Georges Wenger: Künstler und Weltenbürger

Transkript

1 Georges Wenger: Künstler und Weltenbürger Lucia Angela Cavegn (Text), Georges Wenger (Bild) Es gibt wohl kaum einen Flecken Erde, den Georges Wenger noch nicht bereist hat. Als Künstler bewegt er sich nicht nur agil zwischen verschiedenen Kulturkreisen, sondern ebenso zwischen künstlerischen Gattungen. Sein Hauptgebiet ist die Druckgrafik. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er in der Technik des Linolschnitts. Die Drucke, die er nach alter japanischer Tradition von Hand abreibt, geben die Natur gestochen scharf wieder und wirken, obschon schwarz-weiss, ungemein atmosphärisch. Kürzlich hat das Londoner Victoria and Albert Museum sieben Arbeiten von ihm erworben. Am 18. Januar 2015 war Georges Wenger zusammen mit der Fährfrau Sabine Brönnimann zu Gast bei Dani Fohrler in der Talkshow «Persönlich», die auf Radio SRF 1 live aus dem Casinotheater Winterthur gesendet wurde. Er sprach damals mit viel Humor und Lebendigkeit über seine abenteuerliche fünfjährige Weltreise, die er in jungen Jahren unternommen hatte, über seine grundsätzliche Einstellung zum Leben und zur Kunst und über seine Kindheit, die nicht immer einfach war und ihn doch zu einem unabhängigen Geist werden liess. Auch heute noch legt er eine unbändige Lebenskraft an den Tag, die einen vergessen lässt, dass er bereits 70 Lenze zählt. Sein Leben ist von privaten und künstlerischen Neuanfängen geprägt, als ob er sich immer wieder aufs Neue (er)fände. Vor allem aber ist er von Neugierde getrieben, von der Lust zu entdecken und von der Grundhaltung, mit wachen Sinnen durchs Leben zu gehen. Weltoffenheit und Vielseitigkeit Seine Offenheit gegenüber anderen Menschen, Kulturen und Verhältnissen widerspiegelt sich in seinen zahlreichen Auslandaufenthalten und künstlerischen Kooperationen ergab sich eine erste Zusammenarbeit mit Mario Botta, dem renommierten Luganeser Architekten. 2000/01 führte er Workshops für säurefreie Druckgrafik durch, zuerst mit dem kanadischen Künstler Johann James Feught, danach mit dem amerikanischen Künstler Keith Howard. Ein Jahr darauf arbeitete er mit dem St. Galler Aktionskünstler Roman Signer zusammen, 2007 mit dem japanischen Kalligrafiemeister Nangaku Kawamata und 2014 mit dem Düsseldorfer Fotografen Josef Schulz. Darüber hinaus war Georges Wenger an diversen ausländischen Kunstakademien, Druckgrafikzentren und internationalen Symposien tätig wie beispielsweise 1998 als Artist in Residence am Internationalen Symposion für experimentelle Druckgrafik in Hohenossig bei Leipzig, 2000 als Workshopleiter an der Escuela Superior de Arte von Havanna (auf Einladung des kubanischen Kulturministeriums), 2004 als Gastprofessor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und 2010 als Gastdozent an der Benares Hindu University in Varanasi (Indien) während seines Atelierstipendiums. Hinzu kamen Studienreisen nach Italien (Pietrasanta), Kalifornien (Litho Shop von Sam Francis in Santa Monica), Syrien (Damaskus), Jordanien und Japan. Georges Wenger kam 1947 in Zürich zur Welt und verbrachte einen Teil seiner Kindheit im Tessin. Seine erste berufliche Ausbildung absolvierte er von 1964 bis 1968 an der Kunstgewerbeschule Zürich, wo er das Handwerk des Typografen und Grafikdesigners erlernte. Nach einigen Jahren in der Geschäftswelt, unter anderem auch als Werbechef eines bekannten Modehauses, brach er 1972 die Zelte in der Heimat ab, um seinen Horizont zu erweitern. Von 1972 bis 1976 war er mit seiner damaligen Frau in einem VW-Campingbus unterwegs mit längeren Aufenthalten in Singapur, Kobe, Tokio, Hawaii, San Francisco, Mexiko, Venezuela und Buenos Aires. Um Geld zu verdienen, liess er sich sogar auf einer Bohrinsel anheuern und arbeitete ein Jahr lang als Fotomodell für verschiedene Modemagazine in Japan. In Tokio fand er zur Druckgrafik, als er im Atelier von Gaston Petit und Isao Akagawa Workshops für die klassischen Tiefdrucktech niken besuchte. Seither hat er sich alle druckgrafischen Techniken angeeignet (Radierung, Kaltnadel, Mezzotinto, Vernis mou, Lithografie, Serigrafie, Holz- und Linolschnitt usw.). Bereits 2

2 Pineta di Migliarino San Rossore, Massaciuccoli II, 2017, Linolschnitt, 92 x 102 cm, Handdruck des Künstlers auf Sekishu-Shi-Japanpapier, Auflage: 11 Exemplare gewann er in New York den 1. Preis der internationalen Biennale für Miniaturradierungen. Während 40 Jahren war der Tiefdruck Wengers Haupttätigkeitsgebiet, ohne diese lange Erfahrung wären die heutigen, fein gearbeiteten Linolschnitte nicht denkbar. Daneben arbeitete der vielseitige Künstler immer auch in den Medien Malerei, Fotografie, Skulptur und Installation. Sein Atelierhaus, das er 1985 im Zürcher Weinland errichtet hatte, wurde fünf Jahre später ein Raub der Flammen. Das einschneidende Erlebnis führte dazu, dass er die gegenständliche Malerei zugunsten von abstrakten, zunächst gestisch-expressiven, später monochromen, auf Blautönen basierenden Kompositionen aufgab. Als Wenger der Säuren und Gifte, die in den traditionellen Tiefdrucktechniken benötigt werden, überdrüssig war, begann er vor mehr als 15 Jahren mit einem ungiftigen, sprich säurefreien Verfahren zu experimentieren, bei dem die Zeichnung über einen lichtempfindlichen Polymerfilm auf der Kupferplatte durch UV-Licht übertragen und dann in Natriumkarbonat entwickelt wird. Mit dieser Technik erreicht man eine ähnliche Dreidimensionalität wie bei den in Eisenchlorid geätzten Kupferplatten gründete er das Swiss Center for non-toxic Intaglio Printmaking, um den fachlichen Austausch zu fördern. Seit einiger Zeit konzentriert er sich auf den Hochdruck und schafft seit eineinhalb Jahren ausschliesslich 3

3 Das Arsenal von Hohleisen für den Hochdruck ergänzt Georges Wenger mit selbst entwickelten Werkzeugen. Es braucht Präzision und Geduld, bis das feinste Detail stimmt: Linoldruckplatte mit dem vorgezeichneten Bild in Arbeit. grossformatige, Zeit und Konzentration erfordernde Linolschnitte, die er auf handgeschöpftes, aus Japan eingeführtes Papier druckt. Enge Beziehung zu Japan Seit seiner Weltreise vor mehr als 40 Jahren ist Japan für Georges Wenger ein wichtiger künstlerischer wie auch geistiger Bezugspunkt geblieben. Die über 400 Jahre währende Holzschnitttradition, experimentelle Kalligrafie, modernes Textil- und Möbeldesign haben den Künstler schon früh in seinem Schaffen inspiriert. In den Jahren 1973/74 unterhielt er in Kobe, dann in Tokio ein Atelier als freischaffender Grafiker. Damals arbeitete er mit den Designern Shiro Kuramata, Shigeo Fukuda und Isao Akagawa zusammen verfasste er im Auftrag eines Winterthurer Einrichtungsgeschäfts für Designmöbel eine Studie über zeitgenössisches japanisches Möbeldesign. Vor Kurzem hat sich der Künstler entschlossen, Japan nochmals intensiv zu bereisen und sich vom 10. September 2017 bis 8. Januar 2018 an einer japanisch-schweizerischen Gruppenausstellung im Kanaya Art Museum von Futsu nahe Tokio zu beteiligen. Während seiner Studienreise nimmt er in Tokio an der University of the Arts an einer internationalen Konferenz für Druckgrafik teil, wo er sich mit den führenden Künstlern aus Japan und den USA austauscht, mit denen er schon zusammengearbeitet und ausgestellt hat. In Echizen, der Stadt der besten Papierschöpfer, ist er zu einem zweitä gigen Aufenthalt bei der Familie Naito eingeladen, die auch für Franz Gertsch die grossen Papierformate geschöpft hat. Und schliesslich besucht er das 21st Century Museum of Contemporary Art in Kanazawa, wo man an seinen monumentalen Linoldrucken interessiert ist wird Wenger auf Einladung des anerkannten Tokioer Holzschneiders Katsutoshi Yuasa, Vorstandsmitglied der International Mokuhanga Conference, als Artist in Residence nach Japan zurückkehren. Mokuhanga (Moku = Holz, Hanga = Druck) ist das japanische Wort für Holzschnitt. Inzwischen hat das renommierte Setagaya Museum in Tokio neun grossformatige Linoldrucke in seine Sammlung aufgenommen. Meister der Präzision und des Halbtons Im Herbst 2016 stellte Wenger neben Katsutoshi Yuasa und anderen Grössen der Druckgrafikkunst an der International Print Biennale in Newcastle upon Tyne (Grossbritannien) eine eindrückliche Werkgruppe grossformatiger Linolschnitte aus. Einige Monate später erfolgte die Anerkennung durch das Londoner Victoria and Albert Museum, eines der wichtigsten Kunstgewerbemuseen weltweit, mit dem Ankauf von sieben Blättern, die er von Hand in der japanischen Abreibtechnik auf japanisches Sekishu-Shi-Papier gedruckt hat. In seinem Atelier, das sich in einer ehemaligen Fabrikhalle der Firma Rieter AG in Winterthur Töss befindet, steht zwar ein 220 x 100 cm grosser Drucktisch. Doch nach Aussage des Künstlers wirken die Linolschnitte besser, wenn das feine Japanpapier über der eingefärbten Druckplatte auf der Rückseite geduldig von Hand Zentimeter für Zentimeter mit dem sogenannten «Baren» (japanischer Abreibteller aus Bambus und Baumwollschnur) abgerieben wird. Ein ebenso meditativer wie höchste Konzentration erfordernder Prozess ist die An fertigung der Druckvorlage. Als Grundlage dient eine eigene Fotografie (Wenger hat einen untrüglichen Sinn für gute Aufnahmen), die durch ein digitales Fotodruckverfahren 4

4 Abziehen des Druckpapiers, nachdem die Farbe auf dem Linolschnitt mit dem handgrossen Baren (japanischer «Teller» aus Bambus und Kozofasern) auf das Japanpapier abgerieben wurde. auf eine Linolplatte übertragen wird. Im Atelier wird diese mit Schneide- und Stechwerkzeugen bearbeitet, bis jedes feinste Detail stimmt. Dafür verwendet der tüftelnde Künstler nicht nur Utensilien, die man im Fachgeschäft erhält, sondern auch solche, die er selber entwickelt hat: Für die grossformatigen (145 x 100 cm) und obendrein detailreichen Linolschnitte werden bis zum Probedruck drei bis vier Monate Produktionszeit benötigt. Danach macht der Meister des Halbtons sieben bis elf Handabzüge, die von ihm eigenhändig nummeriert und signiert werden. Ernst Halter schreibt im Vorwort zum 2017 herausgegebenen Katalog «Magical Forest. Prints/Druckgrafik. Georges Wenger»: «Das Allerschwierigste, die Erzeugung des zu Grunde liegenden Halbtons aus rein schwarzen und rein weissen Stellen, ist ohne Verwendung allerfeinster Werkzeuge nicht zu leisten Grössere Binnenstrukturen wiederum verlangen nach gröberen, jedoch von feiner Hand und oft in rhythmischer Bewegung geführten Instrumenten.» Mit dem gekonnten Zusammenspiel unterschiedlicher Strukturen im Mikro- und Makrobereich sowie der präzisen, gestochen scharfen Wiedergabe kleinster Details leistet Wenger einen eigenständigen, so noch nie gesehenen Beitrag zur Gattung Linolschnitt. Seine Drucke wirkten hyperrealistisch, wären sie nicht schwarz-weiss. Die atmosphärische Dichte ergibt sich gerade deshalb, weil das Schwarz sich aus Ma genta, Gelb und Blau zusammensetzt und nicht aus der Dose stammt. Nicht ohne Grund bezeichnete der berühmte französische Künstler Odilon Redon Schwarz als die geistigste aller Farben. Äussere und innere Tiefe korrespondieren in Wengers Linolschnitten, ebenso spricht aus ihnen die Hingabe und Aufmerksamkeit des Künstlers. Sie besitzen eine unglaubliche Präsenz. Die Verbindung von Kunst und Natur wie auch die Einbettung der Kunst im Leben sind für Wenger zentral. Er ist ein Ästhet, der die unscheinbaren Schönheiten im Alltag sucht, der sich an einem guten Essen erfreut, selber leidenschaftlich kocht und ebenso gerne wandert. Für Wenger ist Kunst «ein Bereich des Denkens, das sich vor allem auf Papier abspielt, vielleicht ähnlich wie ein Musiker die Symbole auf sein Papier setzt, um eine Idee auszudrücken, eine Begriffswelt, die den Geist des Lesers in Aufruhr zu versetzen vermag», wie er selber sagt. Lucia Angela Cavegn ist freischaffende Kulturhistorikerin. Lydford Gorge Forest II, 2016/2017, Linolschnitt, 92 x 142 cm, Handdruck des Künstlers auf Sekishu-Shi-Japanpapier, Auflage: 11 Exemplare. 5

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