Psychische Krankheit und Familie
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- Renate Kramer
- vor 7 Jahren
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1 Psychische Krankheit und Familie A U S W I R K U N G E N A U F D A S E L T E R L I C H E F Ü R S O R G E V E R H A L T E N U N D D I E K I N D L I C H E B I N D U N G S E N T W I C K L U N G H I P P
2 Transgenerationale Übertragung der psychischen Erkrankungen Erbliche Disposition (Funktionsstörungen, medikamentöser Behandlung) Schizophrenie (z.b. auch Wochenbettpsychose) manisch-depressive Erkrankung (z.b. auch Wochenbettdepression) Suchterkrankungen (?) Störung der Bindungsentwicklung des Kindes: Traumatisierungen wie z.b. durch Vernachlässigung, unverarbeitete Beziehungsabbrüche (Bindungsverluste), emotionale Misshandlung, Gewalt, sexueller Missbrauch (epigenetische Programmierung der Stresshormonrezeptoren, neurobiologische Strukturstörungen, Psychotherapie) Angststörungen Depressionen Persönlichkeitsstörungen Psychosomatische Störungen Suchterkrankungen
3 Biopsychosoziale Traumafolgen (Beziehungsstörung, emotionale Instabilität, Autonomiedefizite) Entfremdung von sich selbst und der Welt Keine Zugehörigkeit Einsamkeit (Heimweh) Urmisstrauen (Beziehungsvorsicht nach elterlichen Verrat ) Ablehnung von Beziehungsangeboten Eifersucht Kontrolle Gefühl der Schutzlosigkeit ( gefrorene Ohnmacht) Bedrohungsgefühl Soziophobie (Vermeidungsverhalten)
4 Biopsychosoziale Traumafolgen Schädigung der Stressbewältigungssysteme (nach toxischer Cortisol-Einwirkung) mit Fehlalarmierungen des Bedrohungszentrums (Amygdala): Stress-Frustrationsintoleranz mit Notfallreflexen (Impulsivität, Selbstkontrollverluste) Mentalisierungsdefizite ( Innerer Beobachter ) Einschränkungen von Selbstreflexionsfähigkeit, Feinfühligkeit und Responsivität (Bindungsstörung) Autonomiedefizit (Bedürfnisorientierung, kein Perspektivwechsel, Stress- und Frustrationsintoleranz) Einschränkung der Lernfähigkeit (Wiederholungstendenzen) Krankheitseinsicht, Problemkongruenz, Hilfeakzeptanz
5 Biopsychosoziale Traumfolgen Retter-Täter-Opfer-Reinszenierung (Täterintrojekte): Beziehungswechsel, Hoppingverhalten Identitätsfragmentierung mit der ständigen Bedrohung des Ich-Bewusstseins durch traumaassoziierte Persönlichkeitsanteile (Erlebnisdiskontinuität, psychosoziale Desorganisation) Neuropsychologische Defizite: Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Antizipation, Lese-Rechtschreib- Schwäche, Dyskalkulie, Lernbehinderung
6 Dysfunktionale Bewältigungsstrategien (Coping) Vermeidung (Überforderung, soziale Kontakte) Kontrolle Alkohol, Drogen (Selbstmedikation) Pathologische Internetnutzung (Parallelwelt) Selbstverletzendes Verhalten Essstörung
7 Fehleinstellung der autonomen Stressbewältigungssysteme traumaplastische Struktur des Gehirns (Notfallbereitschaft) Übererregtes Panik-Bindungs-System: hohes Stress- Anspannungsniveau, Angst vor Verlassen-Werden (Allein-Sein), psychomotorische Unruhe, Hilflosigkeit, Schlafstörungen (Hypervigilanz, Hyperarousal) Fehlalarmierung des Bedrohungssystems (Amygdala) bei Überforderung, Frustration, Triggerreizen oder Aktivierung des Annäherungs-Vermeidungs-Konfliktes (z.b. kindliches Bindungsverhalten) Reaktualisierung des Traumas: Orientierungsverlust (Zeit, Ort, Person) Todesangst mit affektiver Überflutung Unkontrollierte Überlebensreaktionen mit katastrophischen Reflexmustern (Notfallprogramme, Defensivreaktionen): Furcht-Sympathikus-System: Kampf (Wut) Flucht (Angst) Panik-Bindungs-Parasympathikus-System: Unterwerfung (Hilfeschrei) Notabschaltung ( Totstellreflex ): Dissoziation/Erstarrung (Freezing)
8 Das Neugeborene Angeborene, fixierte Wahrnehmungs-Handlungs- Muster (Hirnstamm: Automatismen, Impulsivität) Erleben der Affekte als katastrophische Emotionen (Wut, Furcht, Hunger, Schmerzen, intensive Bedürftigkeit) Erregung des Panik-Bindungssystems (Amygdala, Parasympathikus, Stress-Hormon-Achse) Abhängigkeit von unmittelbarer Fürsorge (keine Erziehung! keine Verwöhnung! möglich)
9 Kontaktgestaltung der Kleinkinder mit der Außenwelt Bindungsverhalten (Sicherheitssystem, Selbstschutz): Abhängigkeit von physischer Nähe der Bindungspersonen: Protest bei Trennung Suche der Nähe zu den Bindungspersonen zur Herstellung von Sicherheit und Versorgung bei Angst, Schmerz, Hunger etc. Explorationsverhalten (Neugiersystem) Distanzierung von Bindungspersonen zur Erkundung der Außenwelt mit Annäherung an attraktive Ziele Selbstwirksamkeitserfahrungen, Kompetenzerwerb beim Problemlösen (Dopamin / Endorphine neuronale Vernetzung) Anstrengung mit Frustrationstoleranz Autonomieentwicklung (Erwachsenwerden) eingebettet in Beziehung, bezogene Individuation (Zugehörigkeit/Individualität), Mentalisierung Bindung ist Bildung!
10 Bindung und Exploration nach Grossmann & Grossmann Bindungssystem aktiv Exploration s-system aktiv
11 Bindung und Exploration Nach Grossmann & Grossmann Bindungssystem aktiv Exploration s-system aktiv
12 Voraussetzung für gelingende Entwicklungsprozesse: Mutter bildet sichere Basis (Intuition, Mentalisierung: inneres Radarsystems für kindliche Signale, Beruhigung des Panik-Bindungssystems) Wahrnehmung der nonverbalen kindlichen Signale und Entwicklungsinitiativen (Mimik, Blicke, Zielbewegungen, Lautäußerungen) Richtige Interpretation der Signale in Abgrenzung von den eigenen Bedürfnissen (Einfühlungsvermögen, Selbstreflexion, Realitätsprüfung) Zeitnahe und angemessene Reaktion (Responsivität, Kontingenz)
13 Entwicklung der Affektregulation (Fonagy & Bateman 2006) Psychisches Selbst Sekundäre Repräsentation Repräsentation des eigenen Zustandes Ausdruck Verdauung Resonanz Körperliches Selbst Zustand innerer Erregung Primäre Repräsentation Kind Bindungsperson
14 Mentalisierungsdefizit der Mutter: keine sichere Basis (Intuition, Feinfühligkeit, Responsivität) Hohe Wahrnehmungsschwelle für kindliche Signale: High-Tension- State Interaktion auf extremem Affektniveau (Stress!) Kein Spiegeln: Vermeidungsverhalten (von Triggerreizen ): Sprachlosigkeit, wenig Haut-Blickkontakt Dissoziation: Trance, Freezing Antriebsstörung (z.b. Depression, Schizophrenie) Unmarkiertes (unreflektiertes) Spiegeln: Infektion: Kindliche Angst wird unverändert oder verstärkt als eigene Emotion (Ansteckung mit Hilflosigkeit, Panik) gespiegelt Inkontingenz (Unberechenbarkeit, Zeitverzögerung) Bestrafung der kindlichen Bindungssignale oder Explorationsaktivitäten (evtl. Ablenkung durch Verwöhnung) Invalidierung der kindlichen Emotionen Umkehr von Folgen und Leiten ohne Kontaktmomente
15 Folgen desorganisierter Bindung (Bateman & Fogaty) Fremdes Selbst / eigener Körper als Objekt Psychisches Selbst Sekundäre Repräsentation Nicht kontingente Repräsentation Ausdruck Misslingende Verdauung Körper- Selbst Primäre Repräsentation Kind Innere Erregung bleibt oder steigt an Resonanz Bindungsperson
16 Aufhebung der Generationsgrenzen: Das Kind als kleiner Erwachsener Funktionalisierung des Kindes : guter Elternteil : Symbiose (ungefährliche Nähe als Teil des Selbst) zur Überwindung von Einsamkeit und Allein- Sein Hilfsobjekt zur externen Affektregulierung Bedeutungserhöhung: Soziale Aufwertung als Mutter, narzisstische Projektion (zukünftiger Glamour ) Vermeidung von Ausbildung und Beruf Stabilisierung der Beziehung zum Partner Symbol für heile Familie (Ungeschehenmachen des Traumas)
17 Aufhebung der Generationsgrenzen Das böse Kind (Gefährdung!): Nach Ende der Symbiose-Illusion (6.Lebensmonat?) Interpretation des kindlichen Bindungsverhaltens als Bedrängung und des Explorationsverhaltens als Abwendung (Liebesentzug) Täterübertragung ( böser Elternteil ): Enttäuschung, aggressive Ablehnung, emotionale Misshandlung Sündenbockfunktion: Externalisierung des fremden Selbst oder des Täterintrojekts (später Gefahr cotraumatischer Prozesse) Geschwisterrivalität (evtl. Neid auf die Lebensfreude des Kindes)
18 Aufhebung der Generationsgrenzen - das gute Kind (Parentifizierung, Retterübertragung) Aufspaltung in einen regressiven kindlichen Teil (Symbiose) und einen als Notreifung nach außen dominierenden (fassadenhaften) pseudoprogressiven Teil, der als das gute Objekt die Versorgung der Eltern übernimmt. Entwicklung eines falschen Selbst : Ängstlicher Gehorsam (Unterwerfung), Beschwichtigung (Fassadenhaftigkeit), Überfürsorglichkeit (Kontrolle), Überanpassung an die Erwartungen anderer, Abspaltung eigener Bedürfnisse Leistungsorientierung; Helferidentität; Co-Abhängigkeit gegenüber Partnern (Überwindung der Einsamkeit durch Verantwortungsübernahme für andere; Gebrauchtwerden ) Wechsel Gut/Böse: Ich hasse Dich, verlass mich nicht! Verzicht auf Versorgungs- und Leitungsfunktion (Grenzsetzung)
19
20 Bindungsstörungen(Traumatisierung): kontextunabhängige, rigide Selbstschutzstrategien Externalisierte Störungen: gestörte Aufmerksamkeits- Affekt- und Impulsregulation (z.b. ADHS, Störung des Sozialverhaltens) Notfallreflexe unter Stress (Fight, Flight, Freeze), beeinträchtigte Kooperationsfähigkeit Unreife Mentalisierungsmodi (Äquivalenzmodus/Symbiose): von der Grenzdurchlässigkeit zur Grenzüberschreitung Annäherungs-Vermeidungskonflikt gegenüber Bindungspersonen: kein Vertrauen, kein Selbstvertrauen Ablehnung von Hilfe und Nähe (um Zurückweisung zuvorzukommen) Reinszenierung des Opferstatus durch Stören, Provozieren (negative Kontaktgestaltung, keine Kooperationsfähigkeit)
21 Bindungsstörungen Internalisierte Störungen (Überanpassung): Zwanghafte Fürsorglichkeit (Parentifizierung) Unterwerfung ( falsches Selbst ) Sozial promiske Annäherung an fremde Erwachsene kein Bindungsverhalten Entwicklungsverzögerungen (Sprache, Motorik); Autonomiedefizite Lernstörungen (LRS, Dyskalkulie, ADS etc.) Regression in bereits verlassene Entwicklungsphasen (Einkoten, Einnässen) Schlafstörungen, Albträume
22 Traumapädagogik in der Elternarbeit Beruhigung des Panik-Bindungssystems: Aufbau des sicheren äußeren Ortes Beziehungsarbeit (Fachkraft als Sicherheitsbeauftragte und Ersthelferin ): Externe Regulierung Struktursetzung (Ordnung, Regeln) zur Orientierung (Gerechtigkeit) Entlastung (Ämter, Erwerbsunfähigkeit), Energiemanagement Förderung des Explorationssystems (Entwicklungsstimmung) Empowerment : Selbstwirksamkeitserfahrung unter Stress, realistische Zielsetzung, Psychoedukation Mentalisierungstraining (Stirnhirnarbeit) Markierte Spiegelung (Benennen), Perspektivwechsel Videomethoden (Marte Meo): Entwicklung des inneren Beobachters
23 Videogestützte Interventionen: Marte Meo, Video-Home-Training, Steep entwicklungspsychologische Beratung Analyse der Eltern-Kind-Interaktion mittels Videografie (Wahrnehmen, Folgen, Benennen, Bestätigen, Leiten) Entwicklungsdiagnostik- unterstützung und prognose Einführung der Metaposition (Kamera als spiegelnder externer Beobachter ) zum Training der Mentalisierung
24 Nonverbaler Zugang zum limbischen System Erreichen des prozeduralen Gedächtnisses unbewusstes, automatisiertes Erfahrungs- und Handlungswissen, Skills, Beziehungsroutine Kamera als Mikroskop zur Vergrößerung und Veranschaulichung winziger gelungener Interaktion Mutter/Kind (STEEP: Seeing is believing! ) Gleichzeitige Beschreibung von Handlungen, Erfahrungen und Emotionen eröffnet Räume des Staunens und der Reflexion bei der Mutter
25 Wirkungsfaktoren der Widerlegung dysfunktionaler Annahmen der Bindungsperson (Hilflosigkeit, Ablehnung durch das Kind) durch Realitätsprüfung neue mentale Repräsentationen des Selbst und des Kindes beliebige Wiederholung: Genießen (Glückshormone!) der Magic Moments ( gute Bilder, Kontaktmomente), Kreation einer Entwicklungsstimmung (Marte Meo ist Entwicklungszeit! Lösungsorientierung) Stärkung der Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Senkung des Angstpegels) Aktivierung des Explorationssystems der Mutter Ermöglichen nachhaltiger Lernerfahrungen (Kontakt, Folgen, Benennen, Leiten etc.) durch Wiederholung im Sinne der Stärkung der Mentalisierungsfähigkeit (reflexiver Modus) Überwindung des Hilfe-Kontroll-Dilemmas (Geschenke statt Aufgaben!)
26 Buchempfehlungen Jacob Bausum, Lutz Besser, Martin Kühn, Wilma Weiß Traumapädagogik Grundlagen, Arbeitsfelder und Methoden für die pädagogische Praxis bei Juventa Marita Krist, Christina Weisbrod, Adelheid Wolcke und Kathrin Ellermann-Boffo Herausforderung Trauma Diagnosen, Interventionen und Kooperationen der Erziehungsberatung in der Reihe "Bundeskonferenz für Erziehungsberatung" bei Beltz-Juventa. Rauwald Vererbte Wunden Transgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen bei Beltz
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