Professor Dr. Peter Krebs. Unlauterkeit gemäß 3 Abs. 2 UWG wegen Verstoßes gegen die fachliche Sorgfalt
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1 Professor Dr. Peter Krebs Arbeitsgliederung UWG Unlauterkeit gemäß 3 Abs. 2 UWG wegen Verstoßes gegen die fachliche Sorgfalt Für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern bestimmt 3 Abs. 2 S. 1 UWG die Unzulässigkeit, wenn sie nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. A. Anwendungsbereich/Anwendung nur auf geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern Die meisten aller unlauteren geschäftlichen Handlungen werden bereits durch die Beispielstatbestände der 4 6 UWG erfasst. Dem 3 Abs. 2 S. 1 UWG kommt daher nur die Funktion eines Auffangtatbestandes zu insbesondere in den Fällen, in denen sich eine geschäftliche Handlung nicht zweifelsfrei einem der Tatbestände der 4 6 UWG zuordnen lässt. I. geschäftliche Handlung (Legaldefinition 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG) Hinweis: Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken verwendet zur Beschreibung des relevanten Verhaltens den Begriff der Geschäftspraktiken (Definition in Art. 2 lit. d). Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist, soweit es Handlungen von Unternehmen gegenüber Verbrauchern angeht, im Lichte der Definition der Geschäftspraktiken in Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG und der Beispielstatbestände der RL auszulegen. 1. Verhalten einer Person: Der Begriff des Verhaltens ist weit zu fassen und erstreckt sich auf alle menschlichen Verhaltensweisen, auf positives Tun und Unterlassen, auf Äußerungen und rein tatsächliche Handlungen. Diese Auslegung entspricht den Vorgaben des Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG, die unter Geschäftspraktiken jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing erfasst. Das Verhalten muss von einer natürlichen oder juristischen Person ausgehen. Bei juristischen Personen ist das Verhalten ihrer Organe maßgeblich ( 31 BGB). 2. Marktbezug des Verhaltens: Abgrenzung zu privatem, hoheitlichem oder betriebsinternem Verhalten 3. Absatz und Bezug von Waren oder Dienstleistungen: a. Maßnahmen sowohl des Absatzwettbewerbs als auch des Nachfragewettbewerbs. Seite 1 von 5
2 b. Waren: alle Gegenstände, die auf einen anderen übertragen und ihm zur Verfügung gestellt werden können (bewegliche und unbewegliche Sachen). Als Waren gelten ausdrücklich auch Grundstücke. c. Dienstleistungen: alle geldwerten unkörperlichen Leistungen. Als Dienstleistungen gelten ausdrücklich auch Rechte und Verpflichtungen. 4. Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens: Bei Unternehmen besteht eine widerlegliche Vermutung, dass sie sich zugunsten des eigenen Unternehmens verhalten (Ausnahme bei Medienunternehmen: Die Medien (Presse, Rundfunk) haben die besondere Aufgabe, die Öffentlichkeit über Vorgänge von allgemeiner Bedeutung zu informieren und zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Das ist bei der Anwendung des Lauterkeitsrechts zu berücksichtigen. Denn die Meinungs- sowie Presse- und Rundfunkfreiheit gehören sowohl zu den deutschen (Art. 5 Abs. 1 GG), als auch zu den europäischen Grundrechten (Art. 10 EMRK)). 5. Vor, während oder nach einem Geschäftsabschluss II. Verbraucher: Für den Begriff des Verbrauchers gilt auf Grund der Verweisung in 2 Abs. 2 UWG die Legaldefinition des 13 BGB. Danach ist Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Die gemeinschaftsrechtlichen Definitionen des Verbrauchers in Art. 2 lit. e der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr sowie in Art. 2 lit. a RL 2005/29/EG setzen allerdings nicht den Abschluss eines Rechtsgeschäfts voraus. Im Wege richtlinienkonformer Auslegung ist daher als Verbraucher anzusehen jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. B. Tatbestand I. Verstoß gegen die für den Unternehmer geltende fachliche Sorgfalt 1. Fachliche Sorgfalt: Der Begriff der fachlichen Sorgfalt ist in 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG in Anlehnung an Art. 2 lit. h RL 2005/29/EG legaldefiniert als der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält. a) Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt: Mit dem Begriff des Standards an Fachkenntnissen und Sorgfalt werden die fachlichen Anforderungen an das Verhalten eines Unternehmers gegenüber Verbrauchern in seinem Tätigkeitsbereich vor, während und nach dem Geschäftsabschluss umschrieben. Er bildet den Maßstab dafür, ob eine geschäftliche Handlung unlauter ist, sofern in den 4 6 UWG nicht spezielle Verhaltensanforderungen aufgestellt sind. Seite 2 von 5
3 b) Tätigkeitsbereich: Unter Tätigkeit ist das Verhalten vor, während und nach einem Geschäftsabschluss zu verstehen. Maßgebend ist also der jeweilige Typus des Vertrages, der mit dem Verbraucher abgeschlossen wurde oder werden soll. Soweit der Unternehmer einer bestimmten Branche angehört, bestimmt diese den Tätigkeitsbereich. c) Treu und Glauben: Da der Begriff von Treu und Glauben neben dem Begriff der anständigen Marktgepflogenheiten verwendet wird, kann er eine eigenständige Bedeutung letztlich nur dann entfalten, wenn es keine einschlägigen Marktgepflogenheiten gibt. Es sind dies hauptsächlich die Fälle neu entstandener Berufe oder Geschäftszweige oder neu entwickelter Markt- oder Verhandlungsstrategien. Der Maßstab von Treu und Glauben ermöglicht es die Lauterkeit einer geschäftlichen Handlung unter Abwägung der Interessen aller Beteiligten einschließlich der Allgemeinheit und unter Berücksichtigung der Wertungen des geltenden Rechts, insbesondere der Zielsetzungen des Gemeinschaftsrechts, und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. d) Unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten: Als Beurteilungsmaßstab für den maßgeblichen Standard von Fachkenntnissen und Sorgfalt sind nach 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG neben dem Grundsatz von Treu und Glauben auch die Marktgepflogenheiten zu berücksichtigen. Das entspricht nicht ganz den Vorgaben des Art. 2 lit. h RL 2005/29/EG, der auf das Handeln gemäß dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben und/oder den anständigen Marktgepflogenheiten abstellt. Als Marktgepflogenheiten sind daher in richtlinienkonformer Auslegung nur die anständigen Marktgepflogenheiten zu verstehen. (aa) Marktgepflogenheit: Unter Marktgepflogenheit ist eine außerrechtliche Marktverhaltensregelung für einen bestimmten Beruf oder Geschäftszweig zu verstehen, die ein bestimmtes Marktverhalten gebietet, verbietet oder erlaubt. Die Regelung muss, um Berücksichtigung finden zu können, in dem betreffenden Beruf oder Geschäftszweig anerkannt sein und auch angewendet werden (z.b. Übungen, Verkehrssitten, Handelsbräuche, Traditionen, Usancen, Verbandsrichtlinien, Wettbewerbsregeln oder Standessitten). (bb) Anständig: Das Kriterium der Anständigkeit hat die Aufgabe, eine bestehende Marktgepflogenheit darauf zu überprüfen, ob sie mit den derzeitigen grundlegenden rechtlichen Wertungen, insbesondere mit den Zielsetzungen des Gemein- Seite 3 von 5
4 schaftsrechts, des GWB und des UWG, in Einklang steht und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen allen beteiligten Marktteilnehmern gewährleistet. Es ist also eine Interessenabwägung vorzunehmen. e) Billigerweise: Maßgebend ist, welches Verhalten der Verbraucher vom Unternehmer vernünftigerweise erwarten darf. Dabei ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder ein durchschnittliches Mitglied der angesprochenen Verbrauchergruppe abzustellen ( 3 Abs. 2 S. 2 UWG). Ist eine besonders schutzbedürftige Gruppe von Verbrauchern angesprochen, kommt es auf die Sichtweise eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe an ( 3 Abs. 2 S. 3 UWG). 2. Objektiver Sorgfaltsverstoß ausreichend: Da die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung lediglich voraussetzt, dass sie nicht der für den Unternehmer geltenden Sorgfalt entspricht, genügt ein objektiver Sorgfaltsverstoß. Ein persönliches Verschulden ist lediglich beim Schadensersatzanspruch nach 9 UWG vorausgesetzt, wobei allerdings ein Übernahmeverschulden genügt, so dass in aller Regel auch Verschulden zu bejahen ist. 3. Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden: a) Eignung: Durch den Begriff der Eignung wird klargestellt, dass ein positiver Nachweis einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, nicht erforderlich ist. Es genügt die objektive Wahrscheinlichkeit, die auf Grund einer Würdigung aller Umstände des konkreten Falles festzustellen ist. b) Fähigkeit, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden: Erfasst wird Fähigkeit des Verbrauchers zu einer autonomen rationalkritischen Entscheidung auf der Grundlage von Sachinformationen. c) Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung: Eine Eignung zu einer spürbaren Beeinträchtigung ist dann anzunehmen, wenn sie nicht lediglich theoretisch, sondern tatsächlich möglich ist. Es kommt darauf an, wie sich die geschäftliche Handlung auf den angemessen aufmerksamen und kritischen Durchschnittsverbraucher, bezogen auf die jeweilige Zielgruppe, auswirkt oder auswirken kann. 4. Eignung zur Veranlassung zu einer geschäftlichen Entscheidung: Dieses Tatbestandsmerkmal dient dazu, den Bezugspunkt der spürbaren Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit klarzustellen. Der Begriff der geschäftlichen Entscheidung ist richtlinienkonform anhand der Legaldefinition in Art. 2 lit. k RL 2005/29/EG und damit denkbar weit auszulegen. Diese Definition umfasst nämlich jede Entscheidung eines Verbrauchers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er einen Kauf tätigen, eine Zahlung insge- Seite 4 von 5
5 samt oder teilweise leisten, ein Produkt behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit dem Produkt ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher beschließt, tätig zu werden oder ein Tätigwerden zu unterlassen. Seite 5 von 5
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