Die römische Tunika. Die Clavi

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1 Die römische Tunika Die Tunika ist das am häufigsten getragene Kleidungsstück der römischen Kaiserzeit. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind konnte sie auch ohne römisches Bürgerrecht tragen. Charakteristisch für die römische Tunika sind fehlende Ärmel, aufgenähte oder eingewebte Purpurstreifen (Clavi) als Standessymbol und die richtige Gürtung in Verbindung mit der passenden Länge des Gewandes typisch. Diese Merkmale kennzeichneten in der späten Republik und frühen Kaiserzeit die typisch römische Tunika. Das Material Wolle war nicht charakteristisch. Die Übernahme der Tunika durch die Phönizier ist aufgrund sprachwissenschaftlicher Untersuchungen sehr wahrscheinlich. Wenn die Tunika durch griechische Vermittlung nach Rom gelangt wäre, würde sie linguistisch dem griechischen»chiton«näher stehen oder sogar damit ident sein. Verschiedenen antiken Schriftstellern zufolge war die Tunika das typische Gewand der Karthager. Griechen und Etrusker bzw. Römer können durch die Vermittlung von karthagischen Händlern etwa zur selben Zeit diese Gewandform übernommen haben. Die Männer der frühen Republik trugen entweder eine besonders lange oder sehr kurze Tunika. Das Gewand blieb normalerweise ungegürtet. Dagegen reicht die spätrepublikanische Tunika nur mehr bis zum Knie und wurde gegürtet. Die Tunika für die Frau reichte schon in dieser Zeit bis zum Knöchel. Das Kennzeichen der republikanischen Tunika ist ihr enger Schnitt. Dadurch entstehen keine Scheinärmel. Der Schnitt der frühkaiserzeitlichen Tunika unterscheidet sich nicht von der Tunika der Republik, lediglich der Stoffverbrauch konnte bis zur doppelten Menge des Erforderlichen reichen. Dadurch entstehen Scheinärmel, die bis zu den Ellbogen reichen. Auch der Gürtel wird von der weiten Tunika verdeckt. Der höhere Stoffverbrauch setzt frühestens in der Mitte des 1. Jh. v. Chr. ein, vielleicht sogar erst in frühaugusteischer Zeit. Der griechischen Chiton und viele koptische Tuniken mit schlitzförmigem Halsausschnitt sind aus einem einzigen Stoffstück hergestellt worden. Römische Schriftsteller beschreiben, dass die Tunika aus 2 Stoffteilen besteht, die an den Körperseiten und der Schulter zusammengenäht werden. Diese beiden verschiedenen Fertigungsarten lassen vermuten, dass es Unterschiede im griechisch- und lateinischsprachigen Raum gab. Ägyptische Stofffunde zeigen aber, dass die römische Herstellungsart dort nicht nur für den Markt in den westlichen Provinzen produziert wurde, sondern auch von den Einheimischen getragen wurde. Außer dem Bedeutungsverlust der Wolle im 3. Jh. n. Chr. - im Preisedikt Diocletians werden schon mehr Leinen- als Wollsorten genannt - hat sich in der Kaiserzeit die Nachfrage zu einem bestimmten Material nicht wesentlich verändert. Zu keiner Zeit wurde ein bestimmter Stoff besonders bevorzugt. Wolle und Leinen waren die Hauptmaterialien der Tunika. Seit der mittleren Kaiserzeit kamen Baumwolle, Seide oder Halbseide dazu. Die Clavi Je 2 Clavi verliefen auf der Vorder- und Rückseite senkrecht vom Halsausschnitt bis zum unteren Saum der Tunika. Der Abstand blieb von oben bis unten gleich. Um die Clavi anzubringen gab es mehrere Möglichkeiten. Die einfachste und wahrscheinlich am häufigsten praktizierte Technik war, sie in den Stoff mit einzuweben. Sie konnten aber auch aufgenäht oder aufgestickt werden. Das Tragen des breiten oder schmalen, latus

2 oder angustus clavus genannten Purpurstreifen auf der Tunika beschränkte sich auf Ritter und Senatoren und diente als Standessymbol. Andersfarbige Clavi wurden als reine schmückendes Ornament von der gesamten Bevölkerung getragen. Sie waren jedem einschließlich Sklaven erlaubt. Es kann nachgewiesen werden, dass Clavi als reines Muster bereits seit der Frühzeit beliebt und im gesamten Mittelmeerraum verbreitet waren. Als Ornament sieht man Clavi in den erhaltenen ägyptischen Mumienporträts. Diese reichen von der frühen Kaiserzeit bis zur Mitte des 3. Jh. n. Chr. Die Clavi der Mumienporträts sind unterschiedlich breit, verschiedenfarbig und sind auch auf Frauengewändern abgebildet. In der Spätantike haben die Clavi ihre Bedeutung als Standessymbol verloren und wurden reine Muster. Aufgrund der Mosaiken von Piazza Armerina können die Clavi eindeutig als Zierstreifen angesehen werden und nicht mehr als Standessymbol, da hier Jäger, einfachen Bürger, Soldaten und in Einzelfällen auch Sklaven abgebildet werden. Meist handelt es sich um eingestickte oder eingewebte Muster und Ornamente. In einzelnen kreisförmigen oder rechteckigen Ornamenten der Clavi konnten auch kleine figürliche Darstellungen mythologische oder christliche Szenen gezeigt werden. Dadurch konnten beide Clavi zusammen verschiedene Begebenheiten erzählen. Die spätantike Ornamentik der Gewandung In der Spätantike werden nicht nur Clavi sehr reichhaltig ausgearbeitet, sondern auch zusätzliche Ornamente in Streifen- oder Fleckenform entwickelt, die auf die Kleidung genäht, gestickt oder eingewebt wurden. Wahrscheinlich hat diese Ornamentik nicht plötzlich eingesetzt. Mumienporträts und palmyrenische Textilien beweisen, dass derartige Stoffmuster bereits vor dem 3. Jh. n. Chr. im Ostteil des Römischen Reiches verbreitet waren. Damit gibt es kein plötzliches Auftreten der Ornamente in der Spätantike. Gammadia und Paragaudiae Gammadia sind auf Obergewändern bei Mumienporträts seit dem 1. Jh. n. Chr. nachweisbar. Es handelt sich um kurze Streifen die Rechte Winkel bilden und aus gleichlangen Seiten bestehen. Sie ähneln, allerdings um 90 oder 180 nach links gedreht dem griechischen Buchstaben Γ. Solche Winkelborten bleiben bis in die Spätantike nur bei Mänteln nachweisbar. Eine veränderte Form dieser Winkelborten werden als Paragaudiae bezeichnet. Sie bilden am unteren Tunikasaum einen Π -förmigen, jedoch umgedrehten Saumstreifen. Sie können zweifelsfrei als bestickte Gewandborte interpretiert werden. Aurelian soll als erster Gewänder mit Paragaudiae verliehen haben. Diese Borten sind auch bei Untertuniken belegt. Lora, Limbus und Instita In der späten Kaiserzeit kamen weitere Streifenarten an Saum, Halsöffnung und Ärmeln hinzu. Die verschiedenen Bezeichnungen der Streifen lassen sich nicht immer unterscheiden und mit den Abbildungen in Verbindung bringen. Literarisch so genau beschrieben, dass sie wiedererkannt werden könne sind die Lora. Diese Streifen konnten nicht nur zweifach sondern auch mehrfach vorhanden sein. Die so geschmückte Tunika wurde je nach Zahl der aufgenähten Lora als monolores, dilores oder trilores unterschieden. Von Aurelian wurden so verzierte Tuniken zuerst an Soldaten

3 verliehen. Trotz Ursprungs aus dem militärischen Bereich, sind Lora bereits einige Jahre nach der wahrscheinlichen Einführung durch Aurelian auf Frauentuniken belegt. Bis zu Anfang des 4. Jh. n. Chr. waren Lora noch üblich Ein anderes bortenartiges Ornament wurde als Limbus bezeichnet. Literarisch ist seine Verwendung als Besatzstreifen und Gewandsaum bezeugt. Wie Bildquellen und Originalgewänder belegen, konnten auch Tunikaärmel mit einer Borte eingesäumt werden. Vielleicht wurden diese Streifen auch als Limbus angesprochen. Schon Horaz beschrieb die Instita. Sie befand sich wohl am Halsausschnitt der Obertunika verheirateter Frauen. Ähnliche Besatzstücke gab es bereits in der etruskischen Grabmalerei und bei den ägyptischen Mumienporträts. Deshalb kann von einer Kontinuität dieser Streifen von der Frühzeit bis in die Spätantike ausgegangen werden. Die verschiedenen Streifen konnten in blattförmigen Ornamenten oder Spitzen enden. Diese waren im unteren Brust- oder Bauchbereich angebracht. Solche Blätter werden heute als Sigilla bezeichnet. Die Enden konnten aber auch rund oder oval sein. Segmenta: Orbiculi und Tesserae Bei dem Begriff Segmentum könnte es sich vielleicht um den Oberbegriff für»kleidungsbesatz«handeln. Oder es wurde im Sinne von»abschnitt«verwendet. Schon Ovid und andere antike Autoren erwähnen Segmenta im direkten Zusammenhang mit Kleidung. Segmenta könnte in der frühen Kaiserzeit eine gebräuchliche Form für alle Besatzstücke gewesen sein. Neben den verschiedenen Streifenmustern gab es fleckenartigen Besätze, die heute Tesserae und Orbiculi genannt werden. Aufgrund des Materials konnten sie sehr teuer sein und durch die Stickerei den finanziellen Aufwand demonstrieren. Im Gegensatz zu Orbiculus sind die Tesserae aus dem antiken Sprachschatz überliefert. Mit dem Begriff Tessera wird bereits die äußere Form angesprochen. Plinius beschreibt erstmals einen Tesserae genannten, rechteckigen Gewandbesatz. Mit Orbiculi wird wörtlich ein kleiner Kreis oder eine kleine Scheibe bezeichnet. Schon Terullian schildert für die Zeit um 200 n. Chr. ein wahrscheinlich mit Orbiculi verziertes Kleidungsstück. Seit tetrarchischer Zeit treten sie auf bildlichen Darstellungen verstärkt auf. Einfach gearbeitete Orbiculi wurden auf Textilfragmenten im palmyrenischen Turmgrab Nr. 13, das in das Jahr 103 n. Chr. datiert werden kann, als schmückendes Muster gefunden. In Ägypten wird das Einsetzen der Orbiculi im späten 3. Jh. n. Chr. angenommen. Runde und rechteckige Segmenta gab es auf Tuniken und auf Mänteln, besonders auf dem Pallium und der Paenula. Sie wurden auf der Tunika zwischen Saum und Gürtel sowie im Schulterbereich angebracht. Wie die Clavi immer paarweise. Da sich die Segmenta erst in der mittleren Kaiserzeit verbreitet haben, wird verständlich, warum sie erst bei den spätantiken Monumenten reichlich nachzuweisen sind. Am Galeriusbogen in Thessaloniki sind auf großformatigen Reliefs der Kaiser selbst und weitere Personen mit erhaben gearbeiteten Orbiculi sowie einem einfach gemusterten Gewandsaum dargestellt. Ein Kammergrab aus dem 4. Jh. n. Chr. aus Silistra in Bulgarien belegt, dass auch in den Randgebieten des Reiches Orbiculi bekannt waren. Im Kaiserkultraum des Ammontempels in Luxor sind auf Wandmalereien ebenfalls mehrere Orbiculi überliefert.

4 Dadurch ist ein direkter Bezug zu den koptischen Textilien gegeben. Diese ausgewählten Beispiele zeigen die weite Verbreitung dieser Muster im Römischen Reich und bestätigt durchaus, dass in der Spätantike zumindestens teilweise mit einer reichseinheitlichen Mode gerechnet werden kann. Dabei überwiegen die Kleidungsstücke mit Orbiculi. Tesserae kommen konstant vor, werden aber insgesamt seltener verwendet. Muster der Segmenta Die koptischen Tunikafragmente aus Ägypten zeigen sehr schön die Farben- und Bildvielfalt der Ornamente. Es können zwar keine bestimmten Muster oder Farben mit dem sozialen Status des Trägers im Zusammenhang gebracht werden, trotzdem war die spätantike Tunika nicht nur ein reiner Gebrauchsgegenstand. Je nach Finanzkraft des Trägers war sie reichlich mit feinen Stickereien in verschieden eingefärbter Wolle verziert. Somit war sie Mittel zur Selbstdarstellung und auch ein indirektes Statussymbol. Es gab aber kein Muster, dass nur auf Orbiculi oder Tesserae beschränkt war. Die Orbiculi in den Mosaiken der Piazza Armerina werden häufig dunkelbraun oder schwarz umrandet und sind meistens zweifarbig dargestellt. Beliebte Farbkombinationen sind: hellbeige und dunkelbraun, dunkelbraun-schwarz gemustert, verschiedene Rottöne oder rot-grün. Die Ornamente sind einfache Punkt- und Strichmuster und die Kombination dieser miteinander, sowie aufwendigere Symbole in Verbindung mit einfachen Mustern. Es findet sich ein einfaches Ornament aus fünf zu einem Kreuz angeordnete Punkte. Ebenfalls Punkte, die drei konzentrische Kreise bilden. Ferner treten häufig einfache Muster auf, die aus Linien gebildet wurden. Drei Längsstriche unterteilen den Orbiculus in 4 Flächen oder 2 Längs- und 2 Querstreifen sind zu einem Kreuz angeordnet. Manchmal werden diese Musterarten kombiniert. Beispielsweise werden rechts 2 Längsstreifen mit einigen Punkten im linken Teil verbunden. Auch ein gepunkteter konzentrischer Kreis, in dem ein sechszackiger Stern oder ein doppeltes Blatt liegen existiert. Anhand der vorhandenen koptischen Textilien sieht man wie stark die Ornamente in der bildlichen Darstellung stilisiert wurden. An den Originalgewändern sieht man, dass auf Orbiculi oder Tesserae auch mythologische oder christliche figürliche Szenen dargestellt wurden. Diese Bilder wurden in das jeweilige Kleidungsstück eingestickt. Vom 3. bis zum 5. Jh. n. Chr. ist eine zunehmende Qualität der Stickerei zu beobachten. Literarisch wird eindeutig darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine barbarische Technik handelt, die von barbarischen Goldwebern so genannten barbaricarii ausgeführt wurden. Am Beispiel der Tunika zeigt sich, welchen Vorteil kultureller Austausch haben kann. Durch die Einflüsse von außen ist das Bild der spätantiken Tracht wesentlich vielfältiger, farbenfroher und letztlich auch spannender als die relativ monotone Tracht der frühen Kaiserzeit. Quelle: Pausch, Die römische Tunika (2003) Schmidt-Colinet u.a., Die Textilien aus Palmyra (2000)

5 Piazza Armerina: Großes Jagdmosaik Fayum: Mumienporträt MAK: Tessera, Jh. MAK: Orbiculus, Jh.