Eröffnungsrede von Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, anlässlich des "NATO Talk around the Brandenburger Tor"

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1 Eröffnungsrede von Richard Kühnel, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, anlässlich des "NATO Talk around the Brandenburger Tor" Berlin, 13.November Es gilt das gesprochene Wort - Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich freue mich, dass auch ich Sie beim diesjährigen NATO Talk begrüßen darf. Zunächst möchte ich mich bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft für die hervorragende Zusammenarbeit im Rahmen der Vorbereitung dieser Veranstaltung bedanken. Die regelmäßigen Eurobarometer-Meinungsumfragen zeigen: Ein Europa, das sich verteidigt, ist eine klare Erwartung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und in den anderen Mitgliedstaaten. 80 % der EU-Bürger wünschen sich, dass die Union das Problem des Terrorismus entschlossener angeht und 70 % befürworten eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aus diesen Gründen ist die Vertretung der Europäischen Kommission in diesem 1

2 Jahr gerne Kooperationspartner beim "NATO Talk around the Brandenburger Tor". Ein stärkeres Europa im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich hat seit dem Amtsantritt der Juncker-Kommission Priorität. In seinen politischen Leitlinien erklärte Präsident Jean-Claude Juncker: Auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik müssen wir nach meiner Überzeugung an einem stärkeren Europa arbeiten. Natürlich, Europa ist in erster Linie eine Soft Power. Aber auch die stärkste Soft Power kann langfristig nicht ohne ein Mindestmaß an integrierten Verteidigungskapazitäten auskommen. Und tatsächlich lässt sich festhalten: Im Verteidigungsbereich wurde in den vergangenen beiden Jahren mehr erreicht als in den 60 Jahren zuvor. Die Triebkräfte dafür sind die externen und internen Umbrüche für die Europäische Union, die wir heute großteils auch behandeln werden. Zu den Triebfedern die diese Kräfte in konkrete Fortschritte umwandeln, zählen zwei Frauen: Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini und die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. 1. EU-NATO 2

3 Dies gilt zum Ersten für die Kooperation zwischen EU und NATO. Die NATO war stets das Fundament der europäischen Sicherheit, und wird dies auch weiterhin bleiben. Wir sind unterschiedlich, aber wir ergänzen uns in vielerlei Hinsicht nicht nur aufgrund der Tatsache, dass 22 Staaten beiden Institutionen angehören. Ein konkurrierendes Verhältnis zwischen der EU und der NATO kann niemals eine Option darstellen. Die beiden Institutionen sind "separable, but not separate". Die EU und die NATO entwickeln ihre Zusammenarbeit stetig weiter. Dies wurde von Präsident Juncker, Präsident Tusk und Generalsekretär Stoltenberg bekräftigt, als sie die gemeinsame Erklärung von EU und NATO im letzten Jahr in Warschau unterzeichneten. Unser Fokus liegt auf dem 42 Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog. Insbesondere in Hinblick auf hybride Bedrohungen, maritime und Cybersicherheit soll die Kooperation rasch vertieft werden. Der jüngste gemeinsame EU-NATO Bericht vom Juni dieses Jahres zeigt Fortschritte in all diesen Bereichen. Unter anderem waren wir erfolgreich, was die Zusammenarbeit der Geheimdienste betrifft, haben die operative Kooperation zwischen strategischen Kommunikationsteams verbessert und koordinieren unsere Einsätze militärischer Mittel im Mittelmeer. Das Potential ist jedoch noch weitaus größer, und kommt auch in der nun regelmäßigen Teilnahme 3

4 der Hohen Vertreterin bei NATO-Verteidigungsminister-Treffen und des NATO-Generalsekretärs bei Ratssitzungen der EU-Verteidigungsminister zum Ausdruck. Innerhalb der EU tut sich Einiges: Im März dieses Jahres haben die Staats- und Regierungschefs, der Präsident des Europäischen Parlaments und der Präsident der Europäischen Kommission die Erklärung von Rom verabschiedet. Sie verpflichten sich darin, auf eine EU der 27 Mitgliedstaaten hinzuarbeiten, die zu einer wettbewerbsfähigeren und stärker integrierten Verteidigungsindustrie führt und die ihre gemeinsame Sicherheitsund Verteidigungspolitik. 2. Europäischer Verteidigungsfonds (EDF) Diese Selbstverpflichtung führte zu einer Reihe von konkreten Schritten. Als meinen zweiten Punkt möchte ich daher vor allem den Europäischen Verteidigungsfonds erwähnen. Dieser Fonds koordiniert, ergänzt und verstärkt Investitionen, die auf nationaler Ebene in die Entwicklung von Prototypen und in die Beschaffung von Verteidigungsgütern und -technologien fließen. 4

5 Der Europäische Verteidigungsfonds setzt auf zwei Ebenen an. Der Bereich Forschung ist bereits wirksam. Noch 2017 wird die EU erstmals Fördermittel für die gemeinsame Forschung im Bereich innovativer Verteidigungstechnologien und -güter anbieten, die vollständig und unmittelbar aus dem EU-Haushalt stammen. Bis Ende 2019 sind 90 Mio. Euro für Projekte eingeplant. Erste Finanzhilfevereinbarungen sollen bis Ende dieses Jahres unterzeichnet sein wird die Kommission zusätzlich ein spezielles EU- Verteidigungsforschungsprogramm mit jährlichen Mitteln von voraussichtlich 500 Mio. Euro vorschlagen, das ab der neuen Budgetperiode beginnend mit 2020 in Kraft sein soll. Dies würde die EU zu einem der größten Investoren in der Verteidigungsforschung machen. Der zweite große Bereich ist Entwicklung und Beschaffung. Durch die Kofinanzierung aus dem EU-Haushalt und praktische Unterstützung von der Kommission werden Anreize für die Mitgliedstaaten geschaffen, bei der gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung von Verteidigungsgütern und -technologien zu kooperieren. Ein Teil des Budgets ist für Projekte zweckgebunden, an denen kleine und mittlere Unternehmen aus mehreren Ländern teilnehmen. 5

6 Die EU wird dafür eine Kofinanzierung in Höhe von 500 Mio. Euro im Rahmen eines speziellen Entwicklungsprogramms für 2019 und 2020 anbieten. Ein größer angelegtes Programm, das jährlich mit 1 Mrd. Euro ausgestattet sein soll, wird für die Zeit ab 2020 ausgearbeitet. Dank des Programms ist für die nationale Ko-Finanzierung eine Hebelwirkung mit fünffachem Multiplikatoreffekt zu erwarten. Es könnte somit dafür sorgen, dass nach 2020 insgesamt 5 Mrd. EUR pro Jahr in die europäische Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit investiert werden. 3. Ständige Strukturierte Zusammenarbeit ("PESCO") Mein dritter Punkt betrifft die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit. Hier sind besonders signifikante Fortschritte zu beobachten. Diese im Vertrag von Lissabon vorgesehene Klausel war eine "schlafende Schönheit", die jetzt wachgeküsst wird. Sie ebnet jenen Mitgliedstaaten den Weg zur Zusammenarbeit, die anspruchsvollere Kriterien für Generierung und Bereitstellung militärischer Fähigkeiten erfüllen wollen und bei Missionen mit höchsten Anforderungen weitergehende Verpflichtungen untereinander eingehen. Unter Führung des Europäischen Rates wurde die Etablierung der PESCO vorgesehen. Im September 2017 haben die Mitgliedstaaten 6

7 bereits eine Liste gemeinsamer Verpflichtungen vorgestellt. Diese beziehen sich vor allem auf die bereits im Protokoll Nr. 10 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU genannten Bereiche Verteidigungsinvestitionen, Entwicklung von Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft. Am heutigen Tag werden die Außen- und Verteidigungsminister die PESCO aus der Taufe heben und eine Liste gemeinsamer Verpflichtungen festlegen. Das Nachmittagspanel wird sich intensiv damit beschäftigen. Ich möchte aber explizit Deutschland für sein Engagement danken, das diesen ambitionierten Zeitplan ermöglicht. 4. Weißbuchprozess All diese Veränderungen sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund des von der Kommission angestoßenen Weißbuchprozesses zu sehen, mein vierter und letzter Punkt. Ein wichtiges Element dieses Prozesses ist das Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung, in dem die Europäische Kommission die Frage behandelt, wie man mit den wachsenden Bedrohungen umgeht, mit denen Europa konfrontiert ist, und wie Europa seine eigene Verteidigungsfähigkeit bis 2025 ausbauen kann. Die aufgezeigten Szenarien unterscheiden sich jeweils durch das 7

8 Ausmaß, in dem die EU ein gemeinsames Handeln im Sicherheits- und Verteidigungsbereich anstrebt. In seiner Rede zur Lage der Union hat Juncker seine Perspektive klargemacht: Bis 2025 sollen wir eine vollausgestattete EU-Verteidigungsunion haben: "Wir brauchen das. Und die NATO will das." Präsident Macron hat bemerkenswerte Vorschläge unterbreitet und die neue deutsche Bundesregierung wird sich sicher ebenso konstruktiv einschalten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen anregenden und erkenntnisreichen Tag. Ich hoffe, dass der neue Schwung, den wir in Europa im Sicherheits- und Verteidigungsbereich verspüren, auch die heutige Debatte erfasst. 8