Vortrag bei der Betriebsversammlung des FSW, Wien, 26.4.2012, Zwischen KlientIn und Management Arbeitsbelastungen und Partizipationschancen im Gesundheits- und Sozialbereich, am Beispiel der mobilen Pflege was willst du viel mitbestimmen? Flexible Arbeit und Partizipationschancen in IT-Dienstleistungen und mobiler Pflege. Manfred Krenn (FORBA) Manfred Krenn (FORBA)
Hintergrund: Trends im Gesundheits- und Sozialbereich Ökonomisierung von (Pflege)Arbeit: interne Rationalisierung, Anwendung von Kosten-Ertrags- Kalkülen, Kostensenkung ungenügende Personalbemessung, strikte Zeitvorgaben Industrialisierung von (Pflege)Arbeit : Bürokratisierung: Zunahme von bürokrat. Kontrolle und Dokumentationsaufgaben, Standardisierung: Zerstückelung in Arbeitschritte und Zeitbemessung inhaltliche Aufspaltung: Trennung von medizinischen und sozialen Aspekten von (Pflege)Arbeit Zunehmender Technikeinsatz 2
Hintergrund: Trends im Gesundheits- und Sozialbereich Steigende Arbeitsanforderungen: Zunahme von pflegeaufwändigeren Fällen längerer Verbleib in Wohnungen, kürzerer Aufenthalt in stationären Betreuung kritischere PatientInnen: höherer Aufwand an Überzeugungsarbeit steigender Abstimmungsbedarf mit anderen Kolleginnen 3
Negative Auswirkungen von Ökonomisierung und Industrialisierung Doppelte Negierung von Subjektivität: jener der Pflegekräfte und jener der Gepflegten Beeinträchtigung der Effizienz und Effektivität von Pflegearbeit - Ursache für Störungen im Arbeitsablauf durch Widerstände der PatientInnen - Förderung von direkter oder verdeckter Gewaltanwendung um geordneten Arbeitsablauf sicherzustellen - Erzeugung von Passivität, Hilflosigkeit, Apathie statt Aktivierung sinkende Qualität der Dienstleistung 4 Erhöhung der Belastungen für Pflegekräfte Überforderung, permanenter Stress, mangelnde Erfolgserlebnisse
Arbeitsbelastungen: Personal als Ressource oder als Verschleißfaktor Pflegearbeit: hohe arbeitsimmanente körperliche und psychische Belastungen - Verstärkung durch Ökonomisierung und Industrialisierung Zeitdruck (permanenter Stress) steigende Arbeitsintensität - fehlende Erholungsspielräume Einengung des Handlungsspielraums der Pflegekräfte Überforderung: aufgerieben zwischen unrealistischen (Plan)Vorgaben und Bedürfnissen der KlientInnen (Zunahme von psychisch Kranken und Dementen) emotionale Belastung durch gestörtes Arbeitsklima 5
Lösungsstrategien der Pflegekräfte Kompensation fehlender Ressourcen und Lösung zunehmend widersprüchlicher Anforderungen : Erhöhung des individuellen Engagements in der Arbeit Ausdehnung der eigenen Belastungsgrenzen Erhöhung der Flexibilität und Abstimmung im Team: gegenseitiges Aushelfen und Einspringen Quellen: Professionalität, Verantwortung PatientInnen und Kolleginnen gegenüber Liebe zum Beruf 6
Selbstreflexion einer (möglw. anwesenden) DGKS (aus 2002/03)... irgendwo, sag ich, pfeifen wir alle aus dem letzten Loch, weil es einfach keine Personalressourcen gibt. D.h. also auch, wenn wir dringend Hilfe brauchen, wir kriegen keine.... Ja, und wir, sag ich einmal, als Gruppe sind einfach so blöd, sag ich jetzt wirklich, wir sind alle miteinander so blöd und schaffen das trotzdem immer noch, und deshalb wird sich vielleicht auch nicht wirklich was ändern.... Ja, ja, ich mein, es ist eine zweischneidige Geschichte, es ist uns total bewusst, dass wir also aufgrund unseres Engagements uns eigentlich auch selber belügen, und uns damit selber schaden, ja, weil wir es immer wieder schaffen, dann doch durch-zukommen. A20(12) - DGKS 7
Gefahr: Burn out als Folge von Belastungen Burn out Zeitdruck Überforderung Soziale Unterstützung Nutzung der eigenen Fähigkeiten + + Emotionale Erschöpfung Depersonalisation + + _ Fehlzeiten Fluktuation Qualität der Arbeit 8
Besonderheiten der Partizipationschancen in der mobilen Pflege I Individuelle Partizipation Chancen zur Selbstorganisation in mobiler Pflege höher als in stationärer mobile Pflege: dezentrale Struktur der Arbeit ermöglicht Chancen zur Selbstorganisation hohes inhaltliches Interesse der Beschäftigten an ihrer Arbeit Verteidigung gegen zunehmende Zwänge Partizipationsansprüche entlang subjektiver Kompetenzen (Arbeit mit KlientInnen) 9
Besonderheiten der Partizipationschancen in der mobilen Pflege II Mobile Arbeit als Barriere Betrieb als räumliche und soziale Einheit entscheidende Voraussetzung für betriebliche Interessenvertretung räumliche Zersplitterung, Vereinzelung in der Arbeit und sozial heterogene Belegschaften erschweren Definition gemeinsamer Interessen und Herausbildung einer Gruppenidentität Voraussetzung für Interessenhandeln und koll. Repräsentation aber noch andere Barrieren: hohe soziale Distanz zwischen Berufsgruppen, Geschlecht 10
Auswirkungen auf Partizipation Erschwerung der Ausbildung einer Arbeitskraftperspektive einerseits gegenüber KlientInnen und ihren ausufernden Bedürfnissen und Forderungen (vorwiegend alte Menschen) mit zunehmender Praxiserfahrung bzw. steigender Qualifikation leichter 11 andererseits gegenüber Management und Arbeitgeber: Abwägung zwischen Effizienzforderungen / Vorgaben und Notwendigkeiten einer qualitativ hochwertigen Pflege Legitimität von Interessen und Forderungen im Hinblick auf Nutzung der eigenen Arbeitskraft subj. Orientierungen: Widerspruch zwischen Orientierung auf KlientInnen als Personen und kollektiver Interessendurchsetzung ( derf ma des dürfen )
Instrumentalisierung subjektiver Arbeitsorientierungen durch Management Lösung des Widerspruches zwischen restriktiveren Rahmenbedingungen und Aufrechterhaltung der Qualität der DL durch Instrumentalisierung der Arbeitsorientierungen Gewährung von Spielräumen bei gleichzeitiger Reduzierung der Ressourcen Umschlagen von Gestaltungsmöglichkeiten in Mängelverwaltung Selbstorganisation von Überlastung Bewältigung des Widerspruchs wird entweder individuell oder im Team bewältigt Mob. Pflege: Entwicklung von Partizipationsansprüchen entlang von subjektiven Partizipationskompetenzen Beschränkung der Partizipationsansprüche auf unmittelbare Pflegetätigkeit Stabilisierung von Mängelverwaltung 12
Selbstorganisation von Überlastung statt Partizipation 13 Diese Entwicklung kann durchaus einen Punkt erreichen, wo die hohe subjektive Arbeitsorientierung der Pflegekräfte vom Management dazu genutzt wird, die durch fehlende Ressourcen entstehenden Lücken ohne eigenen Aufwand zu kompensieren und dennoch eine hohe Dienstleistungsqualität zu erreichen. Die Selbstorganisationspotenziale der Pflegekräfte könnten sich dann gegen sie selbst wenden, wenn ihre Verausgabung zur Aufrechterhaltung qualitativ hochwertiger Pflege unter restriktiveren Bedingungen tendenziell nur in langfristig selbstschädigender Weise möglich ist.
Geschlecht als Partizipationsbarriere Die ausgedehnte zeitliche Verfügbarkeit der Pflegekräfte, die sich (in Kombination mit geringer Personalbemessung) v.a. in kurzfristigen Änderungen im Dienstplan und damit in einer geringen Planbarkeit der Arbeitszeiten ausdrückt, erschwert die Vereinbarkeit von beruflichen Anforderun-gen und privaten Bedürfnissen und führt im Zusammenhang mit der nahezu unangetasteten Zuständigkeit für die Reproduktionsarbeiten dazu, dass den weiblichen Pflegekräften kaum Ressourcen für ein Engagement in betrieblichen Fragen bleiben, und zwar sowohl was zeitliche als auch was energiemäßige Ressourcen betrifft. 14
Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 15 www.forba.at