FINANZGERICHT HAMBURG
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1 FINANZGERICHT HAMBURG Az.: 6 K 207/13 Urteil des Einzelrichters vom Rechtskraft: rechtskräftig Normen: EStG 32, EStG 62, EStG 63, EStG 70, AO 173 Leitsatz: 1. Eine Änderung der Verhältnisse i. S. des 70 Abs. 2 EStG ist die Änderung der tatsächlichen oder auch rechtlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes. 70 Abs. 2 EStG ist daher nicht anwendbar, wenn die Familienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewandt hat. 2. Die Voraussetzungen des 70 Abs. 2 EStG liegen nicht vor, wenn die Änderungen bereits eingetreten waren bevor das Kindergeld festgesetzt wurde. Überschrift: Einkommensteuer, Kindergeld: Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung einer Kindergeldfestsetzung Tatbestand: In dem Verfahren geht es um die Frage, ob die Beklagte zu Recht die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum August 2011 bis August 2012 für die Tochter der Klägerin aufgehoben und das Kindergeld in Höhe von zurückgefordert hat. Die Tochter der Klägerin, A, wurde am... geboren. Im Juni 2011 machte sie ihr Fachabitur. Die Klägerin teilte der Beklagten durch ihr Schreiben vom mit, dass ihre Tochter auf einen Studienplatz warte und zurzeit ein Praktikum bei der... absolviere. Durch ihr Schreiben vom forderte die Beklagte die Klägerin auf, eine Praktikumsbescheinigung, einen Nachweis über das Ende der Schulausbildung und eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen 2011 bis zum vorzulegen. Mit Schreiben vom teilte die Klägerin mit, dass ihre Tochter schwanger sei und noch nicht wisse, ob sie studieren werde. Die Tochter der Klägerin befand sich von Oktober 2011 bis April 2012 wegen... Behandlung. Die Beklagte bat am um eine Erklärung der Tochter über den voraussichtlichen Entbindungstermin und eine Absichtserklärung, ob sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein Studium beginnen wolle. Am erklärte die Tochter, dass sie ab dem Wintersemester 2012/2013 studieren wolle.
2 Durch den Bescheid vom setzte die Beklagte das Kindergeld für A ab Dezember 2011 fest. Der Mutterschutz begann nach der zunächst der Familienkasse vorgelegten Bescheinigung am Nach einer später im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegten Bescheinigung begann der Mutterschutz bereits am Am gebar die Tochter der Klägerin ihren Sohn. Die Beklagte teilte der Klägerin am mit, dass das Kindergeld für A im Zeitraum von August 2011 bis August 2012 möglicherweise zu Unrecht gezahlt worden sei und bat um Vorlage von Nachweisen über eigene Bemühungen von A um eine Ausbildung. Die Klägerin schrieb am an die Familienkasse, dass ihre Tochter Mutter geworden sei und sich deshalb der Studienbeginn verzögerte. Durch den Bescheid vom hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung gem. 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) ab August 2011 auf und forderte Kindergeld für den Zeitraum August 2011 bis August 2012 in Höhe von zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass A sich nicht um einen Ausbildungsplatz bemüht habe. Hiergegen legte die Klägerin am Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass sie die Familienkasse immer über alle Vorgänge informiert habe und sie auch immer darauf hingewiesen habe, dass ihre Tochter erst mit dem Studium beginnen könne, wenn sie bereits älter als 25 Jahre sei. Durch die Einspruchsentscheidung vom wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Am hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, ihre Tochter habe nach dem Erwerb des Fachabiturs an der Fachoberschule das Ziel verfolgt, ein Studium... an der Hochschule... zu absolvieren. Das Studium dauere 7 Semester und beginne immer nur im März. Der Bewerbungszeitraum sei jeweils vom 01. Dezember bis zum 15. Januar. Nachdem ihre Tochter erfahren habe, dass sie schwanger sei, habe sie den Beginn eines Studiums nicht mehr für sinnvoll gehalten, da absehbar gewesen sei, dass sie während des ersten Semesters ihr Kind bekommen würde und deshalb nicht die Prüfungen hätte absolvieren können. Wegen erheblicher gesundheitlicher Probleme habe sie auch nicht, wie zunächst geplant, ihr Studium in 2013 begonnen. Eine Bescheinigung für das Praktikum könne sie nicht vorlegen, weil ihre Tochter eine solche Bescheinigung trotz mehrfacher Nachfrage nicht erhalten habe. Dies habe sie, die Klägerin, auch der Familienkasse bereits vorher dargelegt und könne daher die Kehrtwende der Familienkasse nicht nachvollziehen.
3 Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Aufhebungsbescheid, durch den das Kindergeld für die Tochter A ab August 2011 aufgehoben wurde und den Rückforderungsbescheid, durch den Kindergeld in Höhe von zurückgefordert wurde, jeweils vom , in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung vom und trägt ergänzend vor, eine Praktikumsbescheinigung sei trotz mehrfacher Anforderung nicht vorgelegt worden. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass ihre Tochter tatsächlich ausbildungswillig gewesen sei. Belege, die eine solche Ausbildungswilligkeit belegen könnten, seien nicht vorgelegt worden, obwohl die Klägerin hierzu nach der Rechtsprechung verpflichtet gewesen sei. Denn um eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Kindergeldes verhindern zu können, müsse die Ausbildungswilligkeit durch belegbare Bemühungen objektiviert werden. Es sei nicht ersichtlich, dass A sich um eine Ausbildung ernsthaft bemüht habe. Ein Beschäftigungsverbot bestünde nicht während der gesamten Schwangerschaft. Zudem sei auch nicht geklärt, in welcher Höhe A ab August 2011 Einkünfte gehabt habe. Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage der Ausbildungswilligkeit der Tochter und ihre Bemühungen um einen Ausbildungsplatz durch die Zeugenvernehmung der Tochter. Die Beteiligten haben im Erörterungstermin ihre Zustimmung zu einer Entscheidung durch den Berichterstatter erteilt und auf die mündliche Verhandlung verzichtet. Auf das Sitzungsprotokoll des Beweisaufnahme- und Erörterungstermins vom wird verwiesen. Dem Gericht hat die Kindergeldakte vorgelegen. Entscheidungsgründe: Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung ( 79a Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) und 90 Abs. 2 FGO). I. Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Aufhebungsbescheid und der angefochtene Rückforderungsbescheid sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten ( 100 Abs. 1 FGO). 1. Der Aufhebungsbescheid ist rechtswidrig, denn die Voraussetzungen für eine rückwirkende Änderung liegen nicht vor. a) Die Voraussetzungen für eine Änderung gem. 70 Abs. 2 EStG liegen nicht vor.
4 Gem. 70 Abs. 2 EStG kann mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse die Kindergeldfestsetzung aufgehoben oder verändert werden, wenn in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind. Die Regelung betrifft den Fall, dass eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung durch Änderung der für den Bestand des Kindergeldanspruchs maßgeblichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes nachträglich unrichtig wird (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81). Eine Änderung der Verhältnisse i. S. des 70 Abs. 2 EStG ist die Änderung der tatsächlichen oder auch rechtlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes. 70 Abs. 2 EStG ist daher nicht anwendbar, wenn die Familienkasse das Recht von Anfang an fehlerhaft angewandt hat. Die Klägerin ist grundsätzlich Anspruchsberechtigte gem. 62 Abs. 1 EStG, da sie ihren Wohnsitz im Inland hat. Gem. 63 EStG werden Kinder im Sinne des 32 Abs. 1 EStG berücksichtigt. Die Klägerin begehrt für ihre Tochter A Kindergeld. Weil A bereits im streitigen Zeitraum das 21. Lebensjahr vollendet hatte, müssen zusätzlich die Voraussetzungen des 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG gegeben sein. aa) August bis November 2011 Das Kindergeld für diesen Zeitraum wurde noch auf Grund der alten Kindergeldfestsetzung ausgezahlt, denn durch den Bescheid vom wurde das Kindergeld erst ab Dezember 2011 festgesetzt. Durch den Abschluss des Fachabiturs ist zwar grundsätzlich ein neuer Umstand eingetreten, denn die Tochter erfüllte danach nicht mehr die Voraussetzungen gem. 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Eine Änderung gem. 70 Abs. 2 EStG setzt aber voraus, dass die Tochter der Klägerin nicht eine andere Voraussetzung gem. 32 Abs. 4 EStG erfüllt. Nach der Erlangung des Fachabiturs lagen indes die Voraussetzungen gem. 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG vor. Die Berücksichtigung eines Kindes gemäß 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG setzt voraus, dass ein Ausbildungsplatz fehlt und sich das Kind ernsthaft um einen solchen bemüht. Dabei ist im Grundsatz jeder Ausbildungswunsch des Kindes zu berücksichtigen. Ein ernsthaftes Bemühen erfordert aber zudem, dass der Ausbildungsplatz im Erfolgsfall angetreten werden kann. Die Voraussetzungen des 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG liegen demnach nicht vor, wenn das Kind --die Verfügbarkeit des Ausbildungsplatzes unterstellt-- diesen ohnehin nicht antreten könnte, weil es die objektiven Anforderungen dafür nicht erfüllt oder es aus anderen Gründen am Antritt gehindert. Zudem liegt ein ernsthaftes Bemühen in Fällen, in denen eine Ausbildung --wie z. B. ein Studium-- nur zu bestimmten Zeitpunkten begonnen werden kann, nur dann vor, wenn sich das Kind für den nächstmöglichen Ausbildungsbeginn bewirbt (BFH-Urteil vom 27. September 2012 III R 70/11, BStBl II 2013, 544 m. w. N.). Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Tochter der Klägerin tatsächlich geplant hatte, sich für das Studium zu bewerben. Die Tochter der Klägerin hat im Juni 2011 ihr Fachabitur absolviert. Anschließend wollte sie ein Studium aufnehmen. Es bestand für die Tochter erst ab dem 1.
5 Dezember die Möglichkeit sich für das geplante Studium zu bewerben. Es ergeben sich aus der Akte keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Tochter nicht die objektiven Anforderungen erfüllt, um diesen Studienplatz grundsätzlich erhalten zu können. Noch Anfang November hat die Klägerin der Familienkasse mitgeteilt, dass ihre Tochter sich für das geplante Studium bewerben wolle. Erst Ende November wusste die Tochter nicht mehr sicher, ob sie sich für das Studium zum nächstmöglichen Zeitpunkt bewerben wolle. Damit waren zumindest an einigen Tagen im November die Voraussetzungen des 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfüllt, so dass für die Monate August bis November 2011 die Kindergeldberechtigung der Klägerin bestand. Es reicht zur Begründung eines Kindergeldanspruchs aus, dass an einem Tag des Monats die Berücksichtigungsvoraussetzungen nach 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i. V. m. 32 EStG erfüllt sind; eine Kürzung ist nur dann erlaubt, wenn die Anspruchsvoraussetzungen an keinem Tag des Monats vorliegen (siehe BFH-Urteil vom XI R 7/12, zitiert nach juris m. w. N.). Es kann daher an dieser Stelle dahin gestellt bleiben, ob die Tochter der Klägerin tatsächlich ein Praktikum im November absolviert hat, so dass zusätzlich die Voraussetzungen gem. 32 Abs. 4 a) EStG vorgelegen hätten. bb) Dezember 2011 bis Februar 2012 Für diesen Zeitraum hat die Beklagte das Kindergeld erst durch den Bescheid vom festgesetzt, so dass für diesen Zeitraum bereits deshalb keine Änderung in den Verhältnissen eingetreten sein kann, da dieser Zeitraum bei der Festsetzung des Kindergeldes schon abgeschlossen war. cc) März bis August 2012 Aber auch der Zeitraum von März bis August 2012 konnte nicht durch den Bescheid vom gem. 70 Abs. 2 EStG geändert werden, denn auch in diesem Zeitraum ist keine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Der Bewerbungszeitraum für das geplante Studium war bereits am 15. Januar abgelaufen. Weil das Studium nur einmal im Jahr begonnen werden konnte, bestand für die Tochter der Klägerin im Zeitraum Februar bis August keine Möglichkeit sich zu bewerben. Auch dieser Umstand war der Familienkasse bereits bei der Festsetzung des Kindergeldes am bekannt. Die Familienkasse hat lediglich eine andere rechtliche Würdigung vollzogen, welche aber nicht durch neue Umstände begründet worden ist. b) Eine Änderung gem. 70 Abs. 3 EStG für den Zeitraum ab August 2011 bis August 2012 ist ebenfalls nicht möglich, denn diese Vorschrift ermächtigt nur zu einer Änderung mit Wirkung für die Zukunft. Da die Änderung erst in 2013 erfolgte, konnte nicht mehr der Zeitraum geändert werden, der bereits in 2012 beendet wurde. c) Auch die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Korrekturvorschriften der 172 ff. AO, die auf Kindergeldbescheide gemäß 155 Abs. 4 AO, 31 Satz 3 EStG sinngemäß anzuwenden sind und zu 70 Abs. 2 bis 4 EStG nicht im Verhältnis der Spezialität oder Subsidiarität stehen (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2001 VI R 18/99, BFHE 196, 260, BStBl II 2002, 81), sind im Streitfall nicht erfüllt. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für eine Änderung gem. 173 AO nicht vor. Gem. 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache i. S. des 173 AO ist, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge,
6 Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Keine Tatsachen sind dagegen rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen oder eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen (BFH-Urteil vom 28. Juni 2006 III R 13/06, BStBl II 2007, 714). Eine neue Tatsache liegt nicht vor. Die Klägerin hat die Familienkasse laufend unterrichtet. Erst teilte sie mit, dass ihre Tochter ein Studium beginnen wolle, anschließend teilte sie mit, dass ihre Tochter schwanger geworden sei und sie deshalb das geplante Studium zunächst nicht anfangen würde. Damit waren der Familienkasse alle relevanten Tatsachen bekannt. Die Beurteilung der Frage, ob dieser Sachverhalt für eine Ausbildungswilligkeit ausreichend ist, ist eine rechtliche Bewertung und keine Tatsache. 2. Wegen der Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheides liegt auch kein Rechtsgrund für die Rückforderung des gezahlten Kindergeldes vor, denn das zurückgeforderte Kindergeld wurde nicht ohne Rechtsgrund gezahlt. II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf 135 Abs. 1 FGO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung. Die Revision wird gem. 115 Abs. 2 FGO nicht zugelassen.
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