11. Gesprächskreis Regionalverband Kurpfalz am 17.03.2012 in Mannheim Fragen zu GBS und CIDP... und Antworten von Herrn PD Dr. Blahak, UMM (UniversitätsMedizin Mannheim) Mit Unterstützung durch den Leiter der Neurologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, Herrn Prof. Dr. Hennerici und der Bereitschaft durch Herrn PD Dr. Blahak, Oberarzt und Leiter des Neuromuskulären Zentrums Rhein-Neckar an der Neurologischen Klinik der UniversitätsMedizin Mannheim, konnten wir erfreulicherweise den ersten Gesprächskreis in Mannheim durchführen. Neben den Medizinern waren Frau Bast (Selbsthilfebeauftragte), die Herren Moll und Wingen (Öffentlichkeitsarbeit) in der Vorbereitung hilfreich. - Einen herzlichen Dank an alle! Schwerpunkte der Neurologie Mannheim sind - Gefäßerkrankungen des ZNS - Entzündliche Erkrankungen des Nervensystems - Degenerative Erkrankungen (Parkinson, Alzheimer) - Epilepsiezentrum. - Daneben betreibt die Neurologie seit 1998 eine Schlaganfall-Spezialstation (Stroke Unit) Einige unserer Mitglieder hatten die Neurologie Mannheim im Rahmen ihrer eigenen Erkrankung bereits kennen gelernt. Beim Ablauf hatten wir uns diesmal für ein Interview entschieden, bei dem sich die zahlreichen Zuhörer (32 an der Zahl) sehr rege einbringen konnten. Dieses Interview geben wir hier wieder (das Gespräch führten Herr PD Dr. Blahak (links) und für die Deutsche GBS Initiative, Hans Steinmassl. Die Zuhörer der Müllersaal war gut gefüllt
Das Interview : Ist durch Untersuchung feststellbar welche Nervenschädigung vorliegt, Myelin oder Axon bzw. beides? Da die Nerventätigkeit und die Tätigkeit der von den Nerven versorgten Muskeln auf elektrischer Aktivität aufbauen, kann man Nervenschädigungen elektrophysiologisch untersuchen. Dazu sind das Elektromyogramm (EMG) und die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) sehr gut geeignet. Verminderung der Nervenleitgeschwindigkeit findet sich bei Erkrankungen der Myelinscheide (Demyelinisierung). Bei axonalen Schädigungsmustern (Schädigung des Zellfortsatzes) verringert sich dagegen das Nervensummenpotential (Zusammenwirken aller erregten Nervenfasern). Es ist also möglich, zwischen einer Schädigung der Myelinscheiden (der Isolation einer einzelnen Nervenfaser) und einer Schädigung der Axone (der Nervenfasern selbst) zu unterscheiden. Gibt es Möglichkeiten, eine axonale Schädigung zu heilen? Sowohl Schädigungen des Myelins als auch des Axons können im Prinzip heilen. Jedoch wird der geheilte Endzustand weniger perfekt sein, als der Zustand vor Erkrankung. Axone müssen wieder einsprossen, ausgehend von der Zelle im Rückenmark, was sehr lange dauern kann und die Nerven werden dicker. Im Einzelnen: Beim GBS treten Schädigungen des peripheren Nervensystems in Form einer segmentalen Demyelinisierung, Waller - Degeneration oder axonalen Degeneration auf. Bei der segmentalen Demyelinisierung (Neuropraxie) führt eine lokalisierte Schädigung der Myelinscheiden (z. B. bei einer Kompression des Nerven) zu einer Verlangsamung der Leitungsgeschwindigkeit des Nerven. Stärkere Schädigung führt zu einem Leitungsblock. Eine Degeneration des Axons findet nicht statt. Deshalb bleiben die Messwerte distal der Läsion normal und die Prognose ist wahrscheinlich günstig. Bei stärkerer, länger dauernder Erkrankung erfolgt eine sekundäre Schädigung des Axons. Dadurch erlischt die Erregbarkeit des Nerven 6 10 Tage nach der Läsion. Im weiteren Verlauf zeigt auch die Muskulatur Denervierungserscheinungen. Durch Regeneration der Axone ist Besserung möglich, wenn auch meist nicht vollständig und zeitlich verzögert. erfolgt eine Schädigung des Axons primär z. B. durch humorale Mechanismen, spricht man von primär axonaler Degeneration. Dieses führt innerhalb von 4 Tagen zum Abbau des gesamten Myelins distal der Läsion. Auch hier bessert sich die Funktion nur langsam, da das Axon sich erst regenerieren, und dann zu den Effektororganen neu aussprossen muss. Die Wiederherstellung der Funktion kann bis zu einem Jahr oder länger dauern und inkomplett sein. Die Myelinschicht regeneriert sich zwar, kann aber Vernarbungen zurück behalten, die die Leitgeschwindigkeit hemmen. Problem Früherkennung von GBS! Kann man hier überhaupt etwas tun? Um die Diagnose GBS zu bestätigen, ist auf jeden Fall eine Lumbalpunktion (Liquor-Analyse erhöhtes Eiweiß) erforderlich, um einen veränderten Eiweißspiegel festzustellen, sowie eine elektrische Laufzeitmessung (EMG), um die Nerven- und Muskelfunktionen zu prüfen. Die Diagnose bei CIDP erfolgt wie bei anderen Polyneuropathien. Welche Bedeutung hat Vitamin B12 für eine evtl. Heilung, also Regeneration der Myelinschicht? Wie aufnehmen (Spritze, Nahrung oder Nahrungsergänzung)? Auch für den Fall, dass der B12-Spiegel im Normbereich ist?
Es geht um den Nervenstoffwechsel in Verbindung mit der Folsäure. Einen tatsächlich festgestellten Mangel an B12 sollte man substituieren sonst besteht die Gefahr einer axonalen Schädigung der Nerven (Polyneuropathie). - Bei normalen B12-Werten bringt die Zufuhr keine Heilung. Ziel sollte immer die B12 Versorgung über eine ausgewogene Ernährung sein. Gibt es Erfahrungen mit Capsaicin-Pflaster (Qutenza)? Bei dem Pflaster geht es um die Bekämpfung von Schmerzen. Es gibt keine eigenen Erfahrungen im UMM. - Ansprechpartner zum Thema Schmerz ist Herr PD Dr. Benrath von der Schmerztherapie des UMM sein. (Anmerkung: Wir hatten 2010 schon näher darüber in GBS aktuell berichtet). Wie sieht das aktuelle Therapiekonzept für CIDP aus? Es gibt keine Veränderungen/Neuerungen. Im Grundsatz geht es darum das Immunsystem zu beeinflussen, z.b, mit Immunglobulinen, Plasmapherese und spezieller Chemotherapie. Nachrangig werden Cortison und Azethioprin verabreicht. Sind deutliche Schwankungen, auch Verschlechterungen, im Schmerzniveau von GBS denkbar und durch was werden sie ausgelöst? Schwankungen sind bekannt (vergleichbar zur MS). Auslöser können Stress und/oder Infekte sein. Gibt es einen Zusammenhang zwischen mehrjährigen GBS-Restsymptomen und neu einsetzenden Ischiasbeschwerden? Wie könnte hier eine Therapie aussehen? Ein Zusammenhang könnte indirekt bestehen, wenn Muskelgruppen geschwächt oder verkrampft sind und auf den Ischiasnerv drücken. Ansonsten ist an einen Bandscheibenvorfall zu denken. - Helfen kann Physiotherapie und Wärmetherapie. Kommt der Therapie von Restsymptomen durch Elektrotherapie eine Bedeutung zu? Wenn ja, welcher Art von Elektrotherapie? Gebräuchlich sind Hochton-Therapie und TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation - (Stimulation heißt hier auch Reizung und muss von Fall zu Fall ausprobiert werden.). Erstere ist etwas effektiver als TENS. Dennoch: die Wirksamkeit dieser Verfahren ist nicht eindeutig nachgewiesen. Sie können schmerzreduzierend wirken, helfen aber nicht immer und überall. (Anmerkung: Einige Anwesende berichten von individuell unterschiedlichen Erfahrungen). Können wir Betroffene für die absehbare Zukunft neue Behandlungsmöglichkeiten (Medikamente?) erhoffen? Wird daran geforscht und wo wird geforscht? In Verbindung mit den Interessen der Pharmaindustrie kommt der Forschung für MS entscheidende Bedeutung zu. - Forschungsorte sind Bochum (Prof. Dr. Gold), Düsseldorf (Prof. Dr. Hartung) und Würzburg (Prof. Dr. Toyka) Wie müssen wir uns die körperlichen Abläufe vorstellen, die zum bekannten Energiemangel/Müdigkeit als Restsymptom führen?
Nicht enervierte Muskelfasern bilden sich zurück und schwächen den Muskel insgesamt. Bewegungsabläufe werden so gegenüber gesunden Tagen anstrengender. In der Folge tritt vorzeitige Ermüdung ein. - Von der Erkrankung mit MS resultiert dafür der Begriff Fatigue. - Die Ermüdung fordert Leistungspausen und nicht zu vergessen sind Wechselwirkungen mit der psychischen Komponente (Depression mit Behandlungsbedarf). (Anmerkung: Ergänzend berichten einzelne Anwesende von erhöhter Reizbarkeit/Erregbarkeit bzw. geringerer Belastbarkeit). Wie kann eine verlangsamte Darmtätigkeit nach GBS günstig beeinflusst werden? Kann im Falle CIDP die Erkrankung dafür ebenfalls ursächlich sein? Da eine Schädigung des peripheren Nervensystems (GBS und CIDP) auch Schäden autonomer Nerven einschließt, kann sich die Intensität der Darmtätigkeit zurück entwickeln. Ergebnis sind Verstopfung (Obstipation), aber auch Durchfall ist denkbar. Empfehlenswert ist, der Verstopfung zunächst mit quellenden, natürlichen Mitteln zu begegnen, bevor an Medikamente gedacht wird. Hat die Einnahme von Selen guten Einfluss auf die Restsymptome? Die Risiken negativer Effekte bei der zusätzlichen Einnahme von Selen sind größer als subjektive Heilungserwartungen (Siehe auch Prinzip bei Vitamin B12). Selen kann Diabetes fördern und wird daher kritisch gesehen. Wie kann Schwankschwindel günstig beeinflusst werden? Diese Frage wurde schon an anderer Stelle geklärt: Es kommt auf die Ursache des Schwindels an. Ist er kreislaufbedingt oder durch die Nervenschädigung (Folgen für Sensorik und Motorik) bedingt. Kreislaufbedingten Schwindel würde man medikamentös angehen. Mit der Nervenschädigung als Ursache würde man mit Physiotherapie eine Verbesserung erzielen können. Welche Chancen haben wir, Restsymptome mit Akupunktur zu bekämpfen? Keine nachgewiesenen Erfolge. Subjektive Erfolgsempfindungen beim Patienten. (Anmerkung: Einzelne Anwesende berichten von teils guten Ergebnissen) Gibt es eine deadline, bis zu der es realistisch möglich ist, Restsymptome abzubauen? Der Prozess der Regeneration (millimeterweise) ist langwierig. Grundsatz: je länger der betroffene (periphere) Nerv, desto länger dauert die Regeneration. 1 2 Jahre sind eine erste Näherung für die Zeit. Auch darüber hinaus sind noch Fortschritte denkbar, allerdings mit abnehmender Wahrscheinlichkeit zur Zeit des Krankheitsbeginns. Es gibt keine gesicherten Zahlen in Jahren / Monaten. Abhängigkeit vom Individualfall. (Anmerkung: An verschiedenen Stellen ergab sich ein Hinweis auf 10 Jahre). Welche Erkenntnisse/Erfahrungen gibt es für die Behandlung mit Dimethylfumarat? Keine Erkenntnisse bzgl. CIDP (Forschungsergebnisse beziehen sich auf MS und die Reduzierung der Schubhäufigkeit). Gibt es Medikamente, die statt Azathioprin eingesetzt werden, wenn die Lymphozytenzahl zu niedrig ist? Azathioprin ist ein immunsupressives Medikament, was also das Immunsystem beeinflussen
soll und dauerhaft eingenommen wird (Anmerkung: z.b. in einem Fall aus der Gruppe sind es bereits 6 Jahre). Nebenwirkung ist beispielsweise eine gesteigerte Infektneigung.????? (2 Fragen zusammengefasst) Kann eine bereits eingetretene Muskelschädigung wieder rückgängig gemacht werden und kann Bewegung die Teillähmung an den Extremitäten positiv beeinflussen oder gar rückgängig machen? Durch ausgiebige physiotherapeutische Behandlung können Schädigungen kompensiert werden. Bewegung hat zweifellos einen positiven Einfluss; keine Wunder erwarten; je älter die Erkrankung ist, umso geringer sind die Chancen auf Verbesserung. Ziel muss das Training ohne Überlastung sein. Einen Hinweis wenn es zu viel war - gibt der Muskelkater. Eine diagnostische Information über den Zustand der Muskulatur bietet der CK-Wert (Creatin- Kinase). Mit den besten Wünschen für gesundheitliche Verbesserungen grüßen Ihre Berichterstatter aus der Kurpfalz Hans Helmut Falkenauer Hans Steinmassl P.S. Die Wiedergabe der Antworten von Herrn Dr. Blahak erfolgte nach bestem Wissen. Gegebenenfalls nötige Korrekturen werden nachgereicht.