden die einzelnen Risikofaktoren und deren Bedeutung bzw. Klassifi - kation und Bestimmung kurz dargestellt. Die patellofemorale Instabilität ist multifaktoriell Abbildung 6: Das Crossing Sign im streng seitlichen Röntgenbild 3.1 Trochleadysplasie Eine Trochleadysplasie ist charakterisiert durch eine abgeflachte medialisierte Trochlea, welche jedoch nicht die anteroposteriore Höhe der Kondylen betrifft. Hierdurch erniedrigt sich die Steigung der lateralen Trochleafacette (lateraler 3.2 Das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) Die Verletzung des medialen Retinakulums ist die häufigste Pathomorphologie nach Patellaluxation. In fast allen Fällen ist das MPFL mit einbezogen. Nomura untersuchte die Morpho- 7

logie des MPFL bei akuten und chronischen Luxationen [78] und konnte bei der akuten Luxation zwei Gruppen unterteilen: patelläre Avulsionen und intramurale Rupturen. Bei der chronischen Luxation konnte er drei Gruppen unterscheiden: die lose, gedehnte femorale Insertion, diejenige mit hypertrophem Narbengewebe oder abnormen Narbensträngen und diejenige mit aufgehobener Kontinuität oder gar Hypo-/Dysplasie. Dies lässt den Schluss zu, dass die residuelle Laxizität nach Patellaluxation am ehesten durch eine Insuffizienz des medialen Bandapparates verursacht wird. In mehreren in-vitro Studien konnte gezeigt werden, dass das MPFL der primäre passive Stabilisator gegen die laterale Translation der Patella ist. Nomura et al. untersuchten am intakten Kadaverknie ohne begleitende Trochleapathologie unter Aufbringung einer konstanten Quadricepskraft die Lateralisierung der Patella in verschiedenen Flexions - stellungen vor und nach Durchtrennung des MPFL. Hier zeigte sich eine signifikant höhere Patellalateralisation nach Durchtrennung des MPFL (Abb. 7) [76]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch weitere Studien. Ausserdem konnte gezeigt werden, dass eine Rekonstruktion des MPFL wieder zu einer Normalisierung der Patellalateralisation führte [52, 20, 126, 28]. Zudem konnte Senavongse zeigen, dass die Patella in 20 die größte Lateralisierungstendenz hat und dass in der gleichen Position das MPFL die größte Gegenspannung gegen die Lateralisierung aufweist [111]. Die Längenänderung und Spannung des MPFL wurden von Smirk und Steensen genauer untersucht [114, 115]. Sie konnten zeigen, dass eine Veränderung der femoralen Fixierung von bereits 5 mm zu einer deutlichen Veränderung der Länge und Spannung des MPFL in größerer Beugung führen kann. Dies ist insbesondere für die operative Rekonstruktion des MPFL zu beachten, da eine zu proximale oder anteriore femorale Fixierung zu einer Druckerhöhung im patellofemoralen Gelenk führen kann [4]. Restraining force (N) 140 120 100 80 60 40 20 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Flexion angle ( ) 3.3 Das laterale Retinakulum Intact Medial retinaculae ruptured Abbildung 7: Biomechanik des MPFL [aus 109]. In strecknaher Position ist das MPFL der primäre Stabilisator gegen die laterale Translation der Patella. Jahrelang wurde ein zu enges laterales Retinakulum als ursächlich gesehen, den lateralen Zug auf die Patella massiv zu erhöhen, so dass es zu einer lateralen Translation und Verkippung kommen kann [37] und somit die Instabilität erhöht ist. Amis et al. konnte jedoch in einer biomechanischen Studie zeigen, dass das laterale Retinakulum zur Stabilisierung der Patella beiträgt und eine Durchtrennung des lateralen Retinakulums eine Destabilisierung bedeutet (Abb. 8) [18]. Aufgrund dessen und sowie der Tatsache, dass das laterale Retinakulum erst bei Beugegraden über 60 eine stabilisierende Rolle spielt, ist die Durchführung eines lateralen Releases zur Behebung des vergrößerten strecknahen Tilt und Shift nicht indiziert [40]. Ebenso zeigte eine weitere biomechanische Arbeit von Bedi und Marzo, dass die Durchführung eines lateralen Releases nach erfolgter MPFL-Rekonstruktion zu einer erhöhten lateralen Instabilität der Patella führt [10]. Restraining force (N) Ein laterales Release erhöht die patellofemorale Instabilität 120 110 100 90 80 70 60 50 40 0 10 20 30 40 50 60 70 Knee flexion (deg) Abbildung 8: Einfluss des lateralen Releases auf die Patellastabiliät (aus [18]) 3.4 Patella alta Das Vorliegen einer Patella alta korreliert neben dem Vorhandensein einer Troch - lea dysplasie signifikant mit einer patellofemoralen In - sta bilität [7, 16, 45, 61, 65, 96, 114]. Eine weit ver brei - tete Methode für die Be - stimmung der Patella - position ist die Bestimmung des sog. Caton-Deschamps- Index. Dies ist der Quotient aus dem Abstand zwischen Patellaspitze und Tibia und der posterioren Patella - facettenlänge (Abb. 9). Eine Patella alta ist alleine aber nicht unbedingt ur sächlich oder begünstigend für eine Instabilität, sondern kann vielmehr als Folge von pathologisch veränderten statischen und passiven Fak - Intact Released Abbildung 9: Patella alta. Die Patellahöhe wird mit dem Caton-Deschamps-Index bestimmt. Dies ist das Verhältnis zwischen dem Abstand der distalen patellären zur anterioren tibialen Gelenkfläche (AT) und dem Abstand der proximalen zur distalen patellären Gelenkfläche (PA). Ein Quotient über 1,2 gilt als Patellahochstand. 8

toren gesehen werden: bei Vorliegen einer Trochleadysplasie ist es der Patella nicht möglich, in einen nicht vorhandenen Sulcus trochleae einzutauchen, sie wird nach proximal gedrückt. Hier ist das MPFL die einzige Struktur, die die Patella noch führen kann. Ist dieses jedoch aufgrund einer Luxation gerissen oder aufgrund einer Trochleadysplasie gar hypoplastisch angelegt, fehlt auch dieser stabilisierende Faktor. In diesem Kontext ist die Distalisierung der Tuberositas tibiae kritisch zu betrachten. Hier würde lediglich radiologisch das Bild der Patella alta korrigiert werden, jedoch nicht die Ursachen der Instabilität, nämlich der fehlende Sulcus troachleae oder der insuffiziente mediale Bandapparat. 3.5 Patella Tilt und Patella Shift Ebenso wie die Patella alta, so kann auch eine erhöhte laterale Verkippung und Verschiebung der Patella in der axialen Ebene - der so genannte Patella Tilt und Patella Shift - als ursächlich für die patellofemorale Instabilität diskutiert werden [27]. Jedoch ist auch hier zu beachten, dass, ähnlich wie bei der Patella alta, der Tilt aufgrund knöcherner Gegebenheiten erhöht sein kann [42]. So verhindert bei einer Trochleadysplasie die abgeflachte Trochlea die Führung und ein Einsinken der Patella in den Sulcus, sie drückt die Patella nach lateral und proximal. Dies führt zu einer Vergrößerung von Tilt und Shift (Abb. 10). Sie sind daher klar als Symptome einer patellofemoralen Instabilität zu sehen und nicht als Risikofaktor. Abbildung 11: Der TTTG-Abstand (aus [27]), Anwendung in axialen MRT-Schichten Der TTTG wird von mehreren Faktoren beeinflusst. So liegt bei einer dysplastischen Trochlea der Sulucus trochleae medialer als bei einer physiologischen Trochleaform [112]. Dies bewirkt eine Erhöhung des TTTG. Zudem führt nicht nur eine Lateralisierung der Tuberositas tibiae durch eine Tibia- Außenrotation zu einer Erhöhung des TTTG, sondern auch die häufigere Antetorsion des Femur, welches eine Medialisierung der Trochlea zur Folge hat. Neben den Rotationsfehlstellungen kann auch eine Valgusdeformität den TTTG erhöhen. Die Schlussfolgerung von Trillat, dass der TTTG durch eine Medialisierung der Tuberositas wieder normalisiert werden kann, um den lateralen Zug zu vermindern [123], sollte demzufolge kritisch gesehen werden. Quantitativ kann zwar der TTTG wieder normalisiert werden, die Ursache der Patellalateralisierung wird jedoch nicht berücksichtigt. Die alleinige Heranziehung eines erhöhten TTTG für die Indikation einer Tuberositas-Versatzoperation ist daher nicht gerechtfertigt. 3.7 Familienanamnese Abbildung 10: a) Angabe des Patella Tilt in Winkelgrad und b) Patella Shift: Abstand des retropatellaren Giebels (PG) vom Sulcus trochleae (TG): Liegt die Patella 2,5 mm lateral der Trochlea, so besteht eine Subluxationsstellung. 3.6 TTTG-Abstand/Q-Winkel Der TTTG ist definiert als Abstand zwischen Sulcus trochleae und Tuberostitas tibiae in zwei übereinander projizierten axialen CT-Schichten (Abb. 11) [48]. Er ist eine Quantifizierung des Q-Winkels, da dieser eine hohe untersucherabhängige Varianz aufweist und von der Muskelaktivität beeinflusst ist. TTTG-Werte von 12-15 mm gelten als physiologisch. Déjour et al. fanden jedoch bei 56% ihrer Patienten einen TTTG von mehr als 20 mm [27]. Die patellofemorale Instabilität zeigt eine familiäre Häufung [66]. Dies gilt auch für andere anatomische Merkmale wie die Trochleadysplasie, die signifikant mit der patellofemoralen Instabilität korreliert [73, 95]. Zudem zeigen Studien, dass die Trochleaform anders als die femorale Achse eine vererbbare, genetisch verankerte Morphologie darstellt [43, 120, 119]. Unter diesem Gesichtspunkt ist bei Patienten mit familiärer Häufung gezielt das Vorliegen einer Trochleadysplasie zu evaluieren. 3.8 Zusammenfassung: Risikofaktoren der patellofemoralen Instabilität Die patellofemorale Instabilität ist multifaktoriell bedingt. Betrachtet man die patellofemorale Führung bei unterschiedlichen Beugegraden, so haben strecknah die passiven und statischen Faktoren die wesentliche stabilisierende Wirkung, während die dynamischen Faktoren erst ab 60 Flexion einer Patellalateralisation entgegenwirken. In Streckstellung ist das MPFL der primäre Stabilisator gegen die laterale Translation. 9

80 Reduction of displacing force (%) 70 60 50 40 30 20 10 0 VMO relaxed Flat lateral trochlea Medial retinaculae ruptured 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 Knee flexion ( ) Abbildung 12: Stabilisierende Faktoren der Patella in Abhängigkeit vom Beugegrad (aus [110]) Ab ca. 20 Beugung taucht dann die Patella in den Sulcus trochleae ein, so dass nun die Trochleamorphologie die primäre stabilisierende Rolle übernimmt. Ab ca. 60 Beugung übt dann der VMO seine größte limitierende Funktion aus. Da die Patella meist in strecknaher Position luxiert, ist es folglich aus biomechanischer Sicht sinnvoll, bei einer Instabilität die passiven und statischen Faktoren zu adressieren. Die aktiven Faktoren (z.b. VMO) scheinen nur einen sekundären und weit geringeren Einfluss auf die Führung der Patella zu haben. Alle oben genannten Risikofaktoren (siehe auch Tabelle 1) bzw. klinischen oder radiologischen Hinweise können streng betrachtet ursächlich auf eine Trochleadysplasie zurückgeführt werden. Die Insuffizienz oder Hypoplasie des medialen patellofemoralen Komplexes, kann auch als Folge einer Dysplasie der Trochlea gesehen werden. Die Trochleadysplasie scheint als einzige geeignet zu sein, eine Patella alta, einen erhöhten TTTG, Patella-Tilt und -Shift zu verursachen. Sie ist zudem genetisch vererbbar und erklärt die familiäre Häufung von Patellaluxationen. Passive Stabilisatoren Laterales Retinakulum Mediales Retinakulum: MPFL (mediales patellofemorales Ligament) Statische Stabilisatoren Trochleageometrie: Trochleadysplasie Patella alta (Patelladysplasie kein bewiesener Einfluß!) Alignement des Streckapparates TTTG bzw. Q-Winkel Valgusdeformität Femur Antetorsion / Tibia Aussenrotation Weitere Risikofaktoren Alter < 16 Jahre Patellaluxation kontralateral Familiäre Häufung Tabelle 1: Übersicht über die Risikofaktoren der Patellofemoralen Instabilität Aufgrund der multiplen Risikofaktoren, die niemals isoliert, sondern immer in unterschiedlich ausgeprägter Kombination vorliegen, ist es aus unserer Sicht sinnvoll, von einem Syndrom der patellofemoralen Instabilität zu sprechen. 4. Diagnostik 4.1 Klinische Untersuchung Die genaue klinische Untersuchung ist für die Diagnosestellung und Entscheidungsfindung in der Auswahl des Therapieverfahrens von elementarer Bedeutung. Neben der spezifischen Untersuchung der Bandstabilität des Kniegelenkes, sollte besonderes Augenmerk auf das vordere Kreuzband gerichtet sein, da hier oft Fehldiagnosen gestellt werden und Kombinationsverletzungen nicht übersehen werden dürfen. Neben Läsionen des medialen Patellahalteapparates können zusätzlich Innenbandverletzungen vorliegen. Die genaue Palpation und Schmerzangabe im Bereich des medialen Bandapparates und patellofemoralen Ligamentes ist wichtig, um die Lokalisation der Bandläsion zu bestimmen. Das Patellofemoralgelenk ist am einfachsten beim sitzenden Patienten mit frei hängendem Bein zu untersuchen. Hier zeigt sich, wie die Patella aus der strecknahen Position in den Sulcus trochleae eingleitet und in weiterer Beugung die Führung der Patella läuft. Die Stabilität kann einfach mit manuellem Druck der Patella nach lateral überprüft werden, während das Kniegelenk gebeugt wird. Der Apprehension Test wird normalerweise in 20-30 Beugung durchgeführt. Nimmt der Patient unter manueller Lateralisation der Patella eine abwehrende Haltung ein (Angst vor Dislokation), so gilt der Apprehension- Test als positiv. Führt der Patient eine aktive Extension im Sitzen durch, so kann das J-Zeichen beurteilt werden. Hier zeigt sich in endgradiger Streckung häufig ein superolaterales Herausgleiten der Patella aus der zentralen Zugrichtung bzw. aus dem Sulcus trochleae nach lateral. Liegt eine ausgeprägte patellofemorale 10

Instabilität vor, so nimmt der Patient oft unterstützend das kontralaterale Bein zur Hilfe oder es besteht gar ein aktives Extensionsdefizit (Angst vor Luxation). Der Patella Tilt wird in 20 Beugung evaluiert. Hier wird die Patella zwischen Daumen und Zeigefinger so gehalten, dass der Daumen die Patella lateral nach oben umklappen will. Eine laterale Anhebung von 0-20 gilt als normal, kann die Patella hingegen lateral nicht in Neutralposition gebracht werden, zeigt dies ein kontraktes laterales Retinakulum an (Abb. 13) [91]. Femurkortikalis nach distal verlängert und die Relation des Überstandes gemessen. Allerdings gilt zu beachten, dass für die Beurteilung des Crossing Signs und der trochleären Tiefe ein streng seitliches Röntgenbild erforderlich ist, auf dem die posterioren Kondylenkanten genau übereinander projiziert sind, was in praxi jedoch häufig leider nicht der Fall ist. Sind die Kondylen nicht genau übereinander projiziert, so kann dies zu einem falsch positiven Crossing Sign führen [58]. Eine Beurteilung des patellofemoralen Gelenkes bzw. einer möglichen Dysplasie der Trochlea in der axialen Röntgenaufnahme wird ab einer Beugung von 20 nahezu unmöglich [64, 63]. Der diagnostische Wert der axialen Aufnahmen zur Beurteilung der Trochleadysplasie sei daher zur Diskussion gestellt (Abb. 14). Abbildung 13: Klinische Untersuchung des Patella Tilt Eine krepitierende Patella zeigt einen bereits vorhandenen Knorpelschaden an. Zudem sollte die Inspektion der gesamten unteren Extremität im Stehen durchgeführt werden, um signifikante Achs- oder Rotationsfehlstellungen zu evaluieren. Eine Untersuchung der angrenzenden Gelenke sollte standardmäßig durchgeführt werden. In unserem Patientengut findet sich bei Patienten mit einer patellofemoralen Instabilität signifikant häufiger ein positives femuroacetabuläres Impingementzeichen, welches auf eine Hüftdysplasie hinweisen kann [92]. Oftmals sehen wir bei Patienten mit einer Hüftdysplasie auch eine Trochleadysplasie, was die Komplexität des zugrundeliegenden Problems unterstreicht [129]. Zudem können Fehlstellungen in den Sprunggelenken die Problematik aggravieren [128]. 4.2 Konventionelle Bildgebung Das Röntgenbild im ap Strahlengang ist von eingeschränkter Bedeutung, hier können lediglich osteochondrale Abscher - fragmente identifiziert werden. Das Röntgenbild im streng seitlichen Strahlengang in 30 -Beugung wird zur Beurteilung der Patellahöhe (Patellahöhenindex nach Caton-Deschamps) und Konfiguration der Trochlea herangezogen (Abb. 9). Nach Déjour kann im streng seitlichen Röntgenbild die Trochleadysplasie qualitativ durch das Crossing Sign und quantitativ durch das Vorhandensein eines trochleären Bump und der trochleären Tiefe beurteilt werden [27]. Das Crossing Sign ist als Schnittpunkt des tiefsten Punktes der trochleären Grube und dem prominentesten Punkt der lateralen femoralen Trochleafacette definiert (Abb. 6). Um den trochleären Überstand zu beurteilen, wird die anteriore Abbildung 14: Axiale Röntgenaufnahme im Vergleich zur Schnittbildgebung (proximale Trochlea) bei gleichem Patienten 4.3 Schnittbildgebung In der Beurteilung der patellofemoralen Anatomie ist aus o.g. Gründen die Schnittbildgebung Mittel der Wahl. Vorteil des Verfahrens ist, die dorsale Kondylenlinie als Referenz nutzen zu können. Neben der Einteilung der Trochleadysplasie nach Déjour [24] können weitere patellofemorale Parameter bestimmt werden [63, 68, 70]: - Der Anstellwinkel der lateralen Trochleafacette (lateraler Trochleaslope). Bei normaler Trochleaform nimmt dieser von proximal nach distal hin zu, im Mittel beträgt er 30 [15]. - Die laterale patelläre Inklination (Patella-Tilt) als Winkel zwischen der tangentialen Patellalinie und der dorsalen Kondylen-Referenz-Linie (Abb. 10) [9]. - Die Tiefe der Trochlea auf verschiedenen Höhen mittels der antero-posterioren Kondylenhöhe. - Die patellofemorale Relation in der Transversalebene (Patella-Shift), bei dem der Abstand zwischen Sulcus trochleae und Patellagiebel in Referenz zur dorsalen Kondylenlinie gemessen wird (Abb. 10). - Entsprechend der seitlichen Röntgenaufnahme kann die Patellahöhe auf einem saggitalen Schnittbild berechnet werden. - Der TTTG-Abstand in Millimeter (siehe 3.6). 11

Für die Bestimmung des TTTG werden, wie oben erwähnt, zwei axiale Schichten übereinander projiziert. Die proximale Schicht ist diejenige, bei der die Trochlea das erste Mal als Gleitlager fungiert, d.h. die proximalste knorpelbedeckte Schicht. Distal wird die Schicht herangezogen, bei der die Patellarsehne in die Tuberositas tibiae einstrahlt. Dann wird jeweils ein Lot auf die dorsale Kondylen-Referenzlinie gefällt und der Abstand in Millimeter gemessen (Abb. 11). Der TTTG- Abstand wird als Quantifizierung des Q-Winkels gesehen, da er die Aufhängung der Patella und deren knöcherne Führung in Relation zueinander setzt. Wie bereits erwähnt, ist jedoch der TTTG-Abstand häufig wegen der Medialisierung des Sulcus trochleae aufgrund einer vorhandenen Trochleadysplasie, Antetorsion des Femur oder Außenrotation der Tibia erhöht. Nur in seltenen Fällen kann eine isolierte Lateralisierung der Tuberositas tibiae gefunden werden [27, 29]. Die Studien zur Messung des TTTG beschränkten sich anfangs auf CT Untersuchungen (Abb. 15). Es wurde postuliert, dass ein Unterschied zwischen der Lokalisation des knöchernen und des knorpeligen Sulcus trochlae existiert. Nachteil einer CT- Untersuchung ist jedoch die hohe Strahlenbelastung der meist jungen Patienten. Zudem kann in einer CT-Untersuchung die proximale femorale, erste knorpelführende Schicht nicht optimal erfasst werden. Ebenso kann eine CT-Untersuchung keinen klaren Aufschluss über den Zustand der Knorpel- und Weichteilsituation (mediales Retinakulum, MPFL) liefern. Schöttle et al. konnten jedoch nachweisen, dass der TTTG- Abstand sowohl in einer CT-Untersuchung als auch in einem modifizierten MRT bei Patienten mit patellofemoraler Instabilität identisch war. Gleichzeitig war es für die Untersucher bei der MRT-Untersuchung einfacher, die jeweilig richtige femorale und tibiale Ebene zu bestimmen [100]. Ebenso kann eine erweiterte MRT-Untersuchung etwaige Rotationsfehlstellungen der unteren Extremität analysieren [122, 98]. Auf eine strahlenintense CT Untersuchung kann daher verzichtet werden. Hiermit ist es also möglich, einzig mit einem streng seitlichen Röntgenbild zur Orientierung und einer MRT-Untersuchung das Patellofemoralgelenk umfassend zu analysieren. Abbildung 15: Klassifizierung der Trochleadysplasie in die Schweregrade A-D nach Déjour im Schnittbildverfahren (nach [24]) 5. Therapieoptionen bei patellofemoraler Instabilität Es muss streng zwischen einer generellen patellofemoralen Instabilität, chronischer Subluxation der Patella und tatsächlich stattgehabter Patellaluxation unterschieden werden. Nach Patellaluxation unterscheiden wir die - Patellaerstluxation von der - chronisch-rezidivierenden Luxation Während die Patellaerstluxation entweder nach adäquatem, direktem Trauma (selten) oder geringem bzw. inadäquatem Trauma (häufig, bei Vorliegen dispositioneller Faktoren) auftreten kann, ereignet sich die chronisch-rezidivierende Luxation meist im Rahmen von Bagatelltraumata, häufig ohne Fremdeinwirkung. Bei ausgeprägter Dysplasie kann auch eine chronische Luxation, ggf. mit fixierter (Sub-)Luxation vorliegen. 5.1 Konservative Therapie Bei der Behandlung der Patienten mit einer patellofemoralen Instabilität muss weiterhin unterschieden werden zwischen Patienten mit: - patellofemoralen Schmerzen (vorderes Knieschmerzsyndrom) und - patellofemoraler Instabilität (nach Luxation). Ein patellofemorales Schmerzsyndrom kann durch eine patellofemorale Instabilität begünstigt werden, ebenso kann eine wirkliche patellofemorale Instabilität mit rezidivierenden Luxationsereignissen Schmerzen verursachen. Die Übergänge können fließend sein. Hier muss in der klinischen Untersuchung genau differenziert werden. Vor allem die Schmerzpatienten bzw. die Patienten mit einer geringen patellofemoralen Instabilität und ggf. einem oder wenigen Luxationsereignissen in der Anamnese können mit einer konservativen Therapie zu guten Ergebnissen gelangen. Bei der konservativen Therapie sollten Schmerzen während der Rehabilitation des Kniegelenkes vermieden werden. Hierzu werden sowohl Muskeldehnungstechniken als auch Muskel - kräftigungsübungen eingesetzt. Die Kräftigungsübungen betreffen insbesondere den Vastus medialis obliquus des M. quadriceps und sollten Übungen in geschlossener Kette beinhalten. Dehnungstechniken hingegen werden vor allem im Bereich des lateralen Retinakulums, Tractus iliotibialis, M. quadriceps, der Hamstrings sowie der Gastrocnemius muskulatur und der Achillessehne angewandt. Gewichts reduktion ist ein weiterer wichtiger Punkt, um die patellofemoralen Reaktionskräfte zu reduzieren. Durch spezielle Orthesen oder Bandagen, die die Patella medialisieren bzw. aus dem schmerz- 12

haften Bereich mobilisieren und temporär getragen werden können, ist eine Schmerzreduktion bzw. Stabilisierung in einem gewissen Ausmaß möglich. Ebenso geeignet sind hierzu spezifische Taping-Techniken (z.b. McConnell-Tape). Bei ausgeprägter Pronationsfehlstellung des Fußes sollte zudem auf eine ausreichende Schuheinlagenversorgung geachtet werden [91]. Indikation für eine konservative Therapie sehen wir bei der (seltenen) traumatischen Patellaluxation ohne (osteo-) chondrales Abscherfragment, beim älteren Patienten, bzw. bei nur geringer Ausprägung der disponierenden Risikofaktoren. 5.2 Operative Therapie Domäne der operativen Therapie ist die instabile Patella. Da ein immer multifaktorielles Geschehen vorliegt, kann prinzipiell jeder der oben genannten Risikofaktoren des patellofemoralen Syndroms operativ korrigiert werden. An welcher Schraube soll also gedreht werden? Da es weder sinnvoll noch realistisch ist, jeden Risikofaktor zu korrigieren, werden im Folgenden einige Korrek tur mög lich - keiten näher beleuchtet. Prinzipiell sind drei Therapieansätze zu unterscheiden: - die Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Bandapparates zur Wiederherstellung der passiven Stabilisatoren [30, 34, 46, 77] - Eingriffe im Bereich der Trochlea zur Normalisierung der statischen Faktoren bei Vorliegen einer Dysplasie [3, 11, 125] - sowie proximale und distale Eingriffe am Streckapparat zur Beeinflussung des Alignements und der aktiven Stabilisatoren (Medialisierung des Vastus medialis obliquus, laterales Release, Versetzung der Tuberositas tibiae). An welcher Schraube drehen? passive Weichteilstrukturen laterales Retinakulum: laterales Release laterale Rekonstruktion MPFL: mediale Raffung, MPFL Rekonstruktion 5.2.1 Primäre Naht des medialen patellofemoralen Komplexes Nach einer Patellaerstluxation kommt es gelegentlich zu osteo chondralen oder chondralen Abscherfrakturen der distalen medialen Patellafacette oder der lateralen Femurkondyle und fast immer zu einer Läsion des medialen patellofemoralen Komplexes. Dieser kann sowohl offen chirurgisch als auch arthroskopisch adressiert werden. Wichtig ist, die genaue Lokalisation der Läsion zu bestimmen, welche sich häufig femoralseitig zeigt. Yamamoto beschrieb 1986 eine Technik, bei der mittels einer großen Nadel der mediale Komplex unter arthroskopischer Sicht gerafft werden kann [130]. Ausschlaggebend für ein gutes Ergebnis dieser Technik ist die akute bis subakute Behandlung, um eine ausreichende Bandheilung zu gewährleisten. Nachteil der Technik ist, dass patelläre und femorale Avulsionen mit dieser rein intramuralen Naht ungenügend erreicht werden können. Daher wurde von uns eine modifizierte Technik nach Strobel verwendet, um an der medialen Patella das Periost und femoral den anatomischen Ansatz des MPFL unter arthroskopischer Kontrolle zu fassen (Abb. 17 und 18) [118]. Reluxationsraten der arthroskopischen Technik sind in der Literatur nur spärlich angegeben und bewegen sich zwischen 0-20%, ohne jedoch die zugrundeliegende Pathomorphologie zu berücksichtigen [50, 51, 94, 115]. In einer Studie am eigenen Patientengut konnten Schöttle et al. nachweisen, dass Patienten nach einer modifizierten arthroskopischen Raffung postoperativ einen signifikant höheren klinischen Score aufwiesen. Die Patienten mit einer höhergradigen Trochleadysplasie zeigten verglichen mit der Gruppe der geringen dysplastischen oder physiologischeren Trochlea jedoch einen niedrigeren klinischen Score und eine höhere Reluxationsrate von etwas mehr als 20%. In jedem Fall hat das minimal invasive Vorgehen jedoch eine geringere Abbildung 17: Arthroskopische Raffnaht des medialen Retinakulums/MPFL in nach Strobel modifizierter Yamamoto-Technik - Schematische Darstellung (aus [107]) knöcherne Stabilisatoren Trochlea: Trochleaplastik Patella: Distalisierung/Ventralisierung Alignement des Steckapparates (Zugrichtung) TTTG bzw. Q-Winkel: Tuberositas-Versatz Femur Antetorsion/Tibia Aussenrotation: Derotations-OT Abbildung 16: Übersicht über die operativen Korrekturmöglichkeiten bei patellofemoraler Instabilität Abbildung 18: Arthroskopische Raffnaht des medialen Retinakulums/MPFL in nach Strobel modifizierter Yamamoto-Technik (aus [107]) 13

Reluxationsrate gezeigt als das konservative Vorgehen, bei dem Reluxationsraten von bis zu 80% angegeben werden [44]. Zudem kann das minimal invasive Vorgehen auch bei jungen Patienten mit offenen Epiphysenfugen angewandt werden, bei denen invasivere Verfahren als kritisch zu betrachten sind [107]. Da oft aufgrund von vorhandenen chondralen Abscherfragmenten postakut eine Arthroskopie durchgeführt wird, kann hierbei diese Naht als zusätzliche anatomische Rekonstruktion einfach appliziert werden (Abb. 18). Liegt die Läsion des medialen patellofemoralen Halteapparates weit femoral und betrifft diese auch den Ansatz des M. adductor, so ist in einigen Fällen die offene Vorgehensweise indiziert, wobei jedoch auf den Verlauf des N. saphenus geachtet werden muss, um diesen nicht zu irritieren. Bei größeren osteochondralen Abscherfrakturen empfehlen wir ebenfalls ein offenes Vorgehen über eine mediale Mini-Arthrotomie, um das osteochondrale Fragment, z.b. mit resorbierbaren Stiften, zu refixieren (Abb. 19). Dies ist in der arthroskopischen Technik leider oft nur unbefriedigend möglich. Gleichzeitig kann hier dann die Naht des geschädigten MPFL unter Sicht erfolgen. In den letzten Jahren wurden unterschiedliche Techniken zur MPFL-Rekonstruktion mit viel versprechenden Ergebnissen publiziert [5, 8, 17, 22, 23, 30, 34, 46, 79, 83, 101, 117, 117]. Das MPFL als wichtigster passiver Stabilisator medialisiert als einzige Struktur die Patella in strecknaher Position und trägt auch in höheren Beugegraden (20-45 ) noch zur Stabilisierung der Patella bei. Besteht eine Trochleadysplasie, so wirkt das MPFL auch in diesen Beugegraden als wesentlicher Stabilisator. Da das MPFL weder an der Patella noch am Femur einen isometrischen Punkt besitzt, sollte die Rekonstruktion des Bandes gemäß der anatomischen Gegebenheiten erfolgen [4, 116]. Eine nicht anatomische Rekonstruktion führt zu unphysiologischen Belastungen im patellofemoralen Gelenk, während die Rekonstruktion nur eines Bündels an der Patella zu einem vermehrten patellären Tilt und einer erhöhten Rotation führen kann [28, 32, 117]. Viele der beschriebenen Techniken berücksichtigen nicht die eigentliche Anatomie. Wird eine Sehne verlagert oder gestielt versetzt, so setzt einer der Ursprünge patellär oder femoral - nicht anatomisch an und es kann nur eines der beschriebenen Bündel [4, 56] rekonstruiert werden. Aber auch einige Techniken mit freien Sehnentransplantaten stellen eine punktuell fixierte Einzelstrangtechnik dar [30, 34]. Neben der anatomischen Rekonstruktion ist auch eine stabile Refixation des Sehnentransplantates notwenig, um eine frühfunktionelle Nachbehandlung zu ermöglichen. Abbildung 19: Refixation eines osteochondralen Fragmentes mit resorbierbaren Pins, mini-open 5.2.2 Anatomische Rekonstruktion des MPFL Im Gegensatz zur arthroskopischen Raffung, die hauptsächlich bei der akuten Erstluxation angewandt wird und bei Vorliegen einer höhergradigen Trochleadysplasie eine noch immer hohe Reluxationsrate zeigt, ist die Rekonstruktion des MPFL bei der chronisch-rezidivierenden Luxation indiziert. Die MPFL-Rekonstruktion kann auch dann angewandt werden, wenn in vielen Fällen bereits aufgrund der rezidivierenden Luxationen ein Knorpelschaden vorhanden ist, der per se eine Kontraindikation für andere Verfahren darstellt, wie z.b. eine Trochleaplastik oder Medialisierung der Tuberositas tibiae bzw. wenn aufgrund begleitender Rotationsfehlstellungen erhebliche Zusatzoperationen notwendig wären [99, 101, 105]. Ebenso ist die MPFL-Rekonstruktion häufig als zusätzliches stabilisierendes Verfahren notwendig. Bei einer ausgeprägten Trochleadysplasie findet sich eine mediale Hypoplasie, bei der das MPFL meist nur insuffizient ausgebildet ist. Wird zur Korrektur z. B. eine Trochleaplastik durchgeführt, so ist es häufig erforderlich auch das insuffiziente MPFL zu rekonstruieren. Abbildung 20: Prinzip der anatomischen MPFL-Rekonstruktion (Bild Fa. Karl Storz, Tuttlingen) 14

Die hier vorgestellte Operationstechnik zur anatomischen Rekonstruktion des MPFL verwendet eine Gracilissehne als freies Sehnentransplantat, da die Reißkraft des MPFL ca. 208 N beträgt und die Reißkraft des Gracilis diese übersteigt [105, 4]. Wir verwenden für die femorale Refixation eine biodegradierbare Interferenzschraube (z.b. POSITION IFS, Fa. Aesculap), patellär sorgen zwei biodegradierbare Fadenanker (z.b. Bioplug, Fa. Karl Storz) für ausreichende Stabilität. zwei resorbierbare 4,2 mm starke Fadenanker eingebracht, die mit einem nicht resorbierbaren Faden der Stärke 2 beschickt sind (Abb. 24a und b). Abbildung 21: Staging Arthroskopie zur Evaluation der Trochleamorphologie und Begleitpathologie Abbildung 23a und b: Schaffung einer ca. 15 mm langen knöchernen Rinne am proximalen medialen Patelladrittel mit einem feinen Luer Initial wird zur individuellen Beurteilung der intraartikulären Pathologie eine Arthroskopie durchgeführt (Abb. 21). Hier wird neben dem Ausmaß der Trochleadysplasie und der medialen patellofemoralen Bandverletzung vor allem der Knorpelstatus evaluiert und eventuelle freie chondrale oder osteochondrale Abscherfragmente adressiert. Es folgt die Sehnenentnahme der Gracilissehne über eine kleine mediale Inzision ca. 5-10 mm distal zur Tuberositas tibiae (Abb. 22). Die Gracilissehne wird nun auf einem Präparierboard von ihrem Muskelbauch befreit. Sie sollte ca. 20 cm lang sein. Das periostale Ende der Sehne wird mit einem nicht resorbierbaren Faden über eine Länge von 2 cm armiert und der Durchmesser der gedoppelten freien Sehnenenden bestimmt. Abbildung 24a und b: Patelläre Fixation des zentralen Sehnenanteiles mit resorbierbaren Fadenenakern (Bioplug, Fa. Karl Storz) Nun wird das Transplantatlager zwischen der zweiten und dritten Schicht des medialen patellofemoralen Komplexes, in der das MPFL lokalisiert ist, bis zum femoralen Insertionsbereich präpariert [126]. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Gelenkkapsel nicht perforiert wird, um das Gelenk und damit die intrartikuläre Propiozeption unversehrt zu lassen. Für die anatomische femorale Insertion wird in 30 Beugung eine ca. 1 cm lange Hautinzision im Bereich des medialen Epicondylus und Abbildung 22: Entnahme der Gracilissehne Zur patellären Insertion erfolgt eine ca. 2 cm lange Inzision im Bereich des medialen proximalen Patelladrittels, da hier das MPFL inseriert [117]. Die superomediale Kante der Patella wird frei präpariert und eine ca. 1,5-2 cm lange knöcherne Rinne mit einem schmalen Luer geschaffen (Abb. 23a und b). Die Rinne muss tief genug sein, das Gracilis-Transplantat komplett einzubetten. Dann werden in die knöcherne Rinne am proximalen wie distalen Ende Abbildung 25: Durchzug des Transplantates nach Tunnelung und Präparation des femoralen Endes 15

des Tuberculum adductorium durchgeführt. Wahlweise kann nun das Transplantat bereits in die patelläre Rinne eingeknotet und durch den präparierten Tunnel gezogen werden. Der mediale Epicondylus und das Tuberculum adductorium werden palpiert und ein Bohrdraht mit Fadenöse wird etwas posterior zum Mittelpunkt dieser Punkte positioniert (Abb. 26). Abbildung 26: Markierung des femoralen Insertionspunktes mittels Bohrdraht Mit Hilfe eines Röntgen-Bildwandlers kann in einer streng seitlichen Durchleuchtung, in der beide dorsalen Femurkondylen übereinander projiziert sind, die genaue Lage der anatomischen femoralen MPFL-Insertion reproduzierbar bestimmt werden (Abb. 27). Anhand einer vorangegangenen Kadaverstudie konnten wir aufzeigen, dass dieser ca. 1,3 mm vor der dorsalen Verlängerungslinie des Femurkortex und 2,5 mm distal der hinteren Begrenzung des medialen Femurkondylus und proximal zur Höhe des dorsalsten Punktes der Blumensaat Linie befindet (Abb. 28a und b) [109]. Dies konnten auch andere Arbeits - gruppen bestätigen [90]. Die genaue Positionierung der femoralen Insertion ist von entscheidender Bedeutung, da bereits Abweichungen von nur 5 mm zu unphysiologischen Drücken im Patellofemoralgelenk führen können [4, 116, 117]. Die Erfahrung lehrt, dass die Palpation häufig ungenau ist. Die Zuhilfenahme eines Röntgenbildwandlers sollte daher obligat erfolgen, der zusätzliche Zeitaufwand ist minimal. Ist die femorale Position korrekt bestimmt, wird der Bohrdraht mit einem kanülierten Bohrer entsprechend der Länge und des Durchmessers des Transplantates überbohrt. Die Trans plan - tatlänge wird nun, falls nicht bereits vorher erfolgt, durch Anlegen der Gracilissehne bestimmt, wobei darauf zu achten ist, dass das Transplantat nicht zu kurz zugeschnitten wird. Nun wird, sofern noch nicht erfolgt, der zentrale Anteil in die knöcherne Rinne eingelegt und mit dem Faden des proximalen Fadenankers eingeknotet. Unter leichter Spannung wird nun das distale Ende des Transplantates mit dem zweiten Fadenanker refixiert. Die Sehne sollte vollständig in der knöchernen Rinne eingebettet sein, um eine guten Sehnen- Knocheneinheilung zu gewährleisten und um medial vor allem bei schlanken Patienten nicht störend aufzutragen. Die beiden Sehnenschenkel werden dann mit einer vorgelegten Fadenschlaufe in das getunnelte Transplantatlager eingezogen. Die freien Sehnenenden werden nun auf gleiche Länge gebracht und wahlweise, z.b. mit einer bioresorbierbaren Endopearl (Fa. Linvatec), versehen (Abb. 25) [127], um eine sichere Fixation zu ermöglichen. Danach wird - ebenfalls über eine vorgelegte Fadenschlaufe das freie Transplantatende in den femoralen Tunnel eingezogen und mit einer biodegradierbaren Interferenzschraube (z.b. POSITION IFS, Fa. Aesculap) refixiert. Die femorale Refixation sollte in ca. 20 30 -Beugung erfolgen, da das MPFL hier seine gößte Spannung gegen die laterale Translation der Patella aufbaut [4]. Dabei sollte die laterale Patellakante in einer Flucht mit der Begrenzung des lateralen Femurkondylus stehen [103]. Vor Entfernung des Schraubendrehers sollte die freie Beweglichkeit und die Führung der Kniescheibe zwischen 0 und 40 überprüft und ggf. nachkorrigiert werden. Eine Überkorrektur sollte möglichst vermieden werden, da diese zu einer medialen Subluxation, Transplantatversagen oder zu einem medialen patellofemoralen Drucksyndrom führen kann (Abb. 29) [32]. Abbildung 27: Bestimmung des femoralen Insertionspunktes mittels intraoperativer Röntgendurchleuchtung Abbildung 29: Femorale Fixation des Transplantates und Einstellen der Bandspannung in 20-30 Beugung Abbildung 28a und b: Radiologische Orientierungspunkte zur femoralen Insertion (a) aus[108] und b) Fa. Karl Storz, Tuttlingen) Postoperativ erfolgt die Anlage einer Knieruhigstellungsschiene für 1 Woche. Für 3 Wochen ist die Belastung mit nur dem halben Körpergewicht erlaubt. In den ersten 2 Wochen erfolgt die passive Beübung des Gelenkes bis 60 -Beugung. Danach kann mit aktiven Übungen begonnen werden. Normale Aktivität ist nach 3 Monaten gestattet, sofern kein 16

Defizit mehr im Bereich des Quadriceps vorhanden und die freie Beweglichkeit erreicht ist. Kontaktsport sollte für mindestens 6 Monate nicht durchgeführt werden. In der Regel sind alle Patienten nach 4-6 Wochen bereits frei beweglich, ein signifikantes propiozeptives Defizit im Vergleich zu herkömmlichen Operationstechniken ist aus eigener Erfahrung nicht zu beobachten, demzufolge auch eine geringere Atrophie der Oberschenkelmuskulatur als bei anderen rekonstruktiven Verfahren (z.b. VKB-Ersatzoperation) und das Vermögen, den Quadriceps häufig schon unmittelbar postoperativ bzw. in den ersten Tagen zu rekrutieren. Der Grund hierfür könnte das minimal-invasive und rein extraartikuläre Vorgehen sein, die intraartikuläre Situation bleibt ungestört. 5.2.3 Trochleaplastik Abbildung 30: Postoperatives Ergebnis nach 4 Wochen Demnach kann davon ausgegangen werden, dass bei fast allen vorhandenen patellofemoralen Instabilitäten eine mehr oder weniger ausgeprägte Trochleadysplasie zugrunde liegt. Bei Patienten mit einer ausgeprägten Trochleadysplasie ist die Trochlea ganz flach oder sogar konvex oder weist einen deutlichen Kalibersprung auf (Typ C-D nach Déjour). Hier kann ein intakter medialer Patellahalteapparat die Patella vor einer Lateralisierung nicht suffizient bewahren. Eine Veränderung der Trochleageometrie - eine Trochleaplastik - kann hier als eine kausale Therapieoption gesehen werden. Da wir davon ausgehen, dass der patelläre Tilt und Shift sowie der Patellahochstand durch die dysplastische Trochleaform verursacht wird, kann angenommen werden, dass eine isolierte Korrektur der Trochleaform diese Risikofaktoren positiv beeinflussen kann. Eine Trochleadysplasie ist nicht gleichbedeutend mit einer isolierten Abflachung oder Dysplasie des lateralen Femurkondylus. Sie ist vielmehr definiert durch einen hypoplastischen medialen Femurkondylus, der den Sulcus trochleae nach medial verschiebt und bei normal hohem lateralen Kondylus hierdurch den lateralen Slope abflacht. Dadurch vermindert sich der Sulcus trochleae und die laterale Facette stellt keine wirklich Kante und damit Führung der Patella mehr dar. Ziel einer Trochleaplastik sollte sein, die laterale Facette in Relation zur Trochlea steiler zu gestalten und zu erhöhen, ohne jedoch den patellofemoralen Druck zu steigern. Dies kann nur durch eine Vertiefung der Trochlea, nicht durch eine Anhebung der lateralen Trochleafacette erreicht werden. 1915 stellte Albee erstmalig eine Technik vor, die die Trochlea adressiert hat [3]. Allerdings wurde hier die laterale Trochleafacette mit einem Knochenkeil angehoben, was zu erhöhten patellofemoralen Drücken führte und letztlich zu Schmerzen und vorzeitiger Arthrose [25]. Die Technik einer Vertiefung der Trochlea beschrieb erstmalig Masse [71]. Déjour löste als erster die knorpelige Trochlea, um darunter die knöcherne Trochlea neu zu formen und den Knorpel anschließend wieder V-förmig zu readaptieren [25]. Er führte den Begriff der Trochleaplastik ein. Allerdings hat auch diese Technik Limitationen. Insbesondere die Tatsache, dass eine V-förmige Inzision am Knorpel der Trochlea die notwendige physiologische Lateralisierung des Sulcus nur unzureichend adressieren kann und dass der Knorpel inzidiert und mit Metallklammern refixiert wird. Aus diesen Gründen verfahren wir nach dem von Bereiter beschriebenem und inzwischen von uns leicht modifizierten Vorgehen [11, 104]. Hier wird nach einer lateralen Arthrotomie die Patella nach medial weggehalten und die proximale Trochlea dargestellt. Es folgt die Ablösung der Synovialis vom Knorpel der proximalen Trochlea (Abb. 31). Danach wird sukzessive mit einem gebogenen Meißel der Knorpel mit einer dünnen ossären subchondralen Lamelle von latero-proximal abgelöst und nach ventral gehalten. Hierbei ist strikt darauf zu achten, die subchondrale Lamelle nicht zu perforieren und den Knorpel beim Weghalten nicht zu brechen. Dabei muss die Dicke so gewählt werden, dass eine elastische Modellierung der Knochen-Knorpellamelle möglich ist (Abb. 32). Nach ausreichend nach distal erfolgter Präparation folgt nun die Korrektur bzw. Schaffung des neuen Sulcus trochleae. Demnach liegt bei einer Trochleadysplasie ein medialisierter Sulcus in unterschiedlicher Ausprägung vor. Ebenfalls ist dadurch der laterale Trochleaslope vermindert. Es gilt also, hier den dafür ursächlichen Überstand zu reduzieren und den Sulcus trochleae im physiologischen Umfang zu lateralisieren. Dadurch wird automatisch der laterale Trochleaslope erhöht, was der Patella wiederum eine Führung verschafft. Die Höhe des lateralen Femurkondylus sollte in diesem Zusammenhang nicht verändert werden. Zur Anlage des Sulcus bedienen wir uns eines Meißels in Kombination mit einer Knochenfräse (Turbofräse oder Walzenfräsen-Aufsatz eines gewöhnlichen Shavers). Es ist darauf zu achten, dass der neu geschaffene Sulcus proximal mit dem ventralen Femurkortex (Abb. 33) abschließt. Die individuelle Modellierung der proximalen Trochlea variiert je nach vorliegender Pathologie sehr stark. Nach dem Remodelling der Trochlea wird die Knochen- Knorpellamelle reponiert und entsprechend den Ober - flächenverhältnissen anmodelliert. Dies muss sehr behutsam geschehen, da der Knorpel eine sehr vulnerable Struktur darstellt. Die Knorpellamelle wird zentral im Neo-Sulcus mit einem breiten Vicrylband readaptiert. Dies kann mittels nach lateral ausgeleiteter transossärer Nähte erfolgen (Abb. 34). In letzter Zeit hat sich jedoch die Refixation mit speziellen Ankersystemen durchgesetzt, da sie schnell und sicher zu applizieren sind (Abb. 36). Nachdem die Knochen- 17

Knorpellamelle wieder stabil readaptiert ist, erfolgt die zusätzliche zirkuläre Readaptation der Synovialis mit resorbierbaren Nähten (Abb. 35). Nach Einlage einer Redondrainage erfolgt der laterale Kulissenverschluss. Dies sollte bei gebeugtem Kniegelenk durchgeführt werden, um eine Kontraktur der lateralen Strukturen zu vermeiden [102]. Dann erfolgt die Abbildung 34: Readapation der Knochen-Knorpellamelle und Refixation transossär mit nach lateral ausgeleitetem Vicryl-Band Abbildung 31: Trochleaplastik nach Bereiter: Ablösung der Synovialis der proximalen Trochlea nach lateraler Arthrotomie Abbildung 35: Endergebnis nach Readaptation Synovialis (andere Patientin) Abbildung 32: Anheben einer elastischen subchondralen Trochlealamelle mit einem gebogenen Meißel Abbildung 36: Alternative Refixation der Knorpel-Knochenlamelle mit einem Ankersystem (z.b. Push-Lock Anker, Fa. Arthrex) Abbildung 33: Vertiefung und Neuanlage des Sulcus trochleae manuelle Untersuchung der Patellastabilität in verschiedenen Beugegraden. Häufig zeigt sich noch eine patellofemorale Instabilität in strecknaher Position, da bei der Trochleadysplasie häufig die medialen passiven Stabilisatoren nur ungenügend ausgeprägt bzw. durch die vorangegangenen Luxationen bereits als insuffizient zu betrachten sind. In diesen Fällen ist daher die zusätzliche Stabilisierung durch eine adjuvante MPFL-Rekonstruktion erforderlich, die einzeitig durchgeführt werden kann [11, 104, 106]. 18

5.2.4 Mediale Raffung Abbildung 37: Arthroskopie nach Trochleaplastik vor 4 Jahren: die Patientin präsentierte sich nun mit einer Außenmeniskus-Korbhenkelläsion. Im Bereich des Patellofemoralgelenkes hatte sie keinerlei Probleme mehr Im Rahmen einer Nachuntersuchung von Patienten nach Trochleadysplasie konnte histologisch und vitalmikroskopisch gezeigt werden, dass der initial abgelöste und wieder readaptierte Knorpel sowie darunter liegende Knochen intakt und nach den Kiriterien der ICRS normal bis sehr gut waren [108]. Eine Trochleaplastik kann somit mehrere Risikofaktoren gleichzeitig korrigieren: - die Dysplasie der Trochlea, - die Lateralisierung des Sulcus trochleae und damit die Normalisierung des TTTG, - eine gewisse Normalisierung der Patella alta, - in einem gewissen Maße Beeinflussung eines vorhandenen Rotationsfehlers durch Remodelling der Trochlea (Änderung der Trochleaebene), - Rekonstruktion bzw. Release der passiven lateralen Strukturen (siehe auch laterales Release ), - Normalisierung des Patella-Tilt und Shift, - ggf. adjuvant: Rekonstruktion der passiven medialen Strukturen (MPFL). An dieser Stelle sei nochmals erwähnt, dass die Trochleaplastik eine äußerst invasive Gelenkoperation darstellt und nur Fällen mit einer ausgeprägten Trochleadysplasie (Typ C-D) vorbehalten sein sollte. Grundvoraussetzung ist ein gesunder, elastischer Knorpel ohne Läsionen sowie geschlossene Epiphysenfugen. Die Trochleaplastik gehört in die Hand eines in dieser Technik erfahrenen Chirurgen. Sie sollte daher in darauf spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Vor einer unkritischen, flächendeckenden Anwendung soll an dieser Stelle nochmals ausdrücklich gewarnt werden. Es müssen zudem auch weitere begleitende Instabilitätskriterien berück - sichtigt werden (z.b. Rotationsfehlstellungen, Insuffizienz des medialen patellofemoralen Bandapparates). Hier sind dann zusätzliche stabilisierende Maßnahmen (z.b. MPFL-Rekon - struktion) notwendig. Eine häufig angewandte Operationsmethode ist die Medialisierung des medialen Retinakulums mit dem M. vastus medialis obliquus auf die Patella. Grundidee ist die Zugrichtung der aktiven Stabilisatoren umzulenken und somit eine bessere patelläre Führung zu erreichen. Der Faserverlauf des VMO kann jedoch nicht geändert werden. So tritt eine medialisierende Wirkung auf die Patella weiterhin erst ab einer Beugung von ca. 60 auf. Aus biomechanischer Sicht erfolgt mit der medialen Raffung eine Proximalisierung und ggf. Lateralisierung der Patella, was beides zu einem erhöhten patellofemoralen Anpressdruck ab 60 -Beugung führen kann und somit zu Schmerzen und degenerativen Knorpelverän - derungen. Die Patella wird also in höheren Beugegraden ab 60 stabilisiert, jedoch nicht in der eigentlich kritischen streck nahen Position. Dies erklärt, warum retrospektive klinische Studien im Vergleich zur medialen Rekonstruktion hier deutlich schlechtere Ergebnisse zeigen. Zudem tritt häufig ein postoperatives Schmerzsyndrom auf und die Reha - bilitationsphase ist entsprechend prolongiert [41, 59, 89, 124]. Der Grund, dass die mediale Raffung in einigen Fällen jedoch auch befriedigende Ergebnisse zeigt, mag möglicherweise darin liegen, dass mit durchgeführter medialer Raffung auch in gewisser Weise das insuffiziente MPFL mitgefasst und sozusagen rekonstruiert bzw. repariert wird. 5.2.5 Laterales Release Beim lateralen Release wird das laterale Retinakulum offen chirurgisch oder arthroskopisch in Längsrichtung in verschiedenster Ausdehnung häufig bis weit in den proximalen Tractus iliotibialis durchtrennt. Ein wirkliches Release, bei dem die einzelnen Schichten nur teilweise gelockert, jedoch nicht vollständig durchtrennt werden, ist die Ausnahme. Abbildung 38: Arthroskopisches laterales Release Grundannahme dieser Methode am passiven Apparat ist die Überlegung, dass man durch eine Minderung der Zugkraft nach lateral die Luxationstendenz reduzieren könne. Jedoch sollte man sich bei diesem Eingriff die laterale Anatomie vergegenwärtigen: die Fasern verlaufen von proximal nach distal und können daher vergleichbar mit den Muskelfasern des VMO erst in höheren Beugegraden eine lateralisierende Kraft auf die Patella auslösen. In strecknahen Stellungen hat das laterale Retinakulum eher eine stabilisierende Wirkung auf die Patella, da es eine Weichteilbarriere gegen die 19

Patellalateralisierung darstellt. Nach einem lateralen Release kann diese Funktion aufgehoben sein, eine vermehrte laterale Instabilität in strecknaher Position ist die Folge [18, 40]. Es kann auch zusätzlich zu einer medialen Instabilität kommen [81]. Eine mögliche Erklärung ist, dass das laterale Retinakulum nach einer Ruptur des MPFL infolge einer Patellaluxation der einzige passive Stabilisator bleibt. Erfährt die Patella dann durch den Quadricepsvektor eine Lateralisation, spannt sich das laterale Retinakulum zwar nach lateral auf, verhindert aber dadurch ebenfalls die Luxation. Dies kann die Zunahme der patellofemoralen Instabilität nach lateralem Release erklären (Abb. 8) [60, 81]. Außerdem kann die Durchtrennung des lateralen Retinakulums zu Vernarbungen im Bereich des Tractus iliotibialis und des M. vastus lateralis führen. Diese Vernarbungen können eine unphysiologische Zugwirkung nach proximo-lateral entwickeln und somit zu Verhärtungen im Ansatzbereich des Tractus iliotibialis an der Patella führen. Einer Erhöhung des patellofemoralen Druckes und Schmerzen können die Folge sein [40, 62]. Aus diesen Gründen ist das isolierte laterale Release bei strecknaher patellofemoraler Instabilität nicht indiziert [40]. Ein isoliertes laterales Release ist bei strecknaher patellofemoraler Instabilität nicht indiziert Eine Berechtigung für dieses Verfahren sehen wir nur noch bei einer fixierten lateralen Luxation und Subluxation in tiefer Beugung. Hier sollte das laterale Release differenziert und dosiert vorgenommen werden. Dabei ist die laterale Retinakulumverlängerung nach Biedert eine sinnvolle Alternative [12]. In unserem eigenen Patientengut wird das laterale Release bei patellofemoraler Instabilität nicht durchgeführt. Jedoch führen wir häufiger eine laterale Kulissenrekonstruktion nach erfolgtem ausgedehnten lateralen Release durch. Alleine hierdurch kann die Stabilität der Patella deutlich gebessert werden. 5.2.6 Medialisierung der Tuberositas tibiae Die Medialisierung der Tuberositas tibiae wird in verschiedenen Modifikationen durchgeführt. Bei einer Medialisierung des distalen Patellarsehnenansatzes um ca. 10-15 mm werden in erster Linie die aktiven Stabilisatoren adressiert. Mit diesem Verfahren wird hauptsächlich ein pathologischer TTTG reduziert bzw. der Q-Winkel verringert. Die Vorstellung ist hier, dass die Ausrichtung des Streckapparates bestimmt, ob die Kraftvektoren des M. quadriceps ein zentrales Eingleiten der Patella in die Trochlea ermöglichen oder sie nach lateral abgleiten lassen. Aus Vorangehendem kann jedoch geschlossen werden, dass eine Patella mit erhöhter Luxationstendenz in strecknaher Position vornehmlich von passiven Weichteilund knöchernen Faktoren stabilisiert wird. Wie bereits erwähnt, haben zudem die aktiven Stabilisatoren - die Quadricepsvektoren - aufgrund ihres Faserverlaufes in streck - naher Position keinen wesentlichen Einfluss auf die Führung der Patella in der Transversalebene. Ebenso scheint der TTTG häufiger durch femorale Pathologien als durch eine lateralisierte Tuberositas tibiae erhöht [27, 29]. Eine Medialisierung der Tuberositas vermindert zwar durch die Verringerung des TTTG den lateralisierenden Vektor der Patella, die eigentliche Ursache der vermehrten TTTG wird jedoch nicht adressiert. Zudem verändert die Operation nicht den Verlauf der VMO- Fasern, weshalb der Streckapparat weiterhin die Patella erst ab ca. 60 Beugung stabilisieren kann. Dies erklärt auch, dass durch die Medialisierung der Patella je nach Literaturangabe nur in 65% der Fälle eine Stabilisierung der Patella erreicht wird [13]. Häufig liegt postoperativ zudem ein unklares patellofemorales Schmerzsyndrom vor [87]. Weiterhin kann es durch das Verschieben der medialen Patellafacette auf den medialen Femurcondylus zu einer unphysiologischen Druckerhöhung und somit zu Schmerzen und einer vorzeitigen Arthrose kommen (Abb. 40) [19, 31, 33, 74]. Die Indikation für eine Medialisierung des Tuberositas Ansatzes sehen wir nur in den seltensten Fällen gegeben. Häufiger als eine primäre Medialisierung führen wir einen Rückversatz der Tuberositas tibiae aufgrund eines medialen Schmerzsyndromes im Sinne einer Überkorrektur des TTTG durch. Bei dann persistierender Instabilität oft einzeitig in Kombination mit einer MPFL-Rekonstruktion. 5.2.7 Patellofemorale Instabilität bei offenen Wachstumsfugen Die kindliche patellofemorale Instabilität stellt durch die noch offenen Epiphysenfugen einen Sonderfall dar. Hier verbieten sich ossär korrigierende Verfahren wie z.b. eine Trochleaplastik oder ein Tuberositasversatz. Bei Erstluxationen ist daher im akuten und subakuten Stadium die Naht des medialen Retinakulums / MPFL indiziert, da hier die Wachstumsfugen nicht alteriert werden. Sofern die exakte Rupturlokalisation adressiert wird, können auch bei geringgradigen Dysplasiegraden geringe Reluxationsraten erreicht werden. Bei höhergradigen Trochleadysplasien steigt jedoch die Reluxationsrate deutlich an, so dass eine Naht in diesen Fällen nur relativ indiziert ist. Häufig bietet sie jedoch die einzige Alternative, da eine Trochleaplastik kontraindiziert und eine MPFL-Rekonstruktion nur eingeschränkt möglich ist. Bei der MPFL-Rekonstruktion liegt der femorale Insertions - punkt genau im Bereich der Epiphysenfuge des distalen Femur. Dementsprechend muss ein Kompromiss zwischen Stabili - sierung der Patella und Schonung der Wachstumsfugen gefunden werden. Häufig stellt auch die patelläre Refixation ein Problem dar, da Kinder häufig eine kleine und knorpelige Patella haben, in der Bohrungen oft nicht möglich sind. 20