Seminar Soziologie B: Wirtschaftssoziologie (FS16)
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- Norbert Lenz
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1 Seminar Soziologie B: Wirtschaftssoziologie (FS16) Block 2: Sind wir alle Egoisten? -Exemplarische Anwendungen zum Kapitel Ältere Klassiker der Wirtschaftssoziologie Seite 1
2 Literatur 1 Coleman, J., 1990, Grundlagen der Sozialtheorie, Harvard University Press, Cambridge, MA, Band 1, Teil II: Handlungsstrukturen, S Diekmann, A., Przepiorka, W. and Rauhut, H., Die Präventivwirkung des Nichtwissens im Experiment. Zeitschrift für Soziologie, 40(1), Fehr, E. and Fischbacher, U., The nature of human altruism. Nature, 425(6960), Fehr, E. and Fischbacher, U., Social norms and human cooperation. Trends in Cognitive Sciences, 8(4), Fehr, E. and Schmidt, K., A Theory of Fairness, Competition, and Cooperation. Quarterly Journal of Economics, 114,
3 Literatur 2 Nowak, M.A. and Sigm, K., Evolution of indirect reciprocity. Nature, 437(27), Opp, K.D., When do norms emerge by human design and when by the unintended consequences of human action? The example of the no-smoking norm. Rationality and Society, 14(2),
4 Einführungsfragen Sind wir alle Egoisten? Ist Egoismus schlecht für unsere Gesellschaft? Seite 4
5 Inhalt 1. Altruismus 2. Fairness 3. Indirekte Reziprozität 4. Soziale Normen
6 Altruismus Im Gegensatz zu Tieren helfen sich Menschen untereinander - auch ohne Verwandtschaft. Warum sind wir anders? Ein Großteil der Menschen ist stark reziprok, d.h. sie belohnen reziprokes Verhalten und sie bestrafen Normabweichung Insbesondere die Bestrafung von Normabweichung ist ein altruistischer Akt, da Gewinne auf andere Personen auf Kosten des sanktionierenden Individuums übertragen werden Seite 6
7 Altruistic punishment im Ultimatum Spiel Viele Individuen bestrafen Defekteure auf eigene Kosten = altruistische Handlung Ultimatum Spiel Verteilung einer Geldsumme A macht Angebot an B (A kann über die Höhe frei wählen) B akzeptiert das Angebot oder lehnt ab (Bei Ablehnung gehen beide leer aus) Angebote unter 25% werden im Regelfall abgelehnt (Warum? Ist doch geschenkt?) = altruistische Handlung Anbieter, deren Angebot abgelehnt werden, reagieren mit 7% Steigerung der angebotenen Geldsumme in der nächsten Runde Diktator Spiel B muss Betrag akzeptieren Angebote von A sind bei weitem geringer als im Ultimatum Spiel Fehr, E. and Fischbacher, U., The nature of human altruism. Nature, 425(6960), Seite 7
8 Sanktionierung durch Drittparteien Normen gehen oft mit Sanktionen durch neutrale Dritte einher A=100, B=0, A soll an B spenden, C=50, C darf A sanktionieren (Kosten=1, Effekt=3) 55% der Drittparteien (C) sanktionieren A, wenn B<50 spendet Fehr, E. and Fischbacher, U., The nature of human altruism. Nature, 425(6960), Seite 8
9 Altruistic rewarding in Vertrauensspielen Vertrauensspiel Ausstattung: Vertrauensgeber=10, Vertrauender=10, Vertrauensgeber -> Vertrauender Vertrauender -> Vertrauensgeber Transferbeträge der Teilnehmer werden verdoppelt 50% der Vertrauenden transferieren Geld Transfersumme steigt mit der Transfersumme des Vertrauensgebers Eigennützige Akteure würden kein Geld transferieren Seite 9
10 Strong reciprocity und Öffentliche Güter Einmaliges Public Good Spiel Alle Teilnehmer bekommen Betrag Freiwillige Abgabe in den gemeinsamen Topf -> Verdoppelung -> gleichmäßige Auszahlung an alle 40-60% aller Teilnehmer spenden an den Topf Mehrmaliges Public Good Spiel Kooperation lässt nach Warum? Einzelne Trittbrettfahrer (siehe nächste Folie) Seite 10
11 Abnahme der Kooperation in Public Good Spielen Fehr, E. and Fischbacher, U., The nature of human altruism. Nature, 425(6960), Seite 11
12 Wiederholte Interaktion und Reputation Public Good Spiel Spieler können sich gegenseitig helfen, wobei Hilfe nicht kostenlos ist, aber günstiger als gutgeschriebener Betrag Reputationsaufbau möglich: Beitrag zum Public Good Geleistete Hilfe Reputation ist wichtig für Sanktionen und damit die Evolution der Kooperation Gründe für Hilfe Reputationserwerb: 74% Altruismus: 37% Seite 12
13 Abgaben im Ultimatum-Spiel mit und ohne Reputation Fehr, E. and Fischbacher, U., The nature of human altruism. Nature, 425(6960), Seite 13
14 Altruismus vs. Eigeninteresse Menschen sind Altruisten und Egoisten Altruistischer Teil Kooperation und Bestrafung in einmaligen Interaktionen Egoistischer Teil Verringerung der Beiträge in mehrmaligen Interaktionen Seite 14
15 Evolution der Kooperation Fehr, E. and Fischbacher, U., The nature of human altruism. Nature, 425(6960), Seite 15
16 Inhalt 1. Altruismus 2. Fairness 3. Indirekte Reziprozität 4. Soziale Normen
17 Warum kooperieren Egoisten? Beobachtung: Menschen handeln sozial, z.b. Firmen zahlen oft faire Gehälter über dem kompetitiven Preis Menschen kooperieren wenn Sanktionsmöglichkeiten vorhanden sind Menschen verhalten sich aber auch wie Egoisten Warum? Wann? Seite 17
18 Annahmen Rationale Akteure bestehen aus Anteil an Egoisten & Anteil, der über Fairness motiviert ist Fairness = Ungleichheitsaversion, d.h. man ist bereit, etwas vom Eigenbetrag abzugeben, um eine Gleichverteilung der Beiträge zu erwirken Ungleichheitsaversion kann eigennützig sein, wenn Fairness des eigenen Betrages (und nicht der Anderer) im Vordergrund steht Umgebung determiniert, welches Verhalten dominiert Fehr, E. and Schmidt, K., A Theory of Fairness, Competition, and Cooperation. Quarterly Journal of Economics, 114, Seite 18
19 Woher kommt Ungleichheitsaversion? Menschen haben das Bedürfnis nach sozialen Vergleichen Wählen dafür eine Referenzgruppe an Peers Negative soziale Vergleiche (Verlustaversion!) werden als unangenehmer erlebt als positive soziale Vergleiche Personen variieren in diesen Präferenzen Seite 19
20 Evidenz aus dem Ultimatum Spiel: Akteure antizipieren die Ungleichheitsaversion Anderer Fehr, E. and Schmidt, K., A Theory of Fairness, Competition, and Cooperation. Quarterly Journal of Economics, 114, Seite 20
21 Evidenz aus Marktspielen: Akteure akzeptieren auch geringe Beträge 1 Bieter Mehrere Nachfrager entscheiden über Akzeptanz des Angebotes Bei Akzeptanz bekommt 1 Nachfrager Betrag ausgezahlt Bei Ablehnung bekommt keiner Betrag ausgezahlt Nach einigen Spielrunden werden Beträge unter 5% akzeptiert Es reicht ein Nachfrager aus, der geringes Angebot akzeptiert! Gefangenendilemma: Woher weiß ich, was Andere akzeptieren? Seite 21
22 Wettbewerb und Fairness Fairness wird durch Wettbewerb verdrängt Standardökonomik kommt deswegen zu wahren Vorhersagen (auch ohne Berücksichtigung der Ungleichheitsaversion) Aber: Fairness kann freiwillige Kooperation unterstützen Standardökonomik sagt fälschlicherweise Defektion voraus Seite 22
23 Trittbrettfahrer im Public Good Spiel ohne Sanktionierungsmöglichkeit Fehr, E. and Schmidt, K., A Theory of Fairness, Competition, and Cooperation. Quarterly Journal of Economics, 114, Seite 23
24 Trittbrettfahrer im Public Good Spiel mit und ohne Sanktionierungsmöglichkeit Fehr, E. and Schmidt, K., A Theory of Fairness, Competition, and Cooperation. Quarterly Journal of Economics, 114, Seite 24
25 Inhalt 1. Altruismus 2. Fairness 3. Indirekte Reziprozität 4. Soziale Normen
26 Wie entsteht Kooperation unter Fremden Reziprozität: Wie du mir, so ich dir (=reziproker Altruismus jeder gewinnt) Indirekte Reziprozität: Wenn du mir hilfst, helfe ich einem Anderen (= keine direkte Sanktionsmöglichkeit) Ursachen indirekter Reziprozität Reputationsaufbau Moral Strategischer Reputationsaufbau Nowak, M.A. and Sigm, K., Evolution of indirect reciprocity. Nature, 437(27), Seite 26
27 Reputationsaufbau Evolutionstheorie: Überleben der Population Reputationsaufbau: Schatten der Vergangenheit Offene Fragen: Warum kümmert rationale Akteure die Population oder die Auszahlung Anderer? Kooperation ist nicht zwangsläufig stabil: kleine Anzahl an Defekteuren reicht manchmal aus Nowak, M.A. and Sigm, K., Evolution of indirect reciprocity. Nature, 437(27), Seite 27
28 Moral Bestrafung schlechter Akteure auf eigene Kosten (altruistische Bestrafung) Problem: Unverzerrte Information über das Verhalten der Ko-Spieler meiner Ko-Spieler Seite 28
29 Strategischer Reputationsaufbau Personen geben freiwillig an Fremde ab Beiträge steigen, wenn Informationen zum Spendenverhalten des Ko- Spielers vorliegen oder wenn Reputationsaufbau möglich ist Personen, die freiwillig geben, haben die größten Auszahlungen Personen, die mehr bekommen, geben mehr weiter Seite 29
30 Inhalt 1. Altruismus 2. Fairness 3. Indirekte Reziprozität 4. Soziale Normen
31 Definition sozialer Normen In Bezug auf eine spezifische Handlung existiert eine Norm, wenn das sozial definierte Recht auf Kontrolle der Handlung nicht vom Akteur, sondern von Anderen behauptet wird. Eine Sanktion ist die Ausübung dieses Rechts. Im sozialen System/Subsystem besteht ein Konsens, dass Andere das Kontrollrecht über die Handlung innehaben (Herrschaft Kraft des sozialen Konsens). Coleman, J., 1990, Grundlagen der Sozialtheorie, Harvard University Press, Cambridge, MA, Band 1, Teil II: Handlungsstrukturen, S Seite 31
32 Arten sozialer Normen Präskriptive Normen begünstigen und proskriptive Normen verhindern Fokalhandlungen. In manchen Fällen ist die Auswahl der Fokalhandlung willkürlich (Konventionen). Zielakteure: Normen zielen auf Fokalhandlungen einer bestimmten Klasse von Individuen hin Nutznießer: Normen werden von einer bestimmten Klassen an Individuen behauptet, die von der Norm profitieren Coleman, J., 1990, Grundlagen der Sozialtheorie, Harvard University Press, Cambridge, MA, Band 1, Teil II: Handlungsstrukturen, S Seite 32
33 Das Bedürfnis nach sozialen Normen Handlung hat ähnliche externe Effekte für ein Gruppe von Personen Es entsteht kein Markt für Teilkontrollrechte Coleman, J., 1990, Grundlagen der Sozialtheorie, Harvard University Press, Cambridge, MA, Band 1, Teil II: Handlungsstrukturen, S Seite 33
34 Das Bedürfnis nach sozialen Normen Coleman, J., 1990, Grundlagen der Sozialtheorie, Harvard University Press, Cambridge, MA, Band 1, Teil II: Handlungsstrukturen, S Seite 34
35 Beispiel für das Bedürfnis nach Nichtraucher- Normen Opp, K.D., When do norms emerge by human design and when by the unintended consequences of human action? The example of the no-smoking norm. Rationality and Society, 14(2), Seite 35
36 Rauchen erzeugt negative Externalitäten für Nicht- Raucher Opp, K.D., When do norms emerge by human design and when by the unintended consequences of human action? The example of the no-smoking norm. Rationality and Society, 14(2), Seite 36
37 Entstehung von Nichtraucher-Normen Opp, K.D., When do norms emerge by human design and when by the unintended consequences of human action? The example of the no-smoking norm. Rationality and Society, 14(2), Seite 37
38 Nicht-Raucher sanktionieren mehr als Raucher Opp, K.D., When do norms emerge by human design and when by the unintended consequences of human action? The example of the no-smoking norm. Rationality and Society, 14(2), Seite 38
39 Normen konditionaler Kooperation Kooperiere, wenn auch der Andere kooperiert. Defektion ist legitimiert, wenn der Andere nicht kooperiert. Normverletzung: auf Kooperation folgt Defektion Seite 39
40 Existieren konditionale Kooperations-normen? (1/2) Konditionale Kooperationsnormen existieren Aber: Nicht alle kooperieren & Beitrag geringer als Beitrag Anderer => keine langfristige Kooperation Fehr, E. and Fischbacher, U., Social norms and human cooperation. Trends in Cognitive Sciences, 8(4), Seite 40
41 Existieren konditionale Kooperations-normen? (2/2) Sanktionen sind für Normaufrechterhaltung wichtig Sind nie kostenlos (Zeit, Geld, Ärger ) Gehen mit keinen direkten Gewinnen einher, d.h. Norm stärker als Eigeninteresse sein Fehr, E. and Fischbacher, U., Social norms and human cooperation. Trends in Cognitive Sciences, 8(4), Seite 41
42 Konditionale Kooperationsnormen werden durch Sanktionen aufrechterhalten Fehr, E. and Fischbacher, U., Social norms and human cooperation. Trends in Cognitive Sciences, 8(4), Seite 42
43 Gründe für Sanktionen: Nur Eigeninteresse? Nein Sanktionen kommen auch ohne Schatten der Zukunft vor Fehr, E. and Fischbacher, U., Social norms and human cooperation. Trends in Cognitive Sciences, 8(4), Seite 43
44 Verdrängung von Normen: Broken Windows Theory Unordnung ist ein Signal, dass Normen nicht gelten Erzeugt Verschiebung der Handlungsziele Sozial erwünschtes Verhalten ist unwichtig Hedonische Ziele dürfen verfolgt werden Es kommt zu Normbruch auch bei anderen Normen Keizer, K., Lindenberg, S. and Steg, L., The Spreading of Disorder, Science, 322(5908), Seite 44
45 Graffiti In their absence, a flyer with an elastic band had been attached to the handlebar of their bicycle. The flyer was white and thus very noticeable. It read: We wish everybody happy holidays, signed with the name of a nonexistent sportswear shop. Flyer wird auf die Straße geworfen: Kein Graffiti vorhanden: 33% Graffiti vorhanden: 69% Keizer, K., Lindenberg, S. andsteg, L., The Spreading of Disorder, Science, 322(5908), Seite 45
46 Falschparken Nicht 200m Laufen, sondern verbotenen Eingang nehmen: Keine Falschparker: 27% Falschparker: 82% Keizer, K., Lindenberg, S. andsteg, L., The Spreading of Disorder, Science, 322(5908), The right sign (our contextual norm) indicated that it was prohibited to lock bicycles to the fence. The left sign (our target norm) made clear that it was prohibited to use this entrance and that people had to use an alternative entrance to the car park, which required walking a 200-m detour. In the order condition, four bicycles standing 1 m before the fence were ostensibly not locked to the fence. In the disorder condition, four bicycles were locked to the fence for everyone to see Seite 46
47 Einkaufswagen Flyer wird auf den Boden geworfen: Keine nicht zurückgebrachte Einkaufswagen: 30% Vier nicht zurückgebrachte Einkaufswagen: 58% please return your shopping carts attached to the entrance doors of the parking garage focused attention on this normative request. Keizer, K., Lindenberg, S. and Steg, L., The Spreading of Disorder, Science, 322(5908), Seite 47
48 Feuerwerk Flyer wird auf die Straße geworfen: Kein Feuerwerk zu hören: 52% Feuerwerk hörbar: 80% In Netherlands it is prohibited by law (with a 60 fine) to set off fireworks in the weeks before New Year s Eve. Keizer, K., Lindenberg, S. and Steg, L., The Spreading of Disorder, Science, 322(5908), cc Seite 48
49 Diebstahl Diebstahl: Kein Graffiti & müllfreie Umgebung: 13% Graffiti: 27% Müll: 25% Keizer, K., Lindenberg, S. and Steg, L., The Spreading of Disorder, Science, 322(5908), cc Seite 49
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