Kurzfassung. Abstract. 1 Demografischer Wandel, Mikrosystemtechnik. Technikentwicklung
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- Edith Siegel
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1 Anwenderorientierte Technikentwicklung im Pflege-Bereich: Instrumente für den Wissenstransfer zur partizipativen Gestaltung von Mikrosystemtechnik User-centered technical development in the care sector: Knowledge transfer instruments for a participative design of micro-system technology Diego Compagna 1, Stefan Derpmann 1, Birgit Graf 2, Christiane Hartmann 3, Matthias Hilmer 4, Theo Jacobs 2, Peter Klein 3, Jochen Luz 4, Kathrin Mauz 1, Karen Shire 1 1 Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg, Institut für Soziologie, Duisburg 2 Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung, Nobelstraße 12, Stuttgart 3 User Interface Design GmbH, Ludwigsburg, Martin-Luther-Straße 57-59, Ludwigsburg 4 MLR System GmbH für Materialfluss- und Logistiksysteme, Voithstraße 15, Ludwigsburg Kurzfassung Zu großen Teilen sind Usability-Forschungen und Akzeptanzstudien retrospektiv angelegt. Technische Produkte und Anwendungen sollen im Nachhinein legitimiert werden, um ihre gesellschaftliche Akzeptanz sicherzustellen. Erste empirische Ergebnisse zeigen, dass es einer frühzeitigen aktiven Förderung des Wissenstransfers zwischen Anwendern und Entwicklern bedarf, um den Anforderungen an Mikrosystemtechnik im Dienstleistungssektor gerecht zu werden. Typische Nutzungssituationen sind in ihrer Komplexität nur schwer in konkrete Anforderungen umsetzbar und bleiben bei einer flüchtigen Betrachtung zumeist unterbelichtet. Zur Erfassung der Ansprüche potentieller Anwender erwiesen sich in der frühen Phase von Bedarfsanalysen insbesondere "weiche" Erhebungsinstrumente als besonders geeignet. Im zweiten Schritt liegt die spezielle Herausforderung in der Übersetzungsleistung zwischen den möglichen Nutzern und den Herstellern der jeweiligen Technik. Vor allem narrative Instrumente bieten sich hierbei als "Scharnier" an, um die Wünsche der Kunden sowie die Rahmenbedingungen der (technischen) Infrastruktur zu veranschaulichen und daraus konkrete technische Erfordernisse abzuleiten. Abstract To a large extent usability-research and acceptance-studies are designed retrospectively. Thus technical products and applications are to be legitimized afterwards, in order to guarantee their social acceptance. First empirical research findings show that it requires an early and active promotion of the knowledge-transfer between users and developers, in order to measure up to the requirements of micro-system technology in the service sector. The typical situational use is difficult to convert into concrete requirements in its complexity and therefore it remains mostly inadequate. The research of the needs of potential users proved - particularly in the early phase of the requirement analysis - that "soft" research instruments (qualitative methods) as rather suitable and successful. In the second step the special challenge is the translation of the requirements of the users and of the developers to achieve well-balanced reconcilements of the technically possible and the socially desirable. Narrative instruments serve in this way as a "joint", in order to illustrate the needs and wishes of the customers as well as to deduce the surrounding (technical) conditions and its concrete technical requirements. 1 Demografischer Wandel, Mikrosystemtechnik und nutzerzentrierte Technikentwicklung Das Forschungsvorhaben "Förderung des Wissenstransfers für eine aktive Mitgestaltung des Pflegesektors durch Mikrosystemtechnik" (WiMi-Care) 1 möchte in erster Linie innovative Verfahren für eine Nutzerzentrierte Technikent- 1 Gefördert durch das BMBF (Förderkennzeichen: 01FC ). wicklung im Pflegesektor zur Anwendung kommen lassen mit der Zielsetzung diese zu optimieren. Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung sind die zukünftigen Herausforderungen im Pflegebereich, welche die demografische Entwicklung in Deutschland sowie in den meisten Mitgliedsländern der EU mit sich bringt. Die durch eine stetig verbesserte medizinische Versorgung längere Lebenszeit und die gestiegenen Ansprüche an die Lebensqualität sowie insbesondere die auf einem niedrigen Stand stagnierende Fertilitätsrate stellen die sozialen Sicherungssysteme und die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft vor große Her-
2 ausforderungen [5,3]. Davon ausgehend, dass der demografische Wandel erhebliche Chancen für Wirtschaft und Beschäftigung in sich birgt, stellt sich die Frage, wie durch geeignete mikrosystemtechnische Anwendungen nicht nur die Risiken und Problemlagen ausbalanciert, sondern ebenso die Potenziale der alternden Gesellschaft genutzt werden können. Senioren werden in dieser Sicht als wirtschaftlich bedeutsame, erfahrungs- und kompetenzreiche Gruppe unserer Gesellschaft angesehen, deren Bedeutung in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird [8]. Hinsichtlich einer besseren Integration durch einen höheren Grad an Selbständigkeit, aber auch einer Entlastung von Pflegeeinrichtungen stellt im Rahmen mikrosystemtechnischer Innovationen der Bereich der Servicerobotik eine viel versprechende Entwicklung dar [2]. Die international steigenden Absatzzahlen von Servicerobotern und die prognostizierte positive Entwicklung lassen vermuten, dass in diesem Segment erhebliches Potenzial liegt [6]. Die sich auf die Entwicklung von Servicerobotern spezialisierten Forschungseinrichtungen sowie die noch jungen unternehmerischen Aktivitäten auf diesem Gebiet sehen sich allerdings mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert: Auf der einen Seite bedarf es einer stärkeren Vernetzung zwischen Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb, auf der anderen Seite fehlt es an verbindlichen Normen und Standardisierung [9,13]. Des Weiteren bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit mit den Betroffenen, also Senioren und Pflegediensten, die erst eine "bedarfsadäquate" Entwicklung erlaubt. Diese ist jedoch weitestgehend abhängig von einem angemessenen Instrumentarium zur Ermittlung von Desideraten und Bedienfreundlichkeit durch darauf abgestimmte Usability- und Nutzerforschung [1]. Eine erfolgreiche Entwicklung von Servicerobotik für den Einsatz im Pflegebereich ist also maßgeblich von einer gelungenen Abstimmung zwischen dem technisch Machbaren und dem sozial Erwünschten abhängig [4,11]. Auf der Grundlage intensiver empirischer Forschung können fundierte Aussagen bezüglich der Eignung des "Szenariobasierten Designs" [10] für die erfolgreiche Entwicklung von Servicerobotik (SR) und Fahrerlosen Transportsystemen (FTS) für den Einsatz in einer stationären Pflegeeinrichtung für Senioren getroffen werden. Durch eine umfassende Bedarfsanalyse in einer Pflegeeinrichtung für Senioren und dem Abgleich des so erzielten spezifischen Bedarfs mit den Forschungs- & Entwicklungsabteilungen von SR und FTS sind konkrete Szenarien entwickelt worden, die die Grundlage für die Weiterentwicklung der Artefakte darstellen. Dadurch ist auch der Austausch und Know-How-Transfer zwischen SR und FTS ermöglicht worden. Die Verbindung dieser ansonsten getrennt verlaufenden Entwicklungslinien autonomer mobiler Systeme hat sich als sehr fruchtbar und viel versprechend für den Einsatz im Pflegesektor gezeigt. 2 Das Szenariobasierte Design als Instrument einer nutzerzentrierten Technikentwicklung Der Kern des Szenariobasierten Designs (SBD) sind kleine Geschichten menschlicher Aktivitäten, so genannte Szenarien. Diese Szenarien werden aus Sicht des potenziellen Nutzers und dessen sozialen, emotionalen und motivationalen Hintergrunds beschrieben. Sie bestehen aus einer Anwendungssituation, einem oder mehreren Akteuren mit persönlichen Zielen und Werkzeugen, sowie Objekten, mit denen die beschriebenen Akteure bzw. Nutzer umgehen. Ein Szenario beschreibt dementsprechend eine Abfolge von Handlungen und Ereignissen, die zu einem Ergebnis führen. Das SBD läuft parallel zum User Centered Design Process 2 ab. Durch schrittweise und iterative Anpassung der Abstraktions- und Detailtiefe der Szenarien begleiten und modellieren diese die gesamte Analyse- und Konzeptionsphase und bilden die Grundlage zur Realisierung und Evaluation. Dabei können Szenarien sowohl einen bereits bestehenden Nutzungskontext beschreiben oder aber auch Visionen für die Zukunft kommunizieren. Szenariobasiertes Design legt den Fokus auf den Nutzer und dessen innere und äußere Faktoren bei der Durchführung seiner Aufgaben mit dem zu gestaltenden Produkt. Rosson & Caroll beschreiben dies folgendermaßen: Like other user-centered approaches scenario-based design changes the focus of design work from defining system operations (i.e. functional specification) to describing how people will use a system to accomplish work tasks and other activities [ ] However, unlike approaches that consider human behavior and experience through formal analysis and modeling of well-specified tasks, scenariobased design is a relatively lightweight method for envisioning future use possibilities [10]. Da Szenarien in den meisten Fällen ohnehin generiert werden, ist es nur konsequent diese explizit zu machen und niederzuschreiben. Der Vorteil von Szenarien liegt in ihrer Greifbarkeit und Lebendigkeit, die sich aus der Nähe zum Nutzer ergibt und die Kommunikation über die Thematik erleichtert. Dies ermöglicht, Konzepte zu diskutieren, zu reflektieren und zu überprüfen, sowie neue Aspekte und Problematiken aufzudecken. Szenarien verbessern die Kommunikation nicht nur in der Zusammenarbeit im engeren bzw. auch mehrere Gruppen übergreifenden Projektteam, sie helfen auch dabei, Kunden und andere Akteure (Stakeholder) einzubinden und zu überzeugen. Der Vorteil von Szenarien gegenüber der Darstellung von Use Cases liegt in ihrer leichteren Verständlichkeit auch für Laien. Des Weiteren gehen Use Cases oftmals schon von einer festen Sequenzabfolge von Aktio- 2 User Centered Design Process (Nutzerzentriertes Design): Die Entwicklung eines Produktes wird an den Bedürfnissen des Nutzers ausgelegt. Der Prozess gliedert sich in mehrere, aufeinander aufbauende Phasen, die iterativ durchlaufen werden können.
3 nen und Reaktionen zwischen Nutzer und einem System aus, dessen Eigenschaften schon relativ feststehen. Für die Lösung von Problemstellungen sind somit die flexibleren Szenarien besser geeignet. Auch komplexe Themen können mit Szenarien erfasst werden, da sie erlauben, eine Gewichtung auf die Hauptthematiken zu legen und von dort Nebenthematiken einzubinden oder neue Fragestellungen zu entdecken. Die Hauptvorteile des SBD sind somit die Nähe zum Nutzer und dessen Bedürfnissen, die Kommunizierbarkeit und der Umgang mit Komplexität sowie die Überprüfbarkeit der Szenarien. Des Weiteren umgeht das SBD Probleme, die im Zusammenhang mit Entscheidungen nach dem Prinzip Solution First entstehen und nach dem in Gestaltungsprozessen oftmals vorgegangen wird. Da Szenarien zwar konkret, aber dennoch unvollständig und somit auch in gewissem Maße offen sind, werden immer neue Perspektiven des Designs ermöglicht und eine frühzeitige Fixierung auf eine Lösung wird damit umgangen. Zudem gilt, dass konkrete Inhalte, wie sie beispielsweise in Szenarien beschrieben sind, einfacher und tiefer analysiert werden als abstraktes Material. Außerdem sind Szenarien unvollständig, was psychologisch eine weitere Elaboration, d.h. eine vertiefte Verarbeitung des Inhalts, nach sich zieht (siehe Gestaltungspsychologie). Dies fördert wiederum die Analyse alternativer, eventuell besser geeigneter Gestaltungslösungen. Durch schrittweise und iterative Anpassung der Abstraktions- und Detailtiefe modellieren die Szenarien die gesamte Analyse- und Konzeptionsphase. Dabei lassen sich fünf Szenariotypen unterscheiden, die den Prozess kennzeichnen: Problem-Szenario, Aktivitäts-Szenario, Informations- Szenario, Interaktions-Szenario und Dokumentations- Szenario. Ein erster wichtiger Schritt im Rahmen des SBD ist die Analyse involvierter Personen, wichtiger Themen, verwendeter Gegenstände und der damit auszuführenden Aufgaben (Nutzungskontextanalyse, Feldstudie). Diese Phase sollte möglichst gründlich durchgeführt werden, da sie als Basis für alle weiteren Phasen dient. Die gesammelten Daten werden sortiert, gewichtet und in Form von Problem-Szenarien kommunizierbar und erlebbar gemacht. Die Einbindung von Artefakten verstärkt die Wirkung der Szenarien. Als Akteure werden typische Nutzer in Form von Personas textuell modelliert und teilweise durch Zeichnungen, Fotos oder andere Medien illustriert. Die Modellierung von Personas und die Beschreibung von Artefakten erhöht die Lebendigkeit und Kommunizierbarkeit der Szenarien. Dies bildet die Grundlage, um mittels einer Wirkungsanalyse (Claims Analysis) Anforderungen für eine ideale Nutzung abzuleiten. Dabei soll pro Persona ein Szenario beschrieben und in der dritten Person erzählt werden. Da sich Szenarien im Laufe des Gestaltungsprozesses entwickeln, ist darauf zu achten, dass alle, die damit arbeiten, immer den neuesten Stand zur Verfügung haben. Es lohnt sich zu dokumentieren, wann und warum bestimmte Änderungen vorgenommen wurden. 3 Servicerobotik-Szenarien für den Einsatz in einer Pflegeeinrichtung 3.1 Transport-Szenario In Pflegeeinrichtungen, wie Seniorenwohnheimen, fallen vielerlei Transportwege an. Von Schmutzwäsche über Mahlzeiten bis hin zu Medikamenten müssen tagtäglich schwere Lasten oftmals auf weiten Wegen von A nach B gebracht werden. Häufig werden diese Aufgaben von examinierten Pflegekräften übernommen. Um diese von beschwerlichen Routinetätigkeiten zu entlasten und somit mehr Freiräume für pflegerische Tätigkeiten zu schaffen, bietet das vorliegende Transport-Szenario mögliche Abhilfe. Das fahrerlose Transportsystem (FTS) CASERO (entwickelt von MLR System GmbH) ist dank eines neuen Navigationssystems in der Lage, ohne rein auf Programmierung oder künstliche Markierungen zurückgreifen zu müssen, Transportaufgaben eigenständig durchzuführen. Die Navigation des CASERO bedient sich hierfür der Erkennung natürlicher Umgebungsmerkmale, wodurch dieser in nahezu jeder Umgebung eingesetzt werden kann, ohne bauliche Veränderungen vornehmen zu müssen. Er erkennt seine Umgebung autonom wieder, kann seinen Standort bestim- Bild 1 Transport-Szenario men und dem Pflegepersonal mitteilen. So können sowohl regelmäßige Transportdienste als auch einmalige Transportaufgaben an CASERO delegiert werden. Der Abtransport von Schmutz- und die Anlieferung von Frischwäsche stellt bspw. eine routinemäßige Beförderung dar, die täglich oder mehrmals täglich anfällt. Aber auch Essenstabletts, Getränkekisten, Post oder Medikamente könnten von CASERO von der Zentralstelle auf die einzelnen Sta-
4 tionen/ Stockwerke zugestellt bzw. von diesen abgeholt werden (vgl. Bild 1). Ferner kann die fahrerlose Plattform auf "Abruf" Lieferungen übernehmen. Denkbar wären hier beispielsweise Eilpostsendungen oder das Wegfahren von Einzelgeschirr, das über den Tagesverlauf anfällt. Diese Tätigkeiten werden von den Pflegekräften im Allgemeinen als zeitraubend und lästig empfunden, da diese sie von ihren zentralen, pflegerischen Aufgaben am Bewohner abhalten. 3.2 Nacht-Notfall-Szenario Das Nacht-Notfall-Szenario soll bei nächtlichen Unfällen eine schnelle und zielgerichtete Erste Hilfe ermöglichen. Da insbesondere während der Nachtschicht die Stationen und Stockwerke zumeist von einer Pflegekraft allein betreut werden, stellt das rechtzeitige Auffinden und schnelle Versorgen verunglückter Personen eine besondere Herausforderung an Pflegeeinrichtungen dar. Zumal ein "Nachtwandeln" von Bewohnern einer Pflegeinrichtung keine Ausnahme ist, sondern sehr häufig vorkommt. Eine schnelle Erstversorgung ohne den Bewohner verlassen zu müssen, um weitere Hilfe anzufordern ist somit das Ziel dieses Szenarios. Die fahrerlose Plattform CASERO, bepackt mit einem Erste-Hilfe-Koffer, fährt nachts die Flure ab. Ziel ist, den CASERO so weiterzuentwickeln, dass er am Ende des Projektes Personen, die sich auf dem Gang befinden oder am Boden liegen identifizieren und ein Signal an das Stationstelefon abgeben kann (vgl. Bild 2). Das Signal informiert das Personal über den Standort des Roboters und somit über den Ort des aufgefundenen Bewohners. Da CASERO bereits einen Notfallkoffer mit sich führt, muss dieser nicht erst zeitraubend geholt werden, sondern die Pflegekraft kann auf direktem Weg zum Patienten. Sollte die Benachrichtigung eines Arztes oder einer weiteren Person notwendig sein, kann dies durch einen, auf der Fahrerlosen Transportplattform integrierten, Rechner geschehen. Da CASERO mit dem zentralen Rechner- keiner Zeit allein lassen. Dies führt zu einer optimalen physiologisch-medizinischen Betreuung und soll das Sicherheitsgefühl der verunglückten Bewohner stärken. 3.3 Getränkeversorgungs-Szenario Das folgende Szenario beschreibt die typischen Aufgaben auf den Stationen, die im Umgang mit der Getränkeversorgung der Bewohner anfallen und vom Care-O-bot (entwickelt vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung) übernommen werden könnten. Hochbetagte Senioren neigen häufig dazu, zu wenig zu trinken - sei es aus Vergesslichkeit oder aus einer Vermeidungsstrategie heraus, die auf Inkontinenzprobleme oder auf das verringerte Durstempfinden im Alter zurückzuführen ist. Die ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit stellt somit eine zentrale Aufgabe von Pflegeeinrichtungen dar, weswegen die Pflegekräfte bei bestimmten Bewohnern besonders darauf achten müssen, dass diese genügend trinken. Bei ihren Rundgängen füllen die Pflegekräfte die Flüssigkeit nach bzw. stellen den Bewohnern Getränke hin und bemühen die Bewohner darum, regelmäßig zu trinken. Über die Flüssigkeitseinnahme wird handschriftlich Protokoll geführt. Dabei kommt es nicht selten zu Lücken im Protokoll, die im Nachhinein aus dem Gedächtnis heraus ausgefüllt werden. Die Aufzeichnungen werden zur Schichtübergabe manuell in ein computergestütztes Dokumentationssystem eingepflegt. Das gesamte Vorgehen erfordert sehr viel Aufmerksamkeit und Zeit. Wird festgestellt, dass die Trinkmenge eines Bewohners nicht ausreicht, muss diesem notfalls per Infusion Flüssigkeit verabreicht werden. Bild 3 Getränkeversorgungs-Szenario Bild 2 Nacht-Notfall-Szenario system der Pflegeeinrichtung vernetzt ist, kann hierüber ebenfalls auf die Patientenakte sowie Notfalldokumente zugegriffen werden. So stehen wichtige Informationen, wie verordnete Medikamente oder Allergien sofort zur Verfügung. Die Pflegekraft muss den Patienten somit zu Der Care-O-bot ist aufgrund seiner Fähigkeiten in der Lage, den Bewohnern ebenfalls Getränke anzubieten bzw. Getränke zum Verteilen an die Bewohner vorzubereiten, was die Pflegekräfte stark entlasten würde. Per Auftrag könnte er den Wohnbereich befahren und über eine Personenerkennung die entsprechenden Bewohner ausmachen und zum Trinken auffordern (vgl. Bild 3). Dabei kann der Care-O-bot ein Glas an einem Getränkespender selbstständig befüllen und den Senioren auf seinem Tablett an-
5 bieten. Ziel ist, dass er die verzehrte Flüssigkeitsmenge erfasst, diese automatisch mitdokumentiert und für jeden Bewohner aufsummiert. Die Pflegekräfte können sich somit schnell einen Überblick über den Stand der Bewohner verschaffen und unter Umständen intervenieren. Somit müssen die Pflegekräfte am Ende ihrer Schicht die Trinkmenge einzelner Bewohner nur noch überprüfen und gegebenenfalls um zusätzliche, eigene Getränkeofferten vervollständigen. 3.4 Aktivitäts-Szenario Dieses Szenario soll eine "Aktivierung" der Bewohner bewirken, indem diese durch entsprechende Angebote zu Aktivitäten angeregt werden. Über den Care-O-bot sind verschiedene Unterhaltungsprogramme, wie z. B. Spiele, wählbar. Da die Bereitschaft, Vorlieben und Fähigkeiten der Bewohner einer Pflegeeinrichtung sehr unterschiedlich sind, sollen die Angebote durch Pflegekräfte und Therapeuten angepasst an die jeweiligen Bewohner ausgewählt und initialisiert werden. Das "Szenariobasierte Design" erlaubt es das relevante Wissen der verschiedenen am Entwicklungsprozess beteiligten Personengruppen in eine Form zu bringen, die einen effektiven und funktionalen Austausch ermöglicht: Die Szenarien werden als Skizzen zeichnerisch umgesetzt und stellen den geplanten Einsatz narrativ und anschaulich dar. Dies erlaubt frühzeitig - noch bevor die eigentliche technische Entwicklungsarbeit beginnt - Schwachstellen und Probleme bezüglich der Arbeitsorganisation und der technischen Umsetzbarkeit zu identifizieren. Zugleich können auch Fragen zum Arbeitsschutz sowie legale Aspekte beachtet und eine hohe Akzeptanz erreicht werden, da die Anschaulichkeit der Szenarien diesbezügliche Kriterien deutlich hervortreten lässt. Insofern eignet sich ein solches Vorgehen nicht zuletzt für eine kostengünstige Entwicklung innovativer Technologien im Allgemeinen und insbesondere für stark interaktive Mikrosystemtechnik wie bspw. Servicerobotikanwendungen in komplexen sozialen Systemen. Die Szenarien werden in einem iterativen Prozess zwischen den relevanten Personengruppen immer wieder neu abgeglichen, bis alle Beteiligten die Einsatzszenarien für sozial wünschenswert und technisch durchführbar bewerten. Die Szenarien können als "Grenzobjekte" [12] aufgefasst werden, die technische und soziale Innovationen effizient und aufeinander abgestimmt ermöglichen, da sie das Aushandeln von sozialen und technischen Faktoren durch alle beteiligten Akteure gewährleisten und sich somit zugleich als Mittel einer idealen, partizipativen Technikentwicklung anbieten. Auf der Grundlage der so ermittelten Einsatzszenarien werden der SR Care-O-bot und das FTS CASERO gezielt für den Einsatz in einer Pflegeeinrichtung entwickelt, so dass im Sommer 2010 Pilotanwendungen durchgeführt und mit speziell für dieses Anwendungsfeld abgestimmten Usability-Instrumenten untersucht und weiter optimiert werden können. 5 Literatur Bild 4 Aktivitäts-Szenario So könnte ein denkbarer Ausschnitt dieses Szenarios darin bestehen, Bewohner X nachmittags auf ein Schachspiel einzuladen, da dieser Bewohner zum einen gerne Schach spielt und zum anderen keinen Partner hat, mit dem er spielen kann (vgl. Bild 4). Des Weiteren ist der Einsatz des Care-O-bot innerhalb der Ergotherapie denkbar, sodass er bspw. zu festen Zeiten zur Interaktion mit den Bewohnern und zur Unterhaltung der Bewohner genutzt werden kann. Denkbar wären ferner Gedächtnistraining, Musik- und Sprachspiele, die auf einen umfangreichen Fundus von Musikstücken, Geschichten, Gedichten und Dokumenten zurückgreifen könnte. Diese werden ansonsten mühselig und aufwendig ausgesucht und vorgeschlagen. 4 Fazit und Ausblick [1] Abels, Gabriele / Bora, Alfons (2004): Demokratische Technikbewertung. Bielefeld: transcript Verlag. [2] Charron, Patrick M. / Kirby, R. Lee / MacLeod, Donald A. (1995): Epidemiology of walker-related injuries and deaths in the United States. In: American journal of physical medicine & rehabilitation 74, Nr. 3, S [3] Destatis (2006): Statistisches Bundesamt Deutschland. 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, ( ). [4] Giesecke, Susanne (Hg.) (2003): Technikakzeptanz durch Nutzerintegration? Beiträge zur Innovationsund Technikanalyse. Teltow: VDI/VDE Technologiezentrum Informationstechnik GmbH. [5] Hradil, Stefan (2006): Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag. [6] IFR (2006): International Federation of Robotics / Statistical Department; VDMA / Robotics and Automation Association: World Robotics Statistics:
6 Statistics, Market Analysis, Forecasts, Case Studies and Profitability of Robot Investment. Frankfurt/Main. [7] ISO 13407: Human-centred design processes for interactive systems. alogue_detail.htm?csnumber=21197(letzter Abruf: ). [8] Kaye, H. Stephen / Kang, Taewoon / LaPlante, Mitchell P. (2000): Mobility device use in the United States. Disability Statistics Report, (14), Washington, D.C.: U.S. Department of Education, National Institute on Disability and Rehabilitation Research. [9] Kowol, Uli / Krohn, Wolfgang (2000): Innovation und Vernetzung. Die Konzeption der Innovationsnetzwerke. In: Weyer, Johannes (Hg.): Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München [u.a.]: Oldenbourg. [10] Rosson, M.B. & Carroll, J.M. (2003). Scenario-based Design. In: J.A. Jacko & A. Sears (Eds.), The Human- Computer Interaction Handbook (p ). Mahwah: L.E.A. [11] Schachtner, Christina / Roth-Ebner, Caroline (2009): Konstruktivistisch-partizipative Technikentwicklung. In: kommunikation@gesellschaft, Jg. 10, Beitrag 1. Online-Publikation: [12] Star, Susan L. / Griesemer, James R. (1989): Institutional Ecology. 'Translations' and Boundary Objects: Amateurs and Professionals in Berkeley's Museum of Vertebrate Zoology, In: Social Studies of Science 19, S [13] Weyer, Johannes (1997): Technik die Gesellschaft schafft. Soziale Netzwerke als Ort der Technikgenese. Berlin: Edition Sigma.
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