Der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Hirt sowie der Richter Rojahn und Zwirlein
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- Berthold Baumann
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1 Verg 23/02 Südbayern /01 18/t/ne/v Vergabekammer Der Vergabesenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Hirt sowie der Richter Rojahn und Zwirlein am 10.September 2002 in dem Nachprüfungsverfahren
2 b e s c h l o s s e n : Der Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß der Vergabekammer Südbayern vom zu verlängern, wird abgelehnt. G r ü n d e : I. Das Bayerische Rote Kreuz (Antragsgegner) schrieb im eigenen Namen sowie im Namen von fünf Rettungsdiensten im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom und im Bundesausschreibungsblatt vom die Lieferung von 278 Kombinationsgeräten (Defibrillator/EKG-Sichtgerät/ Noninvasiver Herzschrittmacher) für Rettungswagen im Offenen Verfahren nach VOL/A aus. Der Antragsgegner ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die neben vielfältigen anderen Aufgaben nach ihrer Satzung auch die Aufgabe des Rettungsdienstes wahrnimmt, welche ihr zusammen mit anderen Organisationen durch Art.18 und Art.19 des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes (BayRDG) übertragen worden ist. Nach Art.23 Abs.1 Nr.1 BayRDG erstattet der Freistaat Bayern den Durchführenden des Rettungsdienstes die notwendigen Kosten der Anschaffung von Krankenkraftwagen für die Notfallrettung, soweit die Anschaffungskosten nicht durch Zuwendungen Dritter gedeckt sind. Auf die Ausschreibung hin gaben sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladenen Angebote ab. Anfang März 2002 teilte der Antragsgegner allen Bietern die Aufhebung der
3 Ausschreibung gemäß 26 VOL/A mit, weil keines der Angebote den Ausschreibungsbedingungen entsprochen habe, und leitete das Verhandlungsverfahren ein. Mit Schreiben vom informierte er die Antragstellerin darüber, daß er die Erteilung des Zuschlags an die Beigeladene zu 2 beabsichtige. Den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin hat die Vergabekammer als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Bayerische Rote Kreuz sei nicht öffentlicher Auftraggeber gemäß 98 Nr.2 GWB, weil es weder in finanzieller noch in personeller Hinsicht einer staatlichen Beherrschung unterliege. Da es damit dem persönlichen Anwendungsbereich des GWB nicht unterfalle, sei der Nachprüfungsantrag unzulässig. Gegen diesen Beschluß wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zugleich hat sie die Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels bis zur Entscheidung über die Beschwerde beantragt.
4 II. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung gemäß 118 Abs.1 Satz 3 GWB zu verlängern, war abzulehnen, da die Beschwerde der Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg hat. Zutreffend hat die Vergabekammer die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags verneint. 1. Das Bayerische Rote Kreuz unterfällt nicht dem Vergaberegime, weil es - jedenfalls derzeit - kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des 98 Nr.2 GWB ist. a) 98 GWB regelt, welche Beschaffungsstelle als öffentliche Auftraggeberin anzusehen ist. Von den in 98 GWB aufgeführten Alternativen kommt für den Antragsgegner nur die Alternative des 98 Nr.2 GWB in Betracht. 98 Nr.1 GWB betrifft die Gebietskörperschaften, 98 Nr.3 GWB Verbände, die Alternativen Nr.4 bis 6 GWB umfassen nur juristische Personen des Privatrechts. Nach 98 Nr.2 GWB ist öffentliche Auftraggeberin diejenige juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet worden ist, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter 98 Nr.1 oder 98 Nr.3 GWB fallen, sie durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organs bestimmt haben. Die Vorschrift entspricht Art.1 b der Lieferkoordinierungsrichtlinie (Richtlinie 93/36/EWG vom 14.Juni 1993, geändert durch Richtlinie 97/52/EG vom 13.Oktober 1997), die in teilweise anderer Formulierung dieselben Voraussetzungen enthält. b) Das Bayerische Rote Kreuz als Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. Art.1 Satz 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung des Bayerischen Roten Kreuzes - BRK-Gesetz) und damit als juristische Person ist zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben
5 nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Der Begriff des Allgemeininteresses ist zwar weder durch die EG- Vergaberichtlinien noch durch den deutschen Gesetzgeber definiert oder umschrieben worden. Er wird aber von der überwiegenden Meinung dahingehend verstanden, daß im Allgemeininteresse liegende Aufgaben solche sind, welche hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluß behalten möchte (vgl. Dreher DB 1998, 2579/2582; Boesen Vergaberecht 98 Rn.42 ff.; Byok/ Jaeger/Werner Vergaberecht 98 Rn.247 ff.; Niebuhr/Kulartz/ Kus/Portz/Eschenbruch Vergaberecht 98 Rn.34 ff.). Im übrigen soll bei Gründung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, daß die Gründung zum Zweck der Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfolgt ist (vgl. Niebuhr/Kulartz/Kus/ Portz/Eschenbruch 98 Rn.38 m.w.n.). Dem Bayerischen Roten Kreuz obliegen derartige Aufgaben. Dies ergibt sich aus Art.2 BRK-Gesetz. Dort sind als Aufgaben der Zivil- und Katastrophenschutz sowie das Gesundheits- und Wohlfahrtswesen genannt. In der Satzung des Bayerischen Roten Kreuzes in der Fassung vom sind unter 2 die Aufgaben im einzelnen spezifiziert. Alle dort aufgeführten und bezeichneten Aufgaben können unter die Oberbegriffe des Art.2 BRK-Gesetz subsumiert werden; dies gilt insbesondere auch für den Rettungsdienst, der in 2 Nr.3 d der Satzung ausdrücklich aufgeführt ist. Sämtliche Aufgaben sind nichtgewerblicher Art. Auch der Begriff der Nichtgewerblichkeit ist weder in den EG- Richtlinien noch in den deutschen Gesetzen definiert. Von der überwiegenden Meinung wird er dahingehend verstanden, daß die Tätigkeit nicht primär der Gewinnerzielung dient, sie nicht nachfragebezogen ausgeübt wird und nicht dem Wettbewerb ausgesetzt ist (vgl. zu diesen Kriterien Dreher DB 1998, 2579/2583; Byok/ Jaeger/Werner 98 Rn.256 ff.; ähnlich Boesen 98 Rn.55, der entscheidend auf die Frage abstellt,
6 ob die juristische Person bei ihrer Tätigkeit den Kräften des Marktes ausgesetzt ist). 48 der Satzung des Bayerischen Roten Kreuzes schreibt vor, daß es ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke (Abs.1) und nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt (Abs.2). Gerade der Rettungsdienst ist ihm durch Art.18 und Art.19 des BayRDG ausdrücklich übertragen worden mit der durch Art.23 BayRDG garantierten Kostenerstattung. Dies zeigt augenfällig, daß die Tätigkeit des Bayerischen Roten Kreuzes nicht nach kommerziellen Regeln ausgerichtet ist. Sie ist weder gewinnorientiert noch nachfragebezogen noch dem Wettbewerb ausgesetzt. c) Das Bayerische Rote Kreuz wird aber nicht vollständig oder überwiegend durch eine der in 98 Nr.1 GWB genannten Gebietskörperschaften finanziert. Es trifft zwar zu, daß wegen 23 BayRDG diejenigen Aufwendungen, welche der Antragsgegner auf dem Gebiet des Rettungsdienstes bei Anschaffungen tätigt, vom Staat ersetzt werden, soweit sie nicht durch Zuwendungen Dritter gedeckt sind (vgl. 23 Abs.1 Satz 1 a.e.). Dies genügt aber nicht. Abzustellen ist vielmehr auf die juristische Person insgesamt und nicht nur auf die einzelne von ihr durchgeführte Aufgabe (vgl. Immenga/Mestmäcker GWB 3.Aufl. 98 Rn.45; Boesen Vergaberecht 98 Rn.65; Dreher DB 1998, 2579/2583; Byok/Jaeger/Werner 98 Rn.262 und 263). Der Grund hierfür liegt darin, daß eine juristische Person nur dann einem staatlichen Auftraggeber gleichzustellen ist, wenn die juristische Person in einer derartigen Weise staatsgebunden ist, daß zwischen der staatlichen Stelle und der juristischen Person praktisch kein Unterschied besteht. Voraussetzung hierfür ist grundsätzlich die Möglichkeit der Beherrschung durch eine staatliche Stelle, entweder in finanzieller oder personeller Hinsicht (vgl. Boesen 98 Rn.65). Dieses Ergebnis entspricht auch dem Wortlaut des 98 Nr.2 GWB. Im Gegensatz zu 98 Nr.5 GWB stellt Nr.2 nicht auf das Aufgabengebiet, sondern auf den Rechtsträger als solchen ab.
7 Nach den derzeit verfügbaren Zahlen des Antragstellers (Aufwands- und Ertragsrechnung für das Jahr 2000) erhielt er von staatlicher Seite ,07 DM Zuschüsse, ,55 DM Kostenerstattung und ,68 DM Erträge aus öffentlicher und nichtöffentlicher Förderung von Investitionen, wobei der Anteil der öffentlichen Förderung nicht aufgeschlüsselt ist, insgesamt also ,30 DM. Auch die Kostenerstattung ist auf der Seite der öffentlichen Finanzierung zu berücksichtigen. Entscheidend ist die Bereitstellung von Finanzmitteln als solche, auf die Art der Finanzierung kommt es nicht an (vgl. Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz/ Eschenbruch 98 Rn.63 und 64; Byok/Jaeger/Werner 98 Rn.262). Denn über die Finanzierung, gleich in welcher Form, kann die Abhängigkeit des Rechtsträgers von der finanzierenden Stelle eintreten. Der Gesamtbetrag der Erträge des Antragsgegners belief sich auf ,81 DM. Der Anteil der staatlichen Förderung lag damit - selbst wenn neben der öffentlichen Förderung von Investitionen auch die nichtöffentliche Förderung voll angerechnet würde - bei etwas über 40 % und damit noch unter dem von der herrschenden Meinung geforderten Anteil von 50 % (vgl. Boesen 98 Rn.66; Byok/ Jaeger/Werner 98 Rn.262; Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz/Eschenbruch 98 Rn.63). Zumindest derzeit kann daher nicht von einer finanziellen Abhängigkeit des Antragsgegners ausgegangen werden. d) Es üben auch keine staatlichen Stellen die Aufsicht über die Leitung des Antragsgegners aus. Auch hier ist auf den Rechtsträger und nicht auf die einzelne von der juristischen Person durchgeführte Aufgabe abzustellen. Grund ist wiederum die Überlegung, daß eine Gleichstellung von juristischen Personen mit staatlichen Stellen nur dann stattfinden kann, wenn die juristische Person ähnlich wie eine staatliche Stelle handelt. Der Freistaat Bayern übt gemäß Art.3 Abs.1 BRK-Gesetz über das Bayerische Rote Kreuz die Rechtsaufsicht aus. Nach Art.3 Abs.2 BRK-Gesetz handelt es sich um eine qualifizierte Rechtsaufsicht, die stark präventiv zur
8 Vermeidung von rechtswidrigen Handlungen ausgestaltet ist. So kann das zuständige Innenministerium Berichte und Akten anfordern, an den Sitzungen der satzungsmäßigen Gremien teilnehmen und dort auch das Wort ergreifen. Dennoch kann auch diese qualifizierte Rechtsaufsicht nicht als Aufsicht im Sinn des 98 Nr.2 GWB angesehen werden, weil sie nicht zu einer Beherrschung des Antragsgegners führt. Im Gegensatz zur Fachaufsicht greift die Rechtsaufsicht nicht in die unternehmerischen Entscheidungen des betreffenden Rechtsträgers ein, beherrscht demnach nicht die "Unternehmenspolitik"; auch die präventive Rechtsaufsicht dient nur dem Zweck, rechtswidrige Handlungen zu verhindern. Dies entspricht der herrschenden Meinung in der Literatur, die allein eine Rechtsaufsicht nicht als ausreichend ansieht (vgl. Beck`scher VOB-Kommentar/Marx 98 GWB Rn.11; Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz/Eschenbruch 98 Rn.65; ähnlich Byok/Jaeger/Werner 98 Rn.267). e) Daß staatliche Stellen nicht die Hälfte der Mitglieder der Aufsichtsorgane des Bayerischen Roten Kreuzes bestimmen, ergibt sich ohne weiteres aus 13, 14 der Satzung des Bayerischen Roten Kreuzes. An keiner Stelle der Satzung ist eine Befugnis staatlicher Stellen zur Bestimmung von Aufsichtsorganen enthalten; vielmehr erfolgt die Wahl durch entsprechende Mitglieder- und Bezirksversammlungen. 2. Die streitgegenständliche Beschaffung ist auch nicht dem Freistaat Bayern als öffentlichem Auftraggeber nach 98 Nr.1 GWB zuzurechnen. Zwar erstattet dieser nach Maßgabe von Art. 23 Abs.1 BayRDG die Kosten der Beschaffung. Auch hat das Bayerische Staatsministerium des Innern in gewissem Umfang Einfluß auf das Vergabeverfahren genommen. Der Freistaat Bayern erhält jedoch aus dem Beschaffungsvorgang keine Leistung; diese kommt allein dem Bayerischen Roten Kreuz zugute. Anhaltspunkte für eine unzulässige Umgehung des Vergaberechts (vgl. Boesen 99 Rn.51) liegen nicht vor. 3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt. Die Kosten des Verfahrens nach 118 Abs.1 Satz 3 GWB sind Kosten des
9 Beschwerdeverfahrens, über die entsprechend 91 ff. ZPO einheitlich im Rahmen der Entscheidung über die Kosten der Hauptsache zu befinden ist. Hirt Rojahn Zwirlein 18 Leitsatz GWB 98 Nr.2 1. Im Rahmen des 98 Nr.2 GWB bezieht sich das Erfordernis der überwiegenden Finanzierung einer juristischen Person auf diese juristische Person selbst; die überwiegende Finanzierung von einzelnen Aufgabenbereichen der juristischen Person genügt nicht. 2. Die Ausübung einer Rechtsaufsicht, auch einer qualifizierten präventiven Rechtsaufsicht, genügt den Anforderungen des 98 Nr.2 GWB nicht. 3. Das Bayerische Rote Kreuz ist - zumindest derzeit - kein öffentlicher Auftraggeber im Sinn des 98 Nr.2 GWB. BayObLG, Vergabesenat Beschluß vom Verg 23/02 = BayObLGZ 2002 Nr.51
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