Das weltweite Reinheitsgebot und die Krise der Globalisierung
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- Paulina Huber
- vor 6 Jahren
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1 Abonnieren Österreich Startseite Österreich Meinung International Wirtschaft KLAUS WOLTRON Feuilleton Geist EPA/BODO MARKS Das weltweite Reinheitsgebot und die Krise der Globalisierung Gastkommentar / von Klaus Woltron / Spaltung sollte wohl das Wort des Jahres 2016 werden. Gespalten ist das österreichische Volk betreffend die EU, in Rechts und Links, in Stadt und Land, Jung und Alt. Gespalten ist die Europäische Union in Nord und Süd, Zahler und Empfänger, Zentralisten und Föderalisten, Austrittsfans Seite 1 von 8
2 und Jünger des Europäischen Hafens für alle. Die Wanderungsbewegungen letztendlich spalten die Gesellschaften in Barmherzigen und Mitleidlose, der Vormarsch des Islam in Eiferer und Indifferente. Die Epoche der Spaltungen Komplizierend wirkt der Umstand, dass die Bruchlinien einander schneiden und alles in ein Konglomerat von Einzelinteressen zerbröselt, welche zu Unverständnis, Aggression, und letztendlich zu Gewalt führen. Ordnungsmächte, die die Sanktionsgewalt für ihre Eingriffe besaßen, verschwanden. In einer derartigen Gemengelage haben all jene Kräfte, die konsequent nach klaren Ordnungsprinzipien vorgehen, einen enormen Wettbewerbsvorteil. Das Paradoxe an der internationalen Solidarität Man müsste meinen, wir lebten in einer Phase der Integration und Konsolidierung. Die UNO wacht über die Einhaltung der Menschenrechte, weltweit favorisiert man den Vormarsch der Demokratie, die Europäische Union sorgt unermüdlich für Zusammenhalt ihrer Mitgliedstaaten, die Globalisierung der weltweiten Wirtschaftsströme bürgt für enge Verbundenheit der Nationen. Daraus müsste sich eine immer stärkere Zusammenarbeit, ein Abbau der Gegensätze, eine Förderung des Gemeinsamen, das allgemeine Heil ergeben. Genau jene Ziele aber, vermittels derer man eine friedlichere, kooperativere Welt erreichen will, führen zu Spaltung, Gegeneinander und Aufruhr. Wie das? Die Globalisierung Handelsbeziehungen bestanden bereits ab dem 3. Jahrtausend v. Chr., wie die Beispiele China und Ägypten zeigen. Im Laufe der Geschichte wurden die Abhängigkeiten immer komplexer und ausgedehnter, bis mit der Entdeckung Amerikas eine stürmische Entwicklung eintrat: Handel und Wandel erreichten eine weltweite Dimension. Es dominierten dabei jene europäischen Nationen, welchen es gelang, mit militärischer Gewalt außereuropäische Nationen zu unterjochen und auszubeuten. Die Benefizien kamen ausschließlich den Kolonisatoren zugute. Seite 2 von 8
3 Dies änderte sich mit der Unabhängigkeitserklärung der USA, der Emanzipation der Kolonien von den ehemaligen Herren in Großbritannien, Portugal und Spanien. Einige dieser Kolonialmächte verarmten schnell und verloren an Bedeutung, anderen gelang es, einen Teil ihres früheren Reichtums zu bewahren. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelten sich, ausgehend von den USA, viele Gesellschaften, welche ihre Aktivitäten über alle Weltteile hin ausdehnten, und neue Möglichkeiten von Produktion, Rohstoffbeschaffung und Marktbearbeitung nutzen. Diese Multinationalen eroberten wichtige Produktionssparten und sind im Begriffe, Firmen in den lokalen Märkten zu ersetzen. Durch den fast kostenlosen Transfer von Wissen, welches in Jahrhunderten entwickelt worden war, hin zu Produktionsstätten in aller Welt, unter Nutzung niedriger Löhne und Umweltstandards, wurden in Europa und den USA große Teile der angestammten Wirtschaftsbereiche obsolet und verschwanden. Schubumkehr Diesen Prozess begleitete ein allgemeiner Aufschwung der Weltwirtschaft und vorerst eine Rückführung der schnell steigenden Profite der Multis in deren Ursprungsländer, was den Transfereffekt überlagerte und einen Ausgleich für das verlorene Terrain herbeiführte. Ab der Jahrtausendwende reichte der Schwung der Gesamtwirtschaft nicht mehr aus, um die Disparitäten in der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Es entsteht eine zunehmende Kluft zwischen einer schmalen, gut ausgebildeten Oberschicht und den Verlierern in den alten Branchen. Man versucht das durch Intensivierung des sozialen Ausgleichs zu kompensierenallein, die Leistungskraft des Staates reicht dazu nicht mehr aus. Schulden werden gemacht, um die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Die in den Finanzkreislauf geleiteten Mittel kommen über verschlungene Pfade allerdings wieder der Internationalisierung zugute. In letzter Verzweiflung versucht man, die weltweite Schieflage durch künstliche Vermehrung des Geldes, Umschichtung von Schulden auf leistungsfähige Staaten und gleichmäßige Verteilung auf die Bürger abzuladen. Auch diese Verzweiflungsaktionen werden nichts an der Tatsache der totalen Schieflage der Weltwirtschaft, geschuldet der ins Unsinnige und Schädliche getriebenen, unregulierten weltweiten Arbeitsteilung, ändern. Seite 3 von 8
4 Die Profiteure Es gibt neben der Masse der Verlierer in den alten Ländern auch Gewinner, und dies nicht zu knapp. Sie rekrutieren sich aus der Gruppe der gut Ausgebildeten, geschickten Spekulanten, Kreativen aller Lager, kleinen innovativen Gesellschaften, welche im Sog der Globalisierung an der weltweiten Präsenz teilhaben etc. Die wahren Profiteure aber sind die Aktionäre der multinationalen Gesellschaften sowie kluge Spieler im Finanzsystem. Sie haben binnen etwa 50 Jahren gelernt, wie man alle Vorteile einer weltweiten Präsenz für die eigenen Zwecke optimal nutzt. Einsatz von Wissen und Kapital ausschließlich dort, wo es den besten Wirkungsgrad erzielt, ohne Rücksicht auf soziale und umweltrelevante Faktoren Sicherung von Rohstoffen durch Kauf von Gewinnungsrechten weltweit Nutzung aller Möglichkeit zur Vermeidung von Steuerleistung Keinerlei Entgelt für das dem Ursprungsland entzogene unschätzbare Wissen und Kapital Weitere Verlagerung von immer höherwertigen Arbeitsplätzen Nivellierung des internationalen Lohnniveaus auf immer niedrigerer Ebene Konzentration des Gesamterlöses in immer weniger Händen Steigerung der wirtschaftlichen und politischen und Macht in den Händen der Empfänger der Profite Beeinflussung der Politik in den Schaltzentralen der Macht Dieser Effekt wird durch den Wettbewerb zwischen den großen Spielern noch befeuert. So wird Globalisierung mehr und mehr zu einem umfassenden Druck-System, um aus dem Potenzial der gesamten Welt mit möglichst geringem Aufwand und ohne Rücksicht auf die Kollateralschäden ein Maximum an Profit herauszupressen. Im Gegensatz zu früher, da der regionalen Wirtschaft durch fein austarierte Regeln ein Zaum zur Erzielung eines Nutzens für die Öffentlichkeit angelegt wurde, ist dies heutzutage nicht mehr der Fall. Seite 4 von 8
5 Der Reichtum der Welt, ihre Arbeitskraft und ihre Ressourcen werden in den Dienst von Mächten gestellt, welche sich weitestgehend jeglicher Kontrolle entziehen und den Profit daraus an eine dünne Schicht von anonymen Kapitaleignern abliefern. Die Wiederholung der sozialen Revolution Karl Marx falscher Schluss Was früher, zu Zeiten Karl Marx und der Hauptmann schen Weber, geschah weitestgehend unkontrollierte Ausbeutung der Arbeitskraft auf Grund nicht vorhandener Regeln zur Steuerung der Innovation Industrialisierung geschieht heute wiederum in weltweitem Maßstab, aufgrund nicht vorhandener gesamthaften Regeln zur Steuerung der Globalisierung. Karl Marx freute sich 1848 zu früh, als er schrieb Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut (Karl Marx, Friedrich Engels: Kommunistisches Manifest, 1848, MEW 4: 466.) Man kann mit gutem Grund die Rolle der damals unkontrollierten Inhaber der Produktionsmittel mit jener der heutzutage ebenso agierenden Multis gleichsetzen: Sie eilten beide der Gesetzeswerdung voraus und untergruben damit Seite 5 von 8
6 das Fundament der Gesellschaft. Das weltweite Reinheitsgebot und dessen nützliche Idioten Der tiefere Grund für dieses Ungemach liegt in der polarisierenden Wirkung des allseits verordneten politischen Reinheitsgebotes. Dieses wurde den Führern der westlichen Welt und ihren Adepten so lange suggeriert, bis sie es selbst glaubten und als alleinig seligmachende Doktrin verkünden. 1. Schließt Euch alle in möglichst großen Einheiten zusammen. 2. Seid immer und unter allen Umständen solidarisch miteinander. 3. Begleicht wechselseitig eure Schulden (ein EU-Spezifikum). 4. Nehmt unbegrenzt Flüchtlinge aus aller Herren Länder auf. 5. Gehorcht den Oberen in den fernen Zentralen. 6. Verzichtet auf eure lokale Eigenständigkeit. 7. Toleriert die Verlagerung von Arbeitsplätzen an den jeweils kostengünstigsten Ort der Welt. 8. Überlasst den Profit aus dieser Entwicklung den multinationalen Konzernen und 9. den 25% Gewinnern in eurem Lande. 10. Verlasst Euch darauf, dass sich alles von selbst regeln wird bzw. andere das für euch tun. Eine solche Struktur lässt sich unter der der Devise Haltet den Dieb! trefflich nutzen, um dieses erstaunliche Treiben ungestört fortsetzen zu können. Das Paradoxe daran ist, dass die Schafe, für die dieses geniale Schur-System konstruiert ist, sich geradezu unter die Schere drängen. Die, welche die großen Strukturen, die den Dienst an der Schur gewollt oder ungewollt stützen, betreiben damit das Handwerk jener, welche sie scheren und die Benefizien der gewonnenen Wolle genießen. Die Instrumente der Einigung pervertieren damit zu solchen der Spaltung. Wie das alles ausgeht? Das zeigt die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz im Detail. Seite 6 von 8
7 6 Diskutieren Sie mit! Aktuell Ein paar Erkenntnisse Zum Ende von NZZ.at: Ein Anfang Meinung / von Lukas Sustala / Aufstand im Tal der Glühwürmchen von Sonja Blaschke / HouseOfCards.at Alles wird anders. Oder auch nicht. von Johannes Huber / Zehnter Jahrestag der Unruhen von Tallinn: Estlands Feuerprobe mit dem «Bronze- Soldaten» von Rudolf Hermann / Das war NZZ.at Die Schweizer sind nun mal keine Österreicher Gastkommentar / von Franz Schellhorn / Widerstand gegen Orban und Kaczynski: Provokateure im Gegenwind Meinung / von Ivo Mijnssen / Service / Newsletter / Facebook / Twitter / Kontakt & Feedback / Häufige Fragen / Impressum / AGB & Datenschutz Seite 7 von 8
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