Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik
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- Herta Schmitz
- vor 8 Jahren
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1 Einführung in die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik Dr. C.J. Luchsinger 10. Schlussbemerkungen 10.1 Allgemeine Bemerkungen Sie haben in Basel bereits im ersten Semester die Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik kennengelernt. Dies ist in einem Mathematik-Studium meines Wissens einzigartig. Die Wahrscheinlichkeitstheorie (Kapitel 1-5) ist, was die zwingende Logik anbelangt, mit den beiden anderen Vorlesungen (Lineare Algebra und Analysis) vergleichbar. Der Statistikteil (Kapitel 6-9) hinterlässt hingegen womöglich ein mulmiges Gefühl (vor allem die Zeitreihenanalyse). Dabei geht es nicht um diejenigen Teile, wo wir sogenannte mathematische Statistik betrieben haben (genaue Voraussetzungen und zum Beispiel Suche nach optimalen Tests). Bedenken und dieses mulmige Gefühl kamen höchstwahrscheinlich auf, wenn konkrete Datensätze untersucht wurden. Fragen wie: Wieso soll das zufällig sein?, Warum gerade die Normalverteilung?, Warum logarithmiert der einfach diese Daten?, Warum soll der Zusammenhang linear sein?, Sind diese Ereignisse wirklich unabhängig voneinander? sind immer berechtigte Fragen. Nach unseren 4 Crash-Courses in Kapiteln 6-9 haben Sie vielleicht den Eindruck erhalten, die Statistik sei bei der Anwendung an konkreten Problemen der Praxis eine ziemlich willkürliche und werturteilsgeladene Angelegenheit - man kann bei geschickter Modellwahl alles mögliche beweisen. Nicht ganz falsch, aber differenzieren wir doch nach verschiedenen Situationen, welche auftreten können (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Grosse Datenmenge und dahinterliegendes Naturgesetz bzw. einfache, einleuchtende Theorie In dem Fall sollten verschiedene Modellierungsansätze die gleichen Schlussfolgerungen liefern (Schätzung relevanter Parameter, Tests etc.). Beispiel ist das Wachstum einer Bakterienpopulation. Dabei müssen die Rahmenbedingungen aber genau 186
2 aufgelistet und kontrolliert werden (bei biologischen Experimenten z.b. Temperatur, Lichteinfall, chemische Zusammensetzung, Luftdruck, etc.) ad hoc Erklärung eines Datensatzes Dies ist - wenn man nicht Anspruch auf Allgemeinheit erhebt - eigentlich bedenkenlos: Sie fitten einfach an einen bestimmten, gerade vorliegenden Datensatz z.b. ein lineares Modell. Der konkrete Datensatz wird dabei unter Umständen gut erklärt. Statt 100 Datenpunkten im R 2 können Sie die wesentliche Information auf eine Gerade reduzieren. Despektierliche Formulierung: Das ist eine verdammte ad hoc -erie!. Nochmals: Bedenkenlos als Beschreibung eines gerade vorliegenden Datensatzes ohne Anspruch auf Allgemeinheit. Untersuchungen im Marketing/Qualitätskontrolle Wenn ein Patron in seinem eigenen Unternehmen gute Qualität erreichen will, muss er dafür sorgen, dass diejenigen Personen, welche das Qualitätsmanagement unter sich haben, keine Gefälligkeitsurteile verfassen. Die Gefahr besteht, dass jemand eine Statistik so anfertigt, dass seine Abteilung gut dasteht, obschon der Patron ganz oben gar nicht froh wäre, von den tatsächlichen dortigen Zuständen zu erfahren. Aber nochmals: er muss dafür sorgen, dass sinnvoll Statistiken erhoben werden und muss fähig sein, diese zu interpretieren oder Vertrauensleute haben, welche das für ihn erledigen. Das ist ein Problem der BWL, der Managementwissenschaften und nicht der Statistik. Untersuchungen in den Sozialwissenschaften (Soziologie, Psychologie, Ökonomie) In den Sozialwissenschaften werden manchmal statistische Untersuchungen gemacht, deren Resultate dann für das allgemeine Publikum wie Naturgesetze verkauft werden:... hat man herausgefunden, dass pro 1000 $ höheres Einkommen der Eltern das Heiratsalter um 2 Monate zunimmt (lineare Regression). Sicher ist das kein Naturgesetz. Man sollte auch angeben, wann, wo, wie, mit welchem Datenumfang etc. die Daten erhoben wurden. Das ist im besten Fall eine gute ad hoc Erklärung eines Datensatzes (siehe oben). Solche Methoden können hingegen angewendet werden, um eine Theorie abzuschiessen, welche allgemeingültig daherkommt. Als Stütze von Theorien mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit sind sie ein denkbar schwaches Argument. 187
3 Des weiteren beachte man noch folgende Punkte: Exploratorische Statistik vs Konfirmatorische Statistik In der exploratorischen Statistik ist die Methodenwahl extrem frei. Was zählt ist, dass man am Schluss zu brauchbaren Resultaten kommt (zum Beispiel mit sehr guter Zeitreihenanalyse von Finanzdaten Möglichkeiten entdeckt, Geld zu verdienen, ohne zu grosse Risiken einzugehen). Dies ist im krassen Gegensatz zur konfirmatorischen Statistik: sie kommt oft zum Einsatz, wenn die Interessenlage der involvierten Personen(gruppen) nicht gleich ist: Pharmakonzern vs Zulassungsbehörde (Medikamentenzulassung), Finanzkonzern vs Aufsicht (Rechnungslegung des Konzerns, Basel II), Staatsanwaltschaft vs Angeklagter (DNA-Analyse, statistische Relevanz) - in diesen Fällen muss man sich auch über die verwendeten Methoden einigen oder/und wird sich darüber streiten. Im Fall der exploratorischen Statistik gilt übrigens auch hier: wenn ein/e Forschungsdirektor/in eines Pharmakonzerns bei der Medikamentenentwicklung völlig willkürliche statistische Methoden zulässt, mit denen Resultate in zu gutem Licht erscheinen, ist das ein Managementproblem und kein Problem der Statistik. Am Schluss muss man ja als Pharmakonzern bei der Zulassungsbehörde bestehen. Das Management muss dafür sorgen, dass Statistik sinnvoll eingesetzt wird oder Vertrauensleute haben, welche das erledigen. Wenn Sie verschiedene Modelle einsetzen und in allen Modellen immer die gleichen Schlüsse ziehen, dann gibt das Sicherheit, dass die Schlussfolgerungen gerechtfertigt sind. Daraus folgt auch, dass man möglichst viele Modelle kennen sollte und ein gutes Fundament in stochastischen und deterministischen Methoden sich aneignen sollte (sonst ist der Spruch gerechtfertigt: Wer nur einen Hammer hat, für den sieht die ganze Welt wie ein Nagel aus! ). In Basel ist das in der Bachelor-Stufe sehr gut gelungen (meine Vorlesungen und diejenigen der Gruppe von Prof. Grote). Achten Sie in der Praxis darauf, wie mit Kenntnissen von Modellen und Methoden umgegangen wird. Leider gilt dort bei fast allen Personen: Alles, was ich kenne und begreife, ist relevant für die Praxis und der Rest ist blosse Theorie! In der Finanzwelt (nicht nur dort) wird auch der Aspekt des Model-Risk (potentiell ungünstige Modellwahl) thematisiert. Offenbar sind die Bedenken nicht nur bei Ihnen vorhanden, sondern in der Wirtschaft ein echtes Problem. 188
4 10.2 Sind Sie unsicher in der Anwendung statistischer Methoden? Gut! Ein uraltes chinesisches Sprichwort sagt: Lehre einen Menschen den t-test und er ist einen Tag lang glücklich. Lehre einen Menschen die lineare Regression und er ist eine Woche lang glücklich. Lehre einen Menschen die Statistik und er ist ein Leben lang unglücklich. Besteht nicht die Gefahr, dass irgendwo auf der Welt, irgendjemand genau auf dieses Problem exakt spezialisiert ist und ganz spezielle Methoden entwickelt hat - welche ich eigentlich kennen müsste? 2 Antworten: * Ja, solch eine Person existiert höchstwahrscheinlich * Nein, man wird Ihnen deswegen kaum Vorwürfe machen können. Dazu folgende Gedanken: 1. Wenn Sie diese Person nicht finden (trotz und Mailinglisten), werden allfällige Kritiker diese Person auch kaum finden und so wichtig ist Ihr Problem wohl kaum. Sie werden meist die einzige Person sein, welche sich mit dem konkreten Problem je auseinandersetzen wird. 2. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass man 20 Semester lang Vorlesungen und Kurse über Statistik in allen möglichen Anwendungsgebieten besuchen könnte. 3. Das beste Modell gibt es ausser in kontrollierten Simulationen nicht! 4. Die meisten statistischen Probleme der Praxis benötigen ein genaues Einarbeiten in die Materie (diese Zeit wird leider selten gewährt). Das braucht erfahrungsgemäss mehrere Tage (und insbesondere Nächte und Geistesblitze beim Duschen am nächsten Morgen). 5. Die meisten Probleme der Praxis reduzieren sich aber danach auf das Berechnen eines arithmetischen Mittels und gesunden Menschenverstand. 189
5 10.3 Warum immer diese Normalverteilung? Weil 1. wegen des CLT (vgl. Theorem 5.4) iid Summen von Zufallsgrössen richtig standardisiert approximativ eine Normalverteilung haben. Es gibt allgemeinere Sätze, welche nicht mehr die gleiche Verteilung der Summanden fordern - auch die Unabhängigkeit kann gelockert werden. Damit hat man dann eine Erklärung, dass Phänomene der Natur, welche durch viele Einzelereignisse generiert werden (Bewegung von Molekülen in der Luft) eine Normalverteilung haben. 2. die Normalverteilung die Entropie maximiert (stetiger Fall und milde Voraussetzungen). Damit maximiert man die Unwissenheit. Damit drängt sich die Normalverteilung zur Modellierung von Fehlern auf, wenn man keine weiteren Anhaltspunkte hat. 3. viele Prozesse mit exponentiellem Wachstum (Modelle von Aktienkursen oder ganzen Volkswirtschaften) nach Logarithmierung normalverteilt sind (Lognormalverteilt). 4. sie schöne mathematische Eigenschaften hat: Symmetrie, Dichte geht sehr schnell gegen 0, E[ X k ] <, k
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