Übertragung von Aufgaben bei der Prüfung von Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom Richter auf den Rechtspfleger
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- Stefan Böhler
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1 Verband der Rechtspfleger e.v. Gaußstraße Hameln Niedersächsisches Justizministerium z. Hd. Herrn Dr. Schnelle Postfach Hannover Korrespondenzanschrift: Dipl.-Rpfl.'in Angela Teubert-Soehring Vorsitzende Gaußstraße Hameln Tel.: / priv. Mobil: 0171 / Tel.: / dienstl. Fax: / dienstl. Angela.Teubert-Soehring@justiz.niedersachsen.de teubert@rechtspfleger.net Hameln, 04. Dezember 2013 Übertragung von Aufgaben bei der Prüfung von Anträgen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom Richter auf den Rechtspfleger Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Dr. Schnelle, der Verband der Rechtspfleger bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Frage, ob von den durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts vom (BGBl I, 3533) geschaffenen Länderöffnungsklauseln Gebrauch gemacht werden sollte. Eine Übertragung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Rechtspfleger bzw. Urkundsbeamten der Geschäftsstelle lehnen wir allerdings ab. Sie ist sowohl gesellschafts- wie rechtspolitisch verfehlt und auch aus fiskalischer Sicht untauglich. Eine Übertragung von Fall zu Fall leistete der Zersplitterung der Zuständigkeiten Vorschub und wäre ein Schritt in die falsche Richtung: nicht nachvollziehbare Zuständigkeiten schaffen Intransparenz Seite 1 von 6
2 und Intransparenz schmälert das Vertrauen in die Rechtspflege. Gleiches gilt für Ungleichheiten. Mag es rechtlich vertretbar sein - und hieran kann man zweifeln -: der Eindruck einer Ungleichbehandlung in der rechtsuchenden Bevölkerung würde sich kaum vermeiden lassen, sollte sich die Vorstellung des Gesetzgebers von dem vermeintlich restriktiveren Rechtspfleger bewahrheiten, dieser aber nur von Fall zu Fall nach freiem Ermessen des Richters bzw. der Richterin zum Einsatz kommen. Darüber hinaus träfen die Einsparungen, so sie sich denn erzielen ließen, vor allem Frauen: vom Armutsrisiko sind überwiegend Frauen betroffen 1 und Anwältinnen bearbeiteten überproportional häufig Familiensachen 2, den Schwerpunkt der Prozesskostenhilfe 3. Ein solches Ergebnis passt zu Recht nicht in unsere Zeit. Hinzu kommt, dass die Einsparungen den Landeshaushalt nicht oder jedenfalls nicht nennenswert entlasten würden. Denn den Minderausgaben für PKH und VKH stünden Personalmehrkosten in erheblichem Umfang gegenüber. Die Nachteile einer Öffnungsklausel überwiegen damit eindeutig - und dies bereits ohne darauf abzustellen, dass der Anlass für die Änderung des Prozesskostenhilferechts eine Fata Morgana war. Die Ausgaben für Prozesskostenhilfe sind - inflationsbereinigt - eben nicht gestiegen, sondern - auch in Niedersachsen - gesunken 4. Und im europäischen Vergleich eher gering 5. Gründe genug, einer schlechten Idee nicht eine weitere folgen zu lassen. 1 Deckl in: Bundeszentrale für politische Bildung, Datenreport 2013, S.162; Goebel/Krause/Habich in: Bundeszentrale für politische Bildung, a.a.o., S. 178; Ri inolg Dr. Gudrun Lies-Benachib, Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am , S. 3 2 Bundesrechtsanwaltskammer, Anteil der Rechtsanwältinnen 1970 bis 2013; ders.: Fachanwälte zum : Im Jahr 2013 lag der Anteil der Rechtsanwältinnen bei 33,05%, der Anteil der Fachanwältinnen für Familienrecht dagegen bei 54,97%.; Lies-Benachib, a.a.o., S. 3 3 Lies-Benachib, a.a.o., S. 2 (62%); BT-Drs. 17/11472, S. 17 (68% in 2010) 4 BT-Drs. 17/11472, S. 19; Nickel, FuR 2013, 82/84: In Niedersachsen sind die Ausgaben von 2005 bis 1020 absolut um 1,78% gesunken (Bund: -0,45%), obwohl die Teuerungsrate 7,78% betrug. Für die ordentliche Gerichtsbarkeit lag der Rückgang in Niedersachsen sogar bei 7,45%. Lediglich in den Fachgerichtsbarkeiten kam es zu einem Anstieg um 39,74% von ,00 im Jahr 2005 auf ,00 in RA Dr. Matthias Kilian, Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am , S. 19 Seite 2 von 6
3 Im Einzelnen: 1. Akzeptanzminderung Durch die Nutzung der Öffnungsklauseln würde der Vorsitzende des Gerichts ermächtigt, im Einzelfall zu entscheiden, ob er die Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen der PKH bzw. VKH dem Rechtspfleger überträgt. Die so erzielte Zersplitterung der Zuständigkeiten wird dem rechtsuchenden Publikum häufig kaum vermittelbar sein und allein bedingt durch diese Intransparenz zu Akzeptanzverlusten führen: intransparente Strukturen schmälern das Vertrauen in die Rechtspflege. Auch tatsächlich ist die Gefahr einer Ungleichbehandlung nicht ausgeschlossen. Anders als der persönlich unabhängige Richter ist der Rechtspfleger jederzeit mit der Möglichkeit eines im freien Ermessen der Behördenleitung liegenden Dezernatswechsels konfrontiert 6 - ein Einfallstor, um besonders "gründliche" oder, weniger wohlwollend formuliert, restriktive Prüfungen herbeizuführen. Selbst wenn diese Öffnung für Einzelfallbestimmungen der funktionellen Zuständigkeit den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügen sollte, wird der Eindruck einer Ungleichbehandlung doch schwer zu vermeiden sein, wenn der eine an der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den Rechtspfleger scheitert, der Nachbar an der -angeblich großzügigeren - durch den Richter dagegen nicht. 2. Geschlechterdiskriminierung Die Übertragung auf den Rechtspfleger als restriktive Maßnahme verstärkte zudem eine sicher unbeabsichtigte, aber nichtsdestotrotz zwangsläufige geschlechterdiskriminierende Wirkung des Gesetzes, die zugleich ein Dilemma beschreibt: entweder, die vom Gesetzgeber erhoffte, restriktivere Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch den Rechtspfleger 7 ginge in Erfüllung. Die so erzielten Einsparungen gingen dann überwiegend zu Lasten weiblicher Verfahrensbeteiligter und - mittelbar - zu Lasten von Anwältinnen. Denn vom Armutsrisiko betroffen und damit auf PKH/VKH angewiesen sind in Deutschland überwiegend Frauen 8. Und in Familiensachen - dem Schwerpunkt der PKH- bzw. VKH- Verfahren 9 - arbeiten überwiegend Anwältinnen 10. Oder die restriktivere Prüfung der Wirtschaftlichkeit scheiterte an der Rechtsauffassung der betroffenen Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger mit der Folge, dass die erhofften Einsparungen ausblieben, die Personalmehrkosten hingegen nicht. In die- 6 BGH Rpfleger 2010, BT-Drs. 17/11472, S s.o. Fn. 1 9 s.o. Fn s.o. Fn. 2 Seite 3 von 6
4 sem Fall würde die Übertragung nicht nur keine Einsparungen erbringen, sondern echte Mehrkosten generieren - sie ist mit anderen Worten entweder diskriminierend oder kontraproduktiv. 3. Ineffizienz Neben diesen grundsätzlichen sprechen aber auch pragmatische Gründe gegen eine Nutzung der Öffnungsklausel: Eine Übertragung der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Rechtspfleger ist unwirtschaftlich. Denn sie schaffte redundante Prüfungen und führte zu echter Mehrarbeit in allen Instanzen, die die erhofften Einsparungen wenn nicht übersteigen, so doch erheblich schmälern würden. 3.1 Redundanzen Der Großteil des PKH- bzw. VKH-Aufkommens entfällt auf die Familiensachen 11, also auf einen Bereich, in dem regelmäßig auch der Richter die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten beurteilen muss 12. Mit der Übertragung wären mithin im Richterdienst keine Einsparungen zu erzielen. Gleichwohl entstünden durch die Übertragung der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Rechtspflegerdienst erhebliche Personalmehrkosten, die den ohnehin durch die sonstigen Änderungen des Prozesskostenund Beratungshilferechts zu erwartenden Mehrbedarf deutlich vergrößerten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere durch die Verschärfungen während des Ratenzahlungszeitraums und die verpflichtende Antragstellung vor Konsultation sowie die intensivere Rechtsberatung durch Rechtspfleger in Beratungshilfesachen erhebliche Mehrbedarfe 13 entstehen werden. So wird beispielsweise mit einem Anstieg der Beratungshilfeanträge um bundesweit gerechnet, weil die Sichtung durch die Anwaltschaft entfällt Vorläufige Streitwertfestsetzung Jedenfalls in Familiensachen entstünde regelmäßig die Notwendigkeit einer vorläufigen Streitwertfestsetzung durch den Richter für die Wirtschaftlichkeitsprüfung durch den Rechtspfleger 15, und damit nicht nur keine Entlastung im Richterdienst, sondern im Gegenteil eine Mehrbelastung. 11 s.o. Fn Giers, FamRZ 2013, 1341/ BT-Drs. 17/11472, S. 3; Lies-Benachib, S. 2; RiLG Peter Jochem, Stellungnahme zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am , S Lies-Benachib, a.a.o., S Lies-Benachib, a.a.o., S. 15 Seite 4 von 6
5 3.3 Erhöhtes Rechtsmittelaufkommen Eine Übertragung wäre mit einem erheblichen Anstieg des Rechtsmittelaufkommens verbunden. Dies allerdings nicht etwa deshalb, weil Rechtspfleger schlechter als Richter in der Lage wären, die notwendigen Feststellungen zu treffen 16. Sondern weil jedenfalls in Familiensachen mit einer Übertragung auf den Rechtspfleger für die Hauptsache relevante Fragen in das VKH-Verfahren vorverlagert würden 17. Damit entstünde ein nahezu unausweichlicher Zwang, die die wirtschaftlichen Voraussetzungen der VKH verneinende Entscheidung des Rechtspflegers überprüfen zu lassen. Das so erhöhte Rechtsmittelaufkommen würde zu Mehrbelastungen im Richterdienst und den Serviceeinheiten führen. 4. Verfahrensverzögerungen Mit einer Übertragung wären nahezu zwangsläufig Verfahrensverzögerungen verbunden, insbesondere durch den zu erwartenden Anstieg der Rechtsmittelverfahren und wegen der ohnehin durch das Änderungsgesetz steigenden Arbeitslast im Rechtspflegerdienst 18, ferner schlicht deshalb, weil die Bearbeitung nicht mehr in einer Hand läge 19. Insbesondere in Eilt-Sachen würde dies erhebliche praktische Probleme bereiten 20 und bei isolierten Prozesskostenhilfegesuchen auch haftungsrechtliche Fragen aufwerfen 21. Dies hätte natürlich umso mehr zu gelten, falls der zu erwartende und in seinem Umfang erhebliche Personalmehrbedarf im Rechtspflegerdienst nicht oder nur verspätet durch Stellenvermehrungen kompensiert werden könnte. 5. Fachgerichtsbarkeiten Der Verband der Rechtspfleger teilt die Auffassung, dass durch die vom Rechtsausschuss in 73a IV SGG, 166 II VwGO und 142 III FGO eingefügte Unterstellung der Übertragung unter die Maßgabe des Landesrechts die negativen Öffnungsklauseln aus 73a IX SGG, 166 VII VwGO und 142 VIII FGO ihren Sinn verloren haben und im Gegenteil eine Übertragung ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers voraussetzt 22. Alles andere dürfte die Gerichte auch vor erhebliche Probleme stellen, da es an den erforderlichen Fortbildungsangeboten fehlt. Denn mangels Vorbehalt für die 16 Nickel, FuR 2013, 82/85 17 Vgl. Zempel, FF 2013, 275/ s.o. Fn Giers, FamRZ 2013, 1341/ BT-Drs. 17/11472, S. 45: deshalb hält der Gesetzgeber eine Einzelübertragung in Kindschaftssachen wegen 155 FamFG oder in sonstigen Eilt-Sachen zwar für untunlich, nicht jedoch für unzulässig. 21 Lies-Benachib, a.a.o., S BT-Drs. 17/13538, S. 41f Seite 5 von 6
6 Laufbahngruppe 2, 1. Einstiegsamt, wären die Beamtinnen und Beamten der mittleren Beschäftigungsebene sowie vergleichbare Angestellte funktionell zuständig. 6. Fazit Nach alledem muss von einer Nutzung der Öffnungsklauseln dringend abgeraten werden. Der zu erzielende Gewinn ist bestenfalls klein und jedenfalls unsicher. Er ist überdies aufgrund der Wirkungen gesellschafts- wie rechtspolitisch sicher abzulehnen. Angela Teubert-Soehring Vorsitzende Jens-Niklas Krause stv. Vorsitzender Seite 6 von 6
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