Leere Filme - Kino und Leerheit

Transkript

1 Leere Filme - Kino und Leerheit Geistige Schöpfungen in unserem Leben Das, was wir Ich nennen, ist frei von eigenständiger Existenz denn es existiert nicht unabhängig; auch wir existieren ja nicht in unserem Spiegelbild. Jetsun Chögy-Gyaltsen Author: Fedor Stracke Thema: Leerheit

2 Eine Happy Monks Publikation Fedor Stracke

3 Einleitung!... 1 Das Beispiel Frodo!... 2 Die Story und die Charaktere!... 4 Die Analyse!... 5 Schluß!... 7

4 Leere Filme - Kino und Leerheit Geistige Schöpfungen in unserem Leben Das, was wir Ich nennen, ist frei von eigenständiger Existenz denn es existiert nicht unabhängig; auch wir existieren ja nicht in unserem Spiegelbild. Jetsun Chögy-Gyaltsen Einleitung Vor zweitausend Jahren lehrte der Buddha zwei Wahrheiten, die illusionäre allgemeine Wahrheit und die endgültige Wahrheit. Er nannte die allgemeine Wahrheit illusionär, weil wir sie nicht so wahrnehmen, wie sie wirklich ist. Endgültige Wahrheit ist Leerheit, und um Leerheit zu verstehen, müssen wir den Unterschied zwischen Erscheinung und Wirklichkeit verstehen. Dieser Unterschied besteht in dem Widerspruch zwischen der Erscheinung eines Objektes und des Fehlens, der Leerheit dieses Objekts von seiner wahren Existenz. Wenn wir diesen Widerspruch in unserer Wahrnehmung als das erkennen, was er ist, nämlich eine Verzerrung der Wirklichkeit, sind wir gefeit gegen alle quälenden Gedanken. Der Glaube an eine Wirklichkeit, die es so, wie wir sie wahrnehmen, gar nicht gibt, ist Quelle sämtlicher störenden Gedanken. In gewisser Weise ist es leicht nachzuvollziehen, wie der Glaube an verzerrte Wahrnehmungen Leiden verursacht. Wenn wir uns einen anderen Menschen als vollkommen, dauerhaft, rein und attraktiv vorstellen, werden wir uns zu diesem Menschen stark hingezogen fühlen. Und wir werden unseren Geist in einen sentimentalen Zustand versetzen, in dem wir nicht ganz zurechnungsfähig, nämlich verrückt sind. Später, wenn wir erkennen müssen, dass dieses Bild, das wir uns gemacht haben, nicht der Wirklichkeit entspricht, fallen wir in ein tiefes Loch aus Trauer und Depression. 1

5 Genau das gleiche passiert, wenn wir uns einen anderen Menschen als völlig schlecht vorstellen und uns über ihn ärgern und auf ihn wütend sind. Wut und Ärger sind immer die Ursache für Leid. Stellen wir dann später fest, dass wir uns in unserer Einschätzung getäuscht haben, müssen wir unsere Dummheit eingestehen und uns für die Dinge entschuldigen, die wir aus Wut und Ärger heraus getan haben. Es gibt zahllose Beispiele dafür, dass eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit große Probleme, Kummer und Leid hervorbringt. Deshalb sollten wir unseren Geist analysieren und unsere Wahrnehmung immer wieder in Frage stellen. Um unsere Wahrnehmung zu schulen und dabei die Diskrepanz zwischen Erscheinung und Wirklichkeit verständlich zu machen, hat der Buddha verschiedene Beispiele benutzt, in denen die Sinnestäuschung in Träumen, Betrachtungen, Wunder und Illusionen aufgezeigt wird. Wie alle Beispiele dienen auch diese als Brücke dafür, etwas besser zu verstehen. Träume, Phantasien etc. sind Phänomene, die uns den Unterschied zwischen Erscheinung und Wirklichkeit leichter zugänglich machen können. In der modernen Welt können wir dazu noch das Kino hinzufügen ein wunderbares Instrument, um die Diskrepanz zwischen Erscheinung und Wirklichkeit herauszuarbeiten. Das Beispiel Frodo Wenn wir ins Kino gehen, wollen wir gerne glauben, dass das, was wir auf der Leinwand sehen, Wirklichkeit ist. Wir lassen uns gefangen nehmen von der Handlung, lieben den Helden und verachten gegen den Bösewicht. Sobald wir allerdings erkennen, dass der Held und der Bösewicht nur projiziertes Licht auf einer Leinwand sind und gar nicht wirklich existieren, kann der Film ziemlich langweilig werden. Wie im wirklichen Leben gibt es auch hier eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung und dem, was tatsächlich ist, der 2

6 Wirklichkeit. Je mehr wir uns das abhängige Entstehen dessen, was wir sehen, bewusst machen, desto weniger fallen wir auf die Täuschung herein. Nehmen wir zum Beispiel Frodo, den Protagonisten im Herr der Ringe. Im Film begleiten wir Frodo auf seiner Suche nach dem Ring, erleben die Schwierigkeiten, denen er begegnet und bangen mit ihm, ob er den Ring zerstören kann. Aber wenn wir darüber nachdenken, ob Frodo wirklich existiert, müssen wir zugeben, dass es ihn gar nicht gibt. Genauso wenig wie den Weihnachtsmann und das legendäre Einhorn. Und so ist es mit Luke Skywalker, der niemals mit Darth Vader kämpft und mit E.T., der gar nicht nach Hause will. Und doch weinen wir, wenn sie leiden, zittern, wenn sie in Gefahr sind und sind glücklich, wenn es ein Happy-End gibt. Ganz egal, dass es sie nicht gibt, dass sie nur Ideen sind, die nur auf der Leinwand lebendig werden. Natürlich würde niemand behaupten, dass es E.T. wirklich gibt und doch empfinden wir es so. Wahrscheinlich gibt es etwas in uns, das nach Kino verlangt, nach Träumen, nach Geschichten. Manche werden sagen, ihnen gefällt die Story, andere fühlen sich von den Darstellern angezogen, oder von der Regie. Immer glauben wir, von etwas hingerissen zu sein, das es tatsächlich gibt. Je mehr wir allerdings über die Produktion des Filmes nachdenken, über die Probenarbeit und darüber, wie oft eine Szene wiederholt werden musste, desto mehr verstehen wir, dass da gar nichts ist, was es wert wäre sich daran zu klammern Wir erkennen dann, dass die im Film dargestellte Person und dem Filmschauspieler ein großer Unterschied ist und es eigentlich sinnlos ist, starke Gefühle zu entwickeln, während wir einen Film anschauen. Wie Chandrakirti sagt: Narren entwickeln Anhaftung an eine Traum- Figur auch noch, wenn sie wieder aufgewacht sind. Es ist wirklich dumm, uns an eine Traumfrau zu binden, die wir nur in unseren Träumen gesehen haben, denn sie existiert ja nur in unseren Gedanken. Es wäre das gleiche, Anhaftung oder Ärger für die Projektion eines Lichtstrahls auf eine Leinwand 3

7 zu entwickeln, auch wenn eine menschliche Erscheinung daraus wird. Der Buddha sagt sogar, es sei albern, für einen wirklichen Menschen Anhaftung zu empfinden, denn auch Menschen existieren nicht aus sich heraus. Es ist eigentlich nicht richtig, von einem lebenden Menschen als aus sich heraus existierend zu sprechen, aber von der bloßen Erscheinung eines Menschen als aus sich heraus existent zu sprechen, ist noch weiter von der Vernunft entfernt. Die Story und die Charaktere Manche Menschen lieben einen Film wegen seiner Story und der Charaktere, die darin vorkommen. Aber sind beide nicht ein rein geistige Erfindung? Stellen wir die berühmte Frage Wo ist Frodo? oder Wie existiert Frodo? Er ist bestimmt nicht auf der Leinwand und versteckt sich auch nicht in der Filmrolle oder sonst wo im Kino. Er war auch nicht beim Drehen dabei und er ist nicht in Shire oder in Middle Earth. Letztendlich müssen wir zugeben, dass Frodo nur eine Kunstfigur ist, zunächst im Kopf von Tolkien, dann im Kopf seiner Leser. In der Terminologie buddhistischer Psychologie ist Frodo ein bloßer Gedanke eines Geistes, der Frodo denkt. Nicht mehr, nicht weniger. Er ist nur das Objekt eines Gedankens, denn außer des Namens Frodo gibt es gar keinen Frodo. In Frodos Fall bedeutet das, dass er so lange nicht existiert, solange er nicht als Frodo bezeichnet wird auf der Grundlage des Zusammenspiels von physischer und geistiger Erscheinung. Frodo lebt nur in unserem Geist, und der Frodo unserer Vorstellungswelt ist nicht der wirkliche Frodo. Aber den gibt es ja sowieso nicht. Das ist einerseits selbstverständlich, andererseits aber doch sehr verwunderlich. Obwohl wahrscheinlich niemand annehmen würde, dass Frodo wirklich irgendwo existiert, sind wir als Kinozuschauer von seiner Existenz überzeugt und solange der Film läuft, behandeln wir ihn instinktiv als einen wirklichen Menschen mit wirklichen Gefühlen von Glück und Leid. Die geistige Schöpfung wurde zum Leben erweckt. Der Leser eines Romans macht übrigens dasselbe mit den Romanfiguren. 4

8 Die Analyse Wir machen das gleiche im wirklichen Leben. Nach der Philosophie des Mittleren Weges sind alles, wir selbst, unsere Umgebung und die Menschen darin, lediglich benannte konzeptuelle Gedanken. Alles ist nicht mehr als das angenommene Objekt eines konzeptionellen Gedankens. Wenn wir uns bewusst machen, dass alles nur ein von uns benannter Gedanke ist und nichts aus sich selbst heraus existiert, müssen wir uns darüber keine Sorgen mehr machen. Den Weihnachtsmann gibt es nur für die, die an ihn glauben. Und trotzdem machen wir uns über unsere Wirklichkeit viele Sorgen. In unserem Geist erfinden wir eine Lebensgeschichte, eine bestimmte Umgebung, verschiedene Protagonisten und Antagonisten und dann schütten wir noch eine gehörige Portion eigenständiger Existenz hinein. Unsere Freunde sind wundervoll, unsere Feinde böse und schlecht und alle sind es von sich aus, ganz ohne unser Zutun. Wenn wir unseren Blick einmal umdrehen würden und unsere Feinde für unsere Freunde und unsere Freunde für unsere Feinde halten würden, würden wir auch diese Kategorisierungen glauben. Und wahrscheinlich würden wir sogar daran glauben, dass sie sich in Wirklichkeit plötzlich ganz von allein geändert hätten. Nicht nur geändert, sondern ins genaue Gegenteil verkehrt hätten! Es ist ein ewiger Kampf um Glück und Gefühle wie Anhaftung oder Ärger, sie entstehen oft aus einer momentanen Situation für verschiedene Objekte heraus, weil wir an deren reale Existenz glauben. Und mittendrin ist das gute alte Selbst, das Selbst, das wir alle für den Mittelpunkt unseres Lebens halten, auch wenn es von seinem Ursprung her etwas Mystisches an sich hat. Dieses künstlich geschaffene Selbst (-bild) durchdringt und beherrscht jeden Aspekt unseres Lebens, und ist doch, wenn wir versuchen es näher zu betrachten, schwer zu finden. Wir definieren uns auf verschiedene Weise, manchmal von allein, manchmal auf Anforderung von außen. Es ist nicht verwunderlich, dass daraus dieses 5

9 unauffindbare Selbst entstanden ist. Auf natürliche Weise entsteht unser Gefühl vom Ich durch die Erfahrung unseres Körpers und unseres Bewusstseins. Der Buddha hat das Selbst als das bloße Ich definiert, dem durch die Verbindung mit einem der fünf Aggregate ein Label, ein Name zugeschrieben wird. Ein großer Teil unsers Selbstbildes wird durch unseren Geist definiert und dadurch, wie wir unseren Geist wahrnehmen. Wenn wir viel Ärger empfinden, definieren wir uns als ärgerlich, sind wir voll Verlangen, empfinden wir uns als begehrlich und weil wir unsere Buddhanatur nicht erkennen, empfinden wir Hoffnungslosigkeit. Wir sind es gewöhnt, uns durch Kleidung, Frisur, unsere allgemeine äußere Erscheinung, Freunde und Bekannte zu definieren, aber auch dadurch, was andere von uns denken. Oder, noch schlimmer: wir erschaffen ein Bild von uns, das wir in den Köpfen anderer etablieren möchten, um von ihnen widergespiegelt zu bekommen, dass wir tatsächlich so wären. Es gibt also eine ganze Menge mehr oder weniger irreführender Wege, um uns ein Bild von unserem Selbst zu machen. Dabei ist das Ich in unserem eigenen Kontinuum und im Kontinuum der Anderen nur eine Bezeichnung, nur die Vorstellung eines angenommenen Gedankens genau so wie die Figuren im Film oder in einem Roman. Sie werden nur auf der Leinwand oder auf dem Papier lebendig. Trotzdem glauben wir an eine unabhängige Existenz unsers Ichs und daran, dass es die Charaktere auf der Leinwand tatsächlich gibt. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Frodo und uns, nämlich den, dass wir existieren, Frodo aber nicht. Aber wir haben auch Gemeinsamkeiten. Genauso wie Frodo werden wir durch Benennungen definiert. Aber wir, die wir existieren, werden benannt aufgrund einer tatsächlich vorhandenen Basis, nämlich unseres Körpers und unseres Bewusstseins. Die hat Frodo nicht. Deshalb unterliegen wir Ursache und Wirkung, erfahren Glück und Leid und Frodo nicht. 6

10 Schluß Anhand von Filmen kann man gut darstellen, wie wir die Welt entsprechend der Philosophie des Mittleren Weges begreifen können. Nach der Lehre des Buddha wird alles durch die bloße Benennung wahrgenommen und zur Wirklichkeit erst durch unsere Gier nach eigenständiger Existenz. Weil wir daran glauben, dass wir, die Anderen und die Welt eigenständig existieren, entwickeln wir Anhaftung an die, die wir lieben und Ärger für die, die wir nicht mögen. Würden wir erkennen, dass weder wir noch die Welt aus sich heraus existiert, müssten wir weder Anhaftung noch Ärger erfahren. Denn wer würde sich schon zu einer bloßen Idee hingezogen oder abgestoßen fühlen? Von einem Film können wir uns gefühlsmäßig distanzieren, wenn wir uns bewusst machen, dass es ein Film ist. Wir könnten sogar zu dem Schluss kommen, dass es total unwichtig ist, den Film anzusehen, weil er ja nicht wirklich ist (mal abgesehen von dem projizierten Licht auf die Leinwand, und sogar diesem Licht fehlt die eigenständige Existenz). Ganz genauso beseitigt die Realisierung von Leerheit auch das geringste Aufkeimen von Anhaftung und Ärger. Wenn wir den Unterschied zwischen einem Selbst, das aus sich selbst heraus existiert und dem, wie das Selbst tatsächlich existiert, nämlich als bloßes Objekt unseres Benennens, erkennen, verschwindet jede Grundlage unsers Ärgers und unserer Anhaftung. Ist es da nicht erstaunlich, dass Bodhisattvas zu gleicher Zeit Liebe und Mitgefühl für alle fühlenden Wesen entwickeln? Bodhisattvas verstehen, dass fühlende Wesen auf diese konventionelle Weise existieren, weil fühlende Wesen auf der Basis von Körper und Bewusstsein benannt werden; Bodhisattvas verstehen, dass fühlende Wesen in Samsara verweilen und aufgrund ihres Missverständnisses der Wirklichkeit Leid erfahren. Deshalb fallen Bodhisattvas nicht in das Extrem des Nihilismus. 7