JUDEN - CHRISTEN - JUDENCHRISTEN Palästina zwischen Jüdisch-römischem Krieg und Bar Kochba-Aufstand
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- Luisa Simen
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1 Seminar Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten zwei Jahrhunderten JUDEN - CHRISTEN - JUDENCHRISTEN Palästina zwischen Jüdisch-römischem Krieg und Bar Kochba-Aufstand
2 2 Inhaltsverzeichnis Einleitung 3 1. Palästina unter römischer Herrschaft Der Jüdisch-römische Krieg Folgen des Krieges 6 2. Neuanfang des Judentums 7 3. Der Bar Kochba-Aufstand 8 4. Die Judenchristen Verhältnis zu Juden und Christen 10 Ausblick 12 Literaturverzeichnis 13 Einleitung
3 3 Die Zeit zwischen Jüdisch-römischem Krieg und Bar Kochba-Aufstand, der diese Darstellung gilt, war äußerst ereignisreich und kann in ihrer Bedeutung sowohl für das Juden- als auch für das Christentum kaum überschätzt werden. Vor allen Dingen im Hinblick auf die Trennung von Kirche und Synagoge sind die Ereignisse der damaligen Zeit von größter Brisanz. Die vorliegende Arbeit soll zunächst das Verhältnis zwischen Juden und Römern im 1. Jahrhundert n. Chr. in Palästina charakterisieren um anschließend den ersten Krieg der Juden gegen die Römer und die daraus entstehenden Folgen darzustellen. Diese Folgen hatten einschneidende Bedeutung für die weitere Entwicklung des Judentums: Ein Leben ohne Staat und ohne Tempel erforderte eine radikale Neuordnung des Judentums, die in Jabne stattfand. Nach einer Schilderung des zweiten großen Krieges der Juden gegen die Römer, dem Bar Kochba-Aufstand, soll in dieser Arbeit ein besonderer Schwerpunkt auf das Schicksal der Judenchristen gelegt werden. 1. Palästina unter römischer Herrschaft Der Einfluß Roms auf Palästina währte über achthundert Jahre. Er begann mit dem ersten Kontakt während des Makkabäeraufstands im Jahre 164 v. Chr. und endete mit der arabischen Eroberung Judäas im Jahr Für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Juden und Römern ist jedoch vor allen Dingen die Zeit ab dem Jahre 6 n. Chr. aufschlußreich. In diesem Jahr wurde Judäa nämlich in das römische Provinzialsystem eingegliedert und unter die Verwaltung eines Prokurators gestellt. Die Verwaltungsbefugnisse der Prokuratoren bezogen sich auf den Einzug der Steuern und Zölle und die gesamte Rechtsprechung. In der Praxis blieb jedoch das reguläre Zivil- und Strafrecht in den Händen der lokalen jüdischen Autoritäten, die somit eine begrenzte Auto nomie genossen. 2 Jedoch darf das Maß der politischen und religiösen Autonomie der Bevölkerung Judäas nicht überschätzt werden. Während die ersten Prokuratoren noch verhält 1 Günter Stemberger, Die Römische Herrschaft im Urteil der Juden, Darmstadt 1983 (=Erträge der For schung; Bd. 195), S. 1 2 Peter Schäfer, Geschichte der Juden in der Antike. Die Juden Palästinas von Alexander dem Großen bis zur
4 nismäßig tolerant waren, nahm der exzessive Machtmißbrauch unter den letzten Prokuratoren deutlich zu. Die... Prokuratoren waren fast alle unfähig, nur darauf bedacht, die Provinz finanziell auszubeuten und, wie es manchmal scheint, die nationalen und religiösen Gefühle der Juden absichtlich zu verletzen. 3 Dieses Verhalten der Prokuratoren führte zu einer deutlichen Verschärfung der innenpolitischen Lage: je offenkundiger die Auswüchse der Prokuratorenherrschaft wurden, desto größer wurde auch die Abneigung der Juden gegen die römischen Herrscher. In dieser Zeit traten vermehrt enthusiastische Propheten und Demagogen auf, die die gespannte Atmosphäre im Volk noch zusätzlich aufheizten. 4 Die Zusammenstöße zwischen Juden und Römern häuften sich zusehends und gipfelten schließlich im Jahre 66 im Jüdisch-römischen Krieg Der Jüdisch-römische Krieg Den unmittelbaren Anlaß zur Verdichtung der verschiedenen kleineren Aufstände zu einem offenen Volksaufstand, dem Jüdisch-römischen Krieg, lieferte der Prokurator Gessius Florus (64-66 n. Chr.). Florus hatte versucht, aus der dem Chaos zutreibenden Provinz so viel Steuern herauszuschlagen, wie eben möglich. Da das Steueraufkommen jedoch aufgrund der desolaten wirtschaftlichen Lage des Landes stetig sank, ließ er den Tempelschatz plündern. 5 Flavius Josephus übermittelt uns sogar das unmittelbare Datum dieses Ereignisses: der 16. Artemisios = April/Mai 66 n. Chr. 6 Der daraufhin ausbrechende Volksaufstand zwang den Prokurator zur Flucht nach Cäsarea und die Aufständischen konnten die Burg Antonia, den Palast des Herodes in Jerusalem und die Festungen Masada, Machärus und Jericho besetzen. 7 Der Statthalter von Syrien, Cestius Gallus, unternahm zwar noch einen - im Grunde viel zu späten - Versuch, den Aufstand niederzuschlagen, geriet jedoch in einen jüdischen Hinterhalt und wurde vernichtend geschlagen. Diese Erfolge gegen die Römer führten zu einer großen nationalen Begeisterung. Man begann sogar eine neue Zeitrechnung: das Jahr 1 nach der Befreiung Sions. Auch die führenarabischen Eroberung, Stuttgart 1983, S Ib., S Ib., S Ib., S Ib., S Karl Suso Frank, Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche, Paderborn u.a. 1996, S. 61
5 den Kreise Jerusalems, die bisher um Frieden bemüht gewesen waren, schlossen sich nun der Aufstandsbewegung an und man begann, den Aufstand militärisch zu organisieren. 8 Die Provinzen erhielten Kommandanten, die die Juden im Kampf gegen die Römer anführen sollten. So wurde z.b. Josephus, der spätere Historiker, Kommandant über Galiläa, den Süden (Idumäa) befehligten zwei Brüder aus der hohepriesterlichen Familie und ein Manasse war verantwortlich für Peräa im Osten. 9 Trotz dieser militärisch-strategischen Organisation und obwohl die Römer bereits mehrfach empfindlich geschlagen worden waren, war der Aufstand gegen Rom von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Dies lag zum einen an der zahlenmäßigen Überlegenheit der Römer. Zum anderen verfügten die Römer über eine umfangreichere und bessere militärische Ausrüstung als die aufständischen Juden. Der Triumph des unterdrückten jüdischen Volkes über die römischen Herrscher währte folglich nicht lange. 5 Im Jahr 67 reagierte Kaiser Nero auf den jüdischen Aufstand mit der Ernennung seines besten Generals, des Heerführers Titus Flavius Vespasianus, zum Oberkommandierenden in Palästina. 10 Vespasian kam mit drei Legionen und einem Heer von Hilfstruppen, insgesamt an die Mann, nach Palästina. 11 Er führte seine Operationen auf sorgfältig vorbereitete und umsichtige Weise durch und eroberte Peräa und die wichtigsten Städte im näheren Umkreis des jüdischen Kerngebietes. Nach Kaiser Neros Tod am 9. Juni 68 beendete er jedoch alle weiteren Kampfhandlungen und kehrte nach Rom zurück. Erst im Mai/Juni 69 griff er wieder in das Geschehen ein und eroberte den größten Teil des jüdischen Kernlandes und hatte damit außer Jerusalem und den Festungen Herodeion, Masada und Machärus die gesamte Provinz wieder in seine Gewalt gebracht. 12 Der Bürgerkrieg in Rom führte zu einer erneuten Unterbrechung der Kampfhandlungen und Vespasian kehrte nach Rom zurück. Dort wurde er am 1. Juli 69 von den ägyptischen Legionen zum Kaiser ausgerufen und innerhalb kurzer Zeit vom ganzen Ostteil des Reiches als Kaiser anerkannt. 8 Ernst Dassmann, Kirchengeschichte I. Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten, Stuttgart u.a (= Kohlhammer-Studienbücher Theologie; Bd. 10), S Johann Maier, Grundzüge der Geschichte des Judentums im Altertum, Darmstadt 1981 (=Grundzüge; Bd. 40), S Dassmann, S Ib., S Schäfer, S. 141
6 Im Frühjahr 70 gab er seinem Sohn Titus den Auftrag, den judäischen Feldzug zu Ende zu führen. Titus begann wenige Tage vor dem Pesachfest mit der Belagerung Jerusalems. Nach der Erstürmung der Burg Antonia Ende Juli folgte die Eroberung und Niederbrennung des Tempels Ende August. Mit dem Fall der stark befestigten Jerusalemer Oberstadt Anfang September war der Krieg im Wesentlichen entschieden und es blieben nur noch die Festungen Herodeion, Machärus und Masada übrig, die schließlich im Frühjahr 74 von den Römern erobert wurden Folgen des Krieges Die Folgen des ersten großen Krieges der Juden gegen Rom waren überaus weitreichend und können in ihrer Bedeutung für die weitere Geschichte des Judentums kaum überschätzt werden. Eine politische Folge des Sieges der Römer über die aufständischen Juden war die Umwandlung Palästinas in eine selbständige römische Provinz mit dem offiziellen Namen Judaea 14 unter einem Statthalter von prätorischem Rang. Dieser neue Status der Provinz implizierte auch, daß eine ständige Legion, die legio X Fretensis, in Judäa stationiert wurde. 15 Besonders einschneidend waren die Folgen des römischen Sieges auch für die Bevölkerung Judäas. Ganze Siedlungen waren vollständig zerstört und entvölkert worden. Josephus spricht in diesem Zusammenhang von einer Million Kriegstoten 16. Obwohl uns diese Zahl übertrieben hoch erscheint, müssen wir von immensen Verlusten unter der Bevölkerung ausgehen. Die Forschung spricht in ihren Schätzungen heute von bis zu einem Drittel, um das die jüdische Bevölkerung Palästinas dezimiert worden sein soll. 17 Die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Der Grundbesitz fiel größtenteils an den Kaiser und die vor dem Krieg ohnehin schon ausgebeutete Landbevölkerung verarmte noch mehr Ib., S. 142f. 14 Ib., S Dassmann, S Maier, S Schäfer, S Ib., S. 145
7 7 Besonders bemerkenswert ist jedoch auch der durch den Sieg der Römer und die daraus folgenden Konsequenzen hervorgerufene weitreichende Bruch im religiösen Leben des Judentums. Das Judentum, das seit Jahrhunderten auf den Tempelkult als Mittelpunkt des religiösen Lebens ausgerichtet war, mußte sich nun völlig umorientieren und auf ein Leben nicht nur ohne Staat, sondern auch ohne Tempel einstellen. 19 Zwar darf die Bedeutung des Tempelkultes für die jüdische Religion nicht überschätzt werden, jedoch wurde durch die Zerstörung des Tempels eine grundsätzliche Neubesinnung, ein radikaler Neuanfang, nötig. 2. Neuanfang des Judentums Der Neuanfang des Judentums nach der Katastrophe des Jahres 70 n. Chr. ist eng mit dem Namen Jochanan ben Zakkai (74 - ca. 80) verbunden. Er begründete ein neues geistiges und politisches Zentrum des Judentums in Jabne (Jamnia) bei Jaffa. 20 Jochanan ben Zakkai und sein Nachfolger Gamaliel II. (ca ca. 120) konstituierten einige gesetzliche Neuerungen, die die Weiterführung des religiösen Lebens nach der Zerstörung des Tempels ermöglichen sollten und die unter der Bezeichnung der taqqanot (Notverordnungen kraft rabbinischer Autorität, die nicht auf einer biblischen Grundlage beruhen) von Jabne bekannt sind. 21 Zu diesen taqqanot gehörte die Ersetzung des Tempeldienstes und des Opferkultes durch regelmäßiges Beten des Schema Jisrael und des Achtzehn-Bitten-Gebets, durch Almosen und Treue zur Überlieferung der Halacha." 22 Die Neuerungen bildeten den Grundstein der Entwicklung des rabbinischen Judentums. Jabne wurde nach 70 n. Chr. so sehr der zentrale Ort und das geistige Zentrum des rabbinischen Judentums, daß man die Periode von der Tempelzerstörung bis zum Bar Kochba- Aufstand mit Recht als die Periode von Jabne 23 bezeichnet. Aus Sicht der christlichen Theologie war besonders ein Ereignis innerhalb der Periode von Jabne für das sich in dieser Zeit herauskristallisierende Christentum von Bedeutung: die 19 Ib., S Dassmann, S Schäfer, S Frank, S. 62
8 Einführung der sogenannten birkat ha-minim, der Fluchformel über die Abweichler, in das Achtzehn-Bitten-Gebet. 24 In der birkat ha-minim wurden zunächst zwei Gruppen angesprochen: zum einen jüdische Häretiker verschiedener Ausrichtung und zum anderen die römische Obrigkeit. Zu diesen Häretikern wurden später auch die Christen gerechnet, die ursprünglich zweifellos als jüdische Sekte galten Der Bar Kochba-Aufstand Nach der Katastrophe des ersten großen Krieges gegen Rom und der damit verbundenen Neuordnung des Judentums in Jabne blieb es in Palästina relativ lange ruhig. Die Lust zu messianischen Abenteuern war im Volk und bei seinen Führern weitgehend vergangen bzw. erstickt worden. 25 In der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts brach unter Trajan zwar der große Aufstand in der Diaspora aus, jedoch geht die Forschung heute weitgehend davon aus, daß die Juden in Palästina an diesem Krieg nicht beteiligt waren. Trotz dieser relativ friedlichen Haltung des Judentums gegenüber den Römern brach ein weiterer Aufstand, der sogenannte Bar Kochba-Aufstand, wahrscheinlich um 132 n. Chr. aus. Dieser zweite jüdische Aufstand gegen Rom ist in seiner Bedeutung und seinen weitreichenden Folgen nur mit dem ersten Aufstand 70 n. Chr. zu vergleichen, obwohl er sich in einem Punkt ganz wesentlich vom ersten Aufstand unterscheidet: Die Quellenlage ist ungleich schlechter als beim ersten jüdisch-römischen Krieg. 26 Eine entscheidende und bis heute kontrovers diskutierte Frage ist die, wie es überhaupt zum Bar Kochba-Aufstand gekommen ist. Die Quellen liefern uns drei verschiedene Gründe zur Auswahl. Nach der Quelle des Pseudo-Spartian hätten die Juden den Aufstand begonnen, weil ihnen die Beschneidung verboten worden war. Der Historiker Dio Cassius hingegen nennt die Absicht Hadrians, die Stadt Jerusalem als römische Kolonie Aelia Capitolina mit einem heidnischen Tempel neu zu erbauen, als Kriegsgrund. Nach einer rabbinischen Quelle schließlich war die Ursache des 23 Schäfer, S Dassmann, S Schäfer, S Ib., S. 159
9 Krieges die, daß Hadrian den Juden versprochen habe, den jüdischen Tempel wieder aufzubauen, diese Zusage aber wieder zurückgenommen habe. 27 Die moderne Forschung hält zwei dieser Gründe für den Ausbruch des Aufstandes für wahrscheinlich: zum einen das Beschneidungsverbot, zum anderen den Bau von Aelia Capitolina. Die meisten Forscher gehen inzwischen davon aus, daß beide Gründe zusammen als Kriegsursache anzusehen sind. 9 Auch über den Aufstandsführer, Bar Kochba, ist nur wenig bzw. Widersprüchliches bekannt. So überliefern die Quellen beispielsweise unterschiedliche Informationen über seinen Namen. Auch über seine Herkunft und Familie fehlt jede zuverlässige Nachricht. Selbst über den Verlauf des Bar Kochba-Aufstandes ist nur wenig bekannt. Gesicherte Erkenntnisse bestehen jedoch über seine Folgen. Sie waren vielleicht noch katastrophaler und weitreichender als die des ersten Krieges. 28 Die Verluste in der Bevölkerung und die Zerstörung des Landes waren beträchtlich. Die Wirtschaftsstruktur des Landes war weitgehend zerstört. Jerusalem wurde jetzt endgültig eine römische Kolonie mit dem offiziellen Namen Colonia Aelia Capitolina. Den Juden wurde unter Androhung der Todesstrafe verboten, die neue Stadt überhaupt zu betreten. Aelia war somit eine völlig heidnische Stadt. 29 Von dieser Paganisierung waren nicht nur die Juden, sondern auch die Judenchristen betroffen. Auch sie mußten als Beschnittene Jerusalem verlassen und der Verlust Jerusalems als religiöses Zentrum leitete den Untergang des Judenchristentums ein. 4. Die Judenchristen Mit dem Terminus Judenchristen werden in dieser Arbeit nicht einzelne Christen jüdischen Blutes oder palästinischer Herkunft bezeichnet, sondern eine Sondergruppe innerhalb der Kirche. Die Judenchristen bekannten sich einerseits zu Jesus Christus als dem im 27 Ib., S. 159f. 28 Ib., S Ib., S. 174
10 AT verheißenen Messias, andererseits hielten sie an jüdischen Messiasvorstellungen, an jüdischen Gebräuchen und Gesetzen fest Das Judenchristentum als historisches Faktum bezeichnet jene ersten Christen, die einerseits nach wie vor der gesellschaftlichen Umwelt des Judentums verpflichtet, aber gleichzeitig auch von Vorstellungen geprägt waren, die abhängig waren von der jüdischen Kultur jener Zeit. 32 Das Judenchristentum war im Zeitalter der alten Kirche, dem diese Darstellung gilt, eine Gruppe und Lehrrichtung unter vielen. Die ideelle Ausprägung begann mit dem Jahre seiner Exilierung In dieser Zeit entschloß sich ein Teil der Judenchristen im Angesicht des Jüdisch-römischen Krieges zum Auszug nach Pella im Ostjordanland Verhältnis zu Juden und Christen Bereits in der Zeit vor dem Jüdisch-römischen Krieg hatte es Schwierigkeiten zwischen Juden und Judenchristen gegeben. Die Spannungen nahmen jedoch während des Krieges zu, da die Judenchristen sich nicht an den messianischen Aufständen beteiligten und deshalb als Verräter galten. Vor dem Hintergrund ihrer Lehre, daß mit Jesus der Messias schon gekommen sei, wird diese Weigerung jedoch verständlich. Trotzdem wurden sie von ihren jüdischen Volksgenossen verfolgt. Aus diesem Grund flohen sie in das Ostjordanland und missionierten das syrischarabische Grenzgebiet zwischen Beröa (östlich von Antiochien und Damaskus) und dem Ostrand des Toten Meeres. 34 Ein Teil von ihnen kehrte nach Beruhigung der Lage zwar wieder nach Palästina zurück, jedoch wurden sie während des zweiten Aufstandes gegen Rom unter Bar Kochba wiederum verfolgt. Auch hier lag der Grund für ihre Verfolgung in ihrer Weigerung, sich am messianischen Krieg gegen Rom zu beteiligen. Die Judenchristen wurden jedoch nicht nur von ihren jüdischen Volksgenossen, sondern auch von den Römern, die sie zu den aufständischen Juden zählten, verfolgt. 30 Frank, S. 144f. 31 Hans Joachim Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Tübingen 1949, S Jean Daniélou, Das Judenchristentum und die Anfänge der Kirche, Köln u.a ( = Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften, Heft 121), S Hans Joachim Schoeps, Das Judenchristentum. Untersuchungen über Gruppenbildungen und Parteikämpfe in der frühen Christenheit, Bern 1964, S Dassmann, S. 60
11 Aufgrund dieser ausweglosen Situation in Judäa erfolgte nach dem Bar Kochba-Aufstand schließlich die endgültige Abwanderung ins Ostjordanland. An dieser Stelle kann man mit Recht fragen, warum die judenchristliche Gemeinde gerade das Ostjordanland als Zufluchtsort gewählt hat, während doch die jüdische Emigration in das näher an Jerusalem gelegene Jabne gegangen ist. Eine ganze Reihe von Gründen kommt hierfür in Betracht. Am wichtigsten ist wohl der Gesichtspunkt, den Ernst Lohmeyer in seiner Untersuchung Galiläa und Jerusalem 35 aufgestellt hat: Die Urgemeinde habe ihre eigentliche Verankerung in Galiläa gehabt, der Heimatlandschaft der Familie Jesu. Aber auch praktische Erwägungen werden hinzugetreten sein: Pella lag geographisch nicht ungünstig. Es war wasserreich mit fruchtbarer Umgebung. Außerdem ging die große Landstraße von Skythopolis nach Damaskus durch Pella und in der Trajanzeit dürfte der ausgedehnte Handelsverkehr auch Pella zur Blüte gebracht haben In Pella geriet die judenchristliche Gemeinde zunehmend unter den Einfluß verschiedener jüdischer Sekten und Sondergruppen und sank schließlich langsam und unmerklich selbst in judaistisches Sektierertum ab. 37 Der Abstand der Judenchristen zu offiziellem Judentum und aufstrebender Heidenkirche wurde immer größer. Von den Juden zu Häretikern erklärt, gerieten sie bei den Heidenchristen mehr und mehr in Vergessenheit und rangierten schließlich unter der Rubrik Ketzer. Über die Entwicklung der judenchristlichen Gemeinden im Ostjordanland nach 135, dem Jahr das den dreieinhalbjährigen Aufstand des jüdischen Freischärlers Bar Kochba beendete, gibt es nur wenige Quellen. Sicher scheint jedoch zu sein, daß sie nach 135 noch in bescheidenem Umfang Mission betrieben haben und sich in ihrer neuen Heimat noch längere Zeit - etwa 300 bis 350 Jahre - behaupten konnten. Wahrscheinlich hat ihre häretische Absonderungstendenz noch weitere Spaltungen und Sonderrichtungen hervorgebracht, die allesamt nicht lebensfähig waren Göttingen Schoeps, Das Judenchristentum, S Dassmann, S Schoeps, Das Judenchristentum, S. 33
12 Die faktischen Ausgänge des Judenchristentums liegen weitgehend im Dunkeln. Soweit sie nicht zur katholischen Kirche fanden, sind sie wahrscheinlich in dem bunten Religionsgemisch Vorderasiens untergegangen. Was aber ihre Religionslehren und Glaubensanschauungen betrifft, so sehen wir diese mehr oder minder abgewandelt und umgeschmolzen - über mehrere Verbindungsgelenke hin - im Islam... wieder ans Licht des Tages kommen. 39 Das Judenchristentum ging also in der christlichen Kirche unter, konservierte sich jedoch im Islam. Dadurch reichen einige seiner Impulse bis in unsere Tage hinein. 12 Ausblick Diese Darstellung der Situation von Juden, Christen und Judenchristen im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. in Palästina ist auf ein interessantes Faktum aus der Geschichte der Religionen gestoßen, nämlich das der Ursprünge des Islam. Manche der zentralen Lehren der Judenchristen sind im Islam erhalten geblieben. Ein exakter Nachweis der Zusammenhänge war in dieser Arbeit leider nicht möglich, jedoch konnte der Traditionsgang im Wesentlichen angedeutet werden. Ein genauerer Vergleich zwischen dem apokryphen Evangelium der Judenchristen und dem Koran verspricht einen interessanten Einblick in die Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Literaturverzeichnis 39 Ib., S. 34
13 13 Daniélou, Jean: Das Judenchristentum und die Anfänge der Kirche, Köln u.a (= Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften, Heft 121). Dassmann, Ernst: Kirchengeschichte I. Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten, Stuttgart u.a (= Kohlhammer-Studienbücher Theologie; Bd. 10). Frank, Karl Suso: Lehrbuch der Geschichte der alten Kirche, Paderborn u.a Maier, Johann: Grundzüge der Geschichte des Judentums im Altertum, Darmstadt 1981 (= Grundzüge; Bd. 40). Schäfer, Peter: Geschichte der Juden in der Antike. Die Juden Palästinas von Alexander dem Großen bis zur arabischen Eroberung, Stuttgart Schoeps, Hans Joachim: Theologie und Geschichte des Judenchristentums, Tübingen Schoeps, Hans Joachim: Das Judenchristentum. Untersuchungen über Gruppenbildungen und Parteikämpfe in der frühen Christenheit, Bern Stemberger, Günter: Die Römische Herrschaft im Urteil der Juden, Darmstadt 1983 (= Erträge der Forschung; Bd. 195).
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