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Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel beim 11. Parteikonvent der SPD am 1166. Juni 22001122 in Berlin zur Einbringung des Antrags Für eine wachstumsfördernde europäische Wirtschafts- und Fiskalpolitik: Dieser Fiskalpakt greift zu kurz! Der Antrag des Parteivorstands, der Euch in der Fassung der Antragskommission vorliegt, bittet Euch um Zustimmung zu der bisherigen Verhandlungslinie der SPD in den Gesprächen und Verhandlungen mit Union und FDP über die Abstimmungen zum sogenannten Europäischen Rettungsschirm (ESM) und zu dem sogenannten Fiskalpakt. Der Rettungsschirm ESM beinhaltet Beihilfen und Bürgschaften für die Mitgliedsstaaten des Euro-Raums, die auf den Finanzmärkten keine Re-Finanzierung ihrer Kredite in Form staatlicher Anleihen zu fairen und tragbaren Konditionen und Zinsen erhalten. Vor allem vor dem Hintergrund der Verunsicherungen in Griechenland besteht immer wieder die Gefahr, dass für Staatsanleihen so hohe Risikozuschläge am Kapitalmarkt gefordert werden, dass die dabei entstehenden Zinssätze zur Zahlungsunfähigkeit ganzer Staaten führen können. Und auch die Rekapitalisierung von Banken durch Mitgliedsstaaten des Euroraums kann über den ESM erfolgen, wenn die Staaten allein diese Rekapitalisierung nicht stemmen können, eine Insolvenz der betroffenen Banken jedoch mit Kettenreaktionen unabsehbare Folgen für die Wirtschaft dieser Länder haben würde. Genau das erleben wir gerade am Beispiel Spanien. Der Rettungsschirm ESM bietet also europäische Hilfen an. Deutschlands Haftungsbeitrag dabei beträgt inzwischen weit mehr als 220000 Milliarden Euro! Erinnern wir uns einen Moment: Gestartet ist Frau Merkel und ihre Bundesregierung vor circa zwei Jahren mit der Behauptung kein Cent für Griechenland. Der Fiskalpakt ist dagegen ein europäischer Vertrag, der neben den konkreten Auflagen, die mit einer Inanspruchnahme des ESM durch einzelne Mitgliedsstaaten verbunden sind, noch einen allgemeinen Zwang zur Reduzierung staatlicher Defizite setzt. Ähnlich aber keinesfalls identisch mit der deutschen Schuldenbremse in der Verfassung. Alle europäischen Mitgliedsstaaten, die diesen sogenannten Fiskalpakt unterschreiben bzw. in den Parlamenten ratifizieren, verpflichten sich damit, ihre jährliche Nettokreditaufnahme ab frühestens 22001144 um nicht mehr als 00,55 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt steigen zu lassen. Zum Vergleich: die Schuldenbremse in der deutschen Verfassung sieht eine maximale Steigerung um 00,3355 % vor allerdings für den Bund erst ab 22001166 und anders als der Fiskalpakt ohne Kommunen und Sozialversicherungen. Die Bundesländer in Deutschland haben sich sogar zur Nettokreditaufnahme von 00 % ab 22002200 verpflichtet. Was übrigens jetzt im Rahmen der Fiskalpakt-Entscheidung dazu führt, dass die Länder unter zusätzlichen Spardruck geraten könnten: würde der Bund sein Ziel von 00,55 % bereits im kommenden Jahr erreichen, hätten die Länder keinen weiteren Spielraum für Verschuldungen, denn Bund, Länder, Kommunen und Sozialversicherungen werden bei der Berechnung der 1

00,55 % Grenze des Fiskalpaktes gemeinsam betrachtet. Die Länder müssten also ihre Sparziele drastisch erhöhen was sie nach Lage der Dinge nicht tun können. Deshalb war und ist eine der SPD-Forderungen, die Länder von weiteren Verpflichtungen durch den Bund freizustellen und übrigens auch einen Teil des kommunalen Schuldenanteils zu übernehmen, denn auch die Länder wären mit einem Ausgleich der kommunalen Schulden völlig überfordert. Man darf sich nur nichts vormachen: damit steigt der finanzielle Druck beim Bund, denn mit der Freistellung der Länder übernimmt er die volle Verpflichtung zur Einhaltung des Fiskalpakts. Angesichts wirtschaftlichen Wachstums scheint das aktuell kein Problem zu sein. Was aber passiert, wenn die Konjunktur sich wieder abschwächt? Nicht nur aus diesen, sondern auch aus prinzipiellen Gründen kann der von Frau Merkel angestrebte Fiskalpakt also in seiner jetzigen Aufstellung von uns nicht mitgetragen werden. Dem Fiskalpakt, also dem sogenannten Sparvertrag, allein werden wir deshalb gewiss nicht zustimmen. Er führt nur auf dem Papier zu weniger Schulden, in Wahrheit steigen damit sogar die Schulden, denn die Wirtschaft der Mitgliedsstaaten bricht unter einem reinen Spardikatat zusammen. Genau das erleben wir ja gerade. Wenn 2277 Mitgliedsstaaten zeitgleich ein Sparprogramm durchsetzen, kann die Folge nur die massive Verschlechterung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Entwicklung sein. Das ist eben der Unterschied zur schwäbischen Hausfrau: wenn die spart, bringt der Ehemann immer noch sein Gehalt vom Daimler mit nach Hause. Streichen Staaten ihre Haushalte zusammen, fallen sie selbst als Nachfrager ebenso aus, wie diejenigen die arbeitslos sind, niedrigere Löhne bekommen usw. Die Folge sind geringere Steuereinnahmen und statt sinkender Schulden steigen die Schulen. Wer also nur den Fiskalpakt verabschiedet, verschleudert deutsche Steuermittel für die europäischen Rettungspakete, weil sie angesichts zusammenbrechender Volkswirtschaften alle wirkungslos bleiben. Was wir wollen ist die Kombination aus einem Wachstums- und Investitionspakt auf der einen Seite und mittel- und langfristiger Entschuldung auf der anderen. Beides muss zusammen wirken. Und bezahlen wollen wir diese Wachstums- und Investitionsprogramme nicht mit neuen Schulden, sondern mit neuen Einnahmen: die Besteuerung der Finanzmärkte ist überfällig! Sie sind mit Schuld an den hohen Staatsdefiziten, weil sie mit ihren Spekulationen viele Staaten auch Deutschland in eine hohe Verschuldung getrieben haben. Denn es waren die Staaten, die ihre Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen, Abwrackprämien und Kurzarbeiterregelungen retten mussten. Allein in Deutschland mussten dafür 110000 Mrd. Euro Schulden gemacht werden, die wir jetzt eigentlich abtragen müssten. Stattdessen erhöht übrigens die Bundesregierung, die ja allen anderen Sparmaßnahmen auferlegt, ihre eigene Neuverschuldung für das Jahr 22001122 gerade auf mehr als 3322 Mrd. Euro! Und das in Zeiten hoher Steuereinnahmen und geringer 2

Arbeitslosigkeit. Merkel predigt Wasser und bestellt für ihre Koalition Wein, um die Kriegskasse für Wahlgeschenke im kommenden Jahr zu füllen. In den letzten 1144 Tagen haben wir allerdings zum strikten Sparkurs des Fiskalpakts bei Angela Merkel und ihrer Koalition sehr weitgehende Kursänderungen erlebt: Auf einmal ist vieles auch aus ihrer Sicht sinnvoll, was sie noch vor wenigen Wochen strikt abgelehnt hat oder was in der Koalition blockiert wurde. Auf einmal ist selbst die FDP für die Besteuerung der Finanzmärkte. Auf einmal akzeptiert Frau Merkel den Zusammenhang zwischen Wachstumspakt und Fiskalpakt, weil Entschuldung nicht anders funktioniert. Das alles haben wir seit zwei Jahren vorgetragen und immer wieder wurde es von Frau Merkel abgelehnt. Nun, wo die Gefahren in Europa immer größer werden, wo das reine Spardiktat von Merkel und Sarkozy die Wirtschaft Europas zusammenbrechen lässt und die Schulden steigen statt zu sinken, kommt es zum Kurswechsel. Bleibt es bei diesem Kurswechsel, so steigt die Chance auf unsere Zustimmung für die Kombination aus Wachstums- und Fiskalpakt. Und es steigt auch die Zustimmung anderer europäischer Mitgliedsstaaten wie Frankreich. Wir sind jedenfalls mit allem, was Ihr in diesem Antrag vorfindet und auch mit Blick auf die Verhandlungen in Deutschland und in der Europäischen Union für den sogenannten Wachstumsgipfel eng abgestimmt mit unseren französischen Freunden und dem neuen sozialistischen Präsidenten Frankreichs, Francois Hollande. Aber ebenso mit Österreich, den Niederlanden, Irland, Finnland und einer Reihe anderer EU- Staaten. Wir handeln dabei übrigens nicht nur im europäischen Interesse, sondern auch im ureigenen Interesse Deutschlands. Das müssen wir immer wieder herausstellen. Denn wir sind nicht nur Exportweltmeister, sondern vor allem Europameister. Unsere Autos, Maschinen, unseren Stahl und unsere Elektrotechnik verkaufen wir vor allem in die EU. 6600 Prozent unserer Exporte gehen in die EU und nicht nach China. Uns geht es deshalb nur gut, wenn es unseren europäischen Nachbarn auch gut geht. Wir bitten Euch mit diesem Antrag also auch um Unterstützung unserer Verhandlungslinie und auch darum, dass wir am Ende abschließen können, wenn wir uns in den wesentlichen Punkten durchsetzen. Diese wesentlichen Punkte sind: Die Freistellung unserer Länder und Kommunen von weiteren Sparverpflichtungen Die Finanztransaktionssteuer Ein nachhaltiges Wachstums- und Investitionsprogramm Ein wirksames Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa Instrumente gegen die Spekulationen auf den Finanzmärkten und zur Lösung der Altschuldenproblematik, wie z.b. ein Schuldentilgungsfonds Eine striktere Regulierung des Finanzmarkt- und Bankensektors einschließlich von Regeln für eine geordnete Bankeninsolvenz, damit die europäischen 3

Steuerzahler nicht immer wieder in Haftung für Pleite-Banken genommen werden müssen. Wenn wir das erreichen würden, hätten wir die Politik der Bundesregierung um 118800 Grad gedreht. Für eine Partei in der Opposition kein schlechtes Zeugnis ihrer Handlungs- und Regierungsfähigkeit. Aber machen wir uns nichts vor: das alles ist nur Krisenmanagement. Wir sollten nicht so tun, als sei das eine Krisenlösung. In Wahrheit können wir uns damit wenn wir Glück haben Zeit verschaffen. In Wahrheit steht Europa vor einer viel größeren Bewährungsprobe, vor einer Schicksalsfrage. Die Schicksalsfrage und die Bewährungsprobe besteht am Ende darin, sich aus den Fesseln und Spekulationen der Finanzmärkte wirklich zu befreien und nicht nur mit immer größer werdenden Rettungsschirmen auf diese Spekulationen gegen den Euro und gegen ganze Nationen zu verteidigen und zu wehren. Aktuell betreiben wir Krisenmanagement und das ist auch richtig und wichtig. Aber was wir brauchen, sind auch Krisenlösungen. Wir erleben doch gerade am Beispiel Spanien und Italien, dass es fast schon egal ist, was wir tun: wir bleiben in der Fessel der Finanzmärkte. Es ist eine Mischung aus Misstrauen gegenüber der Fähigkeit Europas, wirtschaftliche erfolgreich zu sein und seine Kredite zu bezahlen und einer immer größer werdenden Spekulation gegen den Euro und europäische Staaten, bei der mit der Angst der Anleger Milliardengeschäfte gemacht werden. Mit immer größeren Rettungsschirmen versuchen wir uns Zeit zu kaufen, aber keiner sagt, wozu wir diese Zeit eigentlich nutzen wollen. Die Antwort auf diese Frage stellt uns nämlich vor zwei sehr anstrengende Alternativen: entweder wir geben das Projekt Euro auf und lassen schwächerer Nationen wieder das Instrument der Abwertung ihrer Währung. Oder wir begründen und gründen Europa neu. Um nichts weniger muss es uns gehen: Um die Neubegründung und Neugründung Europas. Die heutigen dramatischen Unterschiede innerhalb des Euro und innerhalb Europas sind in den letzten 2200 bis 3300 Jahren immer mehr verschärft worden. Eine gemeinsame Währung zu erhalten, während sich die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede immer mehr vergrößern, muss scheitern. Und ein Konstrukt, in dem ständig 2277 Regierungschefs und 2277 Kommissare Minimalkonsense organisieren, die für die einen schon eine Überbeanspruchung für die anderen aber eine Unterforderung darstellen, muss auch auf Dauer scheitern. 4

Für mich bedeutet das: Entweder Europa verabschiedet sich von diesem Währungsprojekt was ich ausdrücklich für falsch halte oder es entscheidet sich dazu, sich endlich eine gemeinsame, demokratisch legitimierte wirtschaftliche und soziale Entwicklung für alle Teile Europas vorzunehmen. Die jetzt auch von Frau Merkel gern geforderte politische Union bleibt inhaltsleer, solange man ihr nicht ein gemeinsames Ziel gibt. Und das müssen vergleichbare und angenäherte Lebensbedingungen sein. Und eben kein reines Wettbewerbseuropa, in dem auf einem gemeinsamen Binnenmarkt die Menschen, Unternehmen und Nationen gegeneinander in Stellung gebracht werden. Dafür braucht man keine politische Union. Und wir brauchen auch keine kleinen Strohfeuereffekte für Wachstum, sondern einen 2200, 3300 oder 4400 Jahre wirkenden Entwicklungspfad, einen zweiten Marshallplan, für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau Europas. Und Länder wie Deutschland, die große Transferleistung empfangen, weil wir als Exportweltmeister so viel daran verdienen, dass die anderen Nationen unsere Produkte kaufen, werden auch Transferleistungen geben müssen, statt sie ständig zu bejammern. Für all das brauchen wir auch neue Strukturen und auch die Übertragung von nationalen Souveränitäten an die europäische Ebene. Dann können wir uns auch eine echte Notenbank und Eurobonds leisten, weil es dann auch eine gemeinsame Kontrolle von Ausgaben, Finanz- und Steuerpolitik gibt. Und nur auf diesem Weg können wir uns aus der Erpressbarkeit und den Spekulationen der Finanzmärkte befreien. Wenn wir Europa retten wollen, stehen wir vor einer Generationenaufgabe und es erfordert diese Neubegründung und Neugründung Europas. Ich meine das durchaus wörtlich: Neu begründen, weil vielen Menschen der Gründungsmythos eines gemeinsamen Europas, das nach zwei Weltkriegen die Kriegsgefahr beseitigt, nicht mehr ausreicht. Sie halten das für selbstverständlich. Was fehlt ist das Bewusstsein, dass Europa nur gemeinsam eine Stimme in der Welt des 2211. Jahrhunderts haben wird. Und wir Deutschen verfallen ja auch ständig in den großen Irrtum, wir seien die Zahlmeister der EU, obwohl wir durch unseren 6600-prozentigen Exportanteil in die EU in Wahrheit die größten Gewinner der EU sind. Europa ist den Menschen fremd geblieben. Das liegt auch daran, dass sich heute Europa um vieles und manchmal auch um nebensächliches kümmert. Nur dort, wo die Bürger Europas eine internationale Interessenvertretung bräuchten, sind wir sprachlos und handlungsunfähig. Von der Bankenregulierung bis zur Außen- und Sicherheitspolitik. Bei Umweltfragen ebenso wie bei Krieg und Frieden in der Welt. 5

Europa als Interessenvertretung seiner Bürger in der Welt ist etwas anderes als das reine Umjubeln eines Binnenmarktes. Wenn sich nun drei Herren im Auftrag von Frau Merkel darüber unterhalten sollen, wie es weitergehen soll in Europa, hat das doch kein anderes Europa zu Folge. Im Gegenteil: Es ist doch schon skandalös, dass Frau Merkel ein solches Gremium mit dem Präsidenten der EZB, dem Kommissionspräsidenten, dem Ratspräsidenten einrichten lässt, und das Europäische Parlament daran nicht beteiligt ist. Ein neues Europa gründen heißt zu allererst mal, den neuzeitlichen Wiener Kongress auflösen, der sich da in Form der Staats- und Regierungschefs anmaßt, ohne parlamentarische Kontrolle über die Geschicke der Europäerinnen und Europäer zu entscheiden. Wir brauchen eine grundsätzliche Debatte. Europa erweist sich nicht als handlungsfähig in seinen zu komplizierten Strukturen. Europa hat dramatische ökonomische Ungleichgewichte und ist nicht bereit sich zu entscheiden, wie es damit umgehen will. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Das funktioniert auf Dauer nicht. Und wir wollen auch nicht, dass es so funktioniert! Nötig sind jetzt nicht nur einfachere, sondern auch demokratischere Institutionen, damit die Menschen in Europa sich auch vernünftig repräsentiert fühlen. Im Kern brauchen wir doch eine EU, die wirklich demokratisch legitimiert ist. Mit einem viel stärkeren Parlament und. Und einer Struktur, in der die Staats- und Regierungschefs wie eine zweite Kammer sind, aber nicht dauerhaft Wiener Kongress spielen. So wie jetzt geht es nicht weiter. Im Krisenmanagement ist es schwer, Unterschiede zwischen Regierung und Opposition deutlich zu machen. Zumal dann, wenn die Regierung am Ende immer den Forderungen der Opposition nachkommt. Ich finde, es ist uns bislang zwar gut gelungen, in der Debatte um sogar im Ergebnis Einfluss zu nehmen. Und ich danke vor allem Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Hubertus Heil, Carsten Sieling und Jochen Poß stellvertretend für alle anderen, die daran mitgewirkt haben. Aber machen wir uns nichts vor: die eigentliche Profilbildung in der Europapolitik muss doch in der Krisenlösung bestehen. In dem Bild, das wir von einem künftigen Europa haben. Ein Europa der guten Arbeit und der fairen Löhne statt Lohn- und Sozialdumpings, ein Europa für die Menschen statt nur einen Binnenmarkt für die Wirtschaft, ein Europa mit Perspektiven für die Jugend statt steigender Jugendarbeitslosigkeit ein Europa mit mehr Integration, ein Europa mit demokratischen Strukturen und Klarheit darüber, was Europas Aufgaben und was die Aufgaben seiner Mitgliedsstaaten sein soll, 6

und auch ein Europa für das wir in Deutschland vor einer Grundgesetz- Änderung und Volksbefragung am Ende keine Angst haben. Anders ausgedrückt: ein Europa der Bürger als Gegenstück zum Europa der Banken, der Finanzindustrie, des kalten Sparens und der Perspektivlosigkeit. Dazu darf die SPD aber nicht technisch reden (Fiskalpakt, Schuldentilgungsfonds, Eurobonds etc.), sondern müsste über Werte, Prinzipien, Perspektiven und Selbstverständnis reden. Es geht um das visionäre Aufzeigen einer besseren Zukunft Europas, ohne dabei ins Utopische abzudriften; ein klarer Gegensatz zu Merkels pragmatisch-technokratischem Stil und ihrem Unvermögen, Europa zu erklären und zu vermitteln. Das ist kein leichter Gang, sondern ein harter Kampf um Deutungshoheiten! Aber niemand hat für ein friedliches, sozial gerechtes, kulturell vielfältiges und wirtschaftlich erfolgreiches Europa so viel anzubieten, wie wir. Auch hier gilt: nicht den Verzagten, nur den Mutigen gehört die Zukunft. 7