E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

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1 Bsw 27900/04 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Palushi gegen Österreich, Urteil vom , Bsw / 04. Art. 3 EMRK - Misshandlung eines Asylwerbers in der Schubhaft. Verletzung von Art. 3 EMRK hinsichtlich der behaupteten Misshandlung (einstimmig). Verletzung von Art. 3 EMRK hinsichtlich der Einzelhaft und der fehlenden medizinischen Versorgung (einstimmig). Entschädigung nach Art. 41 EMRK: , für immateriellen Schaden, ,- für Kosten und Auslagen ( einstimmig). E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e : Sachverhalt: Nachdem sein Asylantrag in zweiter Instanz abgewiesen worden war, verhängte die Bundespolizeidirektion Wien am die Schubhaft über den Bf., der noch am selben Tag in das Polizeigefangenenhaus Wien Ost gebracht wurde. Am trat er in Hungerstreik. Am Abend des verständigten seine Mithäftlinge die diensthabenden Polizeibeamten, um ihnen mitzuteilen, dass der Bf. hingefallen sei und sich dabei eine Platzwunde am Kopf zugezogen habe. Daraufhin wurde er in eine Einzelzelle gebracht, nachdem die Wunde von einem Sanitäter verbunden worden war. Bei einer Untersuchung am stellte der Amtsarzt Hautabschürfungen am Rücken fest. Bei einer weiteren Untersuchung am wurden zwei kleine Wunden hinter beiden Ohren festgestellt. Am wurde der Bf. auf ärztliche Anordnung aus der Haft entlassen, da er durch den Hungerstreik über 20 kg Körpergewicht verloren hatte. Dem Asylantrag des Bf. wurde schließlich stattgegeben. In einer Beschwerde an den UVS Wien behauptete der Bf., er sei nach seinem Sturz von vier Polizeibeamten an den Füßen in den Gang geschleift und in die Nieren sowie in die Bauchgegend getreten worden. Sie hätten ihm einen Kugelschreiber hinter den Ohrläppchen in die Schädeldecke gepresst, wodurch er das Bewusstsein verloren hätte. Daraufhin hätten ihn die Polizisten vom dritten Stock über die Treppen in den Keller geschleift, wobei er sich offene Wunden im Bereich der Wirbelsäule, Hämatome am Rücken und zahlreiche Abschürfungen an den Fersen zugezogen habe. Nach Anlegung eines unzulänglichen Verbands sei er in eine Einzelzelle ohne Tageslicht gesperrt und erst am von einem Amtsarzt untersucht worden. Der Bf. machte geltend, dass die Misshandlung und die anschließende Unterbringung in einer Einzelzelle ohne medizinische Behandlung gegen Art. 3 und Art. 5 EMRK verstoßen hätten. Der UVS wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, es habe sich bei der Verlegung des Bf. in eine Einzelzelle um eine Disziplinarmaßnahme gehandelt. Er hätte daher ein Verfahren nach der Polizeigefangenenhaus-Hausordnung anstrengen müssen. Eine Zuständigkeit des UVS bestehe neben diesem Verfahren nicht. Diese Entscheidung des UVS wurde am vom VfGH aufgehoben, weil der UVS seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint habe. Der VfGH verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an den UVS zurück. Dieser wies die Beschwerde am als unbegründet ab. Der UVS verneinte eine Verletzung von Art. 3 EMRK, da der Bf. sich die Verletzungen entweder selbst zugezogen oder wegen seines eigenen Verhaltens erlitten hätte. Seine Behauptungen bezüglich der Haftbedingungen in der Einzelzelle und der unzureichenden medizinischen Behandlung wären nicht nachvollziehbar. Seine gesamte Schilderung der Vorfälle wäre nicht sehr schlüssig, was vermutlich darauf zurückzuführen sei, dass er sich aufgrund des Hungerstreiks in einem verwirrten Zustand befunden habe. Der VfGH und der VwGH lehnten die Behandlung der Beschwerden des Bf. ab. Rechtsausführungen: Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art.?3 EMRK (hier: Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung). I. Zur behaupteten Verletzung von Art.?3 EMRK Der Bf. bringt vor, er wäre am von den Polizeibeamten misshandelt worden. Sie hätten ihn geschlagen, getreten und mit einem Kugelschreiber hinter den Ohren gestochen. Er habe Verletzungen erlitten, als er durch das Stiegenhaus geschleift worden sei. Danach sei er in eine Einzelzelle gesperrt und nicht ausreichend medizinisch versorgt worden.

2 2 Bsw 27900/04 1. Allgemeine Grundsätze Die Behörden sind verpflichtet, die physische Integrität angehaltener Personen zu schützen. Werden bei einer Person, die sich bei ihrer Festnahme in gutem Gesundheitszustand befand, bei ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam Verletzungen festgestellt, ist es Sache des Staates, eine plausible Erklärung dafür vorzulegen, wie es zu diesen Verletzungen kam. Liegen die umstrittenen Vorkommnisse zur Gänze oder überwiegend in der ausschließlichen Kenntnis der Behörden, was bei Personen der Fall ist, die sich in ihrem Gewahrsam befinden, liegt eine starke Tatsachenvermutung hinsichtlich Verletzungen vor, die sich während einer solchen Anhaltung ereignen. Die Beweislast liegt dann bei den Behörden, die eine zufriedenstellende und überzeugende Erklärung liefern müssen. 2. Anwendung im vorliegenden Fall Der GH wird zum einen die Behauptungen des Bf. hinsichtlich seiner angeblichen Misshandlung und zum anderen jene über seine Einzelhaft und das Fehlen medizinischer Behandlung prüfen. a. Zur behaupteten Misshandlung Zur Behauptung des Bf., von den Beamten geschlagen und getreten worden zu sein, stellt der GH fest, dass die medizinischen Unterlagen keinen Beweis für Verletzungen enthalten, die diesen Behauptungen eindeutig entsprechen würden. Der UVS behandelte diese Frage nicht direkt. Die Polizisten bestritten die Vorwürfe. Zwei ehemalige Mithäftlinge sagten aus, sie hätten Geräusche von Schlägen und Schreie gehört, aber nicht sehen können, was am Korridor geschehen sei. Es kann daher nicht festgestellt werden, ob der Bf. tatsächlich von den Polizeibeamten geschlagen und getreten wurde. Der Bf. behauptete weiters, mit Kugelschreibern hinter den Ohren gestochen worden zu sein. Der ärztliche Untersuchungsbericht vom bestätigt Wunden hinter den Ohren, die zu der vom Bf. beschriebenen Behandlung passen würden. Außerdem bestätigten vor dem UVS drei Zeugen, die den Bf. drei Tage nach den Vorfällen besucht hatten, dass sie Verletzungen hinter den Ohren gesehen hätten. Der UVS wies die Behauptung zurück, wobei er sich auf ein medizinisches Gutachten stützte. Dieses betraf allerdings eine andere Frage, nämlich eine mögliche Verletzung des Trommelfells während der Anhaltung des Bf. Die Heranziehung dieses Gutachtens durch den UVS ist daher, was das behauptete Stechen mit Kugelschreibern hinter den Ohren betrifft, nicht schlüssig. Angesichts des ärztlichen Berichts vom und der entsprechenden Zeugenaussagen erachtet der GH die Verletzungen hinter den Ohren des Bf. als in einer über vernünftigen Zweifel erhabenen Weise festgestellt. Angesichts des Fehlens einer Erklärung, wie es zu diesen kam, wenn nicht durch die von ihm beschriebene Misshandlung, ist die Regierung ihrer Pflicht nicht nachgekommen zu beweisen, dass dem Bf. diese Verletzungen nicht von den Polizeibeamten zugefügt wurden. Den Angaben des Bf. zufolge wurde er von den Polizisten so über die Treppen geschleift, dass er Hautabschürfungen an den Beinen und am Rücken erlitt. In den ärztlichen

3 3 Bsw 27900/04 Berichten vom bzw wurden mehrere, zum Teil schwere Abschürfungen am Rücken festgestellt. Außerdem bestätigten die drei Personen, die ihn am besuchten, als Zeugen vor dem UVS, dass sie Hautabschürfungen am Rücken des Bf. gesehen hatten. Der UVS erachtete es als erwiesen, dass der Bf. über die Treppen geschleift worden sei und dadurch»?hautirritationen?«erlitten hätte. Der GH erachtet daher die Verletzungen am Rücken des Bf. als erwiesen. Die Polizeibeamten bestritten nicht, den Bf. so über die Treppen getragen zu haben, dass sein Rücken über die Stufen geschleift wurde. Angesichts des Fehlens einer Erklärung dafür, wie der Bf. die Hautabschürfungen erlitten haben könnte, wenn nicht durch die unangemessene Art, in der er über die Treppen getragen wurde, stellt der GH fest, dass sie von dieser Behandlung herrühren. Betreffend die rechtliche Beurteilung der festgestellten Tatsachen betont der GH, dass jede Anwendung physischer Gewalt gegen eine ihrer Freiheit beraubte Person, die nicht durch deren eigenes Verhalten unbedingt erforderlich ist, ihre Menschenwürde beeinträchtigt und daher grundsätzlich eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährten Rechte darstellt. Der GH weist sowohl das Argument des UVS zurück, wonach die Polizisten wegen der Weigerung des Bf., selbst zu gehen, keine andere Möglichkeit gehabt hätten, ihn zu transportieren, als auch die weiteren Feststellungen, wonach das widerspenstige Verhalten des Bf.»die Tatsache rechtfertigen würde, dass er nicht auf die achtsamste und sanfteste Art behandelt wurde.«nach Ansicht des GH ist es Sache des belangten Staates sicherzustellen, dass das Gefängnispersonal angemessen ausgebildet ist, um auch mit schwierigen Insassen umgehen zu können, ohne unverhältnismäßige physische Gewalt einzusetzen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Bericht des CPT, der ebenfalls die Notwendigkeit eines angemessenen Trainings jenes Personals unterstreicht, das zur Überwachung von Personen eingesetzt wird, die nach den Fremdengesetzen angehalten werden. Die Behandlung, welcher der Bf. unterzogen wurde, nämlich das Stechen mit Kugelschreibern hinter den Ohren und die Art, in der er über die Treppen transportiert wurde, muss ihm erhebliche körperliche Schmerzen und Leiden zugefügt haben. Sie verursachte außerdem Gefühle der Angst, der Qual und der Minderwertigkeit, die geeignet waren, ihn zu erniedrigen und möglicherweise seinen körperlichen und moralischen Widerstand zu brechen. Der GH stellt Elemente fest, die ausreichend schwerwiegend sind, um die Behandlung als unmenschlich und erniedrigend anzusehen. Er hat dabei die Tatsache berücksichtigt, dass sich der Bf. zur Zeit der Ereignisse bereits seit drei Wochen im Hungerstreik befand und unumstritten in einem körperlich und mental geschwächten Zustand war. Es hat daher hinsichtlich der Misshandlung des Bf. am Abend des eine Verletzung von Art. 3 EMRK stattgefunden (einstimmig). b. Einzelhaft und fehlende medizinische Versorgung Der GH stellt zunächst fest, dass die im innerstaatlichen Verfahren umstrittenen Zustände in der Einzelzelle nicht

4 4 Bsw 27900/04 in Beschwerde gezogen wurden. Der Ausschluss von der Gesellschaft mit anderen Häftlingen aus Sicherheits-, Schutz- oder Disziplinargründen stellt für sich alleine keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe isv. Art. 3 EMRK dar. Wie der UVS feststellte, hatte sich der Bf. am in einer störenden Weise benommen. Es ist unbestritten, dass seine Einzelhaft eine Disziplinarmaßnahme war. Er wurde am Abend des in eine Einzelzelle gesperrt und blieb dort eine Woche lang, bevor er am als haftunfähig entlassen wurde. Am empfing er drei Besucher. Am selben Tag sowie am wurde er einem Amtsarzt vorgeführt. Die Dauer und Strenge der Maßnahme bringen diese daher nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK. Der GH misst jedoch einem besonderen Element des vorliegenden Falls Gewicht bei, nämlich der Tatsache, dass sich der Bf. bereits seit drei Wochen im Hungerstreik befand, als er in Einzelhaft genommen wurde. Außerdem war er durch die oben beschriebene Misshandlung verletzt worden. Die Behörden sind verpflichtet, die Gesundheit von Personen zu schützen, denen ihre Freiheit entzogen wurde. Das Fehlen angemessener medizinischer Versorgung kann eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung darstellen. Der GH hält es für problematisch, einen Häftling, der sich im fortgeschrittenen Stadium eines Hungerstreiks befindet und bei dem ein erhöhtes Risiko besteht, das Bewusstsein zu verlieren, in Einzelhaft unterzubringen, solange keine angemessenen Vorkehrungen zur Überwachung seines Gesundheitszustands getroffen werden. Der Bf. wurde bei seiner Einweisung in die Einzelzelle nicht ärztlich untersucht. Die Einschätzung, er hätte seine Bewusstlosigkeit nur vorgetäuscht und sein Gesundheitszustand bedürfe keiner ständigen Überwachung, wurde von einem Sanitäter getroffen. Wie aus dem Bericht des CPT hervorgeht, erhielt das Sanitätspersonal nur eine sehr einfache Ausbildung. Aus dem selben Bericht ergibt sich, dass es keinen ausreichend entwickelten Ansatz für die Behandlung von Hungerstreikenden gab. Wie der GH weiters feststellt, wurde der Bf. erst am von einem Arzt untersucht. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden die durch die Misshandlung erlittenen Verletzungen behandelt. Die Tatsache, dass der sich im Hungerstreik befindende Bf. ohne vorherige angemessene medizinische Untersuchung in Einzelhaft genommen und ihm bis der Zugang zu einem Arzt verweigert wurde, muss bei ihm Leiden und Erniedrigung verursacht haben, die das mit bestimmten legitimen Behandlungen oder Strafen unvermeidbar einhergehende Maß überschritten. Nach Ansicht des GH wurde der Bf. erniedrigender Behandlung unterworfen. Es hat daher eine Verletzung von Art. 3 EMRK stattgefunden (einstimmig). II. Entschädigung nach Art. 41 EMRK , für immateriellen Schaden, , für Kosten und Auslagen (einstimmig). Vom GH zitierte Judikatur:

5 5 Bsw 27900/04 Ribitsch/A v = NL 1995, 225 = EuGRZ 1996, 504 = ÖJZ 1996, 148. Selmouni/F v (GK) = NL 1999, 135. Keenan/GB v = NL 2001, 65. Hinweis: Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom , Bsw /04, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2010, 7) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt. Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-format): Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( www. echr. coe. int/ hudoc) abrufbar.