Fern aller Dörfer und Menschen: Unterwegs auf dem alten Saumpfad von Vals zum Tomülpass.

Transkript

1 ÜBER DÄ BÄRG Vor mehr als 700 Jahren wanderten die Walser in den bündnerischen Rheinwald, das Valser- und Safiental aus. Der WALSERWEG erweckt die Geschichte der Siedler zu neuem Leben. Text Caroline Fink Fotos Alex Buschor 64 Schweizer Familie 38/2014

2 Fern aller Dörfer und Menschen: Unterwegs auf dem alten Saumpfad von Vals zum Tomülpass. Schweizer Familie 38/

3 Die älteste Walsersiedlung Graubündens: Hinterrhein, heute ein wichtiges Etappenziel auf dem Walserweg. Es ist, als schlichen die alten Zeiten bis heute durch das Bündner Dorf Hinterrhein. Hühner trippeln über den Dorfplatz und picken im Kopfsteinpflaster, aus einem Stall klingen Ziegenglocken, hie und da geht jemand durch eine der schmalen Gassen. Nicht mehr als eine Handvoll Häuser mit Steindächern das ist Hinterrhein. Ein Dorf, in dem Wanderer keinen Wegweiser brauchen, um die Pension Rothaus zu finden: In fünf Minuten sind sie von einem Ortsende zum anderen geschlendert, und ein rotes Haus gibt es nur eines. Hinterrhein ist die älteste Walsersiedlung Graubündens und heute ein wichtiges Etappenziel auf dem Walserweg. Einem Weitwanderweg entlang der Spuren der Bündner Walser. Dass diese sich hier als Erstes niederliessen, erstaunt indes kaum: Ganz nah liegt der Passo del San Bernardino, über den die Einwanderer vor mehr als 700 Jahren zogen. Denn die Leute aus dem Wallis wanderten nicht direkt aus ihrem Stammland ein, sondern von Süden «Wind und Wetter lassen die Bäume schief und knorrig wachsen. Und uns Menschen auch.» Johann Egger, Bauer und Gastwirt her, wo sie bereits Siedlungen wie Bosco- Gurin im Maggiatal gegründet hatten. Wo sie ankamen, bauten sie ihre Häuser dort, wo noch keiner war. Zuhinterst in den Tälern und in rauen Höhenlagen. So auch in Hinterrhein: Im hintersten Dorf des Rheinwalds schneit es manchmal im Sommer, und im Herbst bläst ein eisiger Wind über den Dorfplatz. «Wir haben nur schiefe, knorrige Lärchen hier», sagt Bauer und Gastwirt Johann Egger. Wind und Wetter liessen die Bäume so wachsen. Der Keller wird zur Gastwirtschaft «Und uns Menschen auch», fügt er an und schmunzelt. Wird der Mann aus Hinterrhein auf seine Walserwurzeln angesprochen, zuckt er aber nur mit den Schultern: Was seit Jahrhunderten ist, wird irgendwann alltäglich. Dennoch gefalle ihm die Idee des Walserwegs, denn dieser ver binde, was einst zusammengehörte: das Rheinwald, das Valser Tal und das Safiental. Drei Walsertäler, die über Saumpfade eng verbunden waren und deren Tal bewoh ner zusammen Feste feierten und Handel trieben. Und da es in Hinterrhein kein Restaurant gab, baute Johann Egger kurzerhand das Kellergewölbe seines 500-jährigen 66 Schweizer Familie 38/2014

4 Wo die Bäche wie Adern mäandern: Auf der Alp Tomül. Schweizer Familie 38/

5 Dorfkern von Vals: Die einen kommen wegen der bekannten Therme, die andern wegen der vielfältigen Wanderstrecken. Hauses zu einer Gastwirtschaft um. Seither serviert er dort kalte Platten und Raclette. Ganz so, als wäre er immer schon Gastwirt gewesen, bringt er den Gästen dampfende Hinterrheiner Kartoffeln an den Tisch und Holzbrettchen mit Alpkäse, den er im eigenen Käsekeller eine Tür weiter holt. Und manchmal setzt sich der Hinterrheiner nach dem Essen zu seinen Gästen und erzählt von früher. Davon, wie sein Grossvater nachts mit der alten Holzlaterne, die nun über dem Tisch hängt, zum Maiensäss stieg. Oder davon, wie sein Urgrossvater ein Valser Knecht war und «über dä Bärg» kam, um diesen Hof zu übernehmen. Eiskalt bläst der Herbstwind «Über dä Bärg» nach Vals führt tags darauf auch der Walserweg. Von Hinterrhein schlängelt er sich hoch über Weiden, die sich in sanften Wellen zu Kuppen und Bergen aufrichten, vorbei an sonnengeschwärzten Ställen und schlafenden Alphütten bis zum Valserberg. Jenem Übergang, der kein Berg, sondern ein Pass «Hier im Safiental gibt es noch den Walserstolz.» Angelika Bandli, Bäuerin ist und auf dem der Herbstwind wie in der Tundra eiskalt über Geröll bläst und an trockenen Grashalmen zerrt. Wer auf diesem Weg unterwegs ist, mag sie immer wieder vor sich sehen: die Walserfamilien, die vor Jahrhunderten mit Hab und Gut, mit Kindern, Hunden und Vieh durch die Alpen zogen auf der Suche nach einer neuen Heimat. Was mag sie bewegt haben? Worum bangten und worauf hofften sie? Ob der Herbstwind sich an sie erinnert? Geblieben von ihnen sind die Häuser, ihre Sprache und mit ihr die Flurnamen: Zwischen dem Valserberg und Vals gehen Wanderer vorbei an den Stockbärga zum Balmatachli und blicken hinab auf die Steindächer des Hofli, des Furrahus und Bodahus Häuser und Ställe mit Dächern aus Schieferplatten, die in Streusiedlungen weit über das Hochtal von Peil verteilt sind, als hätte ein Riese mit einem Fuhrwerk ein Haus ums andere verloren. Erst dort, wo das Peiltal ins grössere Valser Tal mündet, entstand ein Dorf mit stattlichen Häusern und einem Platz, auf dessen Mitte ein runder Steinbrunnen plätschert: Vals. Einst waren die breiten Holzhäuser am Platz der Stolz grosser Familien. Heute scheinen sie die Welt mit stillem Blick zu betrachten: Einheimische, die am Rand des Platzes stehen bleiben und plaudern. Gäste aus aller Welt, die mit 68 Schweizer Familie 38/2014

6 Bedrohliche Zeiten: Verlassene Militärbauten aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Valserberg. Bescheidene Zeiten: Blick ins Safier Heimatmuseum Althus. Schweizer Familie 38/

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8 Safien 1315 m Ausschnitt Stille Welt: Der Walserweg führt über den Tomülpass (Bild) ins Safiental. Tomülpass GRAUBÜNDEN Splügen WALSERWEG GRAUBÜNDEN Vals Der Walserweg Graubünden führt in 19 Etappen von San Bernardino im Misox über Safien, Juf, Davos, Arosa und St. Antönien ins österreichische Brand. Die Route kann abgekürzt und in Abschnitten begangen werden. Beschriebene Etappen: Im Text beschrieben ist der dreitägige Abschnitt Hinterrhein Valser Tal Safiental: Hinterrhein Vals, 6 Std., 1050 Hm, T2+; Vals Safien Turrahus, 5,5 Std., 1250 Hm, T2; Safien Turrahus Safien Platz, 3,5 Std., 340 Hm, T2. Abkürzung: Von Safien Heimelig: Der «Bachhuus-Chäller» in Hinterrhein. Turrahus fährt ein Postauto nach Safien Platz. Anreise/Rückreise: Mit dem Zug via Chur nach Thusis und weiter mit dem Postauto nach Hinterrhein; von Safien Platz per Postauto nach Versam und zurück mit dem Zug nach Chur. Unterkunft und Einkehr: B&B Rothaus, Hinterrhein, Tel «Bachhuus-Chäller», Hinterrhein, Spezialität Raclette, Anmeldung erforderlich, Tel oder Diverse Hotels und Gasthäuser in Vals und im Safiental, ausführliche Infos im Wanderführer und bei den Tourismusbüros (siehe unten). Anforderungen: Die Etappen dauern zwischen 3 und 7,5 Std. bei durchschnittlich 900 Hm Anstieg, Schwierigkeit T2/T2+ (letzte Etappe T3). Wanderführer: Irene Schuler, «Walserweg Graubünden. In 19 Etappen vom Hinterrhein in den Rätikon», Rotpunktverlag, 38 Franken. Website: Zum Walserweg gibt es eine eigene Website mit ausführlichen Infos zu allen Etappen, Sehenswürdigkeiten am Wegrand und der Geschichte der Walser und den nötigen Kartenausschnitten. Wandern ohne Gepäck: Auf einzelnen Abschnitten Valserberg Hinterrhein 1624 m sind Pauschalangebote buchbar, inkl. Übernachtung im DZ, HP, Tagesproviant, ÖV-Billetten, Wanderliteratur, Museumseintritten und Gepäcktransport. San Bernardino Thusis/Thusis Juf/ Davos St. Antönien, je fünf Nächte, 799 Franken/Person; Filisur Davos, drei Nächte, 534 Franken/Person. Infos und Buchung: Rhätische Bahn, Tiefencastel, Tel , tiefencastel@rhb.ch Allgemeine Infos: Viamala Gästeinformation, Tel Tourismusbüro Vals, Tel Safiental Tourismus, Tel Schweizer Familie 38/

9 Backofen blickt. Sie, die aus dem Domleschg zugezogen sei und einen Safier geheiratet habe, spüre diesen Stolz auch nach Jahren noch. Etwa, wenn ihre drei Kinder «die verstehen sich als Walser!» spöttelten, wenn sie Bündner Dialekt anstatt Walserdeutsch spreche. Deshalb sage sie nun auch schon «bi ünsch» und spreche im Garten vom «Beet usserzua», dem Beet talauswärts. Sie schmunzelt, und man merkt: Angelika Bandli fühlt sich wohl in diesem Tal, das erst 1885 über eine Strasse mit der nördlich gelegenen Surselva verbunden wurde. Bis dahin zogen die Safier ostwärts über den Glaspass nach Thusis und südwärts über den Safierberg ins Rheinwald, um weiter über den San Bernardino oder Splügen auf die norditalienischen Märkte zu gelangen, wo sie mit Vieh und Waren handelten. Nur zwei Winter in der Fremde Einer im Tal, der noch viel von alten Zeiten weiss, ist Sebastian Gander, von allen «der Bastli» genannt. Der alte Mann mit den lieben Augen und dem weissen Bart erinnert ein wenig an einen Alpöhi, und wenn er Besucher durch das Safier Heimatmuseum führt, erwacht dieses zum Leben, als würde ein Zauber in den Balken des alten Walserhauses wirken. Mit seinen knorrigen Händen zeigt Bastli «Die Nana mutterseits kam grad hier im Haus oberhalb des Museums zur Welt.» Bastli Gander im Safier Heimatmuseum Gander seinen Gästen das Chäschessi in der russigen Küche und wickelt in der Stube vorsichtig ein weisses Tuch auseinander, in dem gehäkelte Taufkäppchen aufbewahrt werden. Dann geht er über knarrende Dielen und schiefe Treppen in den nächsten Stock und erzählt, wie er als Bub Ochsen vor die «Schläipfä» spannte, einen Schlitten, um Heu und Holz zu transportieren. Und wie er Taue aus Kuhhäuten flocht, die robust waren, aber von den Mäusen gefressen wurden. Vor der schwarz-weissen Fotografie einer Grossfamilie in Sonntagskleidern bleibt der sanftmütige Mann stehen und zeigt auf eine junge Frau. «Das war meine Nana», sagt er, die Mutter seines Vaters. «Und die Nana mutterseits kam grad hier im Haus oberhalb des Museums zur Welt.» Ganz in der Nähe von jenem Haus, wo er heute wohnt. Nur zwei Winter habe er in der Fremde verbracht, erzählt er. An der Landwirtschaftsschule in Zürich. Danach sei er zurückgekehrt: zu seinem Hüschi, seiner Alphütte, seinem Tal. Die Berge trennen die Walser nicht Ins «Rathaus» geht der bescheidene Bastli Gander sonntags nur selten. Doch wenn er mal einkehrt, kommt es vor, dass auf einmal Johann Egger aus Hinterrhein mit seiner Frau Christina einer Safierin an seinem Tisch steht und fragt, wie es so gehe. Dann antwortet Bastli Gander, es gehe gut, aber er habe gehört, Johanns Sohn wolle keine Geissen mehr. Worauf Johann Egger sagt, so sei es, und sich dann nach dem Solarskilift im Safiental erkundigt. Und so ist es heute wie früher: Die Berge trennen die Walser nicht, sie verbinden sie, und jeder weiss, was im Tal des anderen läuft. Auch wenn die Einheimischen heute nicht mehr über die Pässe wandern, um Verwandte und Bekannte zu besuchen. Sondern erst einmal nach Norden fahren in die romanische Surselva. ANZEIGE AKKU LEER? GLY-CORAMIN WENN SIE HOCH HINAUS WOLLEN. Gly-Coramin bei Ermüdungserscheinungen durch körperliche Anstrengungen sowie Beschwerden in der Höhe. Energiespendend, atem- und kreislaufanregend. Erhältlich in Apotheken und Drogerien. CH-9101 Herisau, Bitte lesen Sie die Packungsbeilage!