Zur Situation der Germanistik in Tschechien



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Transkript:

Zur Situation der Germanistik in Tschechien Astrid Winter (Prag) I. Die tschechische Germanistik eine Auslandsgermanistik Die folgende Studie versucht, verschiedene Aspekte der aktuellen Situation der Germanistik und der deutschen Sprache und Literatur in der Tschechischen Republik zu beleuchten. Dabei dienten vor allem die Statistiken des Instituts für Informationen im Bildungswesen, interne Erhebungen des Prager Goethe-Instituts und des DAAD, Informationen der Ministerien, aber auch eine Untersuchung aus dem Jahr 2004 1 sowie die Aussagen zahlreicher Hochschullehrer als Quellengrundlage. Allen Befragten, die spontan und teilweise sehr ausführlich auf die an sämtliche Institute versandten deutschtschechischen Fragebögen geantwortet haben, sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihre Mühe gedankt. 2 Die Bezeichnung Auslandsgermanistik erscheint mit Bezug auf die Germanistik in Tschechien zunächst paradox. Waren und sind doch die Regionen Böhmens, Mährens und Schlesiens bis in die Gegenwart auch Räume der deutschsprachigen Literatur. 3 Noch in der Volkszählung von 2001 gaben 41.000 Menschen an, dass ihre Muttersprache Deutsch sei, und die Werke von Kafka, Brod, Werfel, Urzidil oder Ebner-Eschenbach haben zweifellos ihren Platz in der deutschen Literaturgeschichte. Zwar wurde die kulturelle Tradition mit 1 Barbora Šrámková: Bohemistika ve Spolkové republice Německo Germanistika v České republice. Přehledová studie [Bohemistik in der Bundesrepublik Deutschland Germanistik in der Tschechischen Republik]. Berlin: Technische Universität, 2004. URL: http://www.diskusniforum.org/priloha.aspx?idpriloha=14923. 2 1. Wie wird sich das Interesse am Germanistikstudium Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln? 2. Sehen Sie eine Gefährdung der Germanistik durch andere Sprachen? Sollten Germanisten auf Englisch publizieren? 3. Wie sehr ist das Fach auch in historischer Hinsicht an Ihrem Hochschulstandort / in Ihrer Fakultät verankert? Welche Bedeutung kommt der Germanistik im Zusammenspiel mit anderen Disziplinen zu? 4. Durch welche wissenschaftlichen Schwerpunkte in Forschung und Lehre zeichnet sich Ihr Institut besonders aus? 5. Wie beurteilen Sie die Bedeutung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Literatur mit Bezug auf die Teildisziplinen Literatur- und Sprachwissenschaft? 6. Tradieren deutsche Sprache und Literatur ein europäisches Erbe? 7. Welche Rolle spielen heute und in Zukunft Disziplinen wie Medienund Kommunikationswissenschaft, Kulturwissenschaften, Übersetzungswissenschaften etc.? 8. Sehen Sie Veränderungen in der Deutschlehrerausbildung? 9. Gibt es innovative Tendenzen in der Gestaltung der Curricula? 10. Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Sprachkenntnisse beginnender Germanistikstudenten in den letzten zehn Jahren? 11. Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht deutsche Sprachkenntnisse in anderen Fächern? Hat das Deutsche eine Zukunft als Wissenschaftssprache? 12. Wie sehr nehmen Sie die öffentlichen Debatten in Deutschland z.b. zur Rechtschreibreform oder zum literarischen Kanon wahr? 13. Welche Förderungsmöglichkeiten für den studentischen und wissenschaftlichen Austausch halten Sie in Ihrem Fach für sinnvoll? 14. Sollte aus Ihrer Sicht eine stärkere internationale Vernetzung in der fachlichen Zusammenarbeit angestrebt werden? 3 Vgl. z.b. Ina Karg: Begegnungen mit Literatur und Kultur in Böhmen einst und jetzt. Orte Texte Wahrnehmungen. Frankfurt/M [u.a.]: Lang, 2001.

den Greueln der NS-Zeit endgültig unterbrochen, doch lässt sich nicht übersehen, dass bedingt durch politische und wirtschaftliche Verflechtungen das Deutsche immer noch eine wichtige Rolle spielt und dass die deutsche Prager Literatur nicht mit dem Tod von Lenka Reinerová an einen Endpunkt gelangt ist, sondern auch eine Neubelebung durch junge deutsch- oder zweisprachige Autoren erfährt. Obwohl die tschechische Germanistik also eine Auslandsgermanistik ist versteht man dies als Oberbegriff für Germanistiken, die nicht in Ländern mit deutscher Amtssprache angesiedelt sind so findet sie ihre Gegenstände doch auch und vor allem im Inland. II. Sprachenfrage aus der Perspektive der deutsch-tschechischen Beziehungen Die Frage der Germanistik in der Tschechischen Republik ist immer auch eine Frage der Bedeutung der deutschen Sprache in diesem Land. Die geographisch längste Außengrenze teilt die Tschechische Republik mit deutschsprachigen Ländern. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen ist durch ein Jahrtausend des Zusammenlebens und der unmittelbaren Nachbarschaft geprägt, das Verhältnis zur deutschen Sprache einerseits durch die Tradition der Mehrsprachigkeit und andererseits durch die an der Sprachenfrage entfachten Nationalitätenkonflikte. Zwar beschäftigen sich ganze Forschungseinrichtungen mit diesem Themenkreis, 4 so dass es an dieser Stelle kaum möglich erscheint, dem Aspekt in angemessener Form gerecht zu werden. Doch seien im Folgenden einige Aspekte aus der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts angesprochen, die das Bewusstsein bis heute beeinflussen. Die böhmischen Länder waren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein zweisprachiges Gebiet. 5 Obwohl die Sprecher des Tschechischen die Mehrheit bildeten, wurde noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur das Deutsche als Amtssprache verwendet. Bilingualität war unter den tschechisch- und deutschsprachigen Bewohnern weit verbreitet, und das Verhältnis zum Land war durch einen territorialen Patriotismus geprägt. Mit den Bewegungen der nationalen Wiedergeburt entstand ein stärker sprachlich definiertes Nationalbewusstsein, an dem sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heftige 4 Quellen: Arbeitsbibliographie zu den deutsch-tschechischen Beziehungen seit 1989 (in Auswahl), URL: http://www.collegium-carolinum.de/doku/lit/dt-tsch.htm; Publikationen der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission, URL:http://www.dt-ds-historikerkommission.de/; Arbeitsbibliographie zur Geschichte von Vertreibung und Aussiedlung der Deutschen aus den böhmischen Ländern bzw. der Tschechoslowakei. Bearbeitet von Robert Luft, Collegium Carolinum, München. URL: http://www.collegium-carolinum.de/doku/lit/bibl-vertreibung.htm. 5 Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung: 1921 30%, 2001 0,4% URL: http://www2.czso.cz/csu/redakce.nsf/i/nemecka_narodnost.

nationalistisch motivierte Konflikte entzündeten, wobei bis 1918 jedoch die deutsche Sprache der Habsburgermonarchie administrativ dominierte. Die Sprachenpolitik in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) änderte diese Verhältnisse erstmals zugunsten des Tschechischen. 6 Die auf den Anschluss Österreichs und das Münchener Abkommen folgende Okkupation (1938-1945) durch Hitler im sog. Protektorat Böhmen und Mähren und die nazistischen Verbrechen an der tschechischen Bevölkerung belasten das deutsch-tschechische Verhältnis bis heute ebenso wie die nachfolgende gewaltsame Vertreibung (euphemistisch odsun, Abschiebung, genannt) des Großteils der deutschsprachigen Bevölkerung auf Grundlage der Beneš-Dekrete. Noch im Jahre 2009 hätte die Frage der Gültigkeit dieser Gesetze beinahe die Ratifizierung des Lissaboner Vertrags durch den tschechischen Staatspräsidenten verhindert. In der sozialistischen Tschechoslowakei (1948-1989) wurde offiziell ein deutsches Feindbild gezeichnet, in dem mögliche Gebiets- und Besitzansprüche als Drohkulisse dienten. Zugleich war aber gerade jener Nachbar das wichtigste Ziel tschechischer Regimekritiker, verfemter Künstler und Verleger. Tschechische Literatur ist in keine andere Sprache in gleichem Umfang übersetzt worden wie ins Deutsche. Die sudetendeutsche Gefahr wurde auch nach der Samtenen Revolution von 1989 gelegentlich auf beiden Seiten politisch instrumentalisiert und diente noch 2010 als Wahlkampfthema 7. Zugleich entstanden aber zahlreiche deutsch-tschechische und österreichisch-tschechische Initiativen, die sich um einen Dialog über historische Fragen bemühen. Dank der Einbindung der Tschechischen Republik in die NATO und in die Europäische Union und durch die Zusammenarbeit auf allen Feldern des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ist das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts durch Verständigung und offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gekennzeichnet, die sich auch in der Publizistik spiegelt. 8 6 Vgl. z.b. Steffen Höhne, Andreas Ohme [Hrsgg.]: Prozesse kultureller Integration und Desintegration. Deutsche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert. München: Oldenburg Verl., 2005; Steffen Höhne, Ludger Udolph [Hrsgg.]: Deutsche, Tschechen, Böhmen. Kulturelle Integration und Desintegration im 20. Jahrhundert. Köln: Böhlau, 2010. 7 Vor allem in der Kampagne der Partei Suverenita von Jana Bobošíková: URL: http://www.suverenita.cz/. 8 Reportagen in politischen Magazinen greifen regelmäßig historische Themen auf, wie etwa ein Denkmal für die wilde Vertreibung oder die Suche nach ehemaligen sudetendeutschen Eigentümern der Häuser in Umsiedlungsgebieten: z.b. Jan Gebert: Boj o kámen [Kampf um einen Stein]. In: Reflex 6, 2010, S. 40-43; Bára Procházková: Najdi svého Němce [Such deinen Deutschen]. In: Respekt 18, 2010, S. 49-53. Sehr zur Offenheit der Diskussion beigetragen haben die Aktivitäten der unkonventionellen Nichtregierungsorganisation Antikomplex: URL: http://www.antikomplex.cz/. Institutionell werden Fragen des deutsch-tschechischen Verhältnisses untersucht in den Projekten des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, des Deutsch-Tschechischen Jugendforums, des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums und der Deutsch-Tschechischen Historikerkommission. Als Kultur- und Bildungseinrichtung hat es sich das

Obwohl das Deutsche mittlerweise längst den Status einer Minderheitensprache hat, bleibt die tschechische Sprache - besonders in ihrer gesprochenen Form durch unzählige Germanismen und Austriazismen gekennzeichnet. Idiomatische Wendungen, Wortbildungsmuster oder Lehnwörter, die, wie z.b. akorát (genau), pár (paar), brýle (Brille), trefit (treffen), knedlík (Knödel) oder kumšt (Kunst), in die stark flektierende tschechische Sprache integriert sind, hinterlassen so bis heute einen bleibenden Reflex des jahrhundertelangen Sprachkontakts. III. Charakteristik der Germanistik-Standorte in Tschechien In der Tschechischen Republik finden wir ein bezogen auf die Bevölkerungsdichte und die Studierendenzahl ausgesprochen dichtes Netz fachlich relativ breit differenzierter Germanistik-Standorte vor. Zu den ältesten und wichtigsten Instituten zählen die beiden in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gegründeten und bis 1945 getrennten Germanischen Institute der Karlsuniversität. Ihre Entstehung verdanken sie jedoch gerade jenen nationalistischen Bestrebungen, die 1882 eine Teilung in eine tschechische und eine deutsche Universität erforderten und damit zweifellos im Gegensatz zum multikulturellen Geist der 1348 gegründeten ältesten Universität Mitteleuropas standen. 9 Daneben haben die Institute in Brno und Olomouc eine wichtige historische Bedeutung für die Entwicklung der tschechischen Germanistik. Zahlreiche Lehrstühle wurden jedoch erst in der Zeit nach 1989 (neu)gegründet. Momentan sind an elf der 28 öffentlichen bzw. staatlichen Hochschulen des Landes 17 germanistisch orientierte Lehrstühle angesiedelt, davon acht an pädagogischen Fakultäten. 10 Die vielfältigen Studienangebote umfassen jeweils in Collegium Bohemicum zur Aufgabe gemacht, die deutsch-tschechischen Beziehungen zu thematisieren, und zwar in Kooperation mit dem Stadtmuseum Ústí n.l., dem Institut für slawisch-germanische Studien der Purkyně-Universität sowie der Gesellschaft für die Geschichte der Deutschen in Böhmen. URL: http://www.collegiumbohemicum.cz/. 9 Wissenschaftsgeschichtliche Darstellungen der tschechischen Germanistik bieten Milan Tvrdík: Die tschechische Germanistik nach 1945. In: Germanistik in Mittel- und Osteuropa. Hrsg. v. Christoph König. Berlin [u.a.]: de Gruyter, 1995. S. 248-255; Milan Tvrdík, Lenka Vodrážková-Pokorná [Hrsgg.]: Germanistik in den böhmischen Ländern im Kontext der europäischen Wissenschaftsgeschichte (1800-1945). Wuppertal: Arco, 2006; Lenka Vodrážková-Pokorná: Die Prager Germanistik nach 1882. Mit besonderer Berücksichtigung des Lebenswerkes der bis 1900 an die Universität berufenen Persönlichkeiten. Frankfurt/M [u.a.]: Lang, 2007. 10 Von den öffentlichen Hochschulen sind 26 dem universitären Typ zuzuordnen (ISCED 6), sie sind also in mehrere Fakultäten untergliedert und verfügen über das Promotions- und Habilitationsrecht. Nicht berücksichtigt wurden in der Übersicht die Privathochschulen, die i.d.r. nicht-universitären Typs sind, Studiengebühren verlangen und ein eingeschränktes Fächerspektrum bis höchstens zur Master-Stufe anbieten, sowie die Höheren Fachschulen (ISCED 5B), die eine praxisorientierte Ausbildung bieten und im tertiären Bildungssektor angesiedelt sind, nicht aber mit den deutschen Fachhochschulen vergleichbar sind.

unterschiedlicher Ausprägung an den einzelnen Standorten neben der Deutschlehrerausbildung und der klassischen Deutschen Philologie in den Bereichen Mediävistik, Literatur- und Sprachwissenschaft auch Wirtschaftsdeutsch, Dolmetschen und Übersetzen sowie deutsch-österreichische Territorialstudien (Geschichte, Politologie, Kunstgeschichte) 11. Forschungsschwerpunkte lagen und liegen traditionell im Bereich der deutschtschechischen, österreichisch-tschechischen oder auch germanisch-slavischen Wechselseitigkeit, wobei die slavischen und germanischen Philologien auch in einem Institut zusammengefasst sein können (Plzeň, Ústí). Bevorzugte Themengebiete der Literaturwissenschaft sind die in Böhmen entstandene deutsche Literatur (Brno, Prag, Plzeň), die Prager deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Kafka (Prag), Goethe in Böhmen und Mähren (Prag), deutsch-mährische Literatur (Olomouc, Brno), jüdischdeutsche Literatur (Olomouc, Brno) sowie deutsch-tschechische Literaturbeziehungen in mediävistischer Betrachtung (Olomouc, České Budějovice). Schwerpunktthemen der Sprachwissenschaft sind die germanischen Einflüsse auf slavische Sprachen (Prag, Brno), Mehrsprachigkeitsproblematik (Ústí), kontrastive Linguistik im Bereich Grammatik und Idiomatik (Prag, Translatologie), Korpuslinguistik (Opava, Ostrava, Brno), Sozio- und Psycholinguistik (Liberec), Sprachlehr- und Sprachlernforschung (Brno). Häufig werden Kooperationen mit Instituten in Bayern, Sachsen oder Österreich für grenzüberschreitende regionalgeschichtliche literatur-, sprach- und kulturwissenschaftliche Forschungsfelder oder gemeinsame Studienangebote genutzt (z.b. mit Regensburg, Bayreuth, Frankfurt/Oder, Zittau, Chemnitz, Wien, Graz). Dem stehen großräumige Vernetzungen etwa durch Erasmus-Mundus-Studiengänge z.b. im Bereich der Mediävistik gegenüber (Olomouc, Bremen, Palermo, Porto). Zu den Besonderheiten der tschechischen Germanistik zählt darüber hinaus das Prager Institut für Translatologie, das sich 1963 gegründet und mit über 400 Studierenden eines der größten Institute in der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität als einzige Hochschuleinrichtung in der Tschechischen Republik ausschließlich mit der Ausbildung von Dolmetschern und Übersetzern sowie translatologischen Fragestellungen beschäftigt, wobei literaturwissenschaftliche Forschungsfelder vor allem in den Bereichen Übersetzungskritik und -geschichte zum Tragen kommen. Ein neuer ab 2010/11 akkredierter Studiengang steht zudem deutschen Muttersprachlern offen. Daneben ist der MŠMT, URL: http://www.msmt.cz/vzdelavani/prehled-vysokych-skol, http://www.csvs.cz/csvs_dokumenty.shtml. 11 Ich übernehme hier die Kategorien von Šrámková: Bohemistika, 2004, S. 4.

Lehrstuhl für deutsch-österreichische Territorialstudien im Institut für internationale Studien der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität mit seinen deutschsprachigen Doppel-Diplom-Studienangeboten hervorzuheben. Die Deutschlehrerausbildung wird zunehmend ersetzt oder ergänzt durch ein Lehrangebot in den Bereichen interkulturelle Germanistik (Ústí, Pardubice), Übersetzerausbildung (Ostrava, Brno), Wirtschaftsdeutsch (Ostrava, Olomouc, auch an Wirtschaftsuniversitäten und -fakultäten angeboten) oder durch kulturgeschichtliche deutsch-österreichische interkulturelle (Plzeň) bzw. europäische territoriale Studien bezogen auf Tschechien und die deutschsprachigen Länder (České Budějovice, Philosophische Fakultät 12 ). Zwar wird in der durchgeführten Umfrage allgemein bedauert, dass sich das Gemeinsame der deutschen Sprache und Literatur in den Teildisziplinen zunehmend verliert, doch betonen die Befragten auch die Notwendigkeit der Verbindung zwischen Literatur- und Sprachwissenschaft, besonders für die Lehre. Interessanterweise wird dabei gerade das solide philologische Handwerk als methodische Grundlage hervorgehoben und gegenüber den anwendungsbezogenen oder modischen Trends wie Medienwissenschaften verteidigt. Einen bewussten Akzent gegenüber dem Englischen als lingua franca der Wissenschaft und ein Bekenntnis zum Deutschen als Kultursprache im mitteleuropäischen Raum setzt der neue Masterstudiengang Deutsch als Sprache der Geisteswissenschaften in Olomouc. Große Aufmerksamkeit wird vor allem an kleineren Standorten der institutionalisierten Studenten- und Dozentenmobilität durch (momentan fünf) Germanistische Institutspartnerschaften, Erasmusverträge, Doppeldiplomabkommen oder Hochschulpartnerschaften gewidmet, 13 wobei aber ein Wunsch der Institute in Grenznähe (Pardubice, Liberec) das unkomplizierte Absolvieren einzelner Module in Deutschland oder Österreich häufig an den Kosten und an der Anerkennungsbürokratie scheitert. Nicht umsonst befasst sich 2010 der Kongress der Tschechischen Germanisten mit der Situation nach der Bologna-Reform. 14 12 Die in Budweis bisher an der Pädagogischen Fakultät angesiedelte Germanistik wird momentan aufgeteilt. Ein Teil soll in Zukunft in einem neuen Institut an der Philosophischen Fakultät angesiedelt werden. Seit 2008 werden Territorialstudien mit politologischen, kulturgeschichtlichen, juristischen, ökonomischen und germanistischen Studienanteilen an dieser Fakultät im Institut für europäische Territorialstudien in Zusammenarbeit mit der Universität Passau angeboten URL: http://www.ff.jcu.cz/structure/departments/uets/. 13 Jede tschechische Hochschule unterhält Abkommen mit ausländischen Hochschulen, darunter stets auch mit deutschen Universitäten. Die HRK verzeichnet allein 365 Kooperationen mit Tschechien auf Hochschulebene, die tatsächliche Anzahl auf Instituts- oder Programmebene dürfte wesentlich höher sein. Siehe HRK Hochschulkompass, URL: http://www.hochschulkompass.de/internationalekooperationen/kooperationen-nach-staaten.html. 14 http://www.svazgermanistu.cz/.

Auch wenn allgemein die Mobilität der eher bodenständigen tschechischen Studierenden mit 2-3 % im Gegensatz zu anderen Ländern eher langsam ansteigt, geht doch immerhin ein Drittel aller Studenten nach Deutschland. 15 Unter den Germanisten messen alle Befragten dem Austausch und der internationalen Vernetzung große Bedeutung bei. Weniger attraktive Germanistik-Standorte suchen jedoch häufig leider vergebens Erasmuspartner im deutschsprachigen Ausland. Dabei böten sich gerade für deutsche Institute mit einem Schwerpunkt im Bereich der Prager deutschen Literatur, Übersetzungswissenschaft oder Mehrsprachigkeitsforschung in Tschechien interessante Kooperationsmöglichkeiten an. IV. Übersicht der germanistischen Institute in alphabetischer Folge und ihre Partnerschaften mit Hochschulen im deutschsprachigen Ausland: 1. Masarykova univerzita Brno/ Brünn - Institut germanistiky, nordistiky a nederlandistiky (Filozofická fakulta) 16 - Chemnitz, Frankfurt/Oder, Gießen, Leipzig, Magdeburg, Regensburg, Zittau 2. Masarykova univerzita Brno/ Brünn - Katedra německého jazyka a literatury (Pedagogická fakulta) 17 - Anadolu, Bremen, Dresden, Freiburg, Göttingen, Graz, Greifswald, Halle, Heidelberg, Hildesheim, Jena, Kärnten, Kassel, Magdeburg, Regensburg, Tübingen, Wien 3. Jihočeská univerzita České Budějovice/ Budweis - Katedra germanistiky (Pedagogická fakulta) 18 - Augsburg, Bern, Braunschweig, Freiburg, Jena, Linz, Oldenburg, Passau, Regensburg, Salzburg 4. Univerzita Hradec Králové/ Königgrätz - Katedra německého jazyka a literatury (Pedagogická fakulta) 19 - Bern, Dresden, Eichstätt, Freiburg, Graz, Leipzig, Oldenburg 15 Daneben sind die USA, Großbritannien und Frankreich wichtige Zielländer. In der Erasmusstatistik bleibt Deutschland auch weiterhin mit Abstand das beliebteste Zielland. NAEP Národní agentura pro evropské vzdělávací programy [Nationale Agentur für europäische Bildungsprogramme], URL: http://www.naep.cz/index.php?a=view-project-folder&project_folder_id=60&; http://www.wissenschaftweltoffen.de/daten/4/5/1. 16 URL: http://www.phil.muni.cz/german/nemcina.htm. 17 URL: http://www.ped.muni.cz/wger/. 18 URL: http://www.pf.jcu.cz/stru/katedry/nj/index.phtml. 19 URL: http://www.uhk.cz/pdf/1089/p16.

5. Technická univerzita Liberec/ Reichenberg - Katedra německého jazyka (Fakulta přírodovědně-humanitní a pedagogická) 20 - Dresden, Freiburg, Klagenfurt, Schwäbisch Gmünd, St. Gallen, Wien/Krems, Zittau 6. Univerzita Palackého Olomouc/ Olmütz - Katedra germanistiky a nederlandistiky (Filozofická fakulta) 21 - Bamberg, Berlin, Dresden, Graz 7. Univerzita Palackého Olomouc/ Olmütz - Katedra německého jazyka (Pedagogická fakulta) 22 - Bayreuth, Heidelberg, Innsbruck, Wien 8. Slezská univerzita Opava/ Troppau - Ústav cizích jazyků Oddělení germanistiky (Filozoficko-přírodovědecká fakulta) 23 - Aachen, Dresden, Graz, Linz, Würzburg 9. Univerzita Ostrava/ Ostrau - Katedra germanistiky (Filozofická fakulta) 24 - Dresden, Erfurt, Erlangen/Nürnberg, Graz, Jena, Würzburg, Zittau, Zwickau 10. Univerzita Pardubice/ Pardubitz - Katedra cizích jazyků (Filozofická fakulta) 25 - Bayreuth, Braunschweig, Chemnitz, Fulda, Jena, Leipzig, Münster, Passau, Zittau 11. Západočeská univerzita v Plzni/ Pilsen - Katedra aplikované germanistiky a slavistiky (Filozofická fakulta) 26 - Bayreuth, Chemnitz, Freiburg, Heidelberg, Regensburg, Würzburg, Zittau/Görlitz 12. Západočeská univerzita v Plzni/ Pilsen - Katedra německého jazyka (Pedagogická fakulta) 27 - Chemnitz, Regensburg 13. Univerzita Karlova v Praze/ Prag - Ústav germánských studií - Germanistika (Filozofická fakulta) 28 - FU Berlin, HU Berlin, Bochum, Graz, Heidelberg, Köln, Konstanz, Leipzig, Passau, Zittau/Görlitz 20 URL: http://knj.fp.tul.cz/novyweb/index.php. 21 URL: http://www.germanistika.cz/. 22 URL: http://knj.upol.cz/. 23 URL: http://www.fpf.slu.cz/ustavy/ustav-cizich-jazyku. 24 URL: http://ff.osu.cz/kge/. 25 URL: http://www.upce.cz/ff/kcj.html. 26 URL: http://www.kag.zcu.cz. 27 URL: http://zcu.cz/fpe/knj. 28 URL: http://german.ff.cuni.cz/.

14. Univerzita Karlova v Praze/ Prag - Ústav translatologie (Filozofická fakulta) 29 - (deutsche Abteilung:) Graz, Mainz, Wien, Zittau/Görlitz 15. Univerzita Karlova v Praze/ Prag - Katedra germanistiky (Pedagogická fakulta) 30 - Bamberg, Berlin, Bielefeld, Bonn, Braunschweig, Dresden, Frankfurt/Main, Freiburg, Hamburg, Heidelberg, Konstanz, Leipzig, Linz, Mannheim, München, Regensburg, Saarbrücken, Wien 16. Univerzita Karlova v Praze/ Prag - Institut mezinárodních studií Katedra německých a rakouských studií (Fakulta sociálních věd) 31 - Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig, Marburg, Münster, Regensburg, Salzburg 17. Univerzita J. E. Purkyně v Ústí nad Labem / Aussig a.d. Elbe - Katedra germanistiky (Pedagogická fakulta) 32 - Bamberg, Bayreuth, Chemnitz, Dortmund, Dresden, Hannover, Karlsruhe, Leipzig, Linz, Wien, Zittau/Görlitz Wichtige Verbände: SG ČR - Svaz germanistů v České republice 33 (Germanistenverband). SGUN - Spolek germanistů a učitelů němčiny 34 (Deutschlehrerverband) MEDEUS - Asociace metodiků německého jazyka 35 (Fortbilderverband für Deutsch als Fremdsprache) V. Zur Situation der deutschen Sprache in der Tschechischen Republik Seit die tschechische Bildungspolitik das Englische als erste Fremdsprache in den Grundschulen favorisiert und die Schulrektoren diese Empfehlung des Ministeriums zunächst sehr strikt umgesetzt haben, sind die Deutschlernerzahlen in den letzten Jahren merklich zurückgegangen. Zwar behauptete das Deutsche im Jahr 2009 mit knapp 365 000 Lernern gegenüber 1 050 000 Englischlernern an den Schulen den Rang der wichtigsten 29 URL: http://utrl.ff.cuni.cz/. 30 URL: http://german.ff.cuni.cz/ 31 URL: http://ims.fsv.cuni.cz/. 32 URL: http://kgerff.ujepurkyne.com/. 33 URL: http://www.svazgermanistu.cz/index_de.asp. 34 URL: http://www.sgun.cz/. 35 URL: http://www.medeus.cz.

zweiten Fremdsprache vor dem Französischen (51 500) und Russischen (35 630), 36 doch beginnt das Erlernen zunehmend erst in der 7. Klasse, während die erste Fremdsprache spätestens in der 3. Klasse angeboten wird. Daher geht mit der abnehmenden Intensität des Deutschunterrichts auch der Bedarf an Pädagogen zurück, was sich nicht letztlich im Lehramtsstudium niederschlägt. Dieser geringere Bedarf wird noch verschärft durch eine Umstrukturierung des Schulnetzes, die nach 2004/05 eine Reduktion der Grund- und Mittelschulen und damit eine Reduktion des Lehrpersonals zur Folge hatte. Trotz der zahlreichen Schulen mit erweitertem Deutschunterricht macht sich das allgemein niedrigere Sprachniveau der Studienbewerber bereits an den Universitäten bemerkbar, obwohl die Studierendenzahlen der germanistischen Studiengänge insgesamt nur unwesentlich zurückgegangen sind. 37 Im Ausgangssprachniveau der Bewerber fällt jedoch - nach Aussage der befragten Hochschullehrer - das solide Mittelfeld weg, während die Schere zwischen den nach wie vor sehr guten Bewerbern, die auf C1-Niveau beginnen, und solchen mit geringen Kenntnissen weiter auseinander geht. Daher wird befürchtet, dass manche Germanistiken zu reinen Fremdspracheninstituten werden könnten oder zumindest die Curricula dem größeren Bedarf an sprachpraktischen Anteilen angepasst werden müssten. Während sich anwendungsbezogene Studiengänge noch hoher oder steigender Beliebtheit erfreuen, 38 reagieren andere Institute bereits mit der Abschaffung der im tschechischen Hochschulwesen üblichen Aufnahmeprüfungen als Qualitätskontrolle. 39 Dadurch steigen zwar die für die Mittelzuweisung der Hochschulen so wichtigen Studienanfängerzahlen, aber auch die Abbrecherzahlen nach dem ersten Studienjahr. 36 Gesamtschülerzahl 2009 absolut in der Tschechischen Republik: 1.685.496, Gesamteinwohnerzahl: ca. 10,51 Mio. Demgegenüber lernten 2003/04 noch 526.638 Schüler Deutsch und 869.355 Englisch. Quelle: Ústav pro informace ve vzdělavání (im Folgenden ÚIV), veröffentlicht teilweise in: Statistische Erhebungen - Netzwerk Deutsch, 2010, URL: http://www.diplo.de/diplo/de/aussenpolitik/kulturdialog/dsdi/publikationen.html. Der prozentuale Anteil der Deutschlerner an der Gesamtbevölkerung ist damit von 5,54% im Jahr 2005 auf knapp 4,00% 2008 gefallen. Zum Vergleich: Polen 6,23%, Slowakei 6,11%, Ungarn 5,05%. Der Rückgang hat allerdings u.a. demographische Gründe. Außer in Polen sind die Zahlen in allen MOE-Staaten gesunken. Eine starke Abnahme zugunsten des Englischen zeichnet sich im Grundschulbereich ab, während der Anteil des Deutschen in den weiterführenden Schulen nur leicht abnimmt. 37 2009 Gesamtzahl aller Studierenden 375.047 (ÚIV), davon geschätzte Zahl der Germanistik-Studierenden in allen Studiengängen 3450 (ÚIV, DAAD). 38 Beispielsweise waren es 2010 in der Prager Translatologie im Fach Deutsch ca. 10 Bewerber pro Studienplatz, wobei bewusst unterhalb der Kapazitätsgrenzen immatrikuliert wird, um das hohe Sprachniveau zu halten. 39 Quelle: Na vysokou školou i bez přijímaček [Studieren auch ohne Aufnahmeprüfungen], in: Lidové noviny v. 16.2.2009, S. III-V; Školy, kterým stačí NZK [Hochschulen, denen die Nationale Feststellungsprüfung ausreicht], ebda, S. VI, ebenso URL:http://www.scio.cz.

Allerdings geht man allgemein von der Prognose aus, dass die Englisch-Euphorie spätestens 2012/13 überwunden sein wird. Zwar wollten nur wenige der Befragten dem Deutschen als Wissenschaftssprache gegenüber dem Englischen - abgesehen von den Fächern Philosophie, Soziologie oder Geschichte - eine dauerhafte Zukunft zugestehen doch wiesen alle die Frage, ob Germanisten auf Englisch publizieren sollten, z.t. weit von sich. Dabei besteht ein Grund für die geringe Wahrnehmung der tschechischen germanistischen Forschung durch die deutsche Germanistik sicherlich auch darin, dass die auf Tschechisch publizierten Ergebnisse nicht rezipiert werden können (was umgekehrt natürlich genauso für die deutsche Bohemistik gilt). Gegenüber den sinkenden Schülerzahlen blieben die Lernerzahlen im Erwachsenenalter, etwa im Fort- und Weiterbildungsbereich mindestens konstant, in den Universitäten sind sie im studienbegleitenden DaF-Unterricht 40 und im fachsprachlichen Angebot besonders in den Bereichen Wirtschaft, Technik, Rechtswissenschaften und Landwirtschaft sogar gestiegen. Sichtbar wird dieser Bedarf auch an einer weiteren Zunahme fachbezogener deutschsprachiger Studienangebote, die zahlreiche Universitäten und Privathochschulen einführen. Auch die wieder verstärkte Einführung von Deutschangeboten im Vor- und Grundschulbereich 41 scheint auf einen neuen Trend hinzudeuten. Dies ist nicht zuletzt auf die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit den deutschsprachigen Ländern zurückzuführen. Denn das Interesse der deutschen und der österreichischen Wirtschaft an Tschechien ist nach wie vor groß. Seit 1993 flossen über 70 Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen nach Tschechien, davon stammten etwa 26% aus Deutschland, das dadurch zum wichtigsten Handelspartner der sehr exportorientierten tschechischen Wirtschaft wird. Derzeit sind ca. 1.500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in Tschechien ansässig. Auch in der Wirtschaftskrise können Absolventen der technischen Universitäten besonders in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern mit einem direkten Zugang zum Arbeitsmarkt rechnen, wenn sie Deutschkenntnisse nachweisen können, so dass gerade im postgradualen Bereich ein Bedarf an geeigneten fachsprachlichen Kursangeboten entsteht. Spezielle Agenturen befassen sich allein mit der Vermittlung von Führungskräften für deutsche 40 Die Zahl der Deutschlernenden im studienbegleitenden DaF-Unterricht an den Hochschulen ist von 36.035 im Jahr 2005/2006 auf 38.819 im Jahr 2008/2009 gestiegen. Quelle: ÚIV, vgl. auch URL: http://www.diplo.de/diplo/de/aussenpolitik/kulturdialog/dsdi/publikationen.html. 41 Aussage ZfA.

Unternehmen, 42 und größere Firmen bieten in der Regel Aus- und Weiterbildungsprogramme für ihre Mitarbeiter an. Die Volkswagengruppe hat im Jahr 2000 am Stammsitz der Škoda Auto-Werke in Mladá Boleslav eine eigene Hochschule gegründet, 43 und der größere Bedarf an Weiterbildungsmöglichkeiten im Managementbereich lässt sich auch an den verstärkten Marketingaktivitäten deutscher Wirtschaftshochschulen in Tschechien ablesen. Diesem Trend versuchen Germanistik- Standorte mit zusätzlichen Angeboten in den Bereichen Unternehmenskommunikation, interkulturelle Germanistik oder Wirtschaftsdeutsch entgegenzukommen. Und selbst für die klassische philologische Ausbildung wirbt die Prager Germanistik auf ihrer Website mit einem Zeitschriftenartikel zum Arbeitsmarkt unter der Schlagzeile Znalosti němčiny se platí zlatem 44 [Deutschkenntnisse werden mit Gold aufgewogen]. VI. Förderung der deutschen Sprache Natürlich unternehmen die Kulturmittler der deutschsprachigen Länder große Anstrengungen, um dem auf den ersten Blick sinkenden Interesse an der deutschen Sprache im Land selbst entgegenzuwirken. Aus deutscher Sicht liegt traditionell ein Schwerpunkt des kulturellen Austauschs in den sogenannten MOE-Ländern (Mittel- und Osteuropa), da hier nach wie vor prozentual zur Einwohnerzahl die höchsten Deutschlernerzahlen weltweit verzeichnet werden und die wissenschaftlichen Verflechtungen aus historischen Gründen besonders eng sind. In der bundesdeutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist die Förderung der deutschen Sprache ein Instrument der langfristigen Bindung von zukünftigen Spitzenkräften, um so den Wirtschafts-, Wissenschafts- und Studienstandort Deutschland zu stärken. Die Arbeitsbereiche der Mittlerorganisationen des Auswärtigen Amtes - Pädagogischer Austauschdienst (PAD), Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA), Goethe-Institut, Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) werden seit Anfang des Jahres 2010 unter dem Oberbegriff Netzwerk Deutsch - früher Ständige Arbeitsgruppe Deutsch als Fremdsprache (StADaF) zusammengefasst und durch viele regionale Aktivitäten im Rahme der Initiative Deutsch Sprache der Ideen begleitet. 45 42 Quellen: Statistisches Bundesamt: Außenhandel. Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden 2009; DTIHK, URL:http://tschechien.ahk.de/publikationen/verzeichnis-deutscher-unternehmen-in-tschechien/. 43 URL: http://new.skoda-auto.com/company/com/savs/about/basic/pages/basic.aspx. 44 URL: http://german.ff.cuni.cz/pmwiki/pmwiki.php/germanistika/motivace. 45 URL: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/aussenpolitik/kulturdialog/dsdi/uebersicht.html.

Neben dem Österreichischen Gymnasium und der Deutschen Schule Prag (DSP), die als deutsche Auslandsschule seit 2001 auch einen sog. Begegnungszweig, ein achtjähriges Gymnasium mit deutschem Abitur, aufweist, neben den bilingualen Gymnasien und DSD- Schulen, sind besonders die vom Goethe-Institut betreuten sog. FIT-Schulen (Schulen, an denen Deutschunterricht auf- bzw. ausgebaut wird) und PASCH-Schulen (Partnerschul- Initiative) hervorzuheben, deren Zahl in Tschechien auf mittlerweise 32 gestiegen ist. Schüleraustauschprogramme werden zudem vom deutsch-tschechischen Koordinierungszentrum für den Jugendaustausch Tandem organisiert. 46 Umgekehrt wird auch auf der deutschen Seite der Austausch von Bildungsangeboten gefördert, etwa in Kindergärten der bayerisch-tschechischen und die sächsisch-tschechischen Grenzregion, die Tschechisch-Unterricht schon im Vorschulalter anbieten, oder in bilateralen Kooperationen, die Themen aus der gemeinsamen deutsch-tschechischen Vergangenheit aufgreifen. Grenzüberschreitenden Unterricht in bilingualen Klassen mit deutschtschechischem Bildungsgang bietet darüber hinaus das Gymnasium in Pirna. Aus den vielfältigen Aktivitäten des Prager Goethe-Instituts, das, 1990 gegründet, als Regionalinstitut auch die Arbeit der Kulturinstitute in Estland, Lettland, Litauen, Polen koordiniert, 47 sei besonders das ab September 2010 geplante Wettbewerbsprojekt Helle Köpfe hervorgehoben, in dem innovative naturwissenschaftliche Schülerprojekte ausgezeichnet werden sollen, um auf den Studienstandort Deutschland aufmerksam zu machen. Auf Hochschulebene wird die deutsche Sprache vor allem durch die entsandten Österreich- und DAAD- Lektoren gefördert. Der DAAD unterhält in Tschechien 14 Hochschullektorate, 4 Sprachassistenzen und ab 2010/11 eine Langzeitdozentur im germanistischen Institut der Karlsuniversität. Dies ist, verglichen mit anderen Regionen, eine bezogen auf die Einwohnerzahl wohl größte Dichte an Lektoraten mit breiter fachlicher Differenzierung, die nicht nur den Bereich DaF abdeckt, sondern auch germanistische Sprach- und Literaturwissenschaft, Wirtschaftsdeutsch, Deutsches Recht, Übersetzungswissenschaften und weltweit einmalig Mediävistik. Darüber hinaus wird die Bildungsmobilität der Region schon seit Beginn der 1960er Jahre in einem vielfältigen Stipendienangebot gefördert, das neben Hochschulsommerkursen, Abschlussstipendien für Germanisten, Künstlerstipendien und Studienreisen auch Forschungs- und Studienaufenthalte bis hin zu dreijährigen Promotionen umfasst, wobei derzeit von den jährlich ca. 55.000 durch den DAAD Geförderten über 1000 aus 46 URL: http://www.tandem-org.de/start.php. 47 URL: http://www.goethe.de/ins/cz/pra/deindex.htm.

Tschechien kommen (sämtliche Programme einbezogen). Ausdruck der besonderen Bedeutung dieses regionalen Schwerpunkts war im Jahr 2000 die Gründung des Prager DAAD-Informationszentrums, das im Wintersemester 2010 eine breit angelegte landesweite Veranstaltungsreihe mit Tagungen, Informationsveranstaltungen, Workshops und Messeauftritten durchführen wird. 48 VII. Deutsche Literatur und literarisches Leben Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung der neueren deutschsprachigen Literatur spielt die Arbeit der Kulturinstitute. Lesungen deutscher, österreichischer und schweizerischer Autoren sind stets sehr gut besucht. 49 Deutschsprachige Literatur nimmt einen sichtbaren Platz ein im Rahmen lokaler oder überregionaler Veranstaltungen wie Noc literatury [Nacht der Literatur], Festival spisovatelů [Festival der Schriftsteller], der Buchmesse Svět knihy [Welt des Buchs], in der Langen Nacht der kurzen Texte in Brno oder beim deutsch-tschechischen Poetry-Slam in Ústí nad Labem sowie darüber hinaus in den vielfältigen Veranstaltungen z.b. des Adalbert-Stifter-Vereins, 50 der Kafka-Gesellschaft 51 und des Prager Literaturhauses, das sich um das Erbe der eher unbekannten deutschsprachigen Autoren bemüht, Stipendien an junge Autoren vergibt und neben Lesungen und Ausstellungen auch literarische Wanderungen an die Orte der deutschen Literatur veranstaltet. 52 Daneben fördert beispielsweise das Goethe-Institut Übersetzungen deutscher Literatur ins Tschechische. 53 Allgemein ist jedoch die soziale Situation der literarischen Übersetzer u.a. aufgrund der im internationalen Vergleich rechtlich fragwürdigen Form der Honorarverträge in Tschechien wesentlich schlechter als in anderen europäischen Staaten. 54 Literaturkritik findet ein Forum in Zeitschriften wie Tvar, Literární noviny oder Plav, und selbst politische Magazine wie Respekt oder Reflex sowie die Wochenendrubriken der überregionalen großen Tageszeitungen Lidové noviny und MFDnes rezensieren regelmäßig deutsche Literatur, die übersetzt auf dem tschechischen 48 URL: http://www.daad.cz/. 49 2009 im Goethe-Institut z.b. Marcel Beyer, Julia Franck, Kathrin Schmidt, Ingo Schulze, Wolf Biermann, Uwe Tellkamp, Martin Walser, Joachim Fest, 2010 u.a. Jan Wagner, Sven Regener, Hans Magnus Enzensberger. 50 URL: http://www.stifterverein.de/de/startseite.html. 51 URL: http://www.franzkafka-soc.cz. 52 URL: http://www.prager-literaturhaus.com. 53 Seit Beginn des Programm im Jahre 2003sind bereits 85 Titel erschienen. 54 In der vergleichenden Studie der Assoziation literarischer Übersetzer (CEATL) von 2008 bilden die tschechischen Übersetzer das Schlusslicht in der europäischen Einkommensstatistik. Alena Lhotová: Jak se žije literárnímu překladateli v Evropě? In: Biblio, 12, 2008, S. 14-15.

Buchmarkt erscheint. 55 Großereignissen wie der Frankfurter oder Leipziger Buchmesse werden Sonderausgaben gewidmet. 56 Darüber hinaus sind Literaturforen wie das von der Dozentin und Publizistin Jovanka Šotolová begründete Webportal ilteratura.cz, 57 das auch jungen Absolventen der Germanistik oder Translatologie eine Möglichkeit zur Veröffentlichung bietet, sehr beliebt. Doch auch wissenschaftliche Tagungen sprechen bewusst ein breiteres Publikum an wie etwa die u.a. von der Germanistik in Ústí n.l. 2010 veranstaltete Urzidil-Konferenz, der Welt-Kongress Translating Beyond East and West des Instituts für Translatologie, die Tagung Wertung und Kanonisierung anlässlich der Herausgabe von Kindlers Literatur Lexikon oder die in Kooperation mit dem germanistischen Institut der Karlsuniversität 2010 veranstaltete Kafka-Konferenz in Prag. Abgesehen vom Buchmarkt bieten nicht zuletzt die vom Goethe-Institut geförderten deutschen Bibliotheken in Prag, Brno, Liberec, Olomouc, Ostrava und Pilsen direkten Zugang zu deutschsprachiger Literatur. Stand: 15. Juni 2010 Dr. Astrid Winter ist Leiterin des tschechischen DAAD-Informationszentrums und DAAD-Lektorin am Institut für Translatologie der Karlsuniversität Prag. DAAD-Informationszentrum Prag c/o Goethe-Institut Masarykovo nábřeží 32 CZ - 110 00 Prag 1 Tschechische Republik winter@daad.cz 55 Beispielsweise aktuell die Übersetzung Herta Müller: Cestovní Pas (dt. Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt) von Radka Denemarková (MFDnes, příloha Víkend, 5.6.2010, S. 29). Polen, Tschechien und China führen in der Vergabestatistik von Lizenzen für Übersetzungen aus dem Deutschen. 56 Biblio 3-4, 2010. 57 URL: http://www.iliteratura.cz/.