Karfreitag Johannes 19
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- Katrin Adler
- vor 5 Jahren
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1 Karfreitag 2015 Sie nahmen ihn aber und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19):»Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.«das taten die Soldaten. Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysop - rohr und hielten es ihm an den Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte das Haupt und verschied. Johannes 19
2 Predigt zur Johannes 19 Karfreitag 2015 Liebe Gemeinde, es gibt ein Foto, das ich nicht mehr vergessen kann. Es lässt mich nicht mehr los. Vor ein paar Wochen haben sie in Libyen 21 ägyptische Christen umgebracht und darüber ein Video ins Internet gestellt. Das Foto wurde in der Zeitung abgedruckt, vielleicht haben Sie es auch gesehen. Zwei Reihen von Männern gehen die Küste entlang. Die eine Reihe, die Mörder, schwarz gekleidet, vermummt, mit Seeschlitzen, sie drohen mit der Eroberung Roms, verfluchen das Christentum, Leichenträger des Todes, mit Messern in den Händen. Die anderen in Orange, die Opfer, haben leere Hände. Die ägyptische Bibelgesellschaft ich wusste nicht, dass es so etwas gibt - hat ein Faltblatt mit diesem Bild herausgebracht unter der Frage: Wer fürchtet den anderen? Und dazu einige Worte aus der Bibel abgedruckt: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten... Es kommt die Stunde, in der jeder, der euch tötet, meint, Gott einen heiligen Dienst zu tun....ich bin gewiss, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Mittlerweile sind bereits wieder einige Wochen vergangen. Und es gibt schon wieder neue schlimme Bilder: Tsunami in der Südsee mit Hunderten Toten auf Samoa im März, das ist weit weg von uns. Viel näher ist für uns der Flugzeugabsturz in den französischen Alpen am Dienstag letzter Woche mit 150 Toten. Gestern in Kenia ein Blutbad unter Studenten. Das Eis ist dünn, das Leben ist immer in Gefahr. Jeden kann es treffen, das Leid, Dunkelheit, Krankheit, Unfall, Gefahr. Das Grauen hat viele Gesichter. Wir wollen davor nicht die Augen verschließen. Heute ist Karfreitag. Es gibt kein Leben ohne Karfreitag. Vor zwei Tagen stand wie jedes Jahr etwas darüber in der Zeitung, dass irgendjemand sich dafür eingesetzt habe, endlich das Verbot von Tanzveranstaltungen am Karfreitag aufzuheben, es sei antiquiert und nicht mehr zeitgemäß. Das klingt zwar flott und modern, aber es ist ein Schritt hin zur weiteren Individualisierung, zur Vereinzelung. Das Leben ist nicht immer locker, flockig, lustig, der Karfreitag ist ein Tag, an dem wir uns als Gesellschaft, als Gemeinschaft an die dunklen Seiten erinnern, ob es uns grad gut geht oder nicht.
3 Es gibt eine Solidarität im Angesicht des Grauens, im Angesicht des Todes. Manche sagen, der Karfreitag sei der höchste evangelische Feiertag. Das hab ich nie so sehen können. Was wäre der Karfreitag ohne Ostern! Ich muss zugeben, ich geh viel lieber an Ostern in die Kirche als am Karfreitag. Es liegt so eine protestantische Düsterkeit über diesem Tag, so dass man fast glauben könnte, beim christlichen Glauben ginge es vor allem um eine erdenschwere, dunkle Angelegenheit, als sei das Christentum letztlich eine Todesreligion. Beides muss man zusammen sehen: Karfreitag und Ostern. Den Karfreitag kann man nur aushalten und ertragen im Blick auf Ostern und die Auferstehung. Sonst wird unser Christentum düster und traurig und man kriegt ein schlechtes Gewissen, wenn man sich freut. Manche denken ja, Kirche sei etwas Freudloses; ich denke an eine Begegnung vor ein paar Wochen hier in Hugsweier, wo jemand gesagt hat: Ich will mal was Lustiges erzählen, auch wenn der Pfarrer mit am Tisch sitzt... Das klingt so, als ob man ein wenig bigott tun muss, wenn der Pfarrer dabei ist... Nein, wenn es etwas zu lachen gibt, dann grad in der Kirche! Aber es geht darum, dass wir das Schreckliche nicht weg-lachen, sondern dass wir die Dunkelheit im Leben ernst nehmen. Wenn die Dunkelheit nicht vorkäme in der Kirche, dann könnte man ja auch die Kirche nicht ernst nehmen. Das Dunkle ist eine Wirklichkeit, bei jedem von uns. Am Karfreitag hören wir davon, dass das Dunkle, Schreckliche, das Grauen auch zu Jesus kommt. Wir erzählen uns die Geschichte seiner Kreuzigung. Das ist furchtbar. Darüber kann man keine schöne Predigt halten. Aber das Evangelium erzählt uns die Geschichte so, dass sie eine tröstliche Geschichte wird. Und darauf will ich Sie hinweisen mit dem heutigen Predigttext aus Johannes. Vertrauen wir uns dem Evangelisten Johannes an... Ein wenig Bibelkunde in aller Kürze: es gibt vier Evangelien in der Bibel, das lernen wir im Konfirmandenunterricht: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Alle vier erzählen die Passionsgeschichte, die Leidensgeschichte Jesu, jeder mit einem eigenen Blickwinkel, mit eigenem Schwerpunkt, das ist hochinteressant. Und jetzt gibt es einen Unterschied bei Matthäus, Markus, Lukas einerseits und andererseits Johannes: Mt, Mk, Lk schildern Jesus so, dass er durch die Dörfer zieht, die Jünger beruft, Geschichten erzählt, Kranke heilt also immer aktiv ist, in Aktion, und dann plötzlich in der Passionsgeschichte wird er passiv:
4 er wird geschlagen, gegeißelt, verurteilt, ans Kreuz geschlagen und er sagt dabei kaum ein Wort. Johannes aber, der vierte Evangelist, erzählt die Geschichte mit einem anderen Akzent. Die Handlung ist die Gleiche, aber fast kommt es so vor, als sei Jesus auch in der Leidensgeschichte, in der er doch leiden muss, der eigentlich Handelnde, der Aktive. Johannes schreibt es so: er trug sein Kreuz, er ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, er spricht zu seiner Mutter, er spricht zu jenem Jünger, dem einzigen unter dem Kreuz, und am Schluss sagt er sogar: Es ist vollbracht! Die Evangelisten erzählen alle vier die gleiche Geschichte. Aber während Mt, Mk, Lk erzählen vom armen Herrn Jesus, schmerzgekrümmt, geschunden, der am Ende ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? --- erzählt Johannes vom Gottessohn, der auch am Kreuz der Herr bleibt, der das Kreuz besteigt wie einen Königsthron und am Schluss souverän die Worte spricht: Es ist vollbracht! Jetzt könnte man Johannes fragen: Ja, weißt du denn nicht, was Kreuzigung heißt? Weißt du nichts von Schmerz, Angst, Blut und Tränen --- willst du uns auch am Karfreitag eine schöne Predigt halten, Johannes?? Johannes will nichts beschönigen. Er will uns die Augen öffnen. Alles Äußere hat auch eine Innenseite. Johannes will uns sagen: merkt ihr nicht --- diese Geschichte ist durchsichtig? Ausgeliefert ist Jesus, sein Tod ist schrecklich ---- aber hier vollendet sich etwas. Der arme Jesus am Kreuz, das ist der Herr Jesus. Ja, das ist Gott selber. Der Herr steigt herab bis an den Grund des armseligen menschlichen Lebens. Der christliche Glaube spricht von der Menschwerdung Gottes. Da geht s nicht um irgendwelche theologischen Spitzfindigkeiten, sondern es geht darum, dass Gott Mensch wird bis zur äußersten Konsequenz, bis zum Tod. Denn wer Mensch ist, bekommt es mit dem Tod zu tun, der Tod ist uns allen tot-sicher. Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns schreibt Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums, das ist der Wochenspruch an Weihnachten, die alten Kirchenhasen unter uns werden es wissen. Am Karfreitag wird uns vorgelesen, was dieser Satz aus dem Johannesevangelium in letzter Konsequenz heißt: wenn Gott in Jesus einer von uns wird, dann endet auch sein Leben tödlich.
5 Ob Sie mit alledem etwas anfangen können, was ich hier zu sagen versuche? Ich will das Ganze nochmal anders sagen. Conrad Ferdinand Meyer, Schweizer Dichter im 19. Jahrhundert, hat ein Gedicht geschrieben über die letzten Tage des sterbenskranken Ritters Ulrich von Hutten aus der Reformationszeit. Ulrich von Hutten spürt seine Kräfte sinken, er merkt, dass er sterben muss, dass sein Leben zu Ende geht. Er verbringt seine Tage auf der Insel Ufenau im Zürichsee, eine wunderschöne Landschaft, aber er kann nicht mehr aus dem Bett aufstehen. Er denkt zurück an helle Tage in seinem Leben, an Glück und Erfolg, an die Liebe und an das Leben am fürstlichen Hof. Was bleibt ihm von alledem? Sein Blick fällt auf das Kruzifix an der Wand, so wie wir es auch in unserer Kirche haben, nicht nur am Karfreitag. Und der Dichter lässt ihn sagen: Je länger ich's betrachte, wird die Last Mir abgenommen um die Hälfte fast, Denn statt des einen leiden unser zwei: Mein dorngekrönter Bruder steht mir bei. Verstehen Sie? Wenn es wahr ist, dass Gott so tief herabsteigt am Karfreitag, dann gibt es keine gottverlassene Finsternis, keine abgrundtiefe Einsamkeit, sondern es gilt, was wir mal auswendig gelernt haben: und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Der am Kreuz hängt, wird unser Tröster. Seine Geschichte wird durchsichtig --- wir schauen durch sie hindurch und durch alle schrecklichen Bilder hindurch auf das Osterfest. Amen.
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