Zweifel an der Kostenpauschale



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Transkript:

econstor www.econstor.eu Der Open-Access-Publikationsserver der ZBW Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft The Open Access Publication Server of the ZBW Leibniz Information Centre for Economics Krause-Junk, Gerold Article Zweifel an der Kostenpauschale Wirtschaftsdienst Suggested citation: Krause-Junk, Gerold (2003) : Zweifel an der Kostenpauschale, Wirtschaftsdienst, ISSN 0043-6275, Vol. 83, Iss. 11, pp. 732-735, http:// hdl.handle.net/10419/42074 Nutzungsbedingungen: Die ZBW räumt Ihnen als Nutzerin/Nutzer das unentgeltliche, räumlich unbeschränkte und zeitlich auf die Dauer des Schutzrechts beschränkte einfache Recht ein, das ausgewählte Werk im Rahmen der unter http://www.econstor.eu/dspace/nutzungsbedingungen nachzulesenden vollständigen Nutzungsbedingungen zu vervielfältigen, mit denen die Nutzerin/der Nutzer sich durch die erste Nutzung einverstanden erklärt. Terms of use: The ZBW grants you, the user, the non-exclusive right to use the selected work free of charge, territorially unrestricted and within the time limit of the term of the property rights according to the terms specified at http://www.econstor.eu/dspace/nutzungsbedingungen By the first use of the selected work the user agrees and declares to comply with these terms of use. zbw Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Leibniz Information Centre for Economics

Gerold Krause-Junk Zweifel an der Kostenpauschale In der wissenschaftlichen Diskussion über die Finanzierung des Gesundheitswesens befürworten viele Ökonomen einkommensunabhängige Kopfpauschalen. Welche Argumente sprechen für Kopfpauschalen? Welche Vorteile hätten einkommensabhängige Beiträge zur Krankenversicherung? Wie ist eine Finanzierung der Krankenversicherung aus dem Steueraufkommen zu beurteilen? Eine Standard-(Grund-)Versorgung mit Gesundheitsleistungen liegt nicht nur im individuellen Interesse jedes einzelnen Bürgers, sondern ist auch gesellschaftlich unverzichtbar. Grundsätzlich könnte diese Standardversorgung aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden. Doch die bessere Transparenz und auch andere, noch zu erörternde Gründe sprechen eher für eine eigenständige Finanzierung über eine gesetzliche Versicherung. Dieser Versicherung sollten alle Bürger angehören. Zwar lässt sich vertreten, dass wohlhabende Bürger nicht zwangsversichert zu werden brauchten, da sie anfallende Gesundheitskosten gegebenenfalls auch selbst tragen könnten. Doch erstens können auch Standardleistungen nicht zuletzt dank des medizinischen Fortschritts sehr kostspielig werden. Zweitens können Bürger ihren Wohlstand rasch einbüßen und müssten im Krankheitsfall ohne entsprechenden Versicherungsschutz am Ende doch von der Gemeinschaft alimentiert werden. Drittens ist jede Trennung zwischen Versicherungspflichtigen und Nichtversicherungspflichtigen außerordentlich problematisch und grenzt wie die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zeigt in der Praxis geradezu an Willkür. So werden Pflichtversicherungsgrenzen offenbar unter rein fiskalischen Erwägungen gezogen und verändert; als ebenso willkürlich muss eine Abgrenzung der Versicherungspflicht nach der Einkunftsart, in der ein Bürger sein Einkommen erwirtschaftet, oder gar innerhalb einer Einkunftsart nach bestimmten Berufsgruppen, beurteilt werden. Schließlich ist jede Trennung zwischen Pflicht- und Nichtpflichtversicherten schon aus pragmatischen Gründen abzulehnen. Man denke in diesem Zusammenhang nur einmal an die Gestaltungen, mit denen sich Bürger der Versicherungspflicht in der GKV zu entziehen oder umgekehrt die Mitgliedschaft in der GKV zu erschleichen versuchen. Versicherungsprämien bei einer marktwirtschaftlichen Lösung Bei einer allgemeinen Versicherungspflicht stellt sich die Frage nach der Beitragsregelung. Manches spricht dafür, die Beitragshöhe analog etwa zur gesetzlichen Kfz-Haftpflichtversicherung dem Markt zu überlassen. Das ist im Prinzip das Modell der so genannten Kostenpauschale (Kopfpauschale), nach dem jedermann von möglichen speziellen Risikofaktoren abgesehen den gleichen Beitrag, also gewissermaßen den Marktpreis, zahlt. Versicherer, die die Standardleistungen finanzieren, könnten ihre Prämien selbst bestimmen. Im Wettbewerb obsiegen die kostengünstigsten und leistungsstärksten Versicherer zum Wohle der Versicherten. Auf der anderen Seite hätte diese marktwirtschaftliche Lösung zur Folge, dass viele Bürger insbesondere große Familien, Einkommensschwache und Krankheitsanfällige Prämien zahlen müssten, die ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigen. Diese Bürger könnten sich nicht wie etwa bei der gesetzlichen Kfz-Haftpflichtversicherung mit ihrem Konsumverhalten anpassen; denn der einzelne Bürger weiß das gebotene Maß an Standardgesundheitsleis- 732 Prof. Dr. Gerold Krause-Junk, 66, lehrte bis zu seiner Emeritierung Finanzwissenschaft am Institut für Ausländisches und Internationales Steuerwesen der Universität Hamburg und ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. 1 Insofern lässt sich die Standardversorgung mit Gesundheitsleistungen als öffentliches Gut vom Typ der meritorischen Güter verstehen. Wegen ihrer starken, nicht ausschließbaren externen Effekte zählen (Standard-)Gesundheitsleistungen aber auch zu den reinen öffentlichen Gütern. Der geradezu klassische Fall ist die Behandlung ansteckender Krankheiten. Wegen der wahrscheinlich hohen Nutzeninterdependenz gilt der öffentliches-gut-charakter aber auch bei anderen Gesundheitsleistungen.

tungen weder nach Umfang noch nach Struktur zu bestimmen 1. Also müsste der Staat unterstützend eingreifen und ähnlich etwa dem Wohngeld ein Gesundheitsgeld gewähren. Dieses Gesundheitsgeld wäre an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bürger zu orientieren und damit wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen, die auch der Einkommensbesteuerung zugrunde liegen. Es liegt also nahe, die Beiträge von vorneherein am Einkommen anzuknüpfen 2, anstatt einen neuen Subventionstatbestand und wohl auch eine neue Behörde zu etablieren. Schwer zu erschließen ist jedenfalls der Sinn eines politischen Konzepts, nach dem jedermann den gleichen Krankenkassenbeitrag zahlt, Einkommensschwache aber ein einkommensabhängiges Gesundheitsgeld erhalten, das wiederum aus allgemeinen Haushaltsmitteln oder, wie vorgeschlagen, einem Zuschlag zur Einkommensteuer, zu finanzieren ist 3. Befürworter der marktwirtschaftlichen Lösung verweisen nun auf zwei mögliche Vorteile: die mit der Senkung von Lohnnebenkosten verbundene Entlastung des Arbeitsmarkts und die Stimulierung von Wettbewerb unter den Versicherern. Durch die Entkoppelung von Versicherungsbeiträgen und Lohneinkommen könnten die Beschäftigung erhöht und durch den Wettbewerb der Versicherer unter fairen Bedingungen die Prämien gesenkt werden. Wie die folgenden Überlegungen zeigen, sind aber beide Vorteile auch in einem System einkommensbezogener Versicherungsbeiträge zu erreichen. Senkung der Arbeitskosten? Positive Beschäftigungseffekte könnten sich mit dem Übergang zu Kostenpauschalen aus zwei Gründen ergeben, nämlich einer Senkung der Arbeitskosten und einer Verringerung der Schwarzarbeit. Eine unmittelbare Senkung der Arbeitskosten setzt allerdings voraus, dass die entfallenden Arbeitgeberbeiträge nicht als zusätzliche Bruttolöhne an die 2 Tendenziell wird dies auch mit der so genannten Bürgerversicherung angestrebt. Allerdings gehen die bisher publizierten Vorstellungen davon aus, dass außer den in der geltenden GKV allein berücksichtigten Bruttolöhnen nur bestimmte weitere Bruttoeinkünfte (Zinsen, Mieten) heranzuziehen sind. Auch soll an einer Beitragsbemessungsgrenze festgehalten werden. Die Bürgerversicherung ist insofern ein halbherziger (und unsystematischer) Schritt zu einer Beitragsbemessung nach der Leistungsfähigkeit der Bürger. 3 Es könnte dann der Fall eintreten, dass jemand Einkommensteuer zahlt, weil er leistungsfähig ist, und Gesundheitsgeld erhält, weil er es nicht ist. Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Bei einer wie von den meisten Befürwortern der Kostenpauschalen unterstellt vollen Auszahlung hätten die Unternehmen zunächst nichts gewonnen und könnten allein darauf bauen, dass mögliche zukünftige Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge nur von den Arbeitnehmern getragen werden würden. Sicher ist dies freilich nicht, da sich jedenfalls starke Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge auch auf die Lohnforderungen auswirken dürften. Unterm Strich ist insofern also kaum mit einer die Lohnkosten senkenden Wirkung zu rechnen. Anders wäre es, wenn die Arbeitgeberbeiträge gestrichen würden, ohne die Bruttolöhne entsprechend anzuheben. De facto käme dies nämlich einer Lohnsenkung gleich. Ist man allerdings dazu bereit, brauchte man die dann allein von den Arbeitnehmern zu entrichtenden Beiträge nicht zwingend als Kostenpauschalen zu erheben, sondern könnte sie insofern mit dem gleichen Effekt auch einkommensabhängig bemessen. Freilich würde sich die De-facto-Lohnsenkung in diesem Fall gleichmäßiger verteilen, während die Kostenpauschale eindeutig zu Lasten von Beziehern niedriger Löhne ginge. Bezieher hoher Löhne könnten sich bei der Kostenpauschale trotz Wegfalls der Arbeitgeberbeiträge sogar absolut noch besser stehen. Rückgang der Schwarzarbeit? Zu einem Rückgang der Schwarzarbeit könnte es deswegen kommen, weil die mit der lohnabhängigen Bemessung der Abgaben verbundenen Anreize zur Schwarzarbeit geringer werden. Auch bei der Aufnahme regulärer Arbeit fielen ja keine zusätzlichen Beiträge mehr an. Nun muss man zwar vermuten, dass dieser den regulären Arbeitsmarkt stärkende Effekt nur sehr bescheiden sein dürfte angesichts der Bedeutung anderer, die Schwarzarbeit begünstigender Wirkungen des Abgaben-Transfersystems 4. Aber immerhin wäre die Einführung von Kostenpauschalen innerhalb der GKV so etwas wie der viel beschworene Schritt in die richtige Richtung. Freilich hat auch dieser Schluss noch einen Haken: Berücksichtigt man nämlich das oben erwähnte Gesundheitsgeld, blieben die Anreize zur Schwarzarbeit in vielen typischen Fällen unverändert. Wer sich im geltenden System durch Schwarz- statt regulärer Arbeit Krankenkassenbeiträge spart, der könnte im System der Kostenpauschalen auf die gleiche Weise 4 Weitere Motive zur Schwarzarbeit sind Unterhaltsverpflichtungen oder ansprüche sowie Überschuldungen. 733

den Verlust von Gesundheitsgeld vermeiden. Eine Grenzentzugsrate (des Gesundheitsgeldes) dürfte jedenfalls kaum anders wirken als eine Grenzabgabenrate (lohnabhängiger Beiträge). Zu einem Wechsel vom schwarzen zum regulären Arbeitsmarkt würden also insoweit nur diejenigen angeregt, die über ein so hohes Familieneinkommen verfügen, dass sie für einen staatlichen Zuschuss zu ihren Kostenpauschalen nicht in Betracht kommen (und andererseits ein Lohneinkommen unter der geltenden Beitragsbemessungsgrenze erzielen). Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger dürften jedenfalls nicht zu diesem Kreis zählen. Wenn mit dem Wechsel zu Kostenpauschalen also und sei es auch nur tendenziell der schwarz arbeitende Arbeitslose zur Aufnahme eines regulären Arbeitsverhältnisses animiert werden soll, wäre die Kostenpauschale insoweit kaum zielführend. Eher würde schon helfen, wenn die Beiträge dank einer breiteren Bemessungsgrundlage generell gesenkt werden könnten. 734 Einkommensabhängige Beiträge Auch die mögliche Stärkung des Wettbewerbs unter den Versicherern ist nicht zwingend an die Einführung von Kostenpauschalen gebunden. Vielmehr sind ähnliche, den Wettbewerb fördernde Effekte auch mit einem Modell zu erzielen, das sich in seinen Grundzügen wie folgt beschreiben lässt. Die Höhe der Versicherungsbeiträge richtet sich nach dem Einkommen des Bürgers. Die Beiträge fließen aber nicht unmittelbar an die Versicherer, sondern zunächst an eine Inkassostelle, die ihrerseits die Beiträge in Form von risikobezogenen Kostenpauschalen 5 an die Versicherer weiterleitet. Als Inkassostelle könnten die Finanzämter bzw. das Bundesamt für Finanzen fungieren. Jede öffentliche oder private Versicherung, die den Standard-Leistungskatalog anbietet und sich in dieser Beziehung dem Kontraktionszwang unterwirft, hat entsprechend der Zahl ihrer Versicherten Anspruch auf diese Kostenpauschalen. Im Wettbewerb um Kunden steht es jeder Versicherung frei, (kostenlose) Zusatzleistungen 4 Pauschal werden in diesem Fall die Einnahmen der Versicherer, nicht die Zahlungen der Versicherten bestimmt. 5 Soweit einkommenslose Familienangehörige freigestellt werden, handelt es sich also nicht wie mit Blick auf die geltende GKV immer wieder behauptet um einen speziellen Familienausgleich, sondern schlicht um die Konsequenz einer Regel, nach der (lohn-)einkommenslose Mitglieder keine Beiträge zu entrichten haben. Anderer Meinung kann wohl nur sein, wer eine GKV-Mitgliedschaft von Ehepartnern oder Kindern in Frage stellt. Dies scheint aber zumindest für (einkommenslose) Kinder abwegig. anzubieten oder Überschussbeteiligungen pauschal oder bei nur geringer Inanspruchnahme in Aussicht zu stellen. Um ihre Zahlungsfähigkeit auch bei starker Inanspruchnahme der Versicherung zu garantieren, muss sie wie im Versicherungsgeschäft üblich eine Rückversicherung abschließen. Der Gesetzgeber oder auch die Inkassostelle erkennt aus der allgemeinen Entwicklung von Zusatzleistungen und Überschussbeteiligungen bzw. der Inanspruchnahme von Rückversicherungen, ob die Beitragssätze gesenkt werden können oder erhöht werden müssen. Alternativ könnte man sich vorstellen, dass die Inkassostelle die Versicherung von Standardgesundheitsleistungen ausschreibt und die entsprechenden, jeweils zeitlich begrenzten Lizenzen nach der Höhe der geforderten Kostenpauschalen vergibt. Verliert eine Versicherung ihre Lizenz, wechselt der Versicherte zu einer anderen Versicherung seiner Wahl gegebenenfalls unter Mitnahme der für ihn gebildeten Risikorücklagen. Es versteht sich von selbst, dass es jedem Bürger unbenommen bleibt, sich über die Pflichtversicherung hinaus gegen beliebige Gesundheitsrisiken privat zu versichern. Wohlhabende Bürger mögen sogar auf eine Inanspruchnahme der durch die Pflichtversicherung abgedeckten Standardleistungen von vornherein verzichten, indem sie die Standardleistungen innerhalb umfassender Angebote privater Versicherungsunternehmen zusätzlich auch freiwillig versichern. Einwände gegen einkommensabhängige Beiträge Einkommensabhängige Beiträge werden vor allem auf zwei Einwände stoßen: Sie implizierten eine starke Umverteilung und sie duplizierten die Einkommensteuer. Bei genauerem Hinsehen erweist sich aber beides als nur bedingt stichhaltig. Es trifft zu, dass bei einer Einkommensbezogenheit von Beiträgen beitragsfrei gestellt wird, wer kein Einkommen erwirtschaftet, seien es einkommenslose Kinder, einkommenslose Ehepartner, Sozialhilfeempfänger oder andere einkommenslose Gruppen 6. Auch wer nur ein geringes Einkommen verdient, wird generell weniger einzahlen als er von der Versicherung an Leistungen erhält. Dennoch sind einkommensabhängige Beiträge nur dann als implizite Umverteilung zu interpretieren, wenn die Einkommen der Beitragszahler als gegeben betrachtet werden. Das sind sie zwar gewissermaßen

ex post, also in der jeweiligen Beitragsperiode, nicht aber ex ante, also bei Versicherungseintritt. Zu diesem Zeitpunkt weiß der einzelne Bürger genauso wenig, wie seine zukünftige Wirtschaftslage aussehen wird, wie er weiß, welche Krankheiten er erleiden wird. Der Versicherungseintritt bietet ihm also einen doppelten Schutz: Zum einen gegen die Risiken von Krankheitskosten, zum anderen gegen die Gefahr, in wirtschaftlich schwierigen Phasen seine Versicherungsprämien nicht zahlen zu können. Es liegt in der Natur einer derartigen Versicherung, dass am Ende derjenige mehr an Leistungen erhält als er an Prämien einzahlt, wer von kostenreichen Krankheiten heimgesucht wurde und wem nur ein geringes Einkommen beschieden war. Gerade darin liegt die spezielle allokative Funktion der Versicherung. Wenn die Beiträge einkommensabhängig erhoben werden, scheint es in der Tat bedenkenswert, die Versicherung von vorneherein aus der Einkommensteuer zu finanzieren. Verschiedene Aspekte sprechen aber dagegen. Wenig transparente Finanzierung Selbst wenn das Einkommensteueraufkommen partiell zweckgebunden würde, wäre diese Finanzierung doch wenig transparent. Der einzelne Bürger könnte seinen Kostenbeitrag kaum abschätzen. Auch müsste die Einkommensteuer stets auf die Kosten der Krankenversicherung Rücksicht nehmen. Schließlich enthält die geltende Einkommensteuer eine Fülle von Regeln, die nicht mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu begründen sind. Es würde nicht den geringsten Sinn machen, die Krankenversicherungsbeiträge eines Bürgers zu kürzen, nur weil er z.b. für eine Partei gespendet hat oder Sonderabschreibungen geltend machen konnte. Insofern wäre das im Sinne der Einkommensteuer zu versteuernde Einkommen für die Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge um einige Elemente zu korrigieren. Im Übrigen muss die Erhebung von Krankenkassenbeiträgen nicht nach einem progressiven Tarif erfolgen; sachgerecht wäre vielmehr ein proportionaler Tarif. In Betracht käme aber auch ein degressiver Tarif, um keine zu starken Leistungshemmnisse zu verursachen. (Wohlgemerkt: Auch der geltende Tarif der GKV ist wegen der Beitragsbemessungsgrenze und der ausschließlichen Lohnbezogenheit degressiv allerdings auf eine höchst unsystematische Weise.) Es muss offen bleiben, ob diese Argumente zugunsten eines gesonderten Ausweises der für die Finanzierung der Gesundheitsleistungen aufzubringenden Steuermittel wirklich die Nachteile aufwiegen, die mit einer derartigen Durchbrechung des Nonaffektationsprinzips verbunden sind. Auch wird mancher vom Grauen einer Vorstellung gepackt werden, dass die Einkommensteuer nicht nur wie heute mit dem Solidaritätszuschlag vielleicht mit einer ganzen Reihe von Sonderzuschlägen gespickt werden könnte, von denen einer für diesen, ein anderer für jenen guten Zweck Sondermittel sichern soll. Hält man diese Einwände für durchschlagend, sind die Standardgesundheitsleistungen eben doch wie in vielen anderen Staaten aus den allgemeinen Haushaltsmitteln zu finanzieren. Jedenfalls wäre dies noch immer vernünftiger als das oben beschriebene Nebeneinander von einkommensunabhängigen Beiträgen, einkommensabhängigem Gesundheitsgeld und Einkommensbesteuerung. Eine Haushaltsfinanzierung muss der wünschenswerten Stimulierung des Wettbewerbs nicht im Wege stehen. Auch dabei könnten nämlich wie oben beschrieben Kostenpauschalen festgelegt werden, um welche die einzelnen Versicherer mit dem Einwerben von Mitgliedern konkurrieren müssten 7. Eine Schlussbemerkung Das Hauptproblem der gesetzlichen Krankenversicherung liegt nicht in der Form der Finanzierung, sondern in der Bestimmung der zu versichernden Standardleistungen. Auch marktwirtschaftliche Finanzierungsformen machen aus den Standard- Gesundheitsleistungen noch kein marktfähiges Gut. Allerdings könnten Kostenpauschalen bewirken, dass sich politische Mehrheiten eher für eine enge als für eine weite Fassung von Standardleistungen finden. Wer darin aber ein Argument zugunsten von Kostenpauschalen zu erkennen glaubt, muss sich fragen lassen, ob er denn etwa alle öffentlichen Leistungen mit einer Kopfsteuer finanzieren möchte in der berechtigten Erwartung, dass es dann politische Mehrheiten für eine Reduktion öffentlicher Leistungen geben dürfte. Auch steht er vor einem Problem: Wie erhält man eine politische Mehrheit für eine derartige Finanzierungsregel, ohne seine Absichten zu verschleiern? 7 Alternativ käme auch hierbei eine im Wege der Ausschreibung vorzunehmende Lizenzvergabe in Betracht. 735