Zur Therapie von Gleichgewichtsstörungen bei nervalen Krankheitsbildern Haas, C. T.; Schiemann, Stephan; Schmidtbleicher, Dietmar

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1 Zur Therapie von Gleichgewichtsstörungen bei nervalen Krankheitsbildern Haas, C. T.; Schiemann, Stephan; Schmidtbleicher, Dietmar Published in: ZNS & Schmerz Publication date: 24 Document Version Frühfassung (auch: Pre-Print) Link to publication Citation for pulished version (APA): Haas, C. T., Turbanski, S., & Schmidtbleicher, D. (24). Zur Therapie von Gleichgewichtsstörungen bei nervalen Krankheitsbildern. ZNS & Schmerz, (3), General rights Copyright and moral rights for the publications made accessible in the public portal are retained by the authors and/or other copyright owners and it is a condition of accessing publications that users recognise and abide by the legal requirements associated with these rights. Users may download and print one copy of any publication from the public portal for the purpose of private study or research. You may not further distribute the material or use it for any profit-making activity or commercial gain You may freely distribute the URL identifying the publication in the public portal? Take down policy If you believe that this document breaches copyright please contact us providing details, and we will remove access to the work immediately and investigate your claim. Download date: 19. Feb. 217

2 ZNS & SCHMERZ 3/24, 18-2 CT Haas, S Turbanski, D Schmidtbleicher 1 Problemstellung Störungen in der Gleichgewichtsregulation sind unabhängig von der pathophysiologischen Charakteristik eine weit verbreitete Folge von traumatischen Ereignissen (Schädel-Hirn- Traumata, spinalen Läsionen etc.) und ein häufig auftretendes Symptom in zahlreichen neurodegenerativen Erkrankungen (M. Parkinson, MS, ALS etc.). Vielfach gekoppelt ist hiermit ein erhöhtes Sturzrisiko, dass neben hohen ökonomischen Beanspruchungen auch einen physiopsycho-sozialen Teufelskreis bewirkt (EBERSBACH et al. 22). Gleichgewichtsstörung erhöhtes Sturzrisiko Reduktion des Selbstbewusstseins reduzierte motorische Aktivität reduzierte Trainingsreize erhöhte Gleichgewichtsstörung weitere Erhöhung des Sturzrisikos etc. Abb. 1: Teufelskreis der Gleichgewichtsstörung Zur Vermeidung eines Sturzes muss - biomechanisch betrachtet - jede Störung des Gleichgewichts mit einer schnellen motorischen Reaktion beantwortet und korrigiert werden. Dies bedeutet, dass die Geschwindigkeit in der eine adäquate motorische Reaktion realisiert werden kann, eine zentrale Komponente in der posturalen Kontrolle darstellt. Bedingt durch unterschiedliche pathologische Ursachen, sowie eine multifaktoriell geprägte Sturzkausalität, zeigt die Literatur ein divergentes Bild im Hinblick auf die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen. So lassen sich sowohl Interventionen finden, die zu Verbesserungen in der Gleichgewichtsregulation und einhergehend zu einer Verringerung der Sturzhäufigkeit führen, andere Studien zeigen hingegen keine signifikanten Erfolge durch die eingesetzten Maßnahmen. Im Hinblick auf M. Parkinson sind Störungen in der Gleichgewichtsregulation vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Gabe von L-Dopa zu keiner Verbesserung in dieser Symptomatik führt. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass sowohl eine akute als auch die chronische L-Dopa Substitution zu einer propriozeptiven Störungen führt und somit auch negative Auswirkungen auf die Gleichgewichtsregulation ausübt (JANKOVIC 22, BRONTE- STEWART et al. 22). Mit Bezug zu dieser Problematik und unter Berücksichtigung eines PUBLIKATION Nr. VII - 1 -

3 ZNS & SCHMERZ 3/24, 18-2 weitgehenden Fehlens von effizienten Maßnahmen zur Optimierung der Gleichgewichtsregulation bei M. Parkinson war das Ziel der vorliegenden Studie die Überprüfung der Auswirkung randomisierter mechanischer Ganzkörperschwingungen. 2 Untersuchungsmethoden In Orientierung an divergierenden sensomotorischen und propriozeptiven Leistungen von M. Parkinson Patienten in Abhängigkeit von der Medikation, basiert das Design der Studie auf zwei diskreten Gruppen. Eine Gruppe (LD+, n=) wurde unter dem Einfluss der normalen täglichen L-Dopa Medikation analysiert. Die Patienten einer weiteren Gruppe (LD-, n=5) setzten die L- Dopa Einnahme für eine Zeitdauer von rund 12 Stunden aus. Das Treatment basierte auf der Applikation mechanischer Ganzkörperschwingungen in 5 Serien à 6 Sekunden (ZEPTOR -med Fa. Scisens, ŷ: 3 mm, f: 6 Hz). Zur Quantifizierung der Gleichgewichtsregulation wurde eine komplexe biomechanische Testbatterie vor und nach der Behandlung absolviert. Einer der zentralen bestand im möglichst ruhigen Stehen auf einer instabilen, federgelagerten Standfläche (COORDEX - Fa. Ruf). Zur Quantifizierung der Auslenkungen der Plattform (anterior-posterior und medial-lateral) wurde ein 2-dimensionaler Beschleunigungsaufnehmer eingesetzt. Im Hinblick auf eine adäquate Einordnungen von Lerneffekten erfolgten vor und nach dem Treatment jeweils 3 erien. Die statistische Datenverarbeitung setzte sich aus clusterund mehrfaktoriellen Varianzanalysen zusammen. 3 Ergebnisse Ausgehend von der hierarchischen Clusteranalyse nach WARD konnten beide Gruppen anhand ihres Störungsgrades in jeweils zwei Untergruppen eingeteilt werden. In den Eingangstests differierten die Patienten der beiden Gruppen mit geringer und mit hoher Gleichgewichtstörung um 8% (LD+) bzw. 63% (LD-). Bezüglich der x- und y- Richtung konnten vergleichbare Gruppendifferenzen festgestellt werden. Im Hinblick auf die Treatmenteffekte variierten die Gruppen sowohl in der Höhe der Anpassung als auch in deren statistischen Bedeutsamkeit. So wiesen die beiden Gruppen mit stark ausgeprägter Störung jeweils bessere Anpassungen auf als die beiden Gruppen mit geringer Beeinträchtigung (Abb. 2). PUBLIKATION Nr. VII - 2 -

4 ZNS & SCHMERZ 3/24, 18-2 LD - GRUPPE geringe Gleichgewichtsstörung LD + GRUPPE geringe Gleichgewichtsstörung starke Gleichgewichtsstörung starke Gleichgewichtsstörung Abb. 2: Deskriptive Darstellung der statistischen Auswertung der relativen Auslenkungen,6 Pre-Test,6 Post-Test,4,4 Auslenkung [a.u.],2 -,2 Auslenkung [a.u.],2 -,2 -,4 -,4 -,6 3 ms t -,6 3 ms t Abb. 3: Exemplarische Darstellung der relativen Auslenkungen der Messplattform in x-richtung vor und nach dem Treatment bei einem Probanden Die Verbesserung der Gleichgewichtsregulation zeigt sich in einer geringeren Schwankung der Standfläche (Abb. 3). Bei den LD Patienten führt der Gruppenvergleich - geringe Störung vs. starke Störung - zu einem hochsignifikant besseren Ansprechen letzterer (p<,1). Gestützt wird diese Ergebnisstruktur durch den gruppeninternen Pre-Post Vergleich (Tab.1 und 2). Bei beiden Gruppen mit starken Gleichgewichtsstörungen ergibt sich in den Post- eine hochsignifikant bessere Gleichgewichtsregulation. Patienten mit geringen Störungen weisen signifikante (LD-, p<,5) bzw. keine Verbesserungen (LD+) auf. PUBLIKATION Nr. VII - 3 -

5 ZNS & SCHMERZ 3/24, 18-2 Tab. 1: Signifikanz der Pre-Post Differenzen in der Gruppe mit L-DOPA Mit L-DOPA (LD+) Gruppe Regulationsrichtung (in Abhängigkeit v. Störungsgrad) ant. / post. med. / lat. Geringe Störung n.s. n.s. Hohe Störung ** ** Tab. 2: Signifikanz der Pre-Post Differenzen in der Gruppe ohne L-DOPA Ohne L-DOPA (LD-) Gruppe Regulationsrichtung (in Abhängigkeit v. Störungsgrad) ant. / post. med. / lat. Geringe Störung * * Hohe Störung ** ** 4 Diskussion Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass die Haltungskontrolle ein starres System ist, indem einzig stereotype Reflexe eine Rolle spielen, die nicht zu beeinflussen sind. Inzwischen weiß man, dass es sich um ein komplexes System handelt, dass sich an veränderte Umweltbedingungen und aufgabenspezifisch adaptieren kann. Somit ist die Gleichgewichtsregulation auch trainierbar, so dass adäquate motorische Trainingsprogramme einen wichtigen Ansatz in der Sturzprävention darstellen. Wenn sich der Körperschwerpunkt außerhalb der Stützfläche befindet, führt dies zum Sturz, sofern nicht innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums (meist < ms) entsprechende Korrekturbewegungen stattfinden. Die Ergebnisse dieser Studie sprechen dafür, dass randomisierte mechanische Schwingungen die schnelle Reaktion auf den Verlust des Gleichgewichts trainieren und somit präventives Potential im Hinblick auf Stürze darstellen. Das Zustandekommen der Effekte ist u.a. dadurch zu erklären, dass schnell aufeinander folgende, nicht antizipierbare posturale Störimpulse generiert werden, die zu Anpassungen in der Informationsselektion sowie im Reflexmuster führen. Im Gegensatz dazu zeigt ein statisches Training keine vergleichbaren Adaptationen. Literatur EBERSBACH et al. (22): Gleichgewichtsstörungen bei idiopathischer Parkinson Erkrankung. Der Einfluss zerebrovaskulärer Komorbidität. Nervenarzt 73, JANKOVIC (22): Levodopa strengths and weaknesses. Neurology (58), Supplement 1, BRONTE-STEWART et al. (22): Postural instability in idiopathic Parkinson`s disease: the role of medication and unilateral pallidotomy. Brain 9, PUBLIKATION Nr. VII - 4 -