Welche Fortschritte und Entwicklungen gibt es in der Suizidprävention? Tagung: Wo ist der Fortschritt? 40 Jahre RRSS
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1 Welche Fortschritte und Entwicklungen gibt es in der Suizidprävention? Tagung: Wo ist der Fortschritt? 40 Jahre RRSS Univ.-Prof. Dr. Elmar Etzersdorfer Stuttgart, 25. Oktober
2 Inhalt 1. Die Fakten (Zahlen) 2. Erklärungen 3. Gesichertes Wissen 4. Diskussion, Schlüsse 2
3 1. Die Fakten (Zahlen) 3
4 Suizidraten der EU-Mitgliedsstaaten (WHO-Datenbank) Litauen(2006) Ungarn(2005) Slovenien(2005) Lettland(2006) Finnland(2004) Belgien(1997) Estland(2006) Polen(2005) Frankreich(2005) Tschech.Rep.(200 Österreich(2005) Rumänien(2003) Slovakei(2005) Dänemark(2001) Deutschland(2007) Schw eden(2005) Luxemburg(2005) Bulgarien(2005) Irland(2005) Niederl.(2006) Portugal(2005) Spanien(2005) UK(2005) Italien(2002) Malta(2005) Griechenland(2005 Zypern(2006) Frauen Männer
5 5
6 6
7 7
8 8
9 2. Erklärungen 9
10 There is no shortage of evidence on how clinical services and health policies can reduce suicide. Appleby L (2012) Suicide prevention: the evidence on safer clinical care is now good and should be adopted internationally. International Psychiatry, 9 (2):
11 There is little evidence of effectiveness of either psychosocial or pharmacological treatment, with particular controversy surrounding the usefulness of antidepressants. Hawton K, Saunders KEA, O Connor R (2012) Self-harm and suicide in adolescents. Lancet, 379:
12 Wer hat recht? 12
13 Kapusta ND, Niederkrotenthaler T, Etzersdorfer E et al. (2009) Acta Psychiatr Scand, 119:
14 3. Gesichertes Wissen 14
15 Effektivität suizidpräventiver Interventionen Die stärksten Belege liegen vor für: Depressionserkennung (Gotland) Zugangsbeschränkungen zu Suizidmethoden Mann JJ et al. (2005) Suicide Prevention strategies. A systematic Review. JAMA, 294:
16 3.1 Hausärzteprogramme, Erkennen von Depressionen 16
17 Gotland-Studie Programme für Hausärzte in Gotland (Schweden) führten zu einem Rückgang der Suizidrate (bis 60%) Schwerpunkt auf Erkennen und Behandeln von Depressionen wenige Jahre nach dem Programm neuerlicher Anstieg auf den ursprünglichen Wert Rutz et al. (1989, 1990, 1992, 1995), Rutz (2001) 17
18 Rückgänge der Suizidraten durch Hausärzteprogramme: Studies examining suicidal behavior in response to primary care physician Education Programs [ ] represent the most striking known example of a therapeutic intervention lowering suicide rates. Mann JJ et al. (2005) Suicide Prevention strategies. A systematic Review. JAMA, 294:
19 Rückgänge der Suizidraten durch Hausärzteprogramme: Schweden (Rutz et al., 1989, Rutz, 2001) Ungarn (Rihmer et al., 2001) Japan (Takahashi et al., 1998) Slowenien (Marusic et al., 2004) 19
20 Deutschland: Nürnberger Bündnis gegen Depression : uneinheitliche Ergebnisse Suizidversuche sanken zwar signifikant stärker in Nürnberg, Suizide jedoch stärker in der Kontrollregion Regensburger Bündnis gegen Depression : signifikanter Rückgang der Suizide gegenüber der Kontrollregion 20
21 Suizidraten in Regensburg: 2002: 23,8/ (Baseline) 2003: 2,8 (-46,5%) 2004: 6,7 (-72,1%) 2005: 15,8 (-33,6%) 2006: 11,9 (-50,3%) Spiessl et al. (2007) Suizidprophylaxe, 34 (Heft 131):
22 Vier-Ebenen-Ansatz: 1. Kooperation mit Hausärzten 2. Aufklärung der Öffentlichkeit 3. Einbeziehen von Multiplikatoren (Lehrer, Apotheker, Polizei usw.) 4. Angebote für Betroffene und Angehörige Spiessl et al. (2007) Suizidprophylaxe, 34 (Heft 131):
23 3.2 Verfügbarkeit ( availability ) von Suizidmitteln 23
24 Historisch: die Coal-Gas-Story Detoxifizierung des Haushaltsgases (CO-frei) ab Beginn der 60-er Jahre führte zu einem dramatischen Rückgang bei dieser Suizidmethode Großbritannien: der Rückgang bei Suiziden von Männern in den 60-er Jahren war primär darauf zurückzuführen, bei jüngeren Männern kommt es allerdings zu einer Verschiebung der Methode 24
25 Deutschland: zwischen 1963 und 1976 nahm der Anteil an Suiziden durch Haushaltsgas dramatisch ab, andere Vergiftungen stiegen allerdings an (Wiedenmann & Weyerer, 1993) 25
26 Fragen: Führt das Einschränken einer Methode zu einem echten Rückgang? Kommt es nur einer Verschiebung der Methode? Kann auch die Verschiebung sinnvoll sein (harte weiche Methoden)? Grenzen der Möglichkeit des Einschränkens der Verfügbarkeit (z. B. Erhängen)? Entsteht womöglich eine Einseitigkeit der Präventionsbemühungen? 26
27 Verfügbarkeit von Schusswaffen Spielt es eine Rolle, ob eine Schusswaffe im Haushalt verfügbar ist ( availability ) für die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Suizidmittel (oder für Gewalthandlungen) verwendet wird? 27
28 Etzersdorfer E et al. (2006) Wiener klinische Wochenschrift, 118:
29 Auswirkungen durch Verschärfung des Waffengesetzes? Juli 1997 trat in Österreich ein verschärftes Waffengesetz in Kraft Suizidprävention durch Gesetzgebung? 29
30 Verschärfung des Waffengesetzes in Österreich: Psychologische Testung Überprüfung des Hintergrunds Mindestalter 21 Jahre cool off -Periode von drei Tagen Nachweis des Bedarfs schärfere Lagerungsvorschriften 30
31 Etzersdorfer E et al. (2007) British Journal of Psychiatry, 191:
32 Etzersdorfer E et al. (2007) British Journal of Psychiatry, 191:
33 Etzersdorfer E et al. (2007) British Journal of Psychiatry, 191:
34 Rückgänge bei Waffensuiziden nach Gesetzesänderungen: USA (Ludwig & Cook, 2000) Kanada (Caron, 2004) Australien (Ozanne-Smith et al., 2004, Chapman et al., 2006) Neuseeland (Beautrais et al., 2006) Großbritannien (Hawton et al., 1998, Haw et al., 2004) 34
35 Möglichkeiten des Einschränkens der Verfügbarkeit ( Availability ): Detoxifizieren von Erdgas (Kreitman, 1976, Lester, 1990, Wiedenmann & Weyerer, 1993, Gunnell et al., 2000, Nordentoft et al., 2007) Restriktionen bei Pestiziden (Ohberg et al., 1995, Bowles, 1995) Restriktionen bei Barbituraten (Oliver & Hetzel, 1972, Crome, 1993) Entgiften von Autoabgasen (Kelly & Bunting, 1998, McClure, 2000) Schutzvorrichtungen bei hohen Gebäuden, Brücken (Beautrais, 2001, Reisch & Michel, 2005, Reisch, Schuster & Michel, 2007) 35
36 Verkleinerung der Packungsgrößen von Paracetamol in GB Suizide mit Paracetamol gingen signifikant zurück, ebenso die Zahl der Lebertransplantationen nach Paracetamol-Vergiftungen Hawton K et al. (2013) British Medical Journal, 346: f
37 3.3 Die Rolle der Medien 37
38 Imitationseffekte: Suizide 15-29jähriger Männer und Frauen während und nach der 1. und 2. Ausstrahlung der TV-Serie Tod eines Schülers (Modell: männlich, 19 J. alt) 1. Ausstrahlung 2. Ausstrahlung Schmidtke A, Häfner H (1986, 1988) 38
39 Die Wiener U-Bahn-Suizid-Studie: Zunahme der U-Bahn-Suizide Mitte der 80-er Jahren mit Cluster-Bildungen Massive Berichterstattung in den Boulevard-Medien (mit Schlagzeilen, Bildern, sensationsheischender Form) Verdacht auf Imitationssuizide (Werther-Effekt) 39
40 Die Wiener U-Bahn-Suizid-Studie: Medieninitiative (Mitte 1987) Empfehlungen für die Berichterstattung wurden erstellt zielten auf das Vermeiden von Identifizierungsmöglichkeiten Quasi-experimentelles Design: die Medien nahmen die Vorschläge an berichteten moderater, über einige Suizide gar nicht mehr 40
41 Etzersdorfer E et al. (1992) New England Journal of Medicine, 327:
42 Dose-Response -Effekt bei Imitationssuiziden Ausgangspunkt: Suizid eines prominenten Hoteliers in Wien Serie über den Suizid und den Verstorbenen in der Kronen-Zeitung über zwei Wochen, ansonsten moderate Berichterstattung in den Medien Unterschiedliche Verbreitung des Boulevard-Blattes in den Bundesländern 42
43 3 Log-odds ratios for suicide by shooting (pre-post newspaper's reports) Vorarlberg 10 Tyrol Upper Austria Lower Austria Vienna Styria Carinthia Salzburg Burgenland Percentage of newspaper's reading public Etzersdorfer E et al. (2004) Archives of Suicide Research Research, 2004, 8:
44 Diskussion, Schlüsse 44
45 Methodische Probleme Es gibt ein hohes Maß an Wissen aber auch viele offene Fragen! Nicht jede potentiell wirksame Maßnahme ist gleich gut erfassbar (Psychotherapie, Psychosoziale Versorgung, Psychiatriereform) Alles spricht dafür, dass die Ausdifferenzierung der psychiatrischpsychotherapeutischen Versorgung in Deutschland zum Rückgang der Suizidzahlen beigetragen hat 45
46 Verlauf der Suizidraten in Deutschland, Gründung DGS Psychiatrieenquete NaSPro Enke-Suizid 46
47 Was ist zu tun? In vielen Ländern wurden bereits nationale Präventionsstrategien etabliert. Empfehlenswert sind: Strategien für Hochrisikogruppen und Strategien, um das Gesamtrisiko zu reduzieren Hawton K, van Heeringen K (2009) Suicide. Lancet. 373:
48 Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland (NaSPro) Initiative der DGS 2002 gegründet 48
49 Aktivitäten des NaSPro AG Primärprävention: Paracetamol war seit 1960 rezeptfrei erhältlich (N1: 10 Tbl., N2: 20/30 Tbl., N3: 50 Tbl.) Nahm Platz 1 bei Vergiftungen ein (Untersuchungen in Nürnberg, Würzburg) seit : rezeptpflichtig ab 10g Packungsgröße 49
50 WHO FORSCHUNGSGRUPPE WÜRZBURG 50
51 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Univ.-Prof. Dr. Elmar Etzersdorfer Furtbachkrankenhaus, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Furtbachstrasse 6, Stuttgart 51
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