Unsere Tage zu zählen, lehre uns - Herausforderungen für eine Kirche in stürmischen Zeiten
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- Stefanie Luisa Braun
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1 SOZIALREFERAT DER DIÖZESE LINZ Sozialpredigthilfe 294/12 Predigtreihe zur Fastenzeit; Lesejahr B Unsere Tage zu zählen, lehre uns - Herausforderungen für eine Kirche in stürmischen Zeiten Predigt zum 5. Fastensonntag, 25. März 2012 Jer 31,31-34 Hebr. 5,7-9 Joh 12,20-33 Autor: Dr. Stefan Schlager Predigt Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Am 4. April 1787 schrieb der 31-jährige Mozart an seinen kranken Vater einen bemerkenswerten Brief. Darin ist vom Tod die Rede und einer großen Liebe zum Leben. Mozart schreibt: Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht... den anderen Tag nicht mehr sein werde, und es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen, sagen können, dass ich im Umgange mürrisch oder traurig wäre.... Die bewusste Wahrnehmung der eigenen Begrenztheit, ja die Aufgeschlossenheit gegenüber dem Tod, bedeutet für Mozart eine Intensivierung,
2 eine Vertiefung und Weitung des Lebens. Im Psalm 90 findet sich die gleiche Erfahrung. Hier heißt es: Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz. Und auch im heutigen Evangelium begegnet diese herausfordernde und bereichernde Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende wieder. Hier findet Jesus durch den Blick auf seinen nahen Tod zu Einsichten, die ihm Lebenssinn bis zum Schluss eröffnen: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Die Wahrnehmung, dass die eigene Zeit begrenzt ist, vermag also den Blick zu schärfen für jene Personen, Bereiche, Dimensionen, Gaben und Aufgaben, die das Leben bereichern, vertiefen, authentisch machen. Aufgeschlossenheit gegenüber dem Tod gibt dem Leben Tiefe. Sterbende Kirche Was für das menschliche Leben gilt, gilt auch für das Leben der Kirche. Es ist nicht zu übersehen, dass sich die Kirche in Europa in einer Phase der Schwächung, der Wandlung, der Krise befindet selbst wenn es an manchen Orten unvermutete Aufbrüche gibt. Manches in ihr erinnert sogar an das Sterben. Oto Madr, einer der großen tschechischen Theologen, hat in den 70-er Jahren eine Theologie der Kirche erarbeitet, die nach meiner Einschätzung auch in unserer Zeit und unter unseren Bedingungen hilfreich ist. Geprägt durch die Erfahrungen in den 50-er-Jahren, als er in einem totalitären Staat im Kerker auf sein Todesurteil warten musste, fand Madr zu einer Perspektive, einer geistigen Haltung, die Kraftvolles und Ermutigendes für eine Kirche in Krisenzeiten eröffnet. Grundvoraussetzung dafür ist der Wille zur Wahrheit, nicht billige Vertröstung. Dementsprechend schreibt Madr: Das Leben mit der Perspektive des Endes deprimiert und demobilisiert. Dies ist ganz natürlich; der Tod kann das Leben nicht stimulieren insofern man im Bann des Biologischen bleibt. Dann gibt es... die üblichen Reaktionen; (Zweck-)Optimismus verzweifelter Trotz bitterer Pessimismus psychische Emigration reale Flucht aus der Situation. Doch ist das eine wie das andere notwendig? menschlich? christlich? Nehmen wir doch zur Kenntnis, dass das Sterben zum Leben der Kirche gehört, gleich wie die Geburt und die reife Fülle. Alle 2
3 Stadien sind wertvoll vor Gott... So gilt, dass in jedem von ihnen... etwas von uns Christen erwartet wird, und zwar auch etwas ganz Besonderes. Vier Herausforderungen Was erwartet nun Gott von den Seinen im Stadium einer schwächer werdenden Kirche? Oto Madr nennt vier bleibende Herausforderungen für eine Kirche in der Krise, die ich weiter ausfalten möchte: 1. Herausforderung: Das Schwächerwerden bzw. den möglichen Tod annehmen und sich nicht mit falschen Vertröstungen täuschen oder in Ersatzvergnügungen flüchten (vgl. Röm 14,8:... und auch wenn wir sterben, geschieht es für den Herrn ). So wie Menschen sich über die eigene End-Zeit hinweg schwindeln können, sind die Menschen in der Kirche und gerade ihre Hirten, nicht davor gefeit, die Augen über den eigenen Zustand zu verschließen bzw. die Situation schön zu reden. Wer jedoch den Mut hat, ehrlich auf die eigene Situation, das Niedergehen und das eigenen Sterben zu schauen, der bekommt ein Gespür dafür, worum es im eigenen Leben geht bzw. in der Kirche gehen soll, was wirklich wichtig ist und was nicht. Daran erinnert auch das heutige Evangelium, wo Jesus mit Blick auf den eigenen Tod zu einer Perspektive für ein fruchtbringendes Leben findet, gerade in der Endphase. 2. Herausforderung: Intensiv leben und die geistliche Energie in den Kern zusammenziehen. Madr ermutigt angesichts des Todes, aus eigenen tiefen Gründen und Einsichten eine starke, widerstandsfähige Spiritualität zu bauen. Alpha und Omega sind für ihn persönlicher, lebendiger Glaube sowie lebendige Gemeinschaften. Wer sensibel ist für das eigenen Sterben, der wird also auch (wieder) sensibel werden für eine tragfähige Spiritualität mit Worten, Perspektiven und Erfahrungen, die zu denken und zu leben geben, die herausfordern, die Menschen verbinden, die Mut machen und Angst nehmen. 3
4 3. Herausforderung: Das Beste aus sich herausgeben! Menschen, die ihr Sterben nicht wegschieben, haben die Möglichkeit, ihre Hinterlassenschaft gut zu regeln. Dementsprechend wäre für die Kirche heute eine Frage besonders stimulierend: Was würde nach dem Tod unserer Kirche für Außenstehende bleiben, wie wird für sie das Wort christlich klingen? An welches Erbe würden jene anknüpfen können, die die Kirche in unserem Raum wieder gründen müssten? Ist hier noch etwas vom Geist Jesu und dem befreienden Dasein Gottes zum Anknüpfen da? Je weniger eine Kirche sich der eigenen Krise bzw. der Möglichkeit des eigenen Verschwindens bewusst ist, um so eher bleibt sie an der Oberfläche, im Formelhaften und Starren gefangen mit weitreichenden Folgen. 4. Herausforderung: Die Kirche nicht sterben lassen wollen! Von Patienten, denen es gelungen ist, ihre eigene Endlichkeit bzw. Sterblichkeit anzunehmen, ist bekannt, dass sie imstande waren, ihre inneren Kräfte zu mobilisieren und um ihre Genesung zu kämpfen. Für die Kirche würde das bedeuten, dass neue Lebensnähe und Lebendigkeit sich ausbreiten kann, wenn sie Mut zur Wahrheit hat und sich mit aller Offenheit und Entschiedenheit dem eigenen Sterben, aber auch Leben-Wollen stellt. Vielleicht wird die Kirche auf diese Weise (wieder) wesentlicher und kann so lernen, das loszulassen, das aufzugeben bzw. zu verändern, was ihr heute noch unveränderbar erscheint. Oder mit den Worten des Konzilspapstes Johannes XXIII. ausgedrückt: Darauf kommt es an: immer in Bewegung zu bleiben, sich nicht in eingefahrene Gewohnheiten auszuruhen, sondern immer auf der Suche nach neuen Kontaktmöglichkeiten Ausschau zu halten, unaufhörlich auf der Höhe berechtigter Forderungen der Zeit zu bleiben, in der wir zu leben berufen sind, damit Christus auf jede Weise verkündet und erkannt werde. Aufgeschlossenheit gegenüber dem Tod gibt dem Leben Tiefe wie wahr und wie richtungsweisend doch dieser Satz ist, auch für die Kirche! 4
5 Lebenskunst ER, der Meister, dem Leben ausgesetzt, voll und ganz, mit Haut und Haaren: Entstehen, Geboren werden, Reifen, Sterben! Warum sollte gerade sie, seine Kirche, davon ausgenommen sein? Keimen, Blühen, Absterben: All das, und jedes für sich Herausforderung, Aufgabe, Botschaft. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Stefan Schlager Anfragen und Rückmeldungen richten Sie bitte an: Sozialreferat der Diözese Linz, Kapuzinerstr. 84, 4020 Linz, Tel. 0732/ Weitere Sozialpredigten unter: 5
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