In vielen Orten in unserem Land erklingt an Sonn- und Festtagen das Geläut der Kirchenglocken und ruft die Gemeinde zum Gottesdienst und zum Gebet.

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1 In vielen Orten in unserem Land erklingt an Sonn- und Festtagen das Geläut der Kirchenglocken und ruft die Gemeinde zum Gottesdienst und zum Gebet. Das Geläut fordert mit seinem Ruf eine Antwort der Gemeinde ein, Resonanz, Widerhall, aktives Tätigsein und friedliches Beisammensein. Jede Kirchengemeinde ist stolz, wenn sie eine oder mehrere Glocken besitzt, die regelmäßig zum Läuten gebracht werden können, denn man hört sie gern wie die Stimmen lieber Freunde, die das ganze Leben hindurch in Freud und Leid treue Begleiter sind. Viele Glocken in unseren Kirchen sind 150 bis 200 Jahre alt; die Wiedemarer Glocke wurde schon 1477 gegossen, die Glocke in Benndorf soll aus dem 12. Jahrhundert stammen, und ist somit wahrscheinlich die älteste Glocke in unserer Gegend. In der Geschichte findet man zahlreiche Hinweise welche Rolle die Glocken in Kriegszeiten spielten. Schon im Jahre 1546, im Schmalkaldischen Krieg, ließ der Rat der Stadt Magdeburg sämtliche Glocken der Klosterkirche Unserer Lieben Frauen von den Türmen nehmen und zu Kanonen umgießen. In Frankreich wurden im Jahre 1793 unter Napoleon I. mehr als Glocken zerschlagen und zu Kanonen umgegossen. Zum Läuten für den Frieden gegossen, ließen sie, zu Kanonen umgegossen und missbraucht, auf den Schlachtfeldern ihre totbringende Stimme dröhnen. Der Metallhunger des 1. und 2. Weltkrieges sollte aber alles bisher Dagewesene übertreffen. Jede Kirchengemeinde war verpflichtet ihre Glocken entsprechend ihres Alters und historischen Wertes einzustufen. Nur die jeweils wertvollste, meistens dann nur noch eine Glocke, konnte im Ort bleiben. Die Ereignisse im ersten Weltkrieg schildert der amtierende Wiedemarer Pfarrer Prasse so: Das Jahr 1917 brachte uns den schweren Verlust von zwei Kirchenglocken, deren Bronze-Metall für die Kriegsbedürfnisse beschlagnahmt wurde. Die Wegnahme der Glocken ist von vielen in der Gemeinde mit Unmut empfunden worden. Sehr schade ist, dass die Glocken nicht abgenommen, sondern von dem Monteur unbarmherzig zerschlagen wurden, ein grausiger Ton. Die Hoffnung, die Glocken wiederzubekommen, wenn sie eventuell vor dem Einschmelzen verschont blieben, war damit geschwunden. Alle Bemühungen, die große Glocke von 1776 vor dem Abtransport zu retten, scheiterten.- Von der kirchlichen Obrigkeit in Berlin gab es keinen spürbaren Widerspruch zu den Staats-Erlassen. Im Jahre 1936 konnte die Kirchengemeinde Wiedemar zwei neue Glocken von der Glockengießerei Schilling in Apolda für 3953,40 Reichs-Mark gießen lassen. In unvorstellbar kurzer Zeit von nur vier Monaten zwischen Auftragserteilung bis zur Fertigstellung der Glocken, waren diese im November 1936 auf dem Bahnhof Gröbers ausgeladen worden. Wie üblich sollten die Glocken auf einem festlich geschmückten Pferdewagen ins Dorf hereinfahren und zur Kirche gelangen. Mehrere Wiesenenaer Bauern hatten dazu bereits ihren besten Pferdewagen hergerichtet und Schmuck für die Pferde beschafft. Da erhob sich ein heftiger Streit, denn die Wiedemarer Bauern bestanden darauf, dass sie die alleinige Ehre hätten, die Glocken von Gröbers nach Wiedemar zu befördern. So kam es auch; die Wiesenenaer, die schon seit ewigen Zeiten zur Wiedemarer Kirchengemeinde gehören, fühlten sich zu Recht vor den Kopf gestoßen und verweigerten die Teilnahme an der Glockenweihe. Bereits sechs Jahre später mussten die beiden neugegossenen Glocken wieder für Kriegszwecke abgegeben werden. Vielleicht war es aus heutiger Sicht eine Vorbestimmung, dass der neuen großen Glocke keine lange Zeit auf dem Wiedemarer Kirchturm beschieden war, denn ihre Inschrift lautete: GEOPFERT ZU DEUTSCHLANDS WEHR 1917 (dahinter ein eisernes Kreuz) ERSTANDEN ZU GOTTES EHR (dahinter ein Hakenkreuz) Auf der kleinen Glocke, die auch abgegeben werden musste, war die Mahnung zu lesen: O, LAND, LAND, LAND, HÖRE DES HERRN WORT Im ersten und zweiten Weltkrieg sind in Deutschland mehr als Kirchen-Glocken für Kriegszwecke beschlagnahmt und eingeschmolzen worden. Es bleibt zu hoffen, dass solche Maßnahmen der Vergangenheit angehören und Kirchen- Glocken das bleiben können, wozu sie in den ältesten überlieferten Inschriften berufen wurden: Künderinnen des Friedens zu sein. Die in Wiedemar verbliebene Glocke von 1477 trägt diese Inschrift: O REX GLORIAE VENI CUM PACE (O König der Ehre, komm mit Frieden)

2 Das Aufziehen der Wiedemarer Glocken im Jahr 1936 Das Bild über das Aufziehen der Glocke muss in der Woche zwischen dem 9. und 14. November 1936 aufgenommen sein, denn am 15. November 1936 hingen die beiden am 18. Oktober 1936 in Apolda bei der Hofglockengießerei Franz Schilling Söhne gegossenen Glocken läutefertig im Wiedemarer Turm. Die große Glocke wog 1256 kg, die kleine Glocke 352 kg; der Guß kostete 3953,40 RMK (Reichsmark) Erstaunlich ist der Werdegang von der Anfrage der Kirchengemeinde bei der Firma Schilling bis zum Guss der Glocken einschließlich Montage im Turm Anfrage der Kirchengemeinde bei der Firma Schilling / Apolda über die Lieferung von Glocken Antwort der Fa. Schilling/Apolda mit einem Angebot einschließlich Kosten nochmals spezielle Fragen der Kirchengemeinde an die Firma Antwort von Schilling/A. auf alle Fragen der KG Auftrag der Kirchengemeinde an Fa. Schilling/A. zum Guß der Glocken Fa. Schilling/A. antwortet, dass die Anfertigung der Glocken sofort in Arbeit genommen wird die Fa. Schilling/A. teilt der KG mit, dass die beiden Glocken für Wiedemar am vergangenen Sonnabend (also am ) gegossen worden sind. Die Mitteilung lautet: Der Guß ist ausgezeichnet gelungen bis 14. November 1936 erfolgt die Montage auf dem Turm die Glocken hängen läutefertig im Turm

3 Die zwei im Jahre 1936 angeschafften Glocken müssen für Kriegszwecke abgegeben werden; sie werden am 15. und vom Kirchturm herabgelassen und abtransportiert; den Abtransport übernimmt der junge Bauer Karl Renz, er transportiert die Glocken nach Delitzsch; von dort aus gehen sie in einer der Kirchengemeinde unbekannte Richtung; Nachfragen nach dem Krieg über den Verbleib der Glocken im Stahlwerk Ilsenburg und beim Glockenfriedhof in Hamburg werden abschlägig beschieden; die Glocken sind offensichtlich schon im Krieg eingeschmolzen worden und demzufolge verloren Die Schallluke musste großflächig aufgeschlagen werden, um die große Glocke aus dem Glockenraum herauszubekommen.

4 Beim Herunterlassen der Glocken rissen die Seile und die Glocken stürzten in die Tiefe, wurden aber nicht beschädigt. Mit einem Pferdegespann wurden die Glocken abtransportiert

5 Die in Wiedemar verbliebene einzige Glocke mit der Inschrift: O REX GLORIAE VENI CUM PACE (O König der Ehre, komm mit Frieden)