Zwischen Ostern und Auffahrt

Transkript

1 ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Zwischen Ostern und Auffahrt Predigt von Pfarrer Walter Gisin gehalten am 18. Mai 2014 Schriftlesung: 2. Mose 32, Predigttext: Johannes 21,1-14 Danach zeigte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias. Und er zeigte sich so: Simon Petrus und Thomas, der Didymus genannt wird, und Natanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren beisammen. Simon Petrus sagt zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagen zu ihm: Wir kommen auch mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen ins Boot und fingen nichts in jener Nacht. Als es aber schon gegen Morgen ging, trat Jesus ans Ufer; die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war. Da sagt Jesus zu ihnen: Kinder, ihr habt wohl keinen Fisch zum Essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagt zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet einen guten Fang machen. Da warfen sie es aus, und vor lauter Fischen vermochten sie es nicht mehr einzuziehen. Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Als nun Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, legte er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot - sie waren nämlich nicht weit vom Ufer entfernt, nur etwa zweihundert Ellen - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. Als sie nun an Land kamen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf liegen und Brot. Jesus sagt zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. Da stieg Simon Petrus aus dem Wasser und zog das Netz an Land, voll von grossen Fischen, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, riss das Netz

2 2 nicht. Jesus sagt zu ihnen: Kommt und esst! Keiner von den Jüngern aber wagte ihn auszuforschen: Wer bist du? Sie wussten ja, dass es der Herr war. Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen, und ebenso den Fisch. Das war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern zeigte, seit er von den Toten auferweckt worden war. Liebe Gemeinde Nach Ostern ist mir unterwegs eine Art Volksepidemie aufgefallen. Sie hatte jedoch schon vor etlicher Zeit ihren Anfang genommen. Immer mehr Leute scheinen an Ohrenschmerzen zu leiden! Jawohl, es scheinen Ohrenschmerzen zu sein. Zugleich scheinen sie psychisch angeschlagen zu sein, denn sie führen Selbstgespräche, manchmal leise, manchmal auch sehr laut, was dann für die Umstehenden unangenehm wirkt. Ist Ihnen diese Epidemie nicht auch schon aufgefallen? Die Leute halten eine Hand ans Ohr und führen Gespräche Natürlich, ich meine der zunehmende, grassierende Handy-Gebrauch! Zwischen Ostern und Himmelfahrt, aber auch sonst, kann man diese praktischen Dinger sehr gut brauchen: Wo bist du gerade? Ich bin auf der Post. Können wir uns treffen? So praktisch ist es! Manchmal kann man es auch wieder einmal zur Hand nehmen, um eine innere Leere zu überbrücken. Die Jünger von damals hatten keine Handys, aber sie gingen wieder fischen, um diese innere Leere zu überbrücken. Ostern war ein grosses christliches Fest! Sie war für die Jünger zuerst einmal unfassbar ein Märchen! Sie brauchten einige Zeit, um zu verstehen, was hier geschehen war. Auch wir heute können es manchmal kaum begreifen. Die Oster-Realität ist gewaltig! Ostern bedeutet Auferstehung! Es bedeutet: Sieg über den mächtigen Tod! Es gibt viele

3 3 Mächte in dieser Welt, aber der Tod ist wohl die stärkste Macht. Er war unbesiegbar bis Ostern, bis Jesus Christus den Tod überwunden hat und aus dem Grab wieder lebendig hervorgekommen ist. Seither ist er nicht mehr die stärkste Macht. Da ist einer stärker als er: Jesus, er hat ihn besiegt! Lebendig stand er wieder vor seinen Jüngern, angetan mit einem unzerstörbaren Leib, bereit für das ewige Leben. Der Tod konnte es ihm nicht mehr nehmen, dieses Leben. Jesus war, ist und bleibt stärker als der Tod. Dieser Tod hat mit Sünde zu tun. Der Tod ist der Sünde Sold (Lohn), heisst es in der Bibel! Der Sünder hat seinen Lohn immer wieder bekommen. Die Menschen müssen ihrer Sünden sterben. Aber Jesus ist auferstanden! Die Sünde und der Tod haben nicht gesiegt, sondern die Auferstehung und das Leben! Jesus! Langsam drang diese Sicht bei den Jüngern durch. Die Auferstehung ist ein Ereignis mit weltgeschichtlicher, ja sogar kosmologischer Bedeutung. Christliche Philosophen müssen sie als Schlüsselereignis bezeichnen, das die Rätsel der Welt, des Universums und des Menschseins löst. Damit bleibt unsere Existenz nicht mehr im Sinnlosen stecken. Ostern bedeutet, dass die Schöpfung, in welcher der Tod wütet, in der das Böse auf Schritt und Tritt sichtbar ist, dass diese Schöpfung eine Zukunft hat, eine Erneuerung, in der das Gute zum Zug kommt. Auch die Natur, die dem Tod unterworfen ist, weiss von diesem Leben und sehnt sich danach, schreibt der Apostel Paulus (Römer 8,22-23). Sie will wieder zur ersten Zeit der Unvergänglichkeit zurück, zurzeit als Gott sagte: Siehe, es ist alles sehr gut! Bei den Jüngern drang es immer tiefer in ihr Bewusstsein, was Ostern bedeutete. Auch Thomas wollte es genau wissen und fiel dann voll Staunen vor dem Auferstandenen auf die Knie und sag-

4 4 te: Mein Herr und mein Gott! Dann sagte Jesus die bedeutsamen Worte: Jetzt glaubst du, weil du mich gesehen hast. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Damit sind wir gemeint: Selig sind wir, wenn wir an den Auferstandenen glauben, auch wenn wir ihn nicht sehen! Wenn wir an die Auferstehung Jesu glauben, können wir ruhig schlafen. Die Zukunft ist unsere Auferstehung. Das ist Ostern. Dann aber war Ostern vorbei und wie oft kommt nach einem gewaltigen Ereignis, das unsere Seelen bis zuinnerst bewegt, eine innere Leere. So ging es auch Mose: Er stieg auf den Berg und erlebte Gemeinschaft mit Gott, seinem himmlischen Vater. Das war für ihn Ostern. Dann erhielt er von Gott die zwei Tafeln der Gebote. Mit ihnen stieg er vom Berg herab und hörte einen grossen Tumult in seinem Volk. Sie trieben Götzendienst. Das Böse war da! Er zerschmetterte die beiden Gebotstafeln vor Wut. Innere Leere überfiel ihn, eine grosse Enttäuschung. Nach diesem gewaltigen Ereignis der Auferstehung kam auch für die Jünger die innere Leere! Jesus war nicht mehr in ihrer Mitte. Er fehlte ihnen! So erlebten sie die Tage zwischen Ostern und Himmelfahrt als innere Leere. Das kennen wir Menschen von heute auch sehr gut! Nach einem herrlichen Glück folgt oft eine Enttäuschung um die andere. Dann scheint alles vergeblich gewesen zu sein, das Glück nur scheinbar. Die Jünger kehrten zurück in ihren alten Alltag. Alles was sie mit Jesus erlebt hatten, scheint vergeblich gewesen zu sein. Was hat es denn gebracht? Warum waren sie drei Jahre lang mit Jesus unterwegs gewesen? War etwa nicht alles eine einzige Illusion, alles vergeblich? Jetzt kehrten sie wieder zurück in ihre alte Situation.

5 5 Sie waren wieder Fischer mit all den Mühsalen dieses Berufs. Diese Nacht fischten sie nichts, keinen Schwanz! Wir verkündigen die Auferstehung und das Leben, wir feiern Jesus und wir feiern Ostern. Doch die Realität holt uns ein. Oft leben wir zwischen Ostern und Himmelfahrt wie die Jünger in diesem Text! Man kann es so sehen: Trotz Jesus und seiner Auferstehung ist alles beim Alten geblieben. Die Worte des Paulus (2. Korinther 5,17) das Alte ist vergangen, siehe es ist alles neu scheint ein Hohn, ein übertriebener christlicher Idealismus zu sein. Nichts ist dahinter! Alles ist beim Alten geblieben! Im Gegenteil: Mit den Christen gingen der Streit und sogar der Krieg erst recht los! Die Christen gingen schon bald mit Heugabeln und Stöcken aufeinander los. Wie viele Kriege gehen aufs Konto der Christen! Das ist eine Realität, aber nur die eine Seite, denn man kann es auch so sehen: Durch all die Jahrhunderte hindurch haben Christen gelebt, die nicht in der Kirchengeschichte vorkommen. Sie sind Jesus treu nachgefolgt, sind ihm in ihrem Alltag begegnet, wie damals die Jünger zwischen Ostern und Himmelfahrt. Sie haben keine Kriege entfacht, die in die Geschichtsbücher eingegangen wären, aber sie haben Jesus vertraut. Viele Tausende waren es in jedem Jahrhundert. Auch heute gibt es sie, die nicht in den Nachrichten der Medien erscheinen. Da war ein Christ in Nigeria. Die Boko Haram hatten die Kirche im Dorf verbrannt und die Christen umgebracht. Er, seine Frau und seine Tochter hatten noch überlebt. Sie drohten ihm, wenn er nicht zum Islam konvertiere, werden sie seine Frau und Tochter umbringen. Seine Frau rief ihm zu: Bleib treu! Da schossen sie ihm ins Gesicht und glaubten er sei tot. Sie hatten den letzten Christen im Dorf umgebracht. Wie durch ein Wunder und durch

6 6 die Mithilfe einiger muslimischer Leute konnte er ins Spital gebracht und gerettet werden. Er wird nie in einem Kirchengeschichtsbuch erwähnt werden, tauchte auch nicht in den Medien auf. Er ist aber einer der Treuen, die Jesus einfach nachfolgen und ein Licht in dieser Welt sind. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Wir denken auch an die zweihundert jungen Frauen, die von derselben Organisation im gleichen Land verschleppt wurden. Beten wir für sie. Man berichtete wie die Christinnen nun zum Islam übergetreten seien. Ich glaube das nicht ganz. Viele, viele Christen trauern um ihre Tochter. Das Osterfeuer brennt: Jesus hat es entfacht und lädt seine Jünger zum Morgenessen ein: Kindlein, habt ihr nichts zu essen? Er nennt sie Kindlein, wohl weil er merkte, dass sie ihn ganz besonders brauchten. Der Alltag holt uns zwar ein, doch etwas ist anders geworden: Der Auferstandene ist mitten im Alltag dabei und sorgt für uns! Er fragt etwas ganz Existenzielles: Braucht ihr etwas zum Essen? Jesus fuhr nach der Auferstehung also nicht gleich in den Himmel zu seinem Vater, obwohl es ihn gewiss dorthin zog! Er wusste um diese Leere, die nach der grossen Feier kommen konnte. Darum hielt es ihn noch zurück. Er begegnet seinen Jüngern immer wieder. Hier war es das dritte Mal. Er bekräftigte damit die Botschaft seiner Auferstehung: Seht, ich bin da! Ihr werdet mich nicht mehr sehen. Aber ich bin bei euch alle Tage! Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!, sagte er zu Thomas, der mit der Auferstehung Mühe hatte. Manchmal merken wir, wie damals die Jünger vorerst nicht, dass es Jesus ist, der uns im Alltag begegnet. Plötzlich gehen uns die Augen auf und es kommt Bewegung auf. Wir werden zu Jesus hin bewegt und er

7 7 bestätigt uns seine Wundermacht. Den Jüngern befahl er, die Netze auf der rechten Seite auszuwerfen. Üblicherweise werfen die Fischer die Netze auf der linken Seite aus. Dann fingen sie einen grossen Fang: 153 grosse Fische! Das war ein Wunder mitten im Alltag, eines zwischen Ostern und Himmelfahrt. Jesus zeigt seine Wundermacht im Alltag: im Fischeralltag, im Berufsalltag, in der Fabrik, in der Küche, überall wo wir sind! Wir verkündigen trotzdem den Sieg über Sünde und Tod. Wir verkündigen das neue Leben in Christus, unsere Auferstehung, die Erneuerung der Schöpfung. Wir verkündigen trotzdem, dass durch Christus der Welt der grösste Segen gebracht wurde. Christen sind trotzdem Zeugen vom Licht der Welt. Und sie tragen dieses Licht mit sich und lassen es erstrahlen auch wenn sie zwischen Ostern und Himmelfahrt leben. Vor einem Jahr bat mich ein Freund, wir sollten ihn doch gemäss Jakobus 5 mit Öl salben und für seine Heilung beten. So kamen wir zusammen, hielten uns an Gottes Wort, beteten für ihn und salbten ihn mit Öl. Wir wollten so gerne, dass Jesus seine Wundermacht an ihm zeigte, waren aber auch für beides bereit, auch für die Möglichkeit, dass unsere Gebete nicht erhört würden. In einem Mail schrieb er uns, dass er nach diesem Gebet die Hölle durchgemacht habe. Er habe so starke Schmerzen gehabt, dass es für ihn wie die Hölle war. Zudem musste er operiert werden, weil die Heilung nicht eingetreten war. Es ging dann langsam mit seiner Gesundheit abwärts. Letzthin habe ich ihn wieder einmal besucht. Er erzählte mir, dass er und seine Frau beschlossen hätten, keine weitere Operation mehr durchführen zu lassen. Ich bin bereit zu allem. Seine Kinder, die zum Teil schon erwachsen sind, wollten ihn überreden, er

8 8 solle doch einen Mann aufsuchen, der die Gabe der Heilung habe und für sich beten lassen. Es gibt ja in allen christlichen Gemeinden solche Leute, die Gott mit dieser Gabe beschenkt hat. Die Kinder wollten doch ihren Vater noch behalten. Man sollte doch auch noch diese Möglichkeit in Anspruch nehmen. Ich kann das verstehen und bin ihnen deshalb auch nicht böse. Dann sagte mein Freund: Meine Frau und ich haben aber beschlossen, dass wir nun alles in Gottes Hand legen und nichts mehr unternehmen wollen. Er fuhr fort: Weisst du, manchmal frage ich mich, wie es sein wird, wenn ich sterbe. Du kennst doch die Berichte von Menschen, die vom Tod wieder zurückgekehrt sind. Ja, sie alle berichten, dass es unglaublich schön sei. Du weisst aber auch, dass die Wissenschaft dieses Phänomen als eine Gehirnfunktion zu erklären versucht. Wir wollen uns einfach an die Bibel halten. Sie gibt uns die sichersten Informationen dazu. Ja, antwortete er, ich bin sehr gespannt, wie es sein wird. Ich weiss, dass es wunderschön sein wird. Ja, denn Jesus ist auferstanden, er wird dich willkommen heissen und in seine Arme schliessen. Dann beteten wir miteinander. Er darf auch heute noch leben, doch wir wissen nicht wie lange. Das sind Erlebnisse zwischen Ostern und Himmelfahrt. Jesus sitzt am See Genezareth und entfacht ein Feuer. Kindlein, habt ihr nichts zu essen? Im Alltag begegnet er auch uns, wenn die Realität uns einholt. Damals hat er Fische gebraten, hat den Jüngern zu essen gegeben, mitten in ihrem Fischeralltag. Sie haben ihn erkannt und sind ermutigt worden. So ist der Auferstandene auch mitten unter uns, die wir zwischen Ostern und Himmelfahrt leben! Amen. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon