Acht Wochen ins Bett für bemannten Weltraumflug zum Mars

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2 Zentrum für Muskel- und Knochenforschung Universitätsklinikum Benjamin Franklin Freie Universität Berlin Leiter: Prof. Dr. Dieter Felsenberg Berliner Forscher starten weltraummedizinisches Forschungsprojekt: Acht Wochen ins Bett für bemannten Weltraumflug zum Mars Die Eroberung des Alls, der Besuch von benachbarten Planeten ist ein Menschheitstraum, dessen Verwirklichung in greifbare Nähe zu rücken scheint jedenfalls was die technischen Voraussetzungen hierfür anbetrifft. Doch wie bekommt es der Gesundheit des Menschen, wenn er sich über längere Zeiträume der evolutionskonstanten Erdanziehung entzieht? Fest steht, dass vor dem ersten bemannten Weltraumflug zum Mars in möglicherweise 12 bis 15 Jahren noch eine ganze Reihe medizinisch physiologischer Mechanismen zu klären ist, wenn die interplanetare Mission erfolgreich verlaufen soll. Das Berliner Zentrum für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) hat zu noch offenen weltraummedizinischen Fragen eine wissenschaftliche Studie initiiert, die in Kooperation mit der European Space Agency (ESA) und weiteren nationalen und internationalen Forschungszentren am Uniklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin durchgeführt wird. Zwanzig geeignete männliche Testpersonen sollen als terrestrische Astronauten acht Wochen unter Schwerelosigkeit ähnlichen Bedingungen verbringen. Im Rahmen einer Marsmission werden die Astronauten ca. zwei Jahre im Space unterwegs sein. Bereits nach einem Aufenthalt von wenigen Wochen im All verlieren die Knochen erheblich an Substanz. Ursache hierfür ist, dass unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit die durch Muskeln auf Knochen einwirkenden und zugleich knochenaufbauenden Kräfte sehr stark vermindert sind. Um die Gefahr von Knochenbrüchen der Weltraumfahrer bei ihren ersten Gehversuchen im Schwerefeld des Mars auszuschließen und damit ein Scheitern der gesamten Mission zu verhindern, müssen geeignete Muskeltrainings-Methoden zur Verhinderung von Muskel- und Knochenschwund entwickelt und getestet werden. In Berlin soll nun mitgearbeitet werden an der erfolgreichen Realisierung der ersten bemannten Marsmission. Das Zentrum für Muskel- und Knochenforschung am Universitätsklinikum Benjamin Franklin der FU Berlin startet in Kooperation mit der

3 Europäischen Weltraum-Agentur (ESA) und weiteren nationalen und internationalen Forschungszentren am 16. Februar 2003 ein medizinisches Forschungsprojekt mit dem Ziel, die Mechanismen von Knochen- und Muskelatrophien unter Schwerelosigkeit zu klären. Nach der Rückkehr aus dem All ähnelt der Zustand der Astronauten dem von bettlägerigen Patienten, weshalb langandauernde Bettruhe ein geeignetes Modell ist, die humanphysiologischen Mechanismen der Mikrogravitation zu studieren. Für die so genannte Berliner BedRest-Studie, die in fünf seriellen Staffeln abläuft, sollen insgesamt 20 Probanden, motivierte Männer im Alter von 20 bis 45 Jahren, die die Zeit und vor allem den eisernen Willen haben, sich acht Wochen lang Bedingungen auszusetzen, die den von Astronauten im Weltraum gleichen, Wegbereiter werden für den nächsten großen Schritt der Menschheit in den Kosmos. Dabei wird den in Frage kommenden Testpersonen einiges abverlangt: achtwöchiger Aufenthalt in physiologisch simulierter Schwerelosigkeit (strikte Bettruhe mit stark limitierter Kraftentwicklung in den unteren Extremitäten) und keine privaten persönlichen Kontakte. Weitere wichtige Voraussetzungen, die an die Probanden gestellt werden, sind u.a. ein guter Gesundheitszustand sowie eine stabile Persönlichkeit mit klaren Vorstellungen und psychischem Durchhaltevermögen. Geboten wird den Probanden neben dem Bewusstsein, einen unverzichtbaren Beitrag für die Realisierung bemannter interplanetarer Weltraummissionen geleistet zu haben, eine Aufwandsentschädigung von EUR, die allerdings an die strikte Einhaltung der Studienbedingungen gebunden ist. Während des Aufenthaltes werden Telefon, eigener TV und PC mit Internetanschluss zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus werden Möglichkeiten für einen intensiven Erfahrungsaustausch der Testpersonen untereinander sowie mit der wissenschaftlichen Crew geschaffen. An der Berliner BedRest-Studie sind zahlreiche Forschergruppen beteiligt: ESA European Space Agency Dutch Institute of Fundamental and Clinical Human Movement Sciences, Nijmegen, Amsterdam, Niederland Manchester Metropolitain University, Groß Britanien NovoTec Medical GmbH, Pforzheim University College, London, Groß Britanien Universität Queensland, Gesundheitswiss. Fakultät, Brisbane, Australien ZWMB Zentrum für Weltraummedizin, FU Berlin DLR Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Universitätsklinikum Benjamin Franklin, FU Berlin, mit den Abteilungen - Institut für klinische Chemie und Pathobiochemie - Internistische Intensivmedizin - Abtlg. Psychosomatik und Psychotherapie - Physikalische und Rehabilitative Medizin - Klinik und Poliklinik für Radiologie und Nuklearmedizin - Sportmedizinisches Institut Berliner Forscher starten weltraummedizinisches Forschungsprojekt: Acht Wochen ins Bett für bemannten Weltraumflug zum Mars

4 Zentrum für Muskel- und Knochenforschung Universitätsklinikum Benjamin Franklin Freie Universität Berlin Leiter: Prof. Dr. Dieter Felsenberg Screening erfolgreich angelaufen: Die ersten terrestrischen Astronauten stehen fest Am 8. Januar 03 begann in Berlin die Suche nach geeigneten Testpersonen für die so genannte Berliner BedRest-Studie (BBR). Die Berliner Medien haben den Aufruf des Zentrums für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) tatkräftig unterstützt und mit dazu beigetragen, dass sich bereits innerhalb von zwei Wochen über 700 Interessierte junge und jüngere Männer beim Rekrutierungszentrum des ZMK gemeldet haben. Ein Teil von ihnen wurde umfangreichen psychologischen und medizinischen Selektionsverfahren unterzogen. Inzwischen stehen die ersten vier Kandidaten für die Teilnahme an der ersten Staffel der weltraummedizinischen Studie fest. Das psychologische Screening der ersten vorselektierten Kandidaten begann am 20. Januar 03 unter der Leitung zweier Luft- und Raumfahrtpsychologen des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR), Dr. rer.nat. Bernd Johannes und Dipl. Psych. Henning Soll. Zunächst mussten sich die Delinquenten durch über 300 Fragen von speziell auf die Rekrutierung von Astronauten und Piloten zugeschnittenen Fragebögen durcharbeiten. Anschließend folgte ein persönliches Interview durch die Psychologen unter Anwesenheit des Studienleiters Prof. Dr. med. Dieter Felsenberg, dem Studienkoordinator Dr. med. Jörn Rittweger, sowie weiterer wissenschaftlicher Mitarbeiter des ZMK. Ein Viertel der Kandidaten hat das psychologische Selektionsverfahren erfolgreich absolviert. Anschließend wurden diese in einem medizinischen Screening genauestens auf ihren gesundheitlichen Zustand hin durchgecheckt. Die eingesetzten Verfahren waren dabei u.a.: Extensives Belastungs-EKG zur Bestimmung der kardiovaskulären Belastbarkeit, Echokardiographie zum Ausschluss von Herzfehlern und -anomalien, farbkodierte Duplex-Sonographie der Beinvenen sowie genetische Tests zur Evaluierung von Thrombose-Risiken, osteodensitometrische Diagnostik zur Bestimmung u.a. der Knochendichte in verschiedenen Regionen des Skeletts.

5 Aus dem medizinischen Screening sind fünf geeignete Studienteilnehmer hervorgegangen. Vier von ihnen werden am Sonntag, den 16. Februar 03, ihr Abenteuer im Liegen antreten. Sie befinden sich seit dem 13. Februar im Uniklinikum Benjamin Franklin (UKBF) und unterziehen sich den Voruntersuchungen zur Ermittlung der wissenschaftlichen Baseline-Daten. Am 13. April 03 ist es dann soweit, nach achtwöchigem Durchhalten in der Horizontalen unter Einhaltung von strengen Limits bezüglich der Beinbewegungen dürfen die vier Tapferen wieder aufstehen und die ersten Gehversuche unternehmen. Nicht nur für die persönliche Erfahrung der Testpersonen, sondern auch aus wissenschaftlicher Sicht ein besonders bedeutsamer Augenblick, der von zahlreichen Tests und Untersuchungen begleitet werden wird. Die zu erwartenden Knochensubstanzverluste während der acht Wochen Immobilisation werden die 10 Prozent kaum übersteigen, ein Wert, bei dem es zu keinen erhöhten Risiken für eine Fraktur kommt. Auch sind die eintretenden Muskel- und Knochenatrophien reversibel, d.h. langfristig ist mit keinen bleibenden Veränderungen zu rechnen. Wichtige Voraussetzungen, die zur Genehmigung dieser Studie durch die Ethikkommission des UKBF, FU Berlin, geführt haben. Bereits ca. eine Woche nach der BedRest-Phase ist die Alltagstauglichkeit der Testpersonen wieder hergestellt. Körperliche Schwerarbeiter können nach ca. vier bis fünf Wochen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Screening erfolgreich angelaufen: Die ersten terrestrischen Astronauten stehen fest

6 Zentrum für Muskel- und Knochenforschung Universitätsklinikum Benjamin Franklin Freie Universität Berlin Leiter: Prof. Dr. Dieter Felsenberg Gravitationsphysiologie des Bewegungssystems: Geschöpfe der Gravitation Der Wachstums- und Alterungsprozess des Menschen kann als ein ständiger Kampf gegen die Schwerkraft angesehen werden. Während der ersten beiden Lebensjahre muss er ein Skelett und die dazugehörige Muskulatur entwickeln sowie lernen, das Gleichgewicht zu halten. Im Erwachsenenalter macht die Antigravitationsmuskulatur 60% seiner gesamten Muskulatur aus. Etwa 90% der beim Gehen aufgewendeten Energie wird benötigt, um die Beine entgegen der Schwerkraft anzuheben und nur 10%, um sie nach vorn zu schwingen. Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr setzt langsam, unmerklich ein Schwund der Antigravitationsmuskulatur ein. Mit zunehmendem Alter nutzt man jede sich bietende Sitzgelegenheit und stützt sich beim Aufstehen, um mit Hilfe der Armmuskulatur besser gegen die Schwerkraft anzukommen. Man geht mehr oder minder gebeugt, manchmal auf einen Stock gestützt. Der Kampf gegen die Schwerkraft wird immer schwieriger, bis man schließlich der Schwerkraft erliegt und bettlägerig wird. Doch mit den Muskeln schwinden auch die Knochen. Schon vor 100 Jahren hat der Berliner Arzt Julius Wolff diese Zusammenhänge erkannt: die Struktur des Knochens folgt seiner Funktion. Ein beeindruckendes Zeugnis über die Richtigkeit dieser Erkenntnis legt das Skelett eines Astronauten nach einem Langzeitflug im Weltall ab. Bereits nach einer Verweilzeit von wenigen Wochen unter Schwerelosigkeit verlieren die Knochen ca. 10 Prozent ihrer Substanz. Ursache hierfür ist, dass unter den Bedingungen der Mikrogravitation die durch Muskeln auf Knochen einwirkenden Kräfte sehr stark vermindert sind. Die Knochen verlieren einen Teil ihrer Funktion und der Körper reagiert hierauf mit Knochenabbau durch erhöhte Kalziumausscheidung. Damit ist klar: Der Mensch ist ein Geschöpf der Gravitation, dies gilt insbesondere für das Bewegungssystem. Bisher ungeklärt sind die zellulären und molekularen Mechanismen dieser hochgradigen Atrophien. Die anlaufende Berliner BedRest-Studie des ZMK, unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Felsenberg, will hierauf Antworten finden.