Die Zeitreise von Simone Ehrhardt

Transkript

1 Die Zeitreise von Simone Ehrhardt Personen: Student, Studentin, Engel (unauffällig gekleidet), Maria (Die zwei Studenten sind in Raumfahranzügen auf dem Weg zu ihrer Zeitmaschine, die in einer Garage, einem Schuppen oder einem ähnlichen Raum steht.) Ich bereue es zutiefst! Was? Dass ich mich von dir habe überreden lassen, diesen Kurs zu besuchen! Geschichte praktisch was für eine Schnapsidee! Fang doch nicht schon wieder damit an. Ist doch wahr. Diese Zeitreisen sind einfach viel zu... anstrengend. Als wir Diogenes Tonne besichtigt haben, fandest du es doch noch interessant. Ja, aber als er diesen einstündigen Monolog gehalten hat und der automatische Universalübersetzer ausgefallen war, hab ich mich fast zu Tode gelangweilt. Und was war mit dem Mittelalter letzte Woche? Mit den Burgfräuleins hast du dich doch angeregt unterhalten! Na ja angeregt ist leicht übertrieben. Die haben die ganze Zeit geredet, und dann musste ich mir diesen merkwürdigen Minnesänger anhören, der winselnd vor mir auf den Knien lag, während du dir die Falknerei anschauen durftest. Das war gut, sehr interessant! Du scheinst dich irgendwie immer zu amüsieren. Aber die Krönung war die Tour mit Hannibal über die Alpen. Ich habe jetzt noch Blasen an den Füßen. Das war aber deine eigene Idee! Du wolltest ja unbedingt wissen, ob sie tatsächlich Elefanten dabei hatten. (Inzwischen sind sie angekommen und steigen in die Zeitmaschine ein.) Ich hoffe nur, soviel Einsatz bringt wenigstens eine gute Note. Wohin geht es denn heute? Der Professor meinte, aus aktuellem Anlass... (unterbricht ihn spöttisch) Damit wird er doch nicht Weihnachten gemeint haben?! 1

2 Nein, er meinte den Gedenktag des ersten Kreuzzuges. Egal. Hauptsache, das ist die letzte Reise. Und ab Weihnachten setze ich keinen Fuß mehr in eine Zeitmaschine. Jerusalem wäre also das Ziel. Jerusalem? Ist das nicht ein bisschen gefährlich? Nö, glaub ich nicht. Solange uns kein Kreuzritter niedermetzelt. Bist du bereit? Ja, leider. Was wirst du übrigens an Weihnachten machen? Mit meiner Familie feiern, wie üblich. Okay, los geht s! (Sie setzen die Helme auf, starten, reisen und landen. Evtl. entsprechende Geräusche und Lichtblitze. Dann nehmen sie die Helme ab, schauen sich mit Taschenlampen um. Der Student überprüft die Geräte.) Sieht ja seltsam aus hier. Ist das eine Höhle? Sind wir etwa in einer dieser Höhlen von Jerusalem gelandet? Welche Höhlen? Na, die Höhlen im Tempelberg! Noch nie was davon gehört? Nein. (Prüft noch ein Gerät) Oh nein! Was ist? Der Chronometer ist defekt. Wir sind nicht da, wo wir hinwollten. Sondern? Irgendwann ca Jahre davor. Und wo? Keine Ahnung, die geographische Anzeige ist ausgefallen. Kommen wir dann überhaupt wieder nach Hause? Ja, der Speicher mit den Ursprungskoordinaten gehört zu einem unabhängigen System. Damit dürfte es eigentlich kein Problem geben. Na dann los, bevor irgend etwas Unerfreuliches passiert! Fünf Minuten wird es schon dauern, bis ich den Antrieb wieder starten kann. Wieso lässt man Studenten mit dieser unausgereiften Technik herumreisen? (Steigt aus und schaut herum.) Da vorne scheint ein Eingang zu sein. Ich geh mal schauen, was da draußen los ist, vielleicht sehe ich was. Ist gut, aber verlauf dich nicht wieder. Ich sag nur: London 1890 auf der Suche nach der Baker Street! 2

3 Sehr witzig. (Geht raus, kommt gleich darauf wieder herein. Währenddessen wird der Student auf etwas im Hintergrund aufmerksam und leuchtet mit der Taschenlampe dorthin.) Nur ein kleines Dorf ohne Ortsschild. Du, da hinten ist etwas. Wo? Was? (Steigt auch aus.) Keine Ahnung. Lass uns mal nachsehen. (Sie schleichen hin.) Sei vorsichtig. Ja doch. Und? Hier, schau mal! (Nimmt ein Bündel auf.) Was ist das? (Schaut nach.) Ein Baby! Ich leg es wieder zurück. Nein! Wir können es doch nicht so ganz allein hier liegenlassen. Wir müssen es mitnehmen. Meinst du, dass es jemand hier ausgesetzt hat? Bestimmt. Aber die erste Direktive verbietet uns, Dinge mit in die Vergangenheit zu nehmen oder aus ihr mit zurückzubringen. Meine Güte, das weiß ich auch. Aber es ist doch ein Baby, verstehst du? Ein Mensch! Es wird sterben, wenn wir es hierlassen. Und es hat weder für die Weltgeschichte noch für dieses Kind eine Auswirkung, wenn wir es mitnehmen. Es ist ein Baby wie Millionen anderer auch, nichts Besonderes. Meinetwegen. Aber wenn der Prof das erfährt, fliegen wir von der Uni. Ich werde es ihm ganz bestimmt nicht sagen. Gib mir das Kind, und jetzt lass uns von hier verschwinden. Ja, der Antrieb dürfte wieder funktionieren. (Sie gehen zur Zeitmaschine zurück, steigen ein, Helme auf etc. Bei ihrer Ankunft werden sie erwartet, sie bemerken den Engel aber zunächst nicht.) Tja, das war unsere letzte Reise, nehme ich an. Nach den Ferien ist der Kurs ja zu Ende. Ein Glück! Was machen wir denn jetzt mit dem Kind? Ihr müsst es wieder zurückbringen. (Beide erschrecken sehr.) 3

4 Wer bist du? Wie bist du hier hereingekommen? Ich bin ein Engel. Ein Engel? Das Kind, das ihr bei euch habt, ist der Christus. Er hat einen schweren Weg vor sich, aber er muss ihn gehen, in seiner Zeit. Es ist Gottes Plan. Der Christus? Wer ist denn der Christus? Jesus, der Erlöser. Ihr feiert an Weihnachten seine Geburt. Weihnachten? Wann soll das sein? Welcher Erlöser? Seht, was geschehen ist! Weil ihr ihn aus seiner Zeit genommen habt, hat sich die ganze Geschichte geändert. Ihr könnt euch nicht an Christus erinnern, weil ihr ihn aus der Vergangenheit gelöscht habt. Das darf nicht geschehen! Aber er ist doch nur ein Baby. Wir haben ihn in einer Höhle gefunden. Er kann doch nicht so wichtig sein! Das ist er! Er ist Gottes Sohn. Er ist ein normales Kind, das stimmt. Aber er wurde als Mensch geboren, um die Menschen zu erlösen. Er wird für sie sterben und ihre Sünde tragen. Und dafür sollen wir ihn zurückbringen? Ja, er will es so. Dann müssen wir es wohl tun. Hoffentlich landen wir auch wieder genau dort, wo wir ihn gefunden haben. Ich denke schon. Ich habe den Chronometer seither nicht verändert. Ihr werdet dort ankommen! (ab) (Helme auf, Zeitreise wie gehabt, Helme ab) Das ist mit Abstand das Merkwürdigste, das uns je passiert ist. Wir verletzen die erste Direktive, und dann erscheint ein Engel, der uns sagt, wir sollen das Baby wieder zurückbringen, damit es seinen schweren Weg gehen und sterben kann. Ich war ja gleich dagegen, es mitzunehmen. (Legt das Kind zurück.) (Taucht aus dem Dunkel auf.) Was tut Ihr da? (Erschrocken) Nichts! Wir... bewundern nur das Kind. Ist das Ihres? 4

5 Ja, das ist mein kleiner Jesus. (Mustert sie.) Wer seid Ihr? Ihr seht sonderbar aus. Seid Ihr Engel? Oder nur aus einem fremden Land? Äh... wir sind Reisende. Es ist nett von Euch, dass Ihr eigens gekommen seid, um ihn zu sehen. Er ist ein ganz besonderes Kind, wisst Ihr? Ja, das wissen wir. Wir müssen jetzt leider wieder gehen. Ja. Lebt wohl, und der Herr sei mit Euch. (Weiß nicht, wie er angemessen darauf antworten soll.) U-und mit Ihnen. Auf Wiedersehen. (Gehen schnell zur Zeitmaschine und machen sich für die Reise bereit.) Nichts wie nach Hause. Ich möchte nie wieder eine von diesen Reisen machen, das kann ich dir sagen. Den Kurs Zukunft hautnah kannst du alleine machen! Ob wir uns wieder an dieses Weihnachten erinnern werden? Das werden wir ja gleich feststellen. Na dann los, zurück in die Zukunft! Simone Ehrhardt 5