Empfehlungen für gendersensible Sprache

Transkript

1 Katrin Christ-Eisenwinder Gleichstellungsbeauftragte Empfehlungen für gendersensible Sprache Sprich mit mir! Durch Sprache sollen alle Geschlechter und Identitäten gleichermaßen angesprochen werden. Eine geschlechtersensible Sprache stellt sicher, dass für alle Menschen, ihre unterschiedlichen Rollen und Aufgaben in unserer Gesellschaft sowie ihre unterschiedlichen Lebenssituationen und die daraus entstehenden Bedürfnisse gleichermaßen sichtbar werden. Das Selbstverständnis von Kindern beispielsweise nimmt unter anderem erst durch sprachliche Bilder Konturen an. Das kann bedeuten, dass sich ein Mädchen nicht ohne weiteres mit einem Forscher, Mathematiker oder Feuerwehrmann identifizieren kann. Genauso wenig werden sich Jungen als Sekretärin oder Kindergärtnerin sehen. Wenn Sprache als Schlüsselwerkzeug für die Veränderung bestehender Geschlechternormen verstanden wird, dann sind geschlechtergerechte Formulierungen und die angemessene Auswahl von Bildern unumgänglich. Das Thema gendersensible Sprache wird überwiegend polarisierend dargestellt. Das begünstigt natürlich eine automatische Abwehrhaltung und reicht von emotional aufgeladener Diskussion, unreflektierten Einwänden bis hin zu vermeintlichen Witzeleien. Und trotzdem entsteht unbewusst eine Unsicherheit, wie denn nun Sprache politisch korrekt zu verwenden sei. Dabei ist die Benutzung gendersensibler Sprache gar nicht so schwierig und auch kein neues Phänomen. Die Legaldefinition, d.h. der vorausgeschickte Vermerk, dass alle männlichen Formen auch für Frauen gelten, erfüllt den Grundsatz der geschlechtergerechten Sprache nicht. Sie mutet den Frauen eine permanente Übersetzungsleistung zu. Rechtlicher Hintergrund Im 28 des Thüringer Gleichstellungsgesetzes finden wir den rechtlichen Hintergrund für diese Empfehlung. Dort steht geschrieben, dass Behörden und Dienststellen bei Erlass von Rechtsvorschriften, Verwaltungsvorschriften, bei der Gestaltung von Vordrucken, in amtlichen Schreiben und bei Stellenausschreibungen so weit wie möglich geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu wählen haben. In der täglichen Praxis wird diese gesetzliche Regelung zu oft ignoriert oder umgangen. Um diese Situation nicht weiter fortzuführen, braucht es eine Erinnerungshilfe. Diese soll durch die vorliegenden Empfehlungen gegeben werden.

2 Sprache & Realität Warum ist der Gebrauch von gendersensibler Sprache so wichtig? Warum benötigen wir die ganzen Regeln, um uns auszudrücken. Und das ging doch früher auch? Die Verwendung von Sprache zeigt die Realität. Sprache ist Ausdruck des Bewusstseins. Sie beeinflusst maßgeblich unser Denken und das Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen. Sprache ist ein Produkt der Kultur. Sie spiegelt Norm- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft wider. Die Verwendung von männlichen Formen, bei denen Frauen mitgemeint sind, ist weit verbreitet und historisch geläufig. Es handelt sich hierbei um das so genannte generische Maskulinum, eine verallgemeinernd verwendete männliche Personenbezeichnung. Eine schöne Geschichte, die dies untermauert, geht so: Ein Vater fährt mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglücken. Der Vater stirbt an der Unfallstelle. Der Sohn wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und muss operiert werden. Ein Chirurg eilt in den OP, tritt an den Operationstisch heran, auf dem der Junge liegt, wird kreidebleich und sagt: Ich bin nicht im Stande zu operieren. Dies ist mein Sohn. Der Chirurg aus dem vorherigen Beispiel könnte demnach ein Mann oder eine Frau sein. Wenn Sie zu denjenigen gehören, die beim Lesen des Beispiels spontan an einen Arzt statt einer Ärztin gedacht haben, gehören Sie keinesfalls zu einer Minderheit. Dass Frauen zwar häufig mitgemeint, selten jedoch mitgedacht werden, zeigen vielfältige, sprachwissenschaftliche und psychologische Studien. Sprache bildet also nicht nur gesellschaftliche Strukturen ab, sondern prägt auch unsere Wahrnehmung. Berufsbezeichnungen waren bis in die 1990er Jahre hinein überwiegend maskulin und spiegelten wider, dass es in der Vergangenheit Männern vorbehalten war, diese Berufe auszuüben. Heute noch trägt Sprache dazu bei, diese Zuschreibungen aufrecht zu erhalten. Durch einen sensiblen Sprachgebrauch tragen wir aktiv zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zu einer wertschätzenden Ansprache aller bei. Sprache bildet gesellschaftliche Strukturen ab und ist wandelbar. Heute verwenden wir zum Beispiel selbstverständlich den Begriff Kauffrau, um den sich in den 1970er Jahren noch große Diskussionen entfachten. Sprache ist dynamisch und subjektiv. Das ist ein Grund, warum in der Vergangenheit Feministinnen dazu übergingen, den Spieß einfach umdrehen zu wollen. Eine Zeit lang mündete das in dem Versuch, konsequent weibliche statt männlicher Endungen zu verwenden. Manche gingen sogar noch weiter. Sie schufen neue Worte, von denen es scheinbar nur neutralisierende Varianten gab, so wie: Hilfskräftinnen oder Mitgliederinnen. Von diesen Kreationen gingen ausschließlich Irritationen aus, das Rechtschreibprogramm des Computers hat immer nur Rot gesehen, sie wurden nicht akzeptiert und sind als Schreibweisen fast wieder aus dem Gedächtnis gestrichen.

3 Eindeutigkeit Gendersensible Sprache trägt auch zur Eindeutigkeit und zur Vermeidung von Missverständnissen bei. Generische Maskulina sind einerseits scheinbar neutral und andererseits zugleich männlich assoziiert. Im Ergebnis ist dann häufig unklar, ob es sich um eine generische oder eine spezifische Personenbezeichnung handelt. Bei dem Arzt aus unserem Beispiel könnte es sich bei der Interpretation als generisches Maskulinum sowohl um einen Chirurgen als auch um eine Chirurgin handeln. Bei einer geschlechtsspezifischen Interpretation hingegen wäre ausdrücklich ein männlicher Chirurg gemeint. Gleiches gilt natürlich auch für die Verwendung des generischen Femininums. Hierbei findet die weibliche Grammatik Verwendung und Männer sollen mitgedacht werden. Daher sollen alle Kolleginnen und Kollegen ermutigt werden, gendersensible Formulierungen zu finden und anzuwenden. Hierzu einige Tipps: Was ist gendergerechte Sprache? Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen, gendersensible Sprache umzusetzen. Sie lassen sich grob in den zwei Strategien Neutralisieren und Sichtbarmachen zusammenfassen. Neutrale Formulierungen machen das Geschlecht unsichtbar. Die Strategie des Sichtbarmachens dagegen, zeigt uns die Vielfalt der Geschlechter. Geschlechtergerechte Sprache gibt die Wirklichkeit genauer wieder. durch vollständige Paarformen: Sie wählen die Paarform und nennen Frauen bewusst zuerst. Die ausdrückliche Nennung der femininen und der maskulinen Personenbezeichnung ist allen anderen Formulierungen so oft wie möglich vorzuziehen. Damit wird deutlich, dass Frauen in allen genannten Bereichen und Funktionen vorkommen können und sollen. Beispiel: Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kolleginnen und Kollegen durch Neutrale Formulierung: Scheinbar neutral zu formulieren, schließt mindestens eine Gruppe aus. Das ist recht eindeutig: Liebe Kolleginnen schließt eindeutig Männer aus. ABER: Formulieren Sie Ihre Sätze so kreativ, dass sie einseitige Anreden und Benennungen vermeiden. Verwenden Sie Bezeichnungen, die sich gleichermaßen auf Männer und Frauen beziehen und machen Sie dadurch Ihre Texte abwechslungsreicher. Das hört sich schwer an, ist es aber nicht: Beispiel: Teilnehmende, Lehrende, Studierende

4 Die Absolventen des Kurses sind berechtigt, Das Absolvieren des Kurses berechtigt zum Computerexperten oder Computerfachmänner Computerfachleute Anwenderfreundlich oder Benutzerfreundlich einfach anzuwenden oder leicht zu benutzen der Chef oder der Leiter die Führungskraft oder die Person, welche die Gruppe leitet Übungsleiter Anleitende So werden die Geschlechter benannt und verbal sichtbar gemacht. Verwenden Sie lebendige Formulierungen um einfach, direkt und offen zu kommunizieren. durch direkte Kommunikation: Durch direktes Ansprechen werden Personen so zu sagen in die Pflicht genommen bzw. vereinnahmt: Die Benutzerinnen und Benutzer der Bibliothek haben sorgfältig mit den Büchern umzugehen. Bitte gehen Sie sorgfältig mit den Büchern um. durch Umschreibung mit wer Der Enteignete respektive die Enteignete kann Einspruch erheben. Wer enteignet wird, kann Einspruch erheben. Velofahrerinnen und Velofahrer ohne Helm leben gefährlich. Wer ohne Helm Velo fährt, lebt gefährlich.... durch Umschreibung mit Passiv Die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller müssen folgende Bedingungen erfüllen: Folgende Bedingungen müssen erfüllt sein:

5 ... durch Umschreibungen mit Verben und Adjektiven Ich bin Lohnempfänger/in beim Ministerium Ich beziehe Lohn beim Ministerium Hier ist der Rat eines Fachmanns gefragt. Hier ist fachkundiger Rat gefragt. durch Lösung mit Relativsatz Noch besser: Die Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer waren von ihrer Informatikdozentin begeistert. Die Personen, die am Kurs teilnahmen, waren von ihrer Informatikdozentin begeistert. Alle, die am Kurs teilnahmen, waren von der Informatikdozentin begeistert.... durch grafische Umsetzung Verantwortliche/r Dienststellenleiter/in bzw. Abteilungsleiter/in: Verantwortlich ist: Name, Funktion, Abteilung Bitte sparsam sein mit dem Binnen - I Das Binnen- I ist eine Schreibweise, die in einem Wort sowohl die weibliche als auch die männliche Personengruppe kenntlich machen soll. Die Verwendung des Binnen- I ist eine Möglichkeit, die aber aufgrund ihrer schwierigen Les- und Sprechbarkeit nur sparsam verwendet werden soll. Gender_gap, Sternchen und Co Im Laufe der Entwicklung der gendergerechten Sprache, haben sich neue Schreibweisen entwickelt, die mehr als nur Männer und Frauen benennen wollen. Diese haben es auch schwer in ihrer Durchsetzung, sollen aber der Vollständigkeit halber benannt werden. Das Gender_gap ist eine Strategie der Aneignung zur Infragestellung des binären Geschlechtersystems. Die Schreibweise dokumentiert mithilfe einer Lehrstelle in Form eines Unterstrichs den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Änderungen. Das heißt

6 zwischen (dem zumeist männlichen) Wortstamm und der weiblichen Endung wird ein Gender_gap eingefügt. Der Unterstrich soll alle Menschen einschließen, auch diejenigen die sich nicht als Frauen oder Männer definieren. Er soll das 2-Geschlechtersystem infrage stellen, um zu dokumentieren, dass es auch andere Geschlechter gibt (transsexuelle oder intersexuelle Menschen). Beispiel: Schüler_innen, Lehrer_innen Die Verwendung vom Sternchen * stammt ursprünglich von einer technisch maschinellen Schreibart. Es dient dazu, hinter den Wörtern etwas zu ergänzen. Die meisten von Ihnen kennen das aus Suchmaschinen, Wortsuchen oder Abkürzungen im Computer. Die trans*- Community hat es daher aufgegriffen, um Begrifflichkeiten wie transident oder transsexuell zusammenzufassen. Beispiel: Schüler*in, Lehrer*in Des Öfteren führen neue Sprachvarianten wie Sternchen, Schrägstriche oder Unterstriche einerseits zu Missverständnissen, Kritik oder Ablehnung, andererseits auch zu Verständnisbarrieren. Hier besteht nur die Möglichkeit, entweder beide Formen zu benennen, z.b. Schülerinnen und Schüler oder die verwendeten Sonderzeichen im Anschluss in Text oder Wort zu erklären. Wichtig ist es, solche Sprachformen zu finden, die sowohl Ihre Zielgruppe als auch den Kontext der Publikation bzw. der Veranstaltung in den Blick nimmt und die mit Ihrem eigenen Verständnis von diskriminierungsfreier Sprache konform geht. Machen Sie den Gendercheck: Sie kennen die Regeln der sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern? Sie wenden Sie auch regelmäßig an? Wie konsequent tun Sie das? Sind die zur Illustrierung Ihrer Aussage verwendeten Beispiele und Bildmaterialien frei von Klischees und veralteten Rollenbildern? Zitieren Sie Expertinnen und Experten gleichermaßen? Ist das, was ich schreibe lesefreundlich und übersichtlich? Habe ich alle Menschen, die meiner Zielgruppe angehören, berücksichtigt und angesprochen? Vermeide ich, dass sich Personen durch meine Ausführung diskriminiert fühlen?

7 Schließe ich durch meine Wortwahl alle Personengruppen ein? Habe ich auf geschlechtsstereotype, klischeebesetze Formulierungen und Bilder verzichtet? Habe ich bei der Erstellung von Formularen berücksichtigt, dass es Menschen gibt, die sich weder der Kategorie Mann oder Frau zuordnen wollen? Habe ich bei der Erstellung von Formularen berücksichtigt, dass Familien nicht nur aus Mann, Frau, Kind bestehen?